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27 RechtspflegeNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerwaltungsaktLeitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Verhängung einer Disziplinarstrafe wegen leichtfertiger Erstattung einer Strafanzeige gegen einen anderen RechtsanwaltSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.1. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der
Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 25. September 2000 wurde der Beschwerdeführer für schuldig erkannt, er habe
"als Rechtsvertreter des Ing. Gerd S, ... im Juni 1998
leichtfertig eine Strafanzeige erstattet, indem er eine Sachverhaltsdarstellung wegen des Verdachtes des Verbrechens gemäß der §§127, 128, 129 und 130 StGB unter anderem gegen Dr. Walter W, Rechtsanwalt in [es folgt der Ort des Kanzleisitzes], trotz Kenntnis dessen Stellungnahme laut Schreiben vom 29.05.1998, ohne weitere Recherchen vorzunehmen, bei der Staatsanwaltschaft Linz und durchschriftlich an die Steiermärkische Rechtsanwaltskammer eingebracht".
Nach Auffassung des Disziplinarrates habe er dadurch gegen die Bestimmung des §9 Abs1 RAO und des §18 der Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes, für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und für die Ausbildung der Rechtsanwaltsanwärter (RL-BA 1977) verstoßen. Wegen Verletzung der Berufspflichten und Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes wurde über ihn eine Geldbuße in der Höhe von S 10.000,- verhängt.
1.2. Am 8. März 1999 wurde die vom Beschwerdeführer gegen Rechtsanwalt Dr. Walter W erstattete Anzeige von der Staatsanwaltschaft Leoben gemäß §90 Abs1 StPO zurückgelegt.
2. Mit Erkenntnis vom 4. November 2002 gab die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (OBDK) der Berufung gegen das Straferkenntnis des Disziplinarrates keine Folge.
3. Gegen dieses als Bescheid zu wertende Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter, auf Geltung der Verfahrensgarantien nach Art6 EMRK, sowie die Verletzung des durch Art7 EMRK garantierten Rechtes geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.
4. Die OBDK als belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Der Beschwerdeführer bringt gegen die dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Rechtsvorschriften keine Bedenken ob ihrer Verfassungsmäßigkeit vor. Auch sind dem Verfassungsgerichtshof solche aus der Sicht des vorliegenden Beschwerdefalles nicht entstanden (zu §18 RL-BA 1977 vgl. VfGH 8.3.2002, B1755/00). Es ist daher ausgeschlossen, daß der Beschwerdeführer wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt wurde.
2. Zu den behaupteten Vollzugsfehlern:
2.1.1. Der Beschwerdeführer bestreitet die Anzeige leichtfertig erhoben zu haben. Grundlage der Anzeige seien nicht bloße Rechtsvermutungen, sondern Tatsachen gewesen, von denen der Beschwerdeführer durch seinen Mandanten Ing. Gerd S erfahren habe. Zur Frage, ob die Anzeige leichtfertig erstattet wurde und ob die darin erhobenen Vorwürfe begründet gewesen seien, hätte die belangte Behörde weitere Erhebungen durchführen und zusätzliche Beweise aufnehmen müssen. Durch das Unterlassen der Ermittlungstätigkeit in diesem Punkt habe die belangte Behörde Willkür geübt. Zudem fehle es am entsprechend konkretisierten Vorwurf der Verletzung von Berufspflichten bzw. von Ehre und Ansehen des Standes, sodaß auch aus diesem Grund mit Rücksicht auf die Bedeutung des in Art7 EMRK normierten Klarheitsgebotes ein willkürliches Verhalten der Behörde vorliege.
Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10413/1985, 11682/1988) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.
Ein willkürliches Verhalten der Behörde, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt ua. in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg. 8808/1980 und die dort angeführte Rechtsprechung; VfSlg. 10338/1985, 11213/1987).
2.1.2.1. Ein derartiger Fehler ist der belangten Behörde nicht vorzuwerfen:
Der belangten Behörde kann bereits deswegen aus Sicht des Verfassungsrechts nicht entgegengetreten werden, wenn sie die Erhebung der Anzeige als leichtfertig beurteilt, weil der Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Diebstahlsanzeige nachweislich wußte, daß die Bürogeräte seines Mandanten in einer Lagerhalle aufbewahrt wurden, von welcher sie sein Mandant abholen konnte. Von einem gehäuften Verkennen der Rechtslage kann daher keine Rede sein.
Die Frage, ob die Disziplinarbehörden allenfalls noch weitere Beweise aufnehmen hätten müssen, um die Leichtfertigkeit der Anzeigenerhebung festzustellen, betrifft einfachgesetzliche Aspekte der (richtigen) Durchführung des Verfahrens. Ein in die Verfassungssphäre reichender Fehler ist nicht erkennbar.
2.1.2.2. Mit Erkenntnis vom 30. Juni 1988, VfSlg. 11776/1988, hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, daß das Fehlen eines konkretisierten Vorwurfes, worin die Verletzung von Berufspflichten bzw. von Ehre und Ansehen des Standes zu erblicken ist, den Bescheid mit Willkür belastet.
Ein solcher Fall liegt jedoch hier nicht vor. Der von den Disziplinarbehörden gegen den Beschwerdeführer erhobene Vorwurf beschränkt sich nicht darauf, ihm (pauschal) anzulasten, das Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes begangen und dadurch gegen §1 DSt 1990 verstoßen zu haben. Vielmehr stützt sich die Verurteilung - zusätzlich zu §1 DSt 1990 - ausdrücklich auch auf §18 RL-BA 1977. Der angefochtene Bescheid steht daher - entgegen der in der Beschwerde vertretenen Ansicht - im Lichte der zitierten Rechtsprechung mit dem aus Art7 EMRK erfließenden Klarheitsgebot im Einklang.
Die Standesbehörden haben sich bei Beurteilung des inkriminierten Verhaltens als Berufspflichtenverletzung und Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes gemäß §1 Abs1 DSt 1990 im Rahmen dessen gehalten, was bei vernünftiger Interpretation dieser Bestimmung für den Beschwerdeführer erkennbar sein mußte, nämlich daß er sich durch sein Verhalten dem Risiko einer Bestrafung aussetzt (vgl. Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar2, Rz 4 zu Art7 EMRK mit Nachweisen aus der Rspr. des EGMR; Thienel in Korinek/Holoubek, Kommentar zum Bundesverfassungsrecht, Rz 17 zu Art7 EMRK).
Die behauptete Verletzung des Gleichheitsgebotes bzw. des Art7 EMRK liegt somit nicht vor.
2.2. Weil die belangte Behörde nach Auffassung des Beschwerdeführers "die Bestimmungen über das Parteiengehör" nicht eingehalten habe, erachtet er sich im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt.
Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt (zB VfSlg. 9696/1983), etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 10374/1985, 11405/1987, 13280/1992).
Soferne von der belangten Behörde die Vorschriften über das Parteiengehör nicht eingehalten worden sein sollten, könnte allenfalls eine vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfende Verletzung einfachgesetzlicher Verfahrensvorschriften vorliegen, nicht aber eine Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (zB VfSlg. 10194/1984, 11102/1986).
2.3. Der Beschwerdeführer vermeint, die belangte Behörde habe die Verfahrensgarantien des Art6 EMRK deswegen nicht eingehalten, weil sie keine weiteren Erhebungen durchgeführt, sondern bloß eine "nachprüfende Kontrolle" ausgeübt habe.
Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers folgt aus dem Umstand, daß der OBDK als Tribunal (vgl. VfSlg. 11512/1987) eine umfassende Prüfungsbefugnis zusteht, daß sie also sowohl die Tat- und die Rechtsfragen als auch die Beweiswürdigung überprüfen, in der Sache selbst Beweise erheben und neu entscheiden kann, nicht bereits die Verpflichtung aus Art6 EMRK, das Beweisverfahren in jedem Fall neu aufzurollen. Daß der belangten Behörde unter diesem Aspekt kein in die Verfassungssphäre reichender Fehler vorzuwerfen ist, wurde bereits unter Punkt 2.1.2.1. dargelegt.
Es liegen auch sonst keine Anhaltspunkte für die Nichteinhaltung der Verfahrensgarantien des Art6 EMRK durch die belangte Behörde vor. Der Beschwerdeführer ist daher nicht in seinen durch Art6 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden.
3. Der Beschwerdeführer ist in den von ihm behaupteten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten nicht verletzt worden.
Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in einem von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden ist.
Die Beschwerde war daher abzuweisen.
4. Zum Vorbringen des Beschwerdeführers, der Verfassungsgerichtshof möge in "beschlußfähiger Weise entscheiden" und die Entscheidung nicht einem "Kleinen Senat" zuweisen, wird auf den Beschluß des Gerichtshofes vom 2. Oktober 2002, B762/98, mit dem ein Antrag auf "Beschlußfassung durch alle Mitglieder des Gerichtshofes" zurückgewiesen wurde, verwiesen.
5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Rechtsanwälte, Disziplinarrecht, Parteiengehör, VfGH / Beschlußerfordernisse, VfGH / ZusammensetzungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2003:B153.2003Dokumentnummer
JFT_09969390_03B00153_2_00