TE Vwgh Erkenntnis 2008/3/19 2007/15/0082

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Veröffentlicht am 19.03.2008
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;

Norm

BAO §115 Abs1;
BAO §236 Abs1;
BAO §236;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hargassner und die Hofräte Dr. Sulyok, Dr. Zorn, Dr. Büsser und Mag. Novak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Zaunbauer, über die Beschwerde der M GmbH & Co in L, vertreten durch ICON Wirtschaftstreuhand GmbH in 4020 Linz, Voest-Alpine-Straße 7, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Linz, vom 15. Februar 2007, GZ RV/0985- L/06, betreffend Nachsicht von Dienstgeberbeitrag, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von 381,90 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Im Zuge einer Lohnsteuerprüfung betreffend die Jahre 1994 bis 1999 wurden der Beschwerdeführerin Dienstgeberbeiträge für ihre im Ausland tätigen Dienstnehmer vorgeschrieben. Über die dagegen erhobene Berufung entschied die belangte Behörde mit Berufungsentscheidung vom 10. Jänner 2006, RV/0383-L/04, indem sie die Vorschreibung von Dienstgeberbeitrag auf den Betrag von 163.611,69 EUR reduzierte und somit insoweit bestätigte, als die Dienstnehmer der Beschwerdeführerin im EU-/EWR-Raum tätig und die Einkünfte nicht nach § 3 Abs 1 Z 10 EStG 1988 steuerfrei gewesen sind. Die gegen diese Berufungsentscheidung vom 10. Jänner 2006, RV/0383-L/04, erhobene Verwaltungsgerichtshofsbeschwerde ist unter der Zl. 2006/15/0115 protokolliert.

Mit Eingabe vom 17. Februar 2006 beantragte die Beschwerdeführerin beim Finanzamt die Nachsicht der durch die Berufungsentscheidung vom 10. Jänner 2006 im Instanzenzug vorgeschriebenen Dienstgeberbeiträge 1994 bis 1999 von 163.611,69 EUR sowie der in diesem Zusammenhang angefallenen Aussetzungszinsen von 29.376,15 EUR. Zur Begründung führte sie aus, die Berufungsentscheidung der belangten Behörde vom 10. Jänner 2006 stehe im Widerspruch zu den Aussagen der "1999 gültigen" Durchführungsrichtlinien zum FLAG 1967. Die Änderung der Durchführungsrichtlinien durch die Einarbeitung europarechtlicher Überlegungen sei erst am 27. Mai 2003 mit AÖF 2003/150 vorgenommen worden. Die Beschwerdeführerin habe darauf vertraut, dass in Österreich keine Dienstgeberbeiträge für ihre im Ausland tätigen Dienstnehmer erhoben würden. Ansonsten hätte sie die Mitarbeiter bewogen, die Dienstverhältnisse mit einer ausländischen Gesellschaft abzuschließen, zumal beispielsweise in Deutschland keine derartigen Abgaben erhoben würden.

Das Finanzamt wies das Nachsichtsansuchen ab.

Gegen den Abweisungsbescheid erhob die Beschwerdeführerin - inhaltlich erkennbar - Berufung. Die belangte Behörde habe in der Berufungsentscheidung vom 10. Jänner 2006 festgehalten, dass im Falle der Entsendung ins Ausland zu unterscheiden sei, ob der Einsatz in einem EWR-Staat oder einem Nicht-EWR-Staat erfolge. Für Entsendungen in Nicht-EWR-Staaten habe die belangte Behörde keine Dienstgeberbeitragspflicht angenommen. Demgegenüber sei sie für Entsendungen in EWR-Staaten von einer Beitragspflicht ausgegangen, obwohl der zu Grunde liegende Sachverhalt gleich gelagert gewesen sei. In die Durchführungsrichtlinien zum FLAG 1967 sei eine differenzierte Behandlung der Entsendungen in den EWR- und den EU-Raum einerseits und in andere Staaten andererseits erst am 27. Mai 2003 mit AÖF 2003/150 eingefügt worden. Die unterschiedliche Beurteilung der Entsendungen in EWR- und Nicht-EWR-Staaten für Zeiträume vor der Änderung der Durchführungsrichtlinien zum FLAG 1967 stelle eine sachliche Unbilligkeit im Sinne des § 236 BAO dar.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unbegründet ab. Im Erlass des BMF vom 16. Jänner 1975, Durchführungsrichtlinien zum FLAG 1967, veröffentlicht im AÖF 1975/75, fänden sich zum Dienstgeberbeitrag unter Punkt 41.01 folgende Ausführungen:

"1) Die Verpflichtung zur Entrichtung des Dienstgeberbeitrages zum Ausgleichsfonds für Familienbeihilfen obliegt allen Dienstgebern, die im Inland Dienstnehmer beschäftigen. Es ist nicht erforderlich, dass im Inland eine Betriebsstätte (§ 81 EStG 1972) vorhanden ist, wie sich auch aus der Zuständigkeitsregelung des § 43 Abs. 1 ergibt. Es ist auch nicht erforderlich, dass der Arbeitslohn im Inland gezahlt wird.

2) Als im Inland beschäftigt gilt ein Dienstnehmer auch dann, wenn er zur Dienstleistung ins Ausland entsendet ist. Dies wird nach den erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage (549 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Nationalrates XI. GP) dann der Fall sein, wenn das Dienstverhältnis im Inland eingegangen worden ist und darauf inländische Rechtsvorschriften anwendbar sind.

3) Der Dienstgeberbeitrag wird nicht für bestimmte Dienstnehmer geleistet, sondern es bildet die Summe der ausgezahlten Arbeitslöhne den Maßstab, nach dem der Dienstgeberbeitrag zu berechnen ist. Es besteht daher kein Zusammenhang zwischen dem Kreis der Personen, die potentiell für einen Anspruch auf Leistungen aus dem Familienlastenausgleich in Frage kommen, und dem Kreis der Personen, deren Lohnsumme die Bemessungsgrundlage für den Dienstgeberbeitrag bildet (Verfassungsgerichtshof vom 26. Juni 1962, Z. B 324/61; Verwaltungsgerichtshof vom 25. September 1961, Z. 2564/59)."

Mit dem im AÖF 1989/65 veröffentlichen Erlass sei in Punkt 1) der Klammerausdruck "(§ 81 EStG 1972)" durch "(§ 81 EStG 1988)" ersetzt worden. Ansonsten seien die zitierten Bestimmungen bis zum Erlass des Bundesministeriums für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz vom 27. Mai 2003, AÖF 2003/150, unverändert geblieben.

§ 3 Z 1 und 2 der VO BMF BGBl II 435/2005 zu § 236 BAO schütze in bestimmten Fällen das Vertrauen auf Rechtsauslegungen. Im vorliegenden Fall sei daher zu prüfen, ob ein schutzwürdiges Vertrauen der Beschwerdeführerin in die Durchführungsrichtlinien zum FLAG 1967 vorgelegen sei. Ein derartiges Vertrauen sei nur schutzwürdig, wenn sich die Rechtslage nicht geändert habe. § 3 Z 2 lit. b der VO verallgemeinere die zum Grundsatz von Treu und Glauben bestehende herrschende Auffassung für Rechtsauskünfte der zuständigen Abgabenbehörde. Der Verwaltungsgerichtshof habe aber schon wiederholt darauf hingewiesen, dass die Berufung auf den Grundsatz von Treu und Glauben gegenüber einer nachträglichen Änderung der Gesetzeslage nicht durchzuschlagen vermöge (Hinweis auf die hg Erkenntnisse vom 19. Dezember 2000, 98/09/0110, und vom 15. Februar 1988, 86/12/0212). Auch Rechtsauslegungen in Erlässen könnten sich nur auf die entsprechende Rechtslage beziehen.

Durch den Beitritt Österreichs zum EWR mit 1. Jänner 1994 und zur EU mit 1. Jänner 1995 sei es mit der "Übernahme des Gemeinschaftsrechts" zu einer umfassenden Änderung der Rechtslage gekommen. Wie bereits in der Berufungsentscheidung vom 10. Jänner 2006 ausgeführt wurde, komme EG-Verordnungen "allgemeine Geltung" zu. Somit sei auch die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 über die soziale Sicherheit der Wanderarbeiter unmittelbar mit dem Beitritt Österreichs innerstaatlich in Geltung getreten.

Die Durchführungsrichtlinien aus dem Jahr 1975 zum FLAG 1967 hätten naturgemäß keine Aufschlüsse zur Frage geben können, ob eine differenzierte Behandlung von Entsendungen in EWR-Staaten und Nicht-EWR-Staaten erforderlich sei. Der Erlass habe keine Aussage enthalten, ob es hinsichtlich des Dienstgeberbeitrages durch den Beitritt Österreichs zum EWR bzw. zur EU und der damit verbundenen Übernahme des Gemeinschaftsrechtes bei Entsendungen von Arbeitskräften ins Ausland zu einer Änderung der Rechtslage gekommen sei. Diese Rechtsfrage sei nicht Gegenstand der Regelung des Erlasses gewesen. Es könne daher diesbezüglich kein schutzwürdiges Vertrauen der Beschwerdeführerin bestehen. Somit liege sachliche Unbilligkeit nicht vor.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde erwogen:

Gemäß § 236 Abs 1 BAO können fällige Abgabenschuldigkeiten auf Antrag des Abgabepflichtigen ganz oder zum Teil durch Abschreibung nachgesehen werden, wenn ihre Einhebung nach der Lage des Falles unbillig wäre.

Die Verordnung des BMF betreffend Unbilligkeit der Einhebung im Sinn des § 236 BAO, BGBl II 435/2005, lautet:

"Auf Grund des § 236 der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz, BGBl. I Nr. 180/2004, und durch die Kundmachung BGBl. I Nr. 2/2005, wird verordnet:

§ 1. Die Unbilligkeit im Sinn des § 236 BAO kann persönlicher oder sachlicher Natur sein.

§ 2. Eine persönliche Unbilligkeit liegt insbesondere vor, wenn die Einhebung

1. die Existenz des Abgabepflichtigen oder seiner ihm gegenüber unterhaltsberechtigten Angehörigen gefährden würde;

2. mit außergewöhnlichen wirtschaftlichen Auswirkungen verbunden wäre, etwa wenn die Entrichtung der Abgabenschuldigkeit trotz zumutbarer Sorgfalt nur durch Vermögensveräußerung möglich wäre und dies einer Verschleuderung gleichkäme.

§ 3. Eine sachliche Unbilligkeit liegt bei der Einhebung von Abgaben insbesondere vor, soweit die Geltendmachung des Abgabenanspruches

1. von Rechtsauslegungen des Verfassungsgerichtshofes oder des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, wenn im Vertrauen auf die betreffende Rechtsprechung für die Verwirklichung des die Abgabepflicht auslösenden Sachverhaltes bedeutsame Maßnahmen gesetzt wurden;

2. in Widerspruch zu nicht offensichtlich unrichtigen Rechtsauslegungen steht, die

a) dem Abgabepflichtigen gegenüber von der für ihn zuständigen Abgabenbehörde erster Instanz geäußert oder

b) vom Bundesministerium für Finanzen im Amtsblatt der österreichischen Finanzverwaltung veröffentlicht

wurden, wenn im Vertrauen auf die betreffende Äußerung bzw. Veröffentlichung für die Verwirklichung des die Abgabepflicht auslösenden Sachverhaltes bedeutsame Maßnahmen gesetzt wurden;

3. zu einer internationalen Doppelbesteuerung führt, deren Beseitigung ungeachtet einer Einigung in einem Verständigungsverfahren die Verjährung oder das Fehlen eines Verfahrenstitels entgegensteht."

In der Beschwerde wird vorgebracht, die Berufungsentscheidung der belangten Behörde vom 10. Jänner 2006, mit welcher im Instanzenzug jene Dienstgeberbeiträge vorgeschrieben worden sind, auf welche sich das Nachsichtsbegehren bezieht, gehe von der Ansicht aus, dass nach österreichischem Recht keine Beitragspflicht für jene Dienstnehmer der Beschwerdeführerin bestehe, die im Ausland außerhalb des EU-/EWR-Raumes tätig seien. Für die im EU-/EWR-Raum tätigen Dienstnehmer der Beschwerdeführerin normiere diese Beitragspflicht aber - so die die Ansicht der genannten Berufungsentscheidung - die für Österreich mit dem Beitritt zum EWR am 1. Jänner 1994 verbindlich gewordene Verordnung (EWG) Nr. 1408/71. Diese der Berufungsentscheidung vom 10. Jänner 2006 zu Grunde liegende Rechtsauffassung betreffend die Beitragspflicht in Zusammenhang mit Tätigkeiten im EU-/EWR-Raume sei nach Meinung der Beschwerdeführerin unrichtig. Diese Meinung könne sich nicht auf Rechtsprechung des EuGH stützen. Aus der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 ergebe sich (jedenfalls für den hier betroffenen Zeitraum) keine Verpflichtung der Beschwerdeführerin zur Beitragsleistung. Zudem sei die dieser Berufungsentscheidung zu Grunde liegende Rechtsauffassung in sich widersprüchlich, weil sie originär innerstaatliche Steuerbefreiungen, wie jene des § 3 Abs 1 Z 10 EStG, für beachtlich halte, diesen also Vorrang gegenüber der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 einräume, aus der sie ansonsten die gemeinschaftsrechtliche Pflicht zur Beitragsleistung ableite.

Mit diesem Vorbringen zeigt die Beschwerdeführerin keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen, das Nachsichtsansuchen im Instanzenzug abweisenden Bescheides auf. Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung ausgeführt hat, dient eine Nachsicht nach § 236 BAO nicht dazu, Unrichtigkeiten der Abgabenfestsetzung zu beseitigen. Der Unbilligkeitstatbestand des § 236 BAO stellt nicht auf die Festsetzung, sondern auf die Einhebung einer Abgabe ab. Auf die Behauptung der Unbilligkeit im Sinn von inhaltlicher Unrichtigkeit eines Abgabenbescheides kann daher ein Nachsichtsansuchen grundsätzlich nicht mit Erfolg gestützt werden (vgl das hg Erkenntnis vom 25. November 2002, 97/14/0013).

Unrichtige Auskünfte können den Grundsatz von Treu und Glauben verletzen und damit nach Lage des Falles eine Unbilligkeit iSd § 236 Abs 1 BAO bewirken (vgl das hg Erkenntnis vom 22. April 2004, 2000/15/0196). Eine Verletzung des Grundsatzes von Treu und Glauben ist an sich geeignet, eine Unbilligkeit der Einhebung von Ansprüchen des Abgabengläubigers nach sich zu ziehen (vgl das hg Erkenntnis vom 20. Juli 1999, 98/13/0101).

Die Abgabenbehörden haben im gegenständlichen Fall die Vorschreibung der Dienstgeberbeiträge, auf welche sich das streitgegenständliche Nachsichtsansuchen bezieht, auf die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 und deren für Österreich mit 1. Jänner 1994 eingetretenen Verbindlichkeit gestützt. Dass es eine behördliche Auslegung eben dieser Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 gewesen wäre, auf welche die Beschwerdeführerin vertraut und daher Handlungen gesetzt hat, die sodann, weil sich die Auslegung in der Folge als unrichtig erwiesen hat, einen Schaden der Beschwerdeführerin herbeigeführt haben, wird in der Beschwerde nicht behauptet.

Es kann somit nicht als rechtswidrig erkannt werden, wenn die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid davon ausgegangen ist, im gegenständlichen Fall liege eine sachliche Unbilligkeit der Abgabeneinhebung nicht vor, weshalb eine Nachsicht nach § 236 Abs 1 BAO nicht ausgesprochen werden könne.

Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet und war daher gemäß § 42 Abs 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 19. März 2008

Schlagworte

Rechtsgrundsätze Treu und Glauben erworbene Rechte VwRallg6/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2007150082.X00

Im RIS seit

24.04.2008

Zuletzt aktualisiert am

21.05.2013
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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