TE Vwgh Erkenntnis 2008/2/29 2007/02/0242

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Veröffentlicht am 29.02.2008
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
90/01 Straßenverkehrsordnung;

Norm

StVO 1960 §76 Abs1;
StVO 1960 §99 Abs3 lita;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Bachler und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Lier, über die Beschwerde des KH in Wien, vertreten durch Dr. Romana Zeh-Gindl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Franz-Josefs-Kai 5/10, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 14. März 2007, Zl. Senat-WU-06-0304, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 14. März 2007 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe als Fußgänger überraschend die Fahrbahn im Ortsgebiet von Leopoldsdorf auf der LB 16 zwischen Strkm. 6,10 und 5,80 in Fahrtrichtung Wien betreten, obwohl er, wenn kein Gehsteig vorhanden ist, den äußeren Fahrbahnrand benützen hätte müssen.

Der Beschwerdeführer habe dadurch eine Übertretung gemäß § 76 Abs. 1 iVm § 99 Abs. 3 lit. a StVO begangen. Es wurde eine Geldstrafe in der Höhe von EUR 36,-- (im Nichteinbringungsfall Ersatzfreiheitsstrafe von 18 Stunden) verhängt.

In der Begründung des angefochtenen Bescheides führte die belangte Behörde aus, ein Lenker, der seinen Kraftwagen anhalte und diesen verlasse, sich aber unmittelbar im Zuge einer Amtshandlung bzw. einer "Diskussion" mit den Sicherheitswachebeamten überraschend vom Fahrzeug entferne und die Fahrbahn betrete, als Fußgänger zu betrachten sei. Das längere Verweilen eines Fußgängers auf der Fahrbahn, der kurz zuvor ein Kraftfahrzeug gelenkt habe, zu Zwecken einer Diskussion mit Beamten müsse als Übertretung nach § 76 Abs. 1 iVm § 99 Abs. 3 lit. a StVO angesehen werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 76 Abs. 1 StVO haben Fußgänger auf Gehsteigen oder Gehwegen zu gehen; sie dürfen nicht überraschend die Fahrbahn betreten. Sind Gehsteige oder Gehwege nicht vorhanden, so haben Fußgänger das Straßenbankett und, wenn auch dieses fehlt, den äußersten Fahrbahnrand zu benützen.

§ 76 Abs. 1 StVO enthält mehrere Verhaltenspflichten für Fußgänger. Die belangte Behörde hat dem Beschwerdeführer im Spruch einen Verstoß gegen das Verbot zur Last gelegt, dass Fußgänger die Fahrbahn nicht überraschend betreten dürfen.

Ein Fußgänger tritt dann überraschend auf die Fahrbahn, wenn andere Straßenbenützer den Umständen nach nicht damit rechnen konnten und nicht mehr in der Lage sind, ihr eigenes Verhalten danach einzurichten (vgl. zutreffend Dittrich/Stolzlechner, Österreichisches Straßenverkehrsrecht, I. Teil, Straßenverkehrsordnung3, § 76, Rz 18 und die darin zitierte Rechtsprechung des OGH, sowie Messiner10, Straßenverkehrsordnung in der Fassung der 20. StVO-Novelle, § 76, Anm 2). Im angefochtenen Bescheid finden sich keine Feststellungen zu diesen Umständen. Es sind zwar die Aussagen der in der mündlichen Verhandlung vom 14. März 2007 vernommenen Zeugen BI K (danach sei der Beschwerdeführer "zwischen zwei Messungen" mit dem Alkomaten "laut hustend und spuckend zur Fahrbahnmitte gelaufen bzw. sogar darüber. Nach Aufforderung, an den Fahrbahnrand zu treten, auch weil ein Fahrzeug gekommen sei, .... Nach einiger Zeit sei er aber wieder zum Fahrzeug gekommen, um den zweiten Alkomattest durchzuführen.") und AI L (danach habe der Zeuge "gesehen, dass" der Beschwerdeführer "zur Fahrbahnmitte gelaufen sei") wiedergegeben. Doch selbst wenn man der belangten Behörde zugestehen würde, dass diese bloße Wiedergabe den festgestellten Sachverhalt darstellte, ließe sich daraus das Sachverhaltselement "überraschend" nicht ableiten. Denn zur Distanz zwischen dem erwähnten Fahrzeug und dem Beschwerdeführer zum Zeitpunkt des Betretens der Fahrbahn und dem Fahrzeuglenker wird nichts festgestellt.

Die Wortfolge im Spruch des angefochtenen Bescheides "äußeren Fahrbahnrand" ist wohl als "äußersten Fahrbahnrand" im Sinne des § 76 Abs. 1 zweiter Satz StVO zu verstehen. Die Verpflichtung, den äußersten Fahrbahnrand zu benützen, besteht nur dann, wenn weder Gehsteige, Gehwege noch ein Straßenbankett vorhanden sind. Dem angefochtenen Bescheid fehlen aber Feststellungen darüber, ob an der gegenständlichen Stelle ein Gehsteig, Gehweg oder Straßenbankett vorhanden gewesen sei. Schon deshalb ist dies nicht überprüfbar. Aus der auszugsweisen Wiedergabe der Aussage des Zeugen BI K, wonach der Beschwerdeführer "am Straßenbankett" stehen geblieben sei, scheint aber hervorzugehen, dass an der gegenständlichen Stelle ein Straßenbankett vorhanden gewesen sei. Träfe dies zu, so hätte der Beschwerdeführer nicht den "äußersten Fahrbahnrand" (sondern das Straßenbankett) zu benützen gehabt.

Die erforderlichen Feststellungen hat die belangte Behörde offenbar in Verkennung der Rechtslage nicht getroffen, sodass der angefochtene Bescheid mit prävalierender Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet ist und gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 29. Februar 2008

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete Verfahrensbestimmungen Individuelle Normen und Parteienrechte Auslegung von Bescheiden und von Parteierklärungen VwRallg9/1

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2007020242.X00

Im RIS seit

27.03.2008

Zuletzt aktualisiert am

05.10.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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