Index
10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 2005 §27 Abs1 Z1;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):2007/21/0027Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl und Dr. Sulzbacher als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde 1. des M und 2. des R , beide vertreten durch Mag. Josef Phillip Bischof, Mag. Wilfried Embacher, Mag. Dr. Roland Kier, Univ.-Prof. Dr. Richard Soyer und Dr. Alexia Stuefer, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Kärntner Ring 6, gegen die Bescheide des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 12. Dezember 2006, Zl. Senat-FR-06-0133 (hg. Zl. 2007/21/0026) und Zl. Senat-FR-06-0131 (hg. Zl. 2007/21/0027), jeweils betreffend Schubhaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführer, aus Grosny stammende russische Staatsbürger und Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe, reisten am 16. November 2006 gemeinsam mit ihrer Mutter und drei weiteren Brüdern von der Slowakei kommend illegal nach Österreich ein. Sie stellten nach ihrem (unmittelbar nach dem Grenzübertritt erfolgten) Aufgriff Anträge auf Gewährung von internationalem Schutz. Bei der am 17. November 2007 durchgeführten Erstbefragung verneinten beide Beschwerdeführer die Frage, ob sie in einem anderen Land um Asyl angesucht hätten.
Mit den gemäß § 57 Abs. 1 AVG erlassenen Bescheiden vom 18. November 2006 ordnete die Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Leitha sodann gegen die Beschwerdeführer zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung nach § 10 AsylG 2005 bzw. zur Sicherung der Abschiebung die Schubhaft an. Als (wesentliche) Rechtsgrundlage wurde jeweils § 76 Abs. 2 Z 4 FPG angeführt.
Mit Schreiben vom 23. November 2006 wurde den Beschwerdeführern gemäß § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG 2005 mitgeteilt, dass das Bundesasylamt beabsichtige, ihre Anträge auf internationalen Schutz nach § 5 AsylG 2005 (wegen Zuständigkeit eines anderen Staates) zurückzuweisen, und dass seit 21. November 2007 "Dublin-Konsultationen" mit der Slowakei geführt würden. Unter einem wurde darauf hingewiesen, dass diese Mitteilung (gemäß § 27 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005) als Einleitung des Ausweisungsverfahrens gelte. Mit Note vom 5. Dezember 2006 erteilte die Slowakei die Zustimmung zur Übernahme der Beschwerdeführer zwecks Durchführung ihrer Asylverfahren.
Mit den angefochtenen Bescheiden vom 12. Dezember 2006 wies der Unabhängige Verwaltungssenat im Land Niederösterreich (die belangte Behörde) die am 7. Dezember 2006 erhobenen Schubhaftbeschwerden der Beschwerdeführer gemäß § 83 FPG als unbegründet ab. Gemäß § 83 Abs. 4 erster Satz FPG stellte die belangte Behörde jeweils fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen.
Über die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden, die wegen ihres persönlichen und sachlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden wurden, hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung von Gegenschriften durch die belangte Behörde erwogen:
Die vorliegenden Fälle gleichen in den entscheidungswesentlichen Punkten jenem, der dem hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2007/21/0391, in dem unter anderem auf die Entscheidungsgründe des hg. Erkenntnisses vom 30. August 2007, Zl. 2007/21/0043, Bezug genommen wird, zugrunde liegt. Gemäß § 43 Abs. 2 VwGG wird daher auf die Begründung dieser Erkenntnisse verwiesen.
Wie dort wurde auch hier bei Heranziehung bzw. Prüfung des Schubhaftgrundes nach § 76 Abs. 2 Z 4 FPG (und in weiterer Folge jenes nach § 76 Abs. 2 Z 2 FPG) nicht ausreichend berücksichtigt, dass ungeachtet eines "Dublin-Bezugs" eine Schubhaftnahme nur dann gerechtfertigt sein kann, wenn besondere Umstände vorliegen, die in diesem (frühen) Stadium des Asylverfahrens ein Untertauchen des betreffenden Fremden befürchten lassen. Die illegale Weiterreise in einen anderen Staat begründet noch keinen solchen Umstand. Aus den genannten Erkenntnissen ergibt sich vor allem aber auch, dass es sich bei der von der Bezirkshauptmannschaft Bruck an der Leitha und von der belangten Behörde in den Vordergrund gestellten Mittellosigkeit der Beschwerdeführer und beim Fehlen einer "ins Gewicht fallenden sozialen Integration" bei Asylwerbern, die Anspruch auf Grundversorgung haben, in Bezug auf den Sicherungsbedarf um kein tragfähiges Argument handelt. Die Heranziehung des Gesichtspunktes, der Fremde sei mittellos bzw. in Österreich nicht ausreichend integriert, ist vielmehr bei Asylwerbern in der Situation der Beschwerdeführer verfehlt; der Frage der Integration kommt primär im (hier nicht gegebenen) Anwendungsbereich des § 76 Abs. 1 FPG Bedeutung zu.
Dass die Beschwerdeführer bei ihrer ersten Befragung die Asylantragstellung in der Slowakei (wahrheitswidrig) verschwiegen, reicht aber für sich genommen noch nicht, um in den vorliegenden Fällen ein Sicherungserfordernis annehmen zu können. Soweit die belangte Behörde in diesem Zusammenhang auch damit argumentiert, die Beschwerdeführer seien trotz Vorhalts der Asylantragstellung bei ihren Behauptungen geblieben, findet dieser offenbar für wesentlich erachtete Gesichtspunkt in den aufgenommenen Niederschriften keine Deckung. Vielmehr lag zu diesem Zeitpunkt nach dem Inhalt der vorgelegten Verwaltungsakten noch gar kein sogenannter "Eurodac-Treffer" vor.
Im Übrigen blieb die belangte Behörde - einen Sicherungsbedarf unterstellt - auch eine nachvollziehbare Begründung dafür schuldig, weshalb gelindere Mittel fallbezogen nicht in Betracht gekommen wären. Der Hinweis in den angefochtenen Bescheiden, die Schubhaftbeschwerde enthalte kein konkretes Vorbringen über eine eventuelle Wohnmöglichkeit, geht aber schon deshalb ins Leere, weil die belangte Behörde auch dabei den grundsätzlich zustehenden Anspruch der Beschwerdeführer auf Grundversorgung zur Gänze ausblendet.
Die bekämpften Bescheide waren daher schon aus diesen Gründen - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben.
Von der Durchführung der in den Beschwerden beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 und 6 VwGG abgesehen werden.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 28. Februar 2008
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2007210026.X00Im RIS seit
27.03.2008Zuletzt aktualisiert am
26.01.2009