Index
E6J;Norm
61985CJ0316 CPAS Courcelles / Lebon VORAB;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Rosenmayr, Dr. H. Bachler und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gubesch, über die Beschwerde des C T in M, vertreten durch Mag. Michael Löschnig-Tratner, Rechtsanwalt in 2700 Wr. Neustadt, Neunkirchner Straße 17, dieser vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/II/23, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Niederösterreich vom 8. November 2005, Zl. LGS NÖ/RAG/08115/Vers. Nr. 2185 151073/2005, betreffend Abweisung eines Antrages auf Ausstellung einer Bestätigung nach § 3 Abs. 8 AuslBG, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Das Arbeitsmarktservice hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Am 23. März 2005 beantragte der Beschwerdeführer die Ausstellung einer Bestätigung nach § 3 Abs. 8 AuslBG und begründete diesen damit, er sei türkischer Staatsangehöriger und am 1. Juli 2002 in Österreich eingereist. Mit schriftlichem Adoptionsvertrag vom 27. Juni 2004, genehmigt durch das Bezirksgericht Wiener Neustadt am 24. September 2004, sei er vom Ehepaar Ali und Sükrüje E als Wahlkind angenommen worden. Die Eheleute E seien österreichische Staatsbürger. Ihm werde Unterhalt von diesen gewährt. Damit sei er nach § 1 Abs. 2 lit. l AuslBG vom Geltungsbereich dieses Gesetzes ausgenommen. Mit dem Antrag wurden Kopien des Adoptionsvertrages, der Staatsbürgerschaftsnachweise der Wahleltern sowie - über Aufforderung der Behörde erster Instanz - eine Meldebestätigung, sowie ein Meldezettel des Wahlvaters, eine schriftliche Bestätigung des Wahlvaters, dem Beschwerdeführer Unterhalt zu gewähren, sowie ein Nachweis der vorläufigen Aufenthaltsberechtigung des Beschwerdeführers gemäß § 19 Asylgesetz vorgelegt.
Mit Bescheid der regionalen Geschäftsstelle Wiener Neustadt des Arbeitsmarktservice vom 21. April 2005 wurde der Antrag des Beschwerdeführers mit der Begründung abgewiesen, für ihn als türkischen Staatsbürger bestehe für die Einreise nach Österreich Sichtvermerkspflicht; es sei festgestellt worden, dass der Beschwerdeführer derzeit weder über einen Aufenthaltstitel noch über einen Sichtvermerk, der ihn zum Aufenthalt in Österreich berechtige, verfüge.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung.
Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 8. November 2005 wurde diese Berufung abgewiesen. Sie traf die Feststellungen, dass der Beschwerdeführer 1999 durch Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien aus dem Bundesgebiet ausgewiesen worden sei. Eine Wiedereinreise sei im Jahr 2003 erfolgt, der Beschwerdeführer habe daraufhin einen Antrag auf Asylgewährung gestellt. Per 19. März 2003 sei ihm ein vorläufiges Aufenthaltsrecht gemäß § 19 Asylgesetz gewährt worden. Der Beschwerdeführer habe in seiner Stellungnahme vom 20. Juli 2005 über Vorhalt der Behörde angegeben, es sei richtig, dass er unter der im Antrag angegebenen Adresse mit seiner Gattin und seinen Kindern wohne, sein Wahlvater hingegen in unmittelbarer Nähe, nämlich zwei Häuser weiter. Dieser erledige die gesamten Einkäufe für die Familie (des Beschwerdeführers) und stelle diesem darüber hinaus ein "Taschengeld" von ca. EUR 150,-- bis EUR 200,-- pro Monat zur Verfügung. Aus dem vorgelegten Gehaltszettel des Wahlvaters ergebe sich im Abrechnungsmonat Juni 2005 ein Nettolohn in der Höhe von EUR 2.702,13. Der Wahlvater sei mit der Wahlmutter verheiratet. Nach den Daten des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger sei die Wahlmutter zuletzt 1973 im Bundesgebiet beschäftigt gewesen und verfüge derzeit über kein Einkommen. Der Wahlvater sei bei einem namentlich genannten Unternehmen als Maschinenbediener beschäftigt und verfüge nach dem vorgelegten Lohn-/Gehaltszettel vom Juni 2005 über ein regelmäßiges Einkommen von durchschnittlich EUR 1.800,-- brutto. Festgestellt werde, dass der Beschwerdeführer verheiratet sei und zwei minderjährige Kinder im gemeinsamen Haushalt habe. Nach den Daten des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger und den Unterlagen des AMS sei seine Gattin ebenfalls Asylwerberin und nicht im Bundesgebiet beschäftigt. Der Beschwerdeführer sei daher nicht nur gegenüber den Kindern sondern auch gegenüber seiner Gattin unterhaltspflichtig. Im Rahmen ihrer rechtlichen Überlegungen folgerte die belangte Behörde aus diesem Sachverhalt, dass der Beschwerdeführer unter Zugrundelegung des Ausgleichszulagenrichtsatzes als ungefährer Orientierungshilfe im Monat eine Summe von ungefähr EUR 1.058,-- bedürfe, die sich aus dem Ausgleichszulagenrichtsatz für eine Person (EUR 662,--) zuzüglich EUR 132,-- pro unterhaltspflichtiger Person ergebe. Die auf dem vorgelegten Lohnzettel ausgewiesene Summe von EUR 3.573,52 ergebe sich aus dem im Juni hinzugerechneten Urlaubszuschuss. Da jedoch eine fortgesetzte regelmäßige Unterhaltszahlung zu beurteilen sei, könne die Sonderzahlung nicht berücksichtigt werden. Daraus ergebe sich ein Durchschnittslohn von EUR 1.800,-- im Monat brutto, was einem ungefähren Monatsnettolohn in der Höhe von EUR 1.260,-- entspreche. Ausgehend von der Höhe des Ausgleichszulagenrichtsatzes als Orientierungshilfe würde der Beschwerdeführer zur Deckung seines und des Lebensunterhalts seiner unterhaltspflichtigen Angehörigen Unterhalt in der Höhe von ca. EUR 1.058,-- benötigen. Dem stehe ein regelmäßiges Nettoeinkommen des Wahlvaters von ca. EUR 1.260,-- gegenüber, aus welchem nicht nur der Lebensunterhalt des Wahlvaters sondern auch jener der Wahlmutter zu bestreiten sei. Ziehe man den Ausgleichszulagenrichtsatz als Orientierungshilfe für notwendigen Lebensunterhalt der Wahleltern heran, ergebe sich ein Betrag von EUR 794,--. Rechne man den Unterhalt an den Beschwerdeführer und seine Familie hinzu ergebe sich eine Summe von EUR 1.850,--. Dieser Wert übersteige das Nettoeinkommen des Wahlvaters um rund EUR 600,--. Aber auch selbst wenn man den Ausgleichszulagenrichtsatz als Orientierungshilfe außer Acht lasse, erscheine es nicht glaubhaft, dass der Wahlvater für den gesamten Unterhalt des Beschwerdeführers und dessen Familie in einem genügenden Ausmaß aufkommen könne. Nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers sorge nämlich der Wahlvater für die gesamten Einkünfte einer insgesamt sechsköpfigen Familie und gewähre dem Beschwerdeführer ein monatliches "Taschengeld" von EUR 150,-- bis EUR 200,--. Sowohl Wahleltern als auch die Familie des Beschwerdeführers lebten an getrennten Wohnsitzen, es fielen daher doppelte Wohnkosten an. Insgesamt sei nicht nachvollziehbar und auch nicht glaubhaft, dass diese Kosten bei dem festgestellten Nettoeinkommen des Wahlvaters zur Gänze geleistet werden könnten. Nachdem aber eine regelmäßige fortgesetzte Unterhaltszahlung durch den österreichischen Elternteil Grundvoraussetzung nach § 1 Abs. 2 lit. l AuslBG für die Ausnahme von diesem Gesetz sei, diese jedoch nicht habe glaubhaft nachgewiesen werden können, erachte die belangte Behörde die vorgenannten Voraussetzungen für eine Ausstellung der Bestätigung nach § 3 Abs. 8 AuslBG als nicht gegeben.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher die Rechtswidrigkeit des Inhaltes sowie die Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte, und legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 1 Abs. 2 lit. l des Ausländerbeschäftigungsgesetzes - AuslBG, BGBl. Nr. 218/1975, in der Fassung BGBl. I Nr. 133/2003, sind die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes auf EWR-Bürger, drittstaatsangehörige Ehegatten eines österreichischen Staatsbürgers oder eines anderen EWR-Bürgers sowie drittstaatsangehörige Kinder eines österreichischen Staatsbürgers oder eines anderen EWR-Bürgers (einschließlich Adoptiv- und Stiefkinder), die noch nicht 21 Jahre alt sind oder denen der österreichische Staatsbürger bzw. der EWR-Bürger Unterhalt gewährt, nicht anzuwenden, sofern der Ehegatte bzw. das Kind zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt sind.
Gemäß § 3 Abs. 8 AuslBG, in der im Beschwerdefall anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 126/2002, ist Familienangehörigen gemäß § 1 Abs. 2 lit. l leg. cit. auf deren Antrag von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice eine Bestätigung auszustellen, dass sie vom Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes ausgenommen sind.
Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt dargelegt hat (vgl. etwa die hg. Erkenntnisse vom 21. September 2005, Zl. 2004/09/0081, vom 17. November 2004, Zl. 2003/09/0105, und das hg. Erkenntnis vom selben Tag Zl. 2003/09/0102), kommt es bei Beurteilung des Vorliegens des Ausnahmetatbestandes des § 1 Abs. 2 lit. l AuslBG auf die tatsächliche Unterhaltsgewährung an, wobei als Untergrenze für eine ausreichende Unterhaltsgewährung im Sinne dieser Bestimmung eine "fortgesetzte und regelmäßige Leistung in einem Umfang zu verlangen ist, der es ermöglicht, den wesentlichen Teil des Lebensunterhaltes zu decken" (vgl. das hg. Erkenntnis vom 1. Juli 1998, Zl. 98/09/0048). In diesem Zusammenhang wurde auch betont, dass der Ausgleichszulagenrichtsatz nur als Anhaltspunkt, nicht aber als bindende Grenze für diese in jedem Einzelfall zu treffende Beurteilung sein kann. Vielmehr ist auf die tatsächliche Situation jedes Einzelfalles abzustellen (vgl. auch das hg. Erkenntnis vom 1. Juli 1998, Zl. 98/09/0048, und das darin zitierte Urteil des EuGH vom 18. Juni 1987 in der Rechtssache CPAS Courcelles/Lebon, C- 316/85, Slg. 1987, 2832, Rnr. 22).
Zur Dartuung dieser konkreten persönlichen Lebensumstände sowohl des Beschwerdeführers und seiner Familie als auch der seiner Adoptiveltern wurde vom Beschwerdeführer die Einvernahme seines Wahlvaters ausdrücklich beantragt. Dennoch wurden die Einkommensverhältnisse der Beteiligten von der belangten Behörde lediglich auf Grund der Datenauszüge des Hauptverbandes der Sozialversicherungsträger angenommen, konkrete Erhebungen darüber sind nicht erfolgt. Insbesondere hat es die belangte Behörde ohne Begründung unterlassen, die vom Beschwerdeführer in seiner Stellungnahme vom 20. Juli 2005 beantragte Vernehmung seines Adoptivvaters durchzuführen. Da nicht gesagt werden kann, dass die Behörde bei Vermeidung dieses Verfahrensfehlers zu einem anderen, für den Beschwerdeführer günstigeren Bescheid hätte gelangen können, liegt darin eine zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides führende Rechtswidrigkeit.
Auch die rechtlichen Überlegungen der belangten Behörde erweisen sich als unzutreffend. Zutreffend hat die belangte Behörde darauf Bedacht genommen, dass jener im Lohn- und Gehaltszettel des Adoptivvaters ausgewiesene Betrag die mit Juni zur Auszahlung gelangende Sonderzahlung enthielt. Unrichtig ist es aber, jegliche Sonderzahlungen aus der Berechnung eines der regelmäßigen Unterhaltszahlung zu Grunde zu legenden durchschnittlichen monatlichen Nettoeinkommens auszuklammern. Hätte sie nämlich die halbjährlich ausgezahlten Sonderzahlungen anteilig berücksichtigt, wäre ein den von ihr festgestellten monatlichen Bruttobetrag von EUR 1.800,-- übersteigendes Durchschnittseinkommen der Beurteilung zu Grunde zu legen gewesen (ca. EUR 2.100,--). Erst unter Zugrundelegung eines solcherart errechneten Durchschnittseinkommens hätte die belangte Behörde beurteilen können, ob mit dem nach Abzug der zur eigenen Bedürfnisbefriedigung notwendigen Kosten verbleibenden Teil dieses Einkommens die Versorgung des Beschwerdeführers zu einem wesentlichen Teil finanzierbar ist oder nicht. Die belangte Behörde ist auch unzutreffenderweise davon ausgegangen, es komme darauf an, dass der Adoptivvater des Beschwerdeführers nicht in der Lage sei, für den "gesamten" Unterhalt des Beschwerdeführers in einem genügenden Ausmaß aufzukommen. Vielmehr wurde oben bereits darauf hingewiesen, dass von der Rechtsprechung lediglich verlangt wird, dass ein wesentlicher Teil des Lebensunterhaltes des Wahlkindes durch Aufwendungen des österreichischen Wahlelternteiles gedeckt werden kann.
Da der angefochtene Bescheid aus diesen Gründen sowohl an einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit als auch an einer Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften leidet, die erstere aber der letzteren prävaliert, war er unter Abstandnahme von der beantragten mündlichen Verhandlung gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 leg. cit. aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 6. März 2008
Gerichtsentscheidung
EuGH 61985J0316 CPAS Courcelles / Lebon VORABSchlagworte
Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2006090048.X00Im RIS seit
04.04.2008Zuletzt aktualisiert am
21.11.2011