Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §66 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Bayjones, Dr. Grünstäudl und Dr. Kleiser als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Eisner, über die Beschwerde des Landeshauptmannes von Wien gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 26. November 2004, Zl. UVS-ANL/26/8328/2004/2, betreffend Entscheidung nach § 66 Abs. 2 AVG in einem Verfahren gemäß § 358 Gewerbeordnung 1994 (mitbeteiligte Partei: Ing. W in W, vertreten durch Dr. Diethard Schimmer, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schwertgasse 4/7), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Das Kostenbegehren der mitbeteiligten Partei wird abgewiesen.
Begründung
Mit Schriftsatz vom 26. August 2004 stellte die mitbeteiligte Partei einen "Antrag gemäß § 358 GewO", der Magistrat der Stadt Wien möge feststellen, dass die an näher genannter Adresse in 1020 Wien betriebene Appartementpension einer Betriebsanlagengenehmigung nicht bedürfe. Der Mitbeteiligte sei zwar auf Grund des Bescheides des Magistrates der Stadt Wien vom 14. September 1999 zur Ausübung des Gastgewerbes in der Betriebsart der Appartementpension im genannten Standort berechtigt. Tatsächlich bestehe die Tätigkeit des Mitbeteiligten aber ausschließlich darin, die von ihm an der bezeichneten Adresse angemieteten Appartements an Interessenten weiter zu vermieten. Neben dem Zurverfügungstellen der Räumlichkeiten samt Bettwäsche und Handtüchern biete der Mitbeteiligte bloß die Endreinigung, aber keine sonstigen Leistungen an. Die am genannten Standort ausgeübte Tätigkeit entspreche, auch was deren Auswirkungen betreffe, der bloßen Überlassung von Wohnungen zum Gebrauch. Von den Appartements gingen daher keine anderen Auswirkungen als von einer "normalen" Wohnung aus. Weder die Appartements selbst noch die dort ausgeübte Tätigkeit seien nach Ansicht des Mitbeteiligten geeignet, Gefährdungen oder Belästigungen im Sinne des § 74 GewO 1994 herbeizuführen.
Mit Bescheid vom 4. Oktober 2004 stellte der Magistrat der Stadt Wien gemäß § 358 GewO 1994 fest, dass die vom Mitbeteiligten betriebene Anlage in der Form einer Appartementpension der Genehmigungspflicht im Sinne des § 74 leg. cit. unterliege. In der Begründung ging die Erstbehörde von der letztgenannten Bestimmung aus, wonach als gewerbliche Betriebsanlage jede örtlich gebundene Einrichtung zu verstehen sei, die der Entfaltung einer gewerblichen Tätigkeit regelmäßig zu dienen bestimmt ist. Im vorliegenden Fall sei, so die Erstbehörde unter Bezugnahme auf einschlägige Literatur, von einer gewerblichen Tätigkeit und nicht von einer bloßen Raumvermietung auszugehen, weil die Appartements einerseits Gästen für deren Erholungszwecke entgeltlich zur Verfügung gestellt und andererseits zusätzliche Leistungen wie das Überlassen von Bettwäsche, Handtüchern und die Endreinigung erbracht würden. Es sei daher von einer gewerblichen Betriebsanlage auszugehen, deren Genehmigungspflicht sich danach bestimme, ob die Betriebsanlage im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 1 GewO 1994 geeignet sei, die dort genannten Rechtsgüter zu gefährden. Diese Frage sei auf Grund der eingeholten Stellungnahme des gewerbetechnischen Sachverständigen zu bejahen. Dieser habe ausgeführt, dass eine Gefährdung der Kunden der Appartements im Brandfalle oder etwa im Falle eines Gasgebrechens nicht ausgeschlossen werden könne, weil Gäste, die in den Appartements kurzzeitig wohnten, in der Regel nicht ortskundig seien. Daher seien spezielle Maßnahmen für Fluchtmöglichkeiten (Sicherheitsbeleuchtung u.dgl.) vorzusehen, um ein sicheres Verlassen der Appartements im Gefahrenfall zu gewährleisten. Da nach den Aussagen des Sachverständigen beim Betrieb der gegenständlichen Betriebsanlage eine über das übliche Ausmaß hinausgehende Gefährdung im Feuer- bzw. Gebrechensfalle bestehe, unterliege die Betriebsanlage des Mitbeteiligten der Genehmigungspflicht im Sinne des § 74 GewO 1994.
Gegen diesen Bescheid erhob der Mitbeteiligte Berufung. Mit dem angefochtenen Bescheid behob die belangte Behörde den Erstbescheid gemäß § 66 Abs. 2 AVG und wies die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung einer Verhandlung und zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde erster Instanz zurück. In der Begründung führte sie nach Wiedergabe des Verfahrensgeschehens und der maßgebenden Rechtsvorschriften aus, im gegenständlichen Fall sei die Rechtsfrage vorrangig, ob die vom Mitbeteiligten ausgeübte Tätigkeit überhaupt eine gewerbliche Tätigkeit sei. Nur im Falle der Bejahung stelle sich die weitere Frage, ob die gewerbliche Betriebsanlage der Genehmigungspflicht unterliege und ein Betriebsanlagenverfahren durchzuführen sei. Schon die Ausführungen im Erstbescheid zeigten, dass Zweifel hinsichtlich des Vorliegens einer gewerblichen Tätigkeit vorlägen. Daher hätte das gegenständliche Feststellungsverfahren gemäß § 358 Abs. 1 GewO 1994 unterbrochen und zunächst gemäß § 348 Abs. 1 GewO 1994 festgestellt werden müssen, ob die gegenständliche Tätigkeit überhaupt den Bestimmungen der GewO 1994 unterliege. Da im Verfahren gemäß § 348 GewO 1994 auch die Landeskammer der gewerblichen Wirtschaft und die nach der Sachlage in Betracht kommenden gesetzlichen beruflichen Interessenvertretungen zu hören seien, sei "zu erwarten", dass nach deren Anhörung "auch Sachverhaltsergänzungen durchzuführen sind". Diese Sachverhaltsergänzungen "als auch die allfällig durchzuführende mündliche Verhandlung" unter Beiziehung von Amtssachverständigen könnten von der Erstbehörde zeit- und kostensparender durchgeführt werden als im Berufungsverfahren, sodass die belangte Behörde "von der Möglichkeit gemäß § 66 Abs. 2 AVG" Gebrauch mache.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf § 371a GewO 1994 gestützte Beschwerde des Landeshauptmannes von Wien. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und auf die Erstattung einer Gegenschrift verzichtet. Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren teilte die mitbeteiligte Partei im Wesentlichen den Standpunkt der belangten Behörde und beantragte in ihrem Schriftsatz vom 22. März 2005 die Abweisung der vorliegenden Amtsbeschwerde und den Zuspruch von Kostenersatz.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die im Beschwerdefall maßgebenden Bestimmungen der GewO 1994 in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 131/2004 lauten:
"§ 348. (1) Wird eine Gewerbeanmeldung erstattet oder um die Genehmigung einer gewerblichen Betriebsanlage angesucht oder bei der Behörde die Feststellung beantragt, ob die Genehmigungspflicht einer Anlage im Sinne des § 74 gegeben ist, bestehen aber Zweifel, ob auf die betreffende Tätigkeit die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes anzuwenden sind, so hat die Behörde über diese Frage zu entscheiden. Dies gilt auch für den Fall, wenn in einem Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 366 Zweifel bestehen, ob auf die betreffende Tätigkeit die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes anwendbar sind.
(2) Vor der Entscheidung hat die Behörde die Landeskammer der gewerblichen Wirtschaft und die nach der Sachlage in Betracht kommenden gesetzlichen beruflichen Interessenvertretungen zu hören, die ihre Gutachten binnen sechs Wochen abzugeben haben. Diesen steht gegen den Bescheid das Recht der Berufung zu, falls die Entscheidung ihren fristgerecht abgegebenen Gutachten widerspricht oder sie nicht gehört worden sind.
...
§ 358. (1) Werden Umstände bekannt, die die Genehmigungspflicht einer Anlage im Sinne des § 74 begründen könnten, zieht aber der Inhaber der Anlage in Zweifel, dass die Voraussetzungen für die Genehmigungspflicht gegeben seien, so hat die Behörde auf Antrag des Inhabers der Anlage die Anlage oder das Vorhaben zu prüfen und durch Bescheid festzustellen, ob die Errichtung und der Betrieb der Anlage der Genehmigung bedürfen. Ein Feststellungsbescheid ist jedoch nicht zu erlassen, wenn die Genehmigungspflicht der Anlage offenkundig ist. Ergeben sich im Feststellungsverfahren Zweifel, ob dieses Bundesgesetz auf jene Tätigkeit anzuwenden ist, der die Anlage regelmäßig zu dienen bestimmt ist, so ist dieses Verfahren zu unterbrechen und ein Feststellungsverfahren gemäß § 348 durchzuführen.
..."
Die Amtsbeschwerde bringt vor, bei der Erstbehörde seien zu keinem Zeitpunkt Zweifel darüber vorgelegen, dass die gegenständliche Tätigkeit, die über die bloße Wohnraumüberlassung hinausgehe, eine gewerbliche Tätigkeit darstelle, zumal die diesbezügliche Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts eindeutig sei. Die Erstbehörde habe diese Frage in ihrem Bescheid aber deshalb behandeln müssen, weil sie die gegenteilige Meinung des Mitbeteiligten im Feststellungsantrag nicht geteilt habe. Wenn nun bei der belangten Behörde Zweifel an der Gewerblichkeit der Tätigkeit des Mitbeteiligten bestünden, so hätte sie, abgesehen davon, dass eine Begründung für diese Zweifel fehle, das Berufungsverfahren gemäß § 358 GewO 1994 unterbrechen und bei der Bezirksverwaltungsbehörde die Einleitung eines Verfahrens gemäß § 348 Abs. 1 GewO veranlassen müssen, anstelle den Erstbescheid gemäß § 66 Abs. 2 AVG zu beheben und die Sache zurückzuverweisen. Die Entscheidung der belangten Behörde nach der letztgenannten Bestimmung könne auch nicht mit der Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes begründet werden, weil die belangte Behörde nicht dargelegt habe, welche Sachverhaltsergänzungen für die Entscheidung gemäß § 358 GewO nötig seien und daher nur im Wege einer mündlichen Verhandlung erhoben werden könnten. Die gemäß § 348 Abs. 2 GewO 1994 einzuholenden Stellungnahmen von Interessenvertretungen seien jedenfalls keine Sachverhaltsergänzungen, die für die Entscheidung gemäß § 358 GewO 1994 erforderlich wären. Unbeschadet dieser Ausführungen sei unklar, ob die Unabhängigen Verwaltungssenate nach den Bestimmungen des AVG in der Fassung des Verwaltungsreformgesetzes 2001 überhaupt berechtigt seien, von § 66 Abs. 2 AVG Gebrauch zu machen.
Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahren ist ausschließlich die Frage, ob die belangte Behörde den Erstbescheid gemäß § 66 Abs. 2 AVG beheben und die Sache, die durch den Antrag des Mitbeteiligten und durch den Erstbescheid bestimmt wurde (Feststellung gemäß § 358 GewO 1994), an die Erstbehörde zurückverweisen durfte.
Die in der Amtsbeschwerde aufgeworfene Frage, ob die Unabhängigen Verwaltungssenate nach den durch das Verwaltungsreformgesetz 2001 geänderten Bestimmungen des AVG überhaupt von § 66 Abs. 2 AVG Gebrauch machen dürfen, hat der Verwaltungsgerichtshof unter Bezugnahme auf § 67h Abs. 1 AVG in der Fassung BGBl. I Nr. 65/2002 bejaht (vgl. das Erkenntnis vom 14. November 2007, Zl. 2006/04/0132, auf das gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird).
Zu prüfen ist daher, ob im gegenständlichen Fall die Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 AVG vorlagen, ob also der Sachverhalt derart mangelhaft war, dass die Durchführung oder Wiederholung einer Verhandlung unvermeidlich erscheint. Soweit die belangte Behörde die Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes hinsichtlich der Frage, ob die Tätigkeit des Mitbeteiligten eine gewerbliche sei, zu erkennen vermeint, ist ihr zu entgegnen, dass diese Frage nicht die "Sache" des gegenständlichen Verfahrens nach § 358 GewO 1994, sondern eines davon zu unterscheidenden Verfahrens gemäß § 348 leg. cit. ist. Daher konnten Sachverhaltsergänzungen zur Frage der Gewerblichkeit der Tätigkeit des Mitbeteiligten von vornherein nicht Anlass sein, den Erstbescheid vom 4. Oktober 2004 gemäß § 66 Abs. 2 AVG zu beheben und die Sache an die Erstbehörde zurückzuverweisen. Vielmehr hätte die belangte Behörde im Falle von (konkret zu begründenden) Zweifeln über die Gewerblichkeit einer Tätigkeit, die bei ihr im Rahmen eines Verfahrens gemäß § 358 GewO 1994 auftreten, ihr eigenes Verfahrens nach dieser Bestimmung unterbrechen und bei der zuständigen Behörde (vgl. § 359a GewO 1994 zur eingeschränkten sachlichen Zuständigkeit der Unabhängigen Verwaltungssenate im Gewerbeverfahren) die Durchführung eines Feststellungsverfahrens gemäß § 348 GewO veranlassen müssen (vgl. dazu auch Grabler/Stolzlechner/Wendl, Kommentar zur Gewerbeordnung,
2. Aufl., Rz 3 zu § 348 GewO 1994).
Auch die weitere Bescheidbegründung vermag den angefochtenen Bescheid nicht zu tragen:
Zutreffend wird in der Amtsbeschwerde darauf hingewiesen, dass die belangte Behörde die für die Entscheidung gemäß § 358 GewO 1994 noch durchzuführenden Sachverhaltsergänzungen weder konkretisiert noch deren Erforderlichkeit begründet hat. Die nicht näher erläuterte Annahme der belangten Behörde "es sei zu erwarten", dass nach der Durchführung eines Verfahrens gemäß § 348 GewO 1994 und der Einräumung der dort genannten Anhörungsrechte "auch Sachverhaltsergänzungen durchzuführen sind", stellt somit nur eine Mutmaßung dar. Wenn die belangte Behörde im gegebenen Zusammenhang meint, dass abgesehen von Sachverhaltsergänzungen auch eine "allfällig durchzuführende" mündliche Verhandlung erforderlich sein werde, so verkennt sie die Rechtslage, weil eine Entscheidung gemäß § 66 Abs. 2 AVG jedenfalls voraussetzt, dass eine mündliche Verhandlung "unvermeidlich" ist. Daher war es der belangten Behörde gegenständlich verwehrt, in Ausübung des Ermessens unter Einbeziehung einer allfälligen Zeit- und Kostenersparnis die Sache an die Erstbehörde zurückzuverweisen (vgl. zum Ganzen etwa Hengstschläger-Leeb, AVG, Rz 19 zu § 66 und die dort referierte hg. Judikatur).
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Das Kostenbegehren des Mitbeteiligten war gemäß § 47 Abs. 3 VwGG abzuweisen, weil er mit seinem Antrag auf Abweisung der Amtsbeschwerde unterlegen ist.
Wien, am 29. Februar 2008
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2005040018.X00Im RIS seit
11.04.2008Zuletzt aktualisiert am
05.10.2008