TE Vwgh Erkenntnis 2008/3/4 2007/05/0014

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Veröffentlicht am 04.03.2008
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Index

L37159 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Wien;
L80009 Raumordnung Raumplanung Flächenwidmung Bebauungsplan Wien;
L80409 Altstadterhaltung Ortsbildschutz Wien;
L82000 Bauordnung;
L82009 Bauordnung Wien;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §8;
BauO Wr §124 Abs2;
BauO Wr §134 Abs3;
BauO Wr §134 Abs4;
BauO Wr §134a;
BauRallg;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Kail, Dr. Pallitsch, Dr. Hinterwirth und Dr. Moritz als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Zykan, über die Beschwerde der Mag. M in Wien, vertreten durch Gheneff-Rami-Sommer Rechtsanwälte KEG in 1040 Wien, Floragasse 5, gegen den Bescheid der Bauoberbehörde für Wien vom 12. Dezember 2006, Zl. BOB - 272/06, betreffend Parteistellung in einem Baubewilligungsverfahren (mitbeteiligte Partei: Piber GmbH 1090 Wien, Roßauer Lände 11), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt Wien hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin ist zu 154/1692 Anteilen Miteigentümerin der Liegenschaft EZ 248, Grundbuch 01002 Alsergrund mit dem Grundstück Nr. 1407/2 Grünentorgasse 34/Roßauer Lände 13, mit welchem das Wohnungseigentum an der Wohnung Top Nr. 18 untrennbar verbunden ist.

Die mitbeteiligte Partei ist zu 42/1506 Anteilen Miteigentümerin der Liegenschaft EZ 775, Grundbuch 01002 Alsergrund, mit den Grundstücken Nr. 1407/1 Roßauer Lände 11, und 1407/8, mit welcher das Wohnungseigentum am Dachboden verbunden ist.

Die beiden Liegenschaften grenzen an der öffentlichen Verkehrsfläche Roßauer Lände unmittelbar aneinander.

Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, MA 37/9, vom 30. Juni 2005 wurde der mitbeteiligten Partei die baubehördliche Bewilligung für den Abbruch der Dachkonstruktion des Straßentraktes und für die Errichtung eines Haupt- und zweier Dachgeschosse und eines Aufzuges sowie für einige bauliche Abänderungen auf der in ihrem Miteigentum stehenden Liegenschaft Roßauer Lände 11 erteilt. In dem dieser Baubewilligung vorangegangenen Baubewilligungsverfahren fand am 22. April 2005 eine mündliche Verhandlung statt, zu der die Beschwerdeführerin wie auch die übrigen Wohnungsmiteigentümer der Liegenschaft Roßauer Lände 13 am 12. April 2005 durch Aushang der Ladung am "Schwarzen Brett" im Stiegenhaus ihres Wohnhauses verständigt wurden.

Die Beschwerdeführerin ist zur mündlichen Bauverhandlung nicht erschienen.

Die mitbeteiligte Partei erstattete mit Eingabe vom 6. Februar 2006 die Baubeginnsanzeige, welche bei der Baubehörde erster Instanz am 8. Februar 2006 einlangte; mit dieser Bauanzeige wurde der Baubeginn für 27. Februar 2006 angezeigt. An diesem Tag wurde auch tatsächlich mit den Bauarbeiten begonnen.

Mit Schreiben vom 31. März 2006, bei der MA 37/9 eingelangt am 3. April 2006, begehrte die Beschwerdeführerin ihre Parteistellung in diesem Baubewilligungsverfahren festzustellen, über ihre Einwendungen abzusprechen und die beantragte Baubewilligung der mitbeteiligten Partei zu versagen. Sie führte aus, dass sie erst am Montag, dem 20. März 2006 die Tätigkeit des Baukrans bemerkt habe. Bis dahin sei sie über dieses Bauvorhaben - weder durch Anschlag in der Gemeinde oder durch Verlautbarung in der für amtliche Kundmachungen der Behörde bestimmten Zeitung, noch in geeigneter Form - in Kenntnis gesetzt worden. Durch das Bauvorhaben würden die zulässige Gebäudehöhe und die Baufluchtlinien überschritten.

Mit Bescheid des Magistrates der Stadt Wien, MA 37/9, vom 12. April 2006 wurde dieser Antrag abgewiesen. Begründet wurde dies damit, dass die Beschwerdeführerin ordnungsgemäß durch Anschlag im Haus Roßauer Lände 13/Grünentorgasse 34 zur mündlichen Bauverhandlung geladen worden sei. Die Baubewilligung sei am 26. Juli 2005 in Rechtskraft erwachsen. Die Einwendungen der Beschwerdeführerin seien jedoch erst am 3. April 2006 beim Magistrat der Stadt Wien und somit im Hinblick auf die Bestimmung des § 42 Abs. 3 AVG verspätet eingebracht worden. Auf Grund der ausdrücklichen Regelung des § 70 Bauordnung für Wien sei das Nichtwahrnehmen des Anschlages oder ein allfälliges Entfernen des Anschlages der Kundmachung zur Baubewilligungsverhandlung nicht als unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis im Sinne des § 42 Abs. 3 AVG zu werten.

In der dagegen erhobenen Berufung führte die Beschwerdeführerin aus, dass der Anschlag betreffend die Ladung zur mündlichen Bauverhandlung an keinem Tag im April vorhanden gewesen sei. Die Ladung der Beschwerdeführerin hätte nicht gemäß § 70 Abs. 1 Bauordnung für Wien vorgenommen werden dürfen. Vielmehr hätte sie gemäß § 41 Abs. 1 AVG als bekannte Beteiligte persönlich zur Bauverhandlung geladen werden müssen. Die Baubehörde hätte auch die Bestimmung des § 134 Abs. 4 Bauordnung für Wien beachten müssen.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wurde die Berufung der Beschwerdeführerin abgewiesen und der erstinstanzliche Bescheid mit der Maßgabe bestätigt, dass dieser wie folgt zu lauten hat:

"Gemäß § 134 Abs. 3 und 4 der Bauordnung für Wien (BO) in Verbindung mit § 8 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG) wird auf Antrag der Frau (Beschwerdeführerin) vom 31. März 2006 festgestellt, dass Frau (Beschwerdeführerin) als Wohnungseigentümerin der Liegenschaft in Wien 9., Roßauer Lände 13 ident mit Grünentorgasse 34, Gst. Nr. 1407/2, EZ 248 der KG Alsergrund, in dem beim Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 37/9, zur Zahl MA 37/9 - Roßauer Lände 11/37216-1/04 anhängig gewesenen Verfahren über die Erteilung der baubehördlichen Bewilligung für die Errichtung eines Haupt- und zweier Dachgeschosse sowie eines Aufzuges auf der Liegenschaft in Wien 9., Roßauer Lände 11, Gst. Nrn. 1407/1 und 1407/8, EZ 775 der KG Alsergrund, keine Parteistellung zukommt."

Begründend führte die belangte Behörde aus, auf Grund des Ergebnisses des Ermittlungsverfahrens könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Anschlag betreffend die Ladung zur mündlichen Bauverhandlung vorzeitig entfernt worden sei und somit die Beschwerdeführerin von der mündlichen Bauverhandlung keine Kenntnis erlangt habe. Da die Beschwerdeführerin nachgewiesen habe, dass sie ohne ihr Verschulden daran gehindert gewesen sei, Parteistellung nach § 134 Abs. 3 Bauordnung für Wien zu erlangen, sei sie als übergangener Nachbar im Sinne des § 134 Abs. 4 Bauordnung für Wien anzusehen. Aus dem Wortlaut, dem Bedeutungszusammenhang und der Gesetzessystematik des § 70 Abs. 1 Bauordnung für Wien ergebe sich eindeutig, dass diese Bestimmung die Ladung der Nachbarn zur mündlichen Verhandlung normiere und von der Wendung "Wohnungseigentümer benützter Gebäude" somit nur die angrenzenden Liegenschaften betroffen sein könnten und nicht die zu bebauende Liegenschaft selbst gemeint sei. Dass die Beschwerdeführerin somit persönlich im Sinne des § 41 Abs. 1 AVG zur Bauverhandlung geladen hätte werden müssen, könne den hier anzuwendenden Rechtsvorschriften keinesfalls entnommen werden. Das Ermittlungsverfahren habe auch ergeben, dass mit Baubeginnsanzeige vom 6. Februar 2006, eingelangt bei der Baubehörde erster Instanz am 8. Februar 2006, der Baubeginn für 27. Februar 2006 angezeigt und auch tatsächlich an diesem Tag mit den Bauarbeiten begonnen worden sei. Unter anderem seien die Baustelleinrichtungen sowie die Herstellung des Kranfundamentes in der Zeit vom 6. bis 10. März 2006 sowie die Aufbauarbeiten des Baukrans in der Zeit vom 13. bis 15. März 2006 vorgenommen worden. Diese Ermittlungsergebnisse seien der Beschwerdeführerin im Rahmen des Parteiengehörs zur Kenntnis gebracht worden. Sie habe dagegen jedoch keine Einwendungen erhoben. Die Beschwerdeführerin habe mit dem am 3. April 2006 in der MA 37/9 eingelangten Schreiben vom 31. März 2006 Einwendungen gegen die von der mitbeteiligten Partei vorgenommenen Bauführungen erhoben. Sie habe ausgeführt, erst am Montag, dem 20. März 2006 die Tätigkeit des Baukrans bemerkt zu haben. Die Beschwerdeführerin habe somit zwar subjektivöffentliche Rechte im Sinne des § 134a Abs. 1 Bauordnung für Wien innerhalb von drei Monate nach dem angezeigten Baubeginn, jedoch nicht rechtzeitig im Sinne des § 134 Abs. 4 letzter Satz Bauordnung für Wien geltend gemacht. Das Hindernis für die rechtzeitige Erhebung von Einwendungen und die Erlangung der Parteistellung gemäß § 134 Abs. 3 Bauordnung für Wien sei der Umstand, dass die Beschwerdeführerin ohne ihr Verschulden von dem gegenständlichen beabsichtigten Bauvorhaben keine Kenntnis erlangt habe. Mit dem Beginn der Bauarbeiten, spätestens jedoch mit der Beendigung der Kranaufbauarbeiten am 15. März 2006, hätte die Beschwerdeführerin von den gegenständlichen Bauführungen Kenntnis erlangen müssen. In diesem Fall hätten die Einwendungen bis spätestens 29. März 2006 bei der Baubehörde erster Instanz erhoben werden müssen. Das diesbezügliche Schreiben der Beschwerdeführerin sei jedoch erst am 3. April 2006 bei der Baubehörde erster Instanz eingelangt. Die Beschwerdeführerin habe im Rahmen des Parteiengehörs jedoch nicht angegeben, warum sie die vorgenommenen Bauarbeiten nicht früher wahrnehmen hätte können. Die Beschwerdeführerin habe somit keine Parteistellung erlangt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die Beschwerdeführerin macht Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und führt aus, dass die belangte Behörde zur Frage der Ladung gemäß § 70 Abs. 1 Bauordnung für Wien keine konkreten Tatsachenfeststellungen getroffen habe. Die belangte Behörde habe die angebotenen Beweise zum Thema, dass keine Ladung gemäß § 70 Abs. 1 Bauordnung für Wien erfolgt sei, nicht aufgenommen. Die belangte Behörde habe unzutreffend angenommen, dass die Beschwerdeführerin die Frist gemäß § 134 Abs. 4 Bauordnung für Wien versäumt habe, weil sie spätestens mit der Beendigung der Kranaufbauarbeiten am 15. März 2006 hätte Kenntnis von den Bauführungen erlangen müssen. Dabei übersehe die belangte Behörde, dass der Kran an der Adresse Roßauer Lände 11 aufgebaut worden sei. Die in Rede stehende Baustelle befinde sich jedoch auf der anderen Seite des Hauses, in dem die Beschwerdeführerin wohne. Auch der Eingang zu diesem Haus befinde sich nicht an der Adresse Roßauer Lände 11, sondern vielmehr an der Adresse Grünentorgasse 34. Selbst wenn die Beschwerdeführerin die Kranaufbauarbeiten wahrgenommen hätte, könnte ihr dieser Umstand nicht als Verschulden im Sinne des § 134 Abs. 4 Bauordnung für Wien zugerechnet werden, weil sie diese Kranaufbauarbeiten nicht mit einem Bauprojekt in Verbindung habe bringen müssen.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen der Bauordnung für Wien haben folgenden Wortlaut:

§ 134 Abs. 1, 3 und 4 Bauordnung für Wien in der von der belangten Behörde angewendeten Fassung durch die Novelle LGBl. Nr. 61/1998 lautet:

"Parteien

§ 134. (1) Partei im Sinne des § 8 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes ist in allen Fällen, in denen dieses Gesetz ein Ansuchen oder eine Einreichung vorsieht, der Antragsteller oder Einreicher.

...

(3) Im Baubewilligungsverfahren und im Verfahren zur Bewilligung von unwesentlichen Abweichungen von Bebauungsvorschriften sind außer dem Antragsteller (Bauwerber) die Eigentümer (Miteigentümer) der Liegenschaften Parteien. Personen, denen ein Baurecht zusteht, sind wie Eigentümer der Liegenschaften zu behandeln. Die Eigentümer (Miteigentümer) benachbarter Liegenschaften sind dann Parteien, wenn der geplante Bau und dessen Widmung ihre im § 134a erschöpfend festgelegten subjektivöffentlichen Rechte berührt und sie spätestens, unbeschadet Abs. 4, bei der mündlichen Verhandlung Einwendungen im Sinne des § 134a gegen die geplante Bauführung erheben; das Recht auf Akteneinsicht (§ 17 AVG) steht Nachbarn bereits ab Einreichung des Bauvorhabens bei der Behörde zu. Alle sonstigen Personen, die in ihren Privatrechten oder in ihren Interessen betroffen werden, sind Beteiligte (§ 8 AVG). Benachbarte Liegenschaften sind im Bauland jene, die mit der vom Bauvorhaben betroffenen Liegenschaft eine gemeinsame Grenze haben oder bis zu einer Breite von 6 m durch Fahnen oder diesen gleichzuhaltende Grundstreifen oder eine höchstens 20 m breite öffentliche Verkehrsfläche von dieser Liegenschaft getrennt sind und im Falle einer Trennung durch eine öffentliche Verkehrsfläche der zu bebauenden Liegenschaft gegenüberliegen. In allen übrigen Widmungsgebieten sowie bei Flächen des öffentlichen Gutes sind jene Liegenschaften benachbart, die in einer Entfernung von höchstens 20 m vom geplanten Gebäude oder der geplanten baulichen Anlage liegen.

(4) Weist ein Nachbar der Behörde nach, dass er ohne sein Verschulden daran gehindert war, die Parteistellung nach § 134 Abs. 3 zu erlangen, kann er seine Einwendungen im Sinne des § 134a gegen die Bauführung auch nach dem Abschluss der mündlichen Bauverhandlung bis längstens drei Monate nach dem angezeigten Baubeginn (§ 124 Abs. 2) vorbringen und ist vom Zeitpunkt des Vorbringens dieser Einwendungen an Partei; eine spätere Erlangung der Parteistellung (§ 134 Abs. 3) ist ausgeschlossen. Solche Einwendungen sind vom Nachbarn binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses für ihre Erhebung bei der Behörde einzubringen, die die Bauverhandlung anberaumt hat.

..."

Die belangte Behörde hat festgestellt, dass die Beschwerdeführerin von der mündlichen Bauverhandlung keine Kenntnis erlangen konnte und daher ohne ihr Verschulden daran gehindert war, Parteistellung nach § 134 Abs. 3 Bauordnung für Wien im gegenständlichen Baubewilligungsverfahren zu erlangen. Es bedurfte daher keiner weiteren Erörterung, ob die von der Baubehörde erster Instanz vorgenommene Ladung durch Anschlag im Sinne des § 70 Abs. 1 Bauordnung für Wien rechtmäßig war.

In einem - wie von der belangten Behörde festgestellten - Falle, dass ein Nachbar ohne sein Verschulden daran gehindert war, die Parteistellung nach § 134 Abs. 3 Bauordnung für Wien zu erlangen, kann er gemäß § 134 Abs. 4 Bauordnung für Wien seine Einwendungen im Sinne des § 134a leg. cit. gegen die Bauführung auch nach dem Abschluss der mündlichen Bauverhandlung bis längstens drei Monate nach dem angezeigten Baubeginn (§ 124 Abs. 2) vorbringen und ist vom Zeitpunkt des Vorbringens dieser Einwendungen an Partei; eine spätere Erlangung der Parteistellung (§ 134 Abs. 3) ist ausgeschlossen. Solche Einwendungen sind vom Nachbarn binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses für die Erhebung bei der Behörde einzubringen, die die Bauverhandlung anberaumt hat (§ 134 Abs. 4 letzter Satz Bauordnung für Wien).

Der Gesetzgeber knüpft den Beginn und das Ende der Einwendungsfrist gemäß § 134 Abs. 4 Bauordnung für Wien an den Zeitpunkt der Anzeige des Baubeginns. Er stellt nicht auf Bautätigkeiten ab, die für den Nachbarn als solche in der Außenwelt in Erscheinung treten (vgl. hiezu das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 2. Oktober 2007, G 4/07). Für den Beginn der im § 134 Abs. 4 Bauordnung für Wien normierten Frist von drei Monaten nach dem angezeigten Baubeginn für die Erhebung von Einwendungen ist es daher unerheblich, wann die Beschwerdeführerin von dem Beginn der Bauarbeiten Kenntnis erlangt hat.

Für die im letzten Satz des § 134 Abs. 4 Bauordnung für Wien festgelegte Zweiwochenfrist nach Wegfall des Hindernisses ist jedoch die subjektive Kenntnis für die Erhebung der Einwendungen maßgeblich.

§ 124 Abs. 2 Bauordnung für Wien ordnet an, dass der Bauführer den Zeitpunkt des Beginns der Bauführung mindestens drei Tage vorher der Baubehörde anzuzeigen hat. Wird mit dem Bau entgegen der Baubeginnsanzeige nicht begonnen, gilt diese als nicht erstattet.

Die Beschwerdeführerin hat die im § 134 Abs. 4 Bauordnung für Wien festgelegte Dreimonatsfrist nach dem von der mitbeteiligten Partei erfolgten angezeigten Baubeginn (§ 124 Abs. 2 Bauordnung für Wien) nicht versäumt. Nach den unbestrittenen Feststellungen hat die mitbeteiligte Partei in ihrer Bauanzeige als Baubeginn den 27. Februar 2006 genannt und an diesem Tag auch tatsächlich mit den Bauarbeiten begonnen. Die Einwendungen der Beschwerdeführerin langten bei der Baubehörde erster Instanz bereits am 4. April 2006, also vor dem Ende der Dreimonatsfrist, ein.

Die Beschwerdeführerin hat in ihrem vom 4. April 2006 bei der Baubehörde erster Instanz eingelangten Schriftsatz erklärt, dass sie erst am 20. März 2006 die Tätigkeit des Baukrans bemerkt habe und vorher zu keinem Zeitpunkt von dem Bauvorhaben der mitbeteiligten Partei in Kenntnis gesetzt worden sei.

Die belangte Behörde geht im angefochtenen Bescheid davon aus, dass die Beschwerdeführerin vom Beginn der Bautätigkeit bereits am 27. Februar 2006, spätestens am 15. März 2006, Kenntnis erlangt haben musste, und daher ihre Einwendungen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses und somit verspätet erhoben habe.

Auf Grund der unbekämpft gebliebenen Feststellungen im angefochtenen Bescheid ist davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin gehindert war, an der mündlichen Bauverhandlung teilzunehmen und dort zur Erlangung ihrer Nachbarparteistellung gemäß § 134 Abs. 3 Bauordnung für Wien Einwendungen zu erheben, weil sie vom Bauvorhaben der mitbeteiligten Partei ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat. Die im § 134 Abs. 4 Bauordnung für Wien vorgesehene zweiwöchige Frist zur Erhebung der Einwendungen konnte erst zu laufen beginnen, wenn dieser Hinderungsgrund (fehlende Kenntnis vom Bauvorhaben der Beschwerdeführerin) weggefallen war. Dies konnte im Beschwerdefall jedoch nur dann der Fall sein, wenn für die Beschwerdeführerin erkennbar war, dass durch das Bauvorhaben der mitbeteiligten Partei ihre durch § 134a Bauordnung für Wien gewährleisteten subjektiv-öffentliche Nachbarrechte berührt sein können. Entscheidend ist, dass die Partei in die Lage versetzt wird, zielgerichtete Einwendungen bei der Behörde zu erheben.

Dass die Beschwerdeführerin solche Informationen erhalten hat, ist den Feststellungen im angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen.

Da die belangte Behörde dies verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit einer Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Dieser Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Hinzuweisen ist für das fortgesetzte Verfahren, dass mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 2. Oktober 2007, G 4/07, § 134 Abs. 4 Bauordnung für Wien als verfassungswidrig aufgehoben wurde.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Wien, am 4. März 2008

Schlagworte

Bauverfahren (siehe auch Behörden Vorstellung Nachbarrecht Diverses) Parteien BauRallg11/1Baurecht Nachbar übergangenerVerfahrensbestimmungenBaurecht Mieter Bestandnehmer Gewerbebetrieb

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2007050014.X00

Im RIS seit

08.04.2008

Zuletzt aktualisiert am

08.01.2013
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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