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41/02 Asylrecht;Norm
FrPolG 2005 §60 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Schmidl, über die Beschwerde des AM in I, geboren am 26. Juli 1984, vertreten durch Dr. Heribert Schar ua, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Leopoldstraße 31a, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol vom 2. März 2006, Zl. 2/4033/12/06, betreffend Erlassung eines unbefristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Tirol (der belangten Behörde) vom 2. März 2006 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen serbischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 Z. 1 und Abs. 2 Z. 1, § 61, § 63 und § 66 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein unbefristetes Aufenthaltsverbot erlassen.
Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 29. Juni 2005 sei der Beschwerdeführer wegen des Verbrechens des schweren Raubes nach § 143 erster Satz StGB zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von fünfeinhalb Jahren verurteilt worden. Er habe am 10. Jänner 2004 in Innsbruck gemeinsam mit R. den Tankwart einer Tankstelle durch Vorhalten von Pistolen und die Äußerung "Geld heraus" mit Bereicherungsvorsatz zur Herausgabe von Bargeld in Höhe von ca. EUR 1.660,-- genötigt. Am 11. Jänner 2004 habe er zum schweren Raub durch R. Zum Nachteil eines Tankwarts einer anderen Tankstelle dadurch beigetragen, dass er den unmittelbaren Täter R. zum Tatort gebracht habe, in der Nähe des Tatortes im Fluchtfahrzeug auf R. gewartet und nach der Tat das Fluchtfahrzeug gelenkt habe. Er habe schließlich gemeinsam mit R. und A. am 15. Jänner 2004 in Innsbruck den Tankwart einer weiteren Tankstelle durch Vorhalten von Pistolen und die Äußerung "Überfall, gemma" mit Bereicherungsvorsatz zur Herausgabe von Bargeld im Betrag von EUR 1.820,-- und von Autobahnvignetten und Telefonladebons im Wert von EUR 1.075,50 genötigt.
Das Gesamtfehlverhalten des Beschwerdeführers zeige seine negative Einstellung zur Rechtsordnung und den fehlenden Willen, sie einzuhalten. Daher gefährde sein Aufenthalt im Bundesgebiet die öffentliche Sicherheit. Die Verurteilung des Beschwerdeführers vom 29. Juni 2005 zu einer unbedingten fünfjährigen Freiheitsstrafe erfülle den Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 erster Fall FPG.
Der Beschwerdeführer lebe seit 1991 im Bundesgebiet. Er habe in Innsbruck die Schule besucht und anschließend gearbeitet. Er spreche perfekt deutsch. Am 19. Jänner 2004 sei er wegen des Verdachts des Verbrechens des schweren Raubes in die Justizanstalt Innsbruck eingeliefert worden. Bei jeder Besuchsmöglichkeit werde er in der Justizanstalt von einem Familienmitglied besucht. Er sei im Bundesgebiet dementsprechend gut integriert. Eine intensive familiäre Bindung bestünde zu seinen Eltern und zu seiner Schwester. Er wohne in einer eigenen Mietwohnung in Innsbruck im selben Haus wie seine Eltern. Die Miete für diese Wohnung werde während seiner Haft von den Eltern bezahlt. Eine Wiedereinstellungsbestätigung einer Innsbrucker Baufirma liege vor. Der Beschwerdeführer habe zwei minderjährige, im Jahr 2001 bzw. 2004 geborene Kinder, die bei ihrer jeweiligen Mutter leben würden.
Ein relevanter Eingriff in sein Privat- oder Familienleben im Sinn des § 66 Abs. 1 FPG liege vor. Dieser Eingriff mache das Aufenthaltsverbot gegen ihn im Grund des § 66 Abs. 1 FPG aber nicht unzulässig. Die sich in seinem Gesamtfehlverhalten manifestierende Neigung, sich über die Rechtsordnung hinwegzusetzen, mache die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen; Schutz der Rechte anderer) dringend geboten.
Die soziale Komponente der Integration des Beschwerdeführers werde durch seine schweren Straftaten erheblich beeinträchtigt. Dem stehe das große öffentliche Interesse an der Beendigung des Aufenthalts des Beschwerdeführers im Bundesgebiet gegenüber. Der Schutz des Eigentums anderer habe einen großen öffentlichen Stellenwert. Die privaten oder familiären Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet wögen - im Hinblick auf seine Neigung zu (schweren) Straftaten - höchstens gleich schwer wie die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes.
Das Aufenthaltsverbot werde auf unbestimmte Zeit erlassen, weil auf Grund der wiederholten massiven Rechtsbrüche im Jänner 2004 und der daraus hervorgehenden Gefährlichkeit des Beschwerdeführers für die öffentliche Sicherheit nicht vorhergesehen werden könne, wann der Grund für die Erlassung des Aufenthaltsverbotes weggefallen sein werde. Das unbefristete Aufenthaltsverbot entspreche den für seine Erlassung maßgeblichen Umständen, dem in Rede stehenden Gesamtfehlverhalten sowie den privaten und familiären Verhältnissen des Beschwerdeführers. Ein "Aufenthaltsverbots-Verbotsgrund" gemäß § 61 FPG komme nicht zum Tragen. Das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes sei angesichts der Verurteilung des Beschwerdeführers zu einer unbedingten fünfeinhalbjährigen Freiheitsstrafe eindeutig. Daher sei eine gesonderte Begründung der Ermessensentscheidung des § 60 Abs. 1 FPG entbehrlich.
Auf die Einvernahme der Mutter des Beschwerdeführers "zum Beweis des völlig intakten Familien- und Sozialgefüges" werde verzichtet. Vom diesbezüglichen Vorbringen in der Berufung gehe die belangte Behörde ohnehin aus. Fest stehe jedenfalls, dass dieses Familien- und Sozialgefüge den Beschwerdeführer nicht davon abgehalten habe, im Jänner 2004 drei Tankwarte in Innsbruck mit Bereicherungsvorsatz zu überfallen bzw. daran mitzuwirken. Dass der Beschwerdeführer bis zur Begehung der genannten Straftaten unbescholten gewesen sei und die Straftaten (wie in der Berufung vorgebracht) "in einem Zeitraum von wenigen Tagen (und als junger Erwachsener) begangen" habe, würde nichts an der Schwere der Straftaten und der daraus hervorleuchtenden Gefährlichkeit des Beschwerdeführers für die öffentliche Sicherheit ändern. Jeder Straftäter führe vor und zwischen den Straftaten mehr oder weniger lang ein "tadelfreies Vorleben". Den gerichtlichen Milderungsgründen bei der Strafbemessung (Unbescholtenheit, teilweises Geständnis und Alter unter 21 Jahren) stünden die Erschwerungsgründe (wiederholte Begehung, zweifache Qualifikation) gegenüber. Raubüberfälle auf Tankwarte mit "jugendlichem Leichtsinn" zu rechtfertigen, wie das die Berufung getan habe, spreche für sich. Der Beschwerdeführer sei nicht nur ein "untergeordneter Beitragstäter" gewesen. Es möge sein, dass der Beschwerdeführer sich "reuig und völlig einsichtig" zeige sowie beste Vorsätze habe, "hinkünftig ein den Gesetzen entsprechendes Leben als ordentliches Mitglied der österreichischen Gesellschaft zu führen"; das Risiko seines Verbleibs im Bundesgebiet für die Rechte anderer sei jedoch angesichts seines Vorlebens viel zu groß. Daran würde auch eine "absolut positive Führung ... in der Justizanstalt" nichts ändern.
2. Gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben. Dieser hat mit Beschluss vom 27. Februar 2007, B 770/06, die Behandlung der Beschwerde abgelehnt und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
3. In der auftragsgemäß ergänzten Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof wird Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften des angefochtenen Bescheides geltend gemacht.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Auf Grundlage der unstrittig feststehenden Straftaten des Beschwerdeführers und der deswegen erfolgten rechtskräftigen Verurteilung begegnet die - unbekämpfte - Ansicht der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG erfüllt und die in § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, keinen Bedenken.
2. Bei der Interessenabwägung gemäß § 66 Abs. 1 und Abs. 2 FPG hat die belangte Behörde den inländischen Aufenthalt des Beschwerdeführers seit 1991, also seit 15 Jahren, den Schulbesuch in Österreich, die daran anschließende Arbeitstätigkeit, die intensive familiäre Bindung zu seinen Eltern und seiner Schwester sowie den Umstand berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer zwei im Jahr 2001 bzw. 2004 geborene minderjährige Kinder hat, die bei ihrer jeweiligen Mutter leben.
Wie die belangte Behörde ebenfalls richtig ausgeführt hat, wird die aus der Aufenthaltsdauer ableitbare Integration in ihrer sozialen Komponente durch das gravierende Fehlverhalten des Beschwerdeführers erheblich gemindert. Den insgesamt dennoch gewichtigen persönlichen Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet steht die aus seinen Straftaten resultierende Gefährdung öffentlicher Interessen gegenüber. Der Beschwerdeführer hat am 10. Jänner 2004, am 11. Jänner 2004 und am 15. Jänner 2004 als Mittäter bzw. Beitragstäter Raubüberfälle auf drei Tankstellen verübt. Im Hinblick auf das überaus große öffentliche Interesse an der Verhinderung derartiger Straftaten begegnet die Ansicht der belangten Behörde, dass das Aufenthaltsverbot zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen (Verhinderung strafbarer Handlungen, Schutz der Rechte und Freiheiten Dritter) dringend geboten sei (§ 66 Abs. 1 FPG) und die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie nicht schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung (§ 66 Abs. 2 FPG), keinen Bedenken. Daran kann auch das Beschwerdevorbringen nichts ändern, dass es sich bei dem sechsjährigen Sohn des Beschwerdeführers um einen österreichischen Staatsbürger handle, zumal der Beschwerdeführer weder mit den Müttern seiner beiden Kinder noch mit diesen selbst im gemeinsamen Haushalt lebt. Wenn die Beschwerde schließlich ua auf das Urteil des EGMR vom 18. Februar 1991 im Fall Moustaquim gegen Belgien hinweist, so ist der diesem Urteil zu Grunde liegende Fall mit dem vorliegenden Beschwerdefall in wesentlichen Punkten nicht vergleichbar. So wurden alle dem Beschwerdeführer Moustaquim zur Last liegenden Straftaten von diesem als Jugendlicher begangen und hielt sich dieser mit Ausnahme von zwei urlaubsbedingten Auslandsaufenthalten seit seinem zweiten Lebensjahr und bis zur Erlassung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme bereits rund 20 Jahre lang in Belgien auf. Auch der Fall Beldjoudi gegen Frankreich (Urteil des EGMR vom 16. März 1992) ist mit dem vorliegenden in wesentlichen Punkten nicht vergleichbar, war doch der Beschwerdeführer Beldjoudi bereits mehr als 20 Jahre mit einer Französin verheiratet und befand sich auch ihre eheliche Wohnung immer in Frankreich, wo der Beschwerdeführer als Kind damals französischer Eltern geboren wurde und stets lebte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. November 2005, Zl. 2005/18/0576). Ferner unterscheidet sich auch der von der Beschwerde ins Treffen geführte Fall Mehemi gegen Frankreich (Urteil des EGMR vom 26. September 1997) vom gegenständlichen schon dadurch, dass der Beschwerdeführer Mehemi in Frankreich geboren wurde und bis zur Abschiebung dort lebte, darüber hinaus mit einer französischen Staatsangehörigen verheiratet war.
3. § 61 Z. 3 und 4 FPG stehen der Erlassung des Aufenthaltsverbotes nicht entgegen, weil der Beschwerdeführer - wie festgestellt - vom Landesgericht Innsbruck am 29. Juni 2005 rechtskräftig zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von mehr als zwei Jahren verurteilt worden ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 3. Mai 2005, Zl. 2005/18/0054).
4. Auf Grund der Verurteilung des Beschwerdeführers im Sinn des § 55 Abs. 3 FPG wäre eine auf einer Ermessungsübung beruhende Abstandnahme von der Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nicht im Sinn des Gesetzes gelegen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 16. Jänner 2007, Zl. 2006/18/0254).
5. Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.
6. Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Abspruch über den Antrag, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen.
Wien, am 28. Februar 2008
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2007180138.X00Im RIS seit
25.03.2008Zuletzt aktualisiert am
24.10.2009