TE Vfgh Beschluss 2003/6/10 G58/03 ua

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Veröffentlicht am 10.06.2003
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Index

25 Strafprozeß, Strafvollzug
25/01 Strafprozeß

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
StPO §393a

Spruch

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

1. Gegen die beiden Antragsteller waren beim LG für Strafsachen Graz Verfahren wegen §207 Abs1 StGB und §212 Abs1 StGB (Antragsteller zu G58/03) bzw. §201 StGB und §§15, 105 und 106 Abs1 StGB (Antragsteller zu G59/03) anhängig. Über beide Antragsteller war die Untersuchungshaft verhängt worden. Die Verfahren wurden letztlich jedoch gem. §109 Abs1 StPO eingestellt.

Mit Schriftsatz vom 2.8.2002 beantragten sie in der Folge, der Bund möge ihnen einen Beitrag zu den Kosten der notwendigen Verteidigung leisten. Jeweils mit Beschluß vom 15.10.2002 wurden diese Anträge vom LG für Strafsachen Graz zurückgewiesen: Ein Ersatz der Kosten sei in den Fällen der Antragsteller von §393a StPO nicht vorgesehen. Das mit Beschwerde angerufene OLG Graz bestätigte die Rechtsauffassung des LG für Strafsachen Graz und sprach den Antragstellern keinen Kostenersatz zu. Der Anregung zur Stellung eines Prüfungsantrages an den Verfassungsgerichtshof wurde nicht entsprochen.

2. Mit ihren am 16. April 2003 beim Verfassungs-gerichtshof eingelangten Anträgen begehren die beiden Antragsteller die Aufhebung folgender Wortfolge in §393a StPO: "das Strafverfahren nach Durchführung einer HV gem. §227 oder nach einer gem. §§353, 362 oder 363 a erfolgten Wiederaufnahme oder Erneuerung des Strafverfahrens eingestellt,".

Zur Zulässigkeit ihrer Anträge bringen sie folgendes vor: Die Antragsteller seien durch die Anwendung des §393a Abs1 StPO unmittelbar und aktuell in ihrem Rechten verletzt; ein Rechtsweg sei ihnen nicht mehr zumutbar, da das Gericht die Stellung eines Gesetzesprüfungsantrages abgelehnt habe.

§393a StPO sei verfassungswidrig, da es unsachlich sei, den Kostenersatz des Bundes nur für bestimmte Fälle vorzusehen.

3. §393a StPO, BGBl. Nr. 631/1975 idF BGBl. I Nr. 130/2001 lautet auszugsweise:

"§393a. (1) Wird ein nicht lediglich auf Grund einer Privatanklage oder der Anklage eines Privatbeteiligten (§48) Angeklagter freigesprochen und das Strafverfahren nach Durchführung einer Hauptverhandlung gemäß §227 oder nach einer gemäß den §§353, 362 oder 363a erfolgten Wiederaufnahme oder Erneuerung des Strafverfahrens eingestellt, so hat ihm der Bund auf Antrag einen Beitrag zu den Kosten der Verteidigung zu leisten. Der Beitrag umfaßt die nötig gewesenen und vom Angeklagten wirklich bestrittenen baren Auslagen und außer im Fall des §41 Abs2 auch einen Pauschalbeitrag zu den Kosten des Verteidigers, dessen sich der Angeklagte bedient. Der Pauschalbeitrag ist unter Bedachtnahme auf den Umfang und die Schwierigkeit der Verteidigung und das Ausmaß des notwendigen oder zweckmäßigen Einsatzes des Verteidigers festzusetzen. Er darf folgende Beträge nicht übersteigen:

1. im Verfahren vor den Geschworenengerichten .. 4 361 Euro,

   2. im Verfahren vor den Schöffengerichten ...... 2 181 Euro,

  3. im Verfahren vor dem Einzelrichter des

     Gerichtshofes erster Instanz ................. 1 091 Euro,

   4. im Verfahren vor den Bezirksgerichten ........  364 Euro."

4. Die Anträge erweisen sich als unzulässig:

4.1. Der Verfassungsgerichtshof vertritt seit dem Beschluß VfSlg. 8009/1977 in ständiger Rechtsprechung den Standpunkt, die Antragslegitimation nach Art140 Abs1 B-VG setze voraus, daß durch die bekämpfte Bestimmung die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt werden müssen und daß der durch Art140 Abs1 B-VG dem einzelnen eingeräumte Rechtsbehelf dazu bestimmt ist, Rechtsschutz gegen rechtswidrige generelle Normen nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht zur Verfügung steht (zB VfSlg. 11.684/1988, 13.871/1994).

4.2. Ein solcher zumutbarer Weg ist nach der Judikatur es Verfassungsgerichtshofes u.a. dann gegeben, wenn bereits ein gerichtliches oder verwaltungsbehördliches Verfahren anhängig ist, das dem Betroffenen Gelegenheit gibt, die Stellung eines Antrages auf Gesetzesprüfung nach Art140 B-VG anzuregen (s. z.B. VfSlg. 13.871/1994 und die dort zitierte Vorjudikatur). Gemäß Art89 Abs2 zweiter Satz B-VG wären die betreffenden Gerichte (nämlich der Oberste Gerichtshof oder ein zur Entscheidung in zweiter Instanz zuständiges Gericht) zur Anrufung des Verfassungsgerichtshofes verpflichtet, sofern sie - gleich dem Antragsteller - gegen die Anwendung des Gesetzes aus dem Grund der Verfassungswidrigkeit Bedenken haben sollten (s. z.B. VfSlg. 11.480/1987). Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn ein gerichtliches oder verwaltungsbehördliches Verfahren anhängig w a r , in dem der Antragsteller die Möglichkeit hatte, eine amtswegige Antragstellung an den Verfassungsgerichtshof anzuregen (s. VfSlg. 8890/1980, 12.810/1991, 14.752/1997).

4.3. Im vorliegenden Fall war bereits ein gerichtliches Verfahren anhängig, in dem das OLG Graz verfassungsrechtliche Bedenken gegen die in diesem Verfahren präjudizielle Norm des §393a Abs1 StPO an den Verfassungsgerichtshof herangetragen hätte können. Das OLG Graz hat die Bedenken der Antragsteller jedoch nicht geteilt und keinen Antrag an den Verfassungsgerichtshof gestellt.

4.4. Ein Individualantrag wäre in diesem Fall nur bei Vorliegen - hier gar nicht behaupteter - besonderer, außergewöhnlicher Umstände zulässig (s. z.B. VfSlg. 13.871/1994 und die dort zitierte Vorjudikatur). Man gelangte andernfalls zu einer Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes, die mit dem Grundprinzip des Individualantrages als eines bloß subsidiären Rechtsbehelfes nicht in Einklang stünde (vgl. z.B. VfSlg. 8890/1980, 11.823/1988, 13.659/1993). Die Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgesetzgebers, die Initiative zur Prüfung genereller Normen (vom Standpunkt des Betroffenen aus gesehen) zu mediatisieren, wenn die Rechtsverfolgung vor Gerichten stattfindet, gefährdet auch nicht den Grundrechtsschutz (vgl. VfSlg. 11.889/1988).

4.5. Daß das gem. Art89 Abs2 B-VG zu einer etwaigen Anrufung des Verfassungsgerichtshofes berufene Gericht - hier: das OLG Graz - die Bedenken der Verfahrenspartei hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes nicht geteilt hat, begründet auch keine "subsidiäre" Antragslegitimation (s. z.B. VfSlg. 8552/1979, 9394/1982, 9926/1984, 11.889/1988, 13.659/1993).

5. Die Anträge waren daher mangels Legitimation der Antragsteller als unzulässig zurückzuweisen, ohne daß es einer Prüfung aller Prozeßvoraussetzungen bedurft hätte.

6. Dies konnte ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden (§19 Abs3 Z2 lite VfGG).

Schlagworte

Strafprozeßrecht, Kosten, VfGH / Individualantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2003:G58.2003

Dokumentnummer

JFT_09969390_03G00058_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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