TE Vwgh Erkenntnis 2008/2/28 2007/18/0255

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Veröffentlicht am 28.02.2008
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §17 Abs3;
FrPolG 2005 §54 Abs1 Z1;
FrPolG 2005 §60 Abs1;
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z9;
FrPolG 2005 §61 Z2;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Schmidl, über die Beschwerde des KS in L, geboren am 1. April 1976, vertreten durch Dr. Helmut Valenta und Dr. Gerhard Gfrerer, Rechtsanwälte in 4020 Linz, Schillerstraße 4, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 4. April 2007, Zl. St 245/05, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

I.

1. Mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 4. April 2007 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen indischen Staatsangehörigen, gemäß § 60 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 9, § 63, § 66, § 86 und § 87 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von fünf Jahren erlassen.

Der Beschwerdeführer habe am 12. Juli 2007 bei der Bundespolizeidirektion Linz einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels für den Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft mit Österreicher" gestellt und sich dabei auf die Ehe mit der österreichischen Staatsbürgerin NG berufen. Ihm sei darauf eine bis zum 23. November 2005 gültige Erstniederlassungsbewilligung erteilt worden. In der niederschriftlichen Einvernahme vor der Bundespolizeidirektion Linz am 7. Juni 2005 habe NG zugegeben, mit dem Beschwerdeführer eine Scheinehe eingegangen zu sein. Als Gegenleistung für die Heirat seien ihr EUR 7.000,-- versprochen worden. Weiters sei zwischen dem Beschwerdeführer und NG vereinbart worden, dass die Ehe 18 Monate dauern solle und danach einvernehmlich geschieden werde. Vor der Heirat sei zwischen dem Beschwerdeführer und NG eine Liste mit Informationen ausgetauscht worden, um so vor behördlichen Fragen bestehen zu können. Tatsächlich habe NG vom Beschwerdeführer EUR 3.000,-- erhalten. Ein gemeinsames Familienleben habe nicht stattgefunden.

In der Stellungnahme vom 2. März 2007 habe der Beschwerdeführer ausgeführt, dass ihm die an sich entscheidende Aussage der NG nach wie vor nicht zur Verfügung stehen würde. Es könnte daher grundsätzlich nur gesagt werden, dass die Angaben der NG unrichtig wären. Diese wären nicht nachvollziehbar. Im Übrigen wären die durchgeführten Kontrollen menschenunwürdig. Es wären keine Anhaltspunkte dafür gefunden worden, dass es sich um eine Scheinehe handeln würde. Es wären auch keine Leistungen für die Eheschließung erbracht worden.

Der Tatbestand des § 86 Abs. 1 i.V.m. § 60 Abs. 2 Z. 9 FPG sei - so die belangte Behörde weiter - schon insofern erfüllt, als die Ehefrau des Beschwerdeführers in eindeutiger Weise niederschriftlich ausgeführt habe, dass es sich um eine Scheinehe handeln würde. Sie habe in schlüssiger, nachvollziehbarer und glaubwürdiger Weise dargelegt, dass eine Scheinehe eingegangen worden sei. Diesen Angaben sei schon deshalb mehr Gewicht beizumessen, weil es der allgemeinen Lebenserfahrung entspreche, dass derartige Angaben gegenüber Behörden nicht leichtfertig gemacht würden und sie sich durch ihre Angaben (falls sie nicht der Wahrheit entsprächen) der Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung aussetzen würde.

Die Erlassung des Aufenthaltsverbotes sei i.S.d. § 66 Abs. 1 FPG dringend erforderlich, weil die Eingehung einer Scheinehe lediglich zum Erlangen eines Aufenthaltstitels gesellschafts- und integrationspolitisch unerwünscht sei und einen krassen Rechtsmissbrauch darstelle. Dem Beschwerdeführer werde eine der Dauer seines Aufenthaltes seit 2001 entsprechende Integration im Bundesgebiet zugebilligt. Nähere verwandtschaftliche oder sonstige Bindungen habe er nicht geltend gemacht. Er habe auch nicht ins Treffen geführt, dass er beruflich habe Fuß fassen können. Im Hinblick auf die für seinen weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet zu stellende negative Zukunftsprognose wögen die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Aufenthaltsverbotes wesentlich schwerer als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf seine Lebenssituation, weshalb das Aufenthaltsverbot auch zulässig im Sinn des § 66 Abs. 2 FPG sei. Aus den angeführten Gründen sei auch von der Ermessensbestimmung des § 60 Abs. 1 FPG Gebrauch zu machen gewesen. Weder aus dem Akt noch aus der Berufungsschrift seien besondere Umstände ersichtlich, die eine Ermessensübung zu seinen Gunsten begründen könnte. Erst nach Ablauf der für das Aufenthaltsverbot vorgesehenen Gültigkeitsdauer könne erwartet werden, dass sich der Beschwerdeführer wiederum an die im Bundesgebiet geltenden Normen halten werde.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, nahm jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Der Beschwerdeführer bringt vor, er habe gegen den erstinstanzlichen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft L Berufung erhoben und darin ausgeführt, dass die ihm zur Last gelegten Umstände nicht richtig seien. Zudem sei um vollständige Akteneinsicht ersucht worden, weil weder dem ausgewiesenen Vertreter noch dem Beschwerdeführer selbst ausreichende Akteneinsicht gewährt worden sei. Insbesondere sei die Aussage der NG nicht zur Verfügung gestellt worden. In der Folge sei dem Vertreter des Beschwerdeführers dann teilweise Akteneinsicht gewährt worden. Die wesentliche Aussage der NG sei auch bei dieser Gelegenheit nicht zur Verfügung gestellt worden. In einer nachfolgenden Stellungnahme habe der Vertreter des Beschwerdeführers erneut den Vorwurf des Eingehens einer Scheinehe bestritten. Auch sei darauf hingewiesen worden, dass dem Beschwerdeführer (am 24. November 2005) erneut "eine Aufenthaltsbewilligung bis September 2007 ausgestellt" worden sei. Weder die Erstbehörde noch die belangte Behörde hätten sich an die Bestimmungen des AVG gehalten. Ohne einen ersichtlichen Grund sei dem Beschwerdeführer keine ausreichende Möglichkeit der Akteneinsicht gegeben worden. Zu den dargelegten Vorwürfen könne nur bei ausreichender Akteneinsicht entsprechend Stellung genommen werden. Dazu würden aber insbesondere die Angaben der NG zählen. Die Behauptung, dass in der Aussage ein "Vermittler" aufscheine, sei für eine Verweigerung der Einsicht in diese Aussage nicht ausreichend. Darüber hinaus hätte der Name des "Vermittlers" gelöscht werden können. Wenn die belangte Behörde einen Großteil dieser Aussage im angefochtenen Bescheid dargelegt habe, so sei dies verspätet. Der Beschwerdeführer selbst sei nie gehört worden. Die belangte Behörde habe keine Erhebungen dahingehend geführt, dass der Beschwerdeführer, wie von ihm ausgesagt, seit seinem Aufenthalt in Österreich laufend berufstätig gewesen sei. Dazu komme, dass dem Beschwerdeführer nach Ausspruch des Aufenthaltsverbotes von der Aufenthaltsbehörde mit 24. November 2005 eine rechtskräftige "Aufenthaltsbewilligung" bis 18. September 2007 erteilt worden sei. Darüber hinaus verfüge der Beschwerdeführer seit dem 19. Juli 2005 bis zum 18. Juli 2007 über eine vom Arbeitsmarktservice Traun ausgestellte Arbeitserlaubnis. Mit der Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung mit November 2005 seien die Voraussetzungen für ein Aufenthaltsverbot weggefallen.

2. Die belangte Behörde hat keinerlei Feststellungen zu dem im Berufungsverfahren am 2. März 2007 erstatteten Vorbringen des Beschwerdeführers getroffen, dieser habe "auch sonst die entsprechenden Aufenthaltsbewilligungen erhalten, ohne dass hier ein Bezug auf die Ehe gegeben war". Ihm sei (am 24. November 2005) "jedenfalls bis September 2007 eine entsprechende Aufenthaltsbewilligung" erteilt worden. (Der erstinstanzliche Aufenthaltsverbotsbescheid stammt vom 29. Juli 2005).

Die belangte Behörde hätte über die behauptete Erteilung des Aufenthaltstitels Ermittlungen anstellen müssen. Gemäß § 61 Z. 2 FPG darf ein Aufenthaltsverbot nicht erlassen werden, wenn eine Ausweisung gemäß § 54 Abs. 1 FPG wegen des maßgeblichen Sachverhaltes unzulässig wäre. Gemäß § 54 Abs. 1 Z. 1 FPG können Fremde, die sich auf Grund eines Aufenthaltstitels im Bundesgebiet aufhalten, mit Bescheid (nur) ausgewiesen werden, wenn nachträglich ein Versagungsgrund eintritt oder bekannt wird, der der Erteilung des zuletzt erteilten Aufenthaltstitels entgegengestanden wäre. Somit stünde die (behauptete) Erteilung eines Aufenthaltstitels, die in Kenntnis der in Frage kommenden Versagungsgründe für einen Aufenthaltstitel - hier: des Eingehens einer Scheinehe - erfolgte, der Erlassung eines auf diese Versagungsgründe gestützten Aufenthaltsverbotes entgegen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 3. August 2000, Zl. 99/18/0259).

3. Am 7. Juni 2005 wurde die Ehefrau des Beschwerdeführers über ihre Eheschließung mit dem Beschwerdeführer befragt. Einem Aktenvermerk der Bundespolizeidirektion Linz vom 20. Juni 2005 ist zu entnehmen, dass der Vertreter des Beschwerdeführers im Amt vorgesprochen und Akteneinsicht genommen habe. Ihm sei die Einsichtnahme in die Niederschrift über die Aussage von NG verwehrt worden, "da diese Daten vom Vermittler enthält und lt. AVG die gesamte NS daher von der Akteneinsicht ausgenommen ist". Im Berufungsverfahren beantrage der Beschwerdeführer die "Gewährung von umfassender Akteneinsicht". Es sei ihm nicht möglich, inhaltlich eine Stellungnahme zu erstatten, wenn ihm der zu Grunde liegende Sachverhalt nur rudimentär zur Kenntnis gebracht werde und er auf konkrete gegen ihn erhobenen Vorwürfe nicht eingehen könne. In einer weiteren Stellungnahme nach einem Vollmachtswechsel brachte der nunmehrige Vertreter des Beschwerdeführers am 2. März 2007 vor, dass er zwar in den Akt Einsicht genommen habe, ihm aber die entscheidende Aussage von NG nach wie vor nicht zur Verfügung gestellt worden sei.

Gemäß § 17 Abs. 3 AVG sind von der Akteneinsicht Aktenbestandteile ausgenommen, insoweit deren Einsichtnahme eine Schädigung berechtigter Interessen einer Partei oder dritter Personen oder eine Gefährdung der Aufgaben der Behörde herbeiführen oder den Zweck des Verfahrens beeinträchtigen würde.

Bereits die erstinstanzliche Behörde hat dem Beschwerdeführer die Akteneinsicht in die besagte Niederschrift mit dem Argument vorenthalten, diese würde "Daten vom Vermittler" enthalten. Aus diesem Umstand kann jedoch für sich gesehen kein Grund abgeleitet werden, warum die besagte Niederschrift von der Akteneinsicht auszunehmen wäre. Auch die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid nicht dargelegt, weshalb sie die besagte Niederschrift von der Akteneinsicht ausgenommen hat. Die Verweigerung vollständiger Akteneinsicht ist umso weniger nachvollziehbar, als die belangte Behörde den Inhalt der Niederschrift über die Aussage der NG vom 7. Juni 2005 (samt dem als Grund für die Verweigerung der Akteneinsicht genannten Namen des Vermittlers) im angefochtenen Bescheid (auszugsweise) wörtlich wiedergegeben hat. Die unbegründete Verweigerung der Akteneinsicht und die damit verbundene Beeinträchtigung des rechtlichen Gehörs des Beschwerdeführers führen - ungeachtet der teilweisen Wiedergabe der besagten Niederschrift im angefochtenen Bescheid - zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides. Der Beschwerdeführer hatte - da sonst keine das Recht auf Akteneinsicht einschränkenden Umstände gegeben waren - ein Recht darauf, in die Niederschrift als öffentlicher Urkunde mit besonderem Beweiswert Einsicht zu nehmen. Dem Verfahrensmangel kommt Relevanz zu. Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid zwar Teile der am 6. Juni 2005 aufgenommenen Niederschrift über die Einvernahme der Ehefrau des Beschwerdeführers wiedergegeben. Es kann jedoch bei Einräumung des vollen rechtlichen Gehörs - wozu hier die volle Akteneinsicht in die von der belangten Behörde vorenthaltene Urkunde zählt - nicht ausgeschlossen werden, dass die belangte Behörde - etwa nach Erstattung weiteren Vorbringens durch den Beschwerdeführer - zu einem anderen Bescheid hätte kommen können.

4. Der Beschwerdeführer hat in seinem Erstantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung vom 16. Juni 2004 u.a. vorgebracht, dass er auf Grund seiner Arbeitserlaubnis eine Tätigkeit als Pizzazusteller ausübe. Einer diesem Antrag beigelegten Verdienstbestätigung ist zu entnehmen, dass er in den Monaten März, April und Mai 2004 jeweils ca. EUR 1.200,-- (inklusive Kilometergeld) verdient hat. In seiner Berufung gegen den erstinstanzlichen Aufenthaltsverbotsbescheid vom 29. Juli 2005 brachte der Beschwerdeführer u.a. vor, seine Einkommenssituation lasse es nicht zu, dass er die von seiner Ehefrau behaupteten Geldbeträge bezahlt hätte. Am 2. März 2007 brachte er u.a. vor, es bestünde eine Grundlage für die Aufenthaltsbewilligung "auf Grund seiner beruflichen Tätigkeit".

Ohne sich mit diesem Vorbringen des Beschwerdeführers inhaltlich auseinander zu setzen, ist die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid zur Ansicht gelangt, der Beschwerdeführer habe "in keinster Weise ausgeführt, dass Sie beruflich bereits Fuß fassen konnten".

Die Unterlassung von Feststellungen zur behaupteten beruflichen Tätigkeit des Beschwerdeführers stellt einen weiteren relevanten Verfahrensmangel dar, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass die durch eine berufliche Integration des Beschwerdeführers verstärkten privaten Interessen zu einem anderen Ergebnis der Abwägung gemäß § 66 Abs. 1 und 2 FPG führt.

5. Der angefochtene Bescheid war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

6. Der Zuspruch von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Das auf "Geb. TP5" gerichtete Mehrbegehren war abzuweisen, weil dieses in der genannten Verordnung keine Grundlage findet.

Wien, am 28. Februar 2008

Schlagworte

Besondere RechtsgebieteParteiengehör

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2007180255.X00

Im RIS seit

02.05.2008

Zuletzt aktualisiert am

02.02.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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