TE Vwgh Erkenntnis 2008/3/26 2008/03/0020

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Veröffentlicht am 26.03.2008
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Index

E000 EU- Recht allgemein;
E3L E13206000;
E6J;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
91/01 Fernmeldewesen;

Norm

32002L0021 Rahmen-RL Kommunikationsnetze Art16 Abs3;
32002L0021 Rahmen-RL Kommunikationsnetze Art4 Abs1;
62005CJ0426 Tele2 VORAB;
AVG §8;
EURallg;
TKG 2003 §37 Abs5;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Beachte

Vorabentscheidungsverfahren:* Vorabentscheidungsantrag:2004/03/0178 B 22. November 2005 * EuGH-Entscheidung: EuGH 62005CJ0426 21. Februar 2008 Vorabentscheidungsverfahren:* Ausgesetztes Verfahren: 2004/03/0178 B 22. November 2005 * EuGH-Entscheidung: EU 2005/0003 21. Februar 2008

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Handstanger, Dr. Berger, Dr. Lehofer und Mag. Samm als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Beschwerde der Tele2 Telekommunication GmbH (vormals Tele2 UTA Telekommunication GmbH) in Wien, vertreten durch Dr. Martin Parschalk, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Getreidemarkt 18/11-12, gegen den Bescheid der Telekom-Control-Kommission vom 6. September 2004, Zl S 23/04-3, betreffend Parteistellung in Marktanalyseverfahren, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde - soweit im Beschwerdeverfahren noch relevant - der Antrag der Beschwerdeführerin auf Einräumung der Parteistellung und des Rechts auf Akteneinsicht hinsichtlich der von der belangten Behörde zu den Zlen M 1/03 bis M 7/03, M 5a/03, M 8a/03 bis 8e/03,

M 8g/03 bis 8k/03, M 9/03, M 9a/03 und M 11/03 bis M 13/03, geführten Verfahren, abgewiesen und der Antrag auf Feststellung, dass der Beschwerdeführerin in diesen Verfahren Parteistellung zukomme, zurückgewiesen.

Die Beschwerdeführerin habe mit Schriftsatz vom 16. Juli 2004 die aus dem Spruch ersichtlichten Anträge mit der Begründung gestellt, dass in den genannten Verfahren, in denen festgestellt werde, ob auf dem jeweils relevanten Markt ein oder mehrere Unternehmen über beträchtliche Marktmacht verfügten oder effektiver Wettbewerb gegeben sei sowie die Aufhebung, Beibehaltung, Änderung oder Auferlegung von spezifischen Verpflichtungen angeordnet werde, grundsätzlich über den gesetzlichen Anspruch der Beschwerdeführerin auf Netzzugang und allenfalls über die Grundlage der dafür von ihr zu leistenden Entgelte entschieden werde. Deshalb werde die Beschwerdeführerin in ihren Rechtsansprüchen bzw rechtlichen Interessen berührt. Aus Art 4 Abs 1 der Richtlinie 2002/21/EG sei nach Ansicht der Beschwerdeführerin abzuleiten, dass sie gegen sie betreffende Entscheidungen der Regulierungsbehörde die Möglichkeit eines wirksamen Rechtsbehelfes haben müsse. Dies bedinge nach Ansicht der Beschwerdeführerin auch die Einräumung der Parteistellung im Verfahren, sodass - wegen des "Anwendungsvorranges des Europarechts" - die Bestimmung des § 37 Abs 5 TKG 2003 verdrängt werde.

Die belangte Behörde listete die vom Antrag der Beschwerdeführerin umfassten Verfahren wie folgt auf:

"GZ

Markt

M 1/03

Zugang von Privatkunden zum öffentlichen Telefonnetz an festen Standorten

M 2/03

Zugang von Nichtprivatkunden zum öffentlichen Telefonnetz an festen Standorten

M 3/03

Inlandsgespräche für Privatkunden über das öffentliche Telefonnetz an festen Standorten

M 4/03

Inlandsgespräche für Nichtprivatkunden über das öffentliche Telefonnetz an festen Standorten

M 5/03

Auslandsgespräche für Privatkunden über das öffentliche Telefonnetz an festen Standorten

M 5a/03

Aufhebung der gemäß §§ 133 Abs. 2 TKG 2003 weitergeltenden Verpflichtungen der Telekom Austria betreffend den Markt 'Auslandsgespräche für Privatkunden über das öffentliche Telefonnetz an festen Standorten'

M 6/03

Auslandsgespräche für Nichtprivatkunden über das öffentliche Telefonnetz an festen Standorten

M 7/03

Originierung im öffentlichen Telefonnetz an festen Standorten

M 8a/03

Terminierung in das individuelle öffentliche Telefonnetz der Telekom Austria

M 8b/03

Terminierung in das individuelle öffentliche Telefonnetz der IT Austria

M 8c/03

Terminierung in das individuelle öffentliche Telefonnetz der Colt

M 8d/03

Terminierung in das individuelle öffentliche Telefonnetz der T- Mobile

M 8e/03

Terminierung in das individuelle öffentliche Telefonnetz der tele.ring

M 8f/03

Terminierung in das individuelle öffentliche Telefonnetz der Tele2

M 8g/03

Terminierung in das individuelle öffentliche Telefonnetz der Telekabel

M 8h/03

Terminierung in das individuelle öffentliche Telefonnetz der eTel

M 8/i/03

Terminierung in das individuelle öffentliche Telefonnetz der Equant

M 8j/03

Terminierung in das individuelle öffentliche Telefonnetz der UTA

M 8k/03

Terminierung in das individuelle öffentliche Telefonnetz der Liwest

M 9/03

Transitdienste im öffentlichen Festtelefonnetz

M 9a/03

Aufhebung der gemäß §§ 133 Abs. 2 TKG 2003 weitergeltenden Verpflichtungen der Telekom Austria betreffend den Markt 'Transitdienste im öffentlichen Festtelefonnetz'

M 11/03

Trunk- Segmente von Mietleitungen

M 12/03

Terminierende Segmente von Mietleitungen

M 13/03

Entbündelter Zugang einschließlich gemeinsamer Zugang zu Drahtleitungen und Teilabschnitten davon für die Erbringung von Breitband- und Sprachdiensten."

Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung führte die belangte Behörde im Wesentlichen Folgendes aus:

Gemäß § 37 Abs 5 TKG 2003 habe in Verfahren gemäß § 37 TKG 2003 nur jenes Unternehmen Parteistellung, dem gegenüber spezifische Verpflichtungen auferlegt, abgeändert oder aufgehoben würden. Vor diesem Hintergrund sei die allgemeine Norm des § 8 AVG zu interpretieren, weil die gebotene Abwägung, ob ein Rechtsanspruch bzw rechtliches Interesse oder bloß ein wirtschaftliches Interesse, das keine Parteistellung begründe, gegeben sei, schon durch den Gesetzgeber vorgenommen worden sei. Eine Parteistellung der Beschwerdeführerin ergebe sich daher aus § 8 AVG in Verbindung mit den anzuwendenden telekommunikationsrechtlichen Normen nicht. Entgegen dem Vorbringen der Beschwerdeführerin könne aber auch Art 4 der Richtlinie 2002/21/EG keine Parteistellung begründen. Abs 1 dieser Bestimmung ordne lediglich an, dass die Parteien eines Verfahrens vor der Regulierungsbehörde die Möglichkeit haben müssten, gegen deren Entscheidungen einen Rechtsbehelf zu ergreifen. Dadurch würden die Mitgliedstaaten verpflichtet, von den entscheidenden Behörden unabhängige Stellen zu schaffen, die von den Betroffenen angerufen werden könnten. Art 4 der genannten Richtlinie sage aber überhaupt nichts über die "vorgelagerte" Frage aus, wer Partei eines Verfahrens sei.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde mit dem Antrag, den angefochtenen Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag auf Abweisung der Beschwerde und verwies darauf, dass die Originalakten bereits dem Verfassungsgerichtshof auf Grund der an ihn gerichteten Beschwerde übermittelt worden seien.

4. Ausgehend davon, dass die innerstaatliche Regelung des § 37 Abs 5 TKG 2003, wonach im Marktanalyseverfahren nur das Unternehmen Parteistellung hat, dem gegenüber spezifische Verpflichtungen auferlegt, abgeändert oder aufgehoben werden, möglicherweise dem Art 4 Abs 1 der Richtlinie 2002/21/EG, wonach jedem von einer Entscheidung einer nationalen Regulierungsbehörde betroffenen Anbieter elektronischer Kommunikationsnetze oder - dienste das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf gegen die Entscheidung der nationalen Regulierungsbehörde eingeräumt werden müsse, widerspricht, hat der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 22. November 2005, Zl 2004/03/0178, dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) nach Art 234 EG folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

"1. Sind die Art 4 und 16 der Richtlinie 2002/21/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste (Rahmenrichtlinie), ABl L 108 vom 24. April 2002, S. 33 (RL 2002/21/EG) dahin auszulegen, dass unter 'betroffenen' Parteien auch solche auf dem relevanten Markt als Wettbewerber auftretende Unternehmen zu verstehen sind, denen gegenüber in einem Marktanalyseverfahren spezifische Verpflichtungen nicht auferlegt, beibehalten oder abgeändert werden?

2. Für den Fall der Bejahung der ersten Frage:

Steht Art 4 der RL 2002/21/EG einer nationalen Vorschrift entgegen, die vorsieht, dass in einem Marktanalyseverfahren nur das Unternehmen Parteistellung hat, dem gegenüber spezifische Verpflichtungen auferlegt, abgeändert oder aufgehoben werden?"

5. Mit Urteil vom 21. Februar 2008, Rs C-426/05, erkannte der EuGH über das Vorabentscheidungsersuchen in nachfolgender Weise für Recht:

"1. Der Begriff des Nutzers oder Anbieters, der im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2002/21/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste (Rahmenrichtlinie) 'betroffen' ist, sowie der Begriff der 'betroffenen' Partei im Sinne von Art. 16 Abs. 3 dieser Richtlinie sind so auszulegen, dass diese Begriffe nicht nur ein Unternehmen mit (vormals) beträchtlicher Marktmacht auf dem relevanten Markt, das einer Entscheidung einer nationalen Regulierungsbehörde in einem Marktanalyseverfahren nach Art. 16 der Richtlinie 2002/21 unterliegt und Adressat dieser Entscheidung ist, sondern auch mit einem solchen Unternehmen in Wettbewerb stehende Nutzer und Anbieter erfassen, die zwar nicht selbst Adressaten dieser Entscheidung sind, aber durch diese in ihren Rechten beeinträchtigt sind.

2. Eine nationale Rechtsvorschrift, die in einem nichtstreitigen Marktanalyseverfahren nur Unternehmen mit (vormals) beträchtlicher Marktmacht auf dem relevanten Markt, denen gegenüber spezifische Verpflichtungen auferlegt, abgeändert oder aufgehoben werden, die Stellung einer Partei zugesteht, verstößt im Grundsatz nicht gegen Art. 4 der Richtlinie 2002/21. Das vorlegende Gericht hat sich jedoch zu vergewissern, dass das innerstaatliche Verfahrensrecht den Schutz der Rechte, die mit einem Unternehmen mit (vormals) beträchtlicher Marktmacht auf dem relevanten Markt in Wettbewerb stehende Nutzer und Anbieter aus der Gemeinschaftsrechtsordnung herleiten, auf eine Weise gewährleistet, die nicht weniger günstig als im Fall vergleichbarer innerstaatlicher Rechte ist und die Wirksamkeit des Rechtsschutzes, den diesen Nutzern und Anbietern Art. 4 der Richtlinie 2002/21 garantiert, nicht mindert."

6. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

6.1. Aus der zitierten Entscheidung des EuGH ist für den Beschwerdefall Folgendes abzuleiten:

Die Notwendigkeit eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes ist ein allgemeiner Grundsatz des Gemeinschaftsrechtes (vgl das zitierte Urteil des EuGH, Rn 30). Auch wenn die Ausgestaltung der Verfahren, die den Schutz der aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechtes erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, sich in Ermangelung einer einschlägigen Gemeinschaftsregelung nach der innerstaatlichen Rechtsordnung richtet (vgl das zitierte Urteil des EuGH, Rn 51), darf im Sinne der Grundsätze der Gleichwertigkeit und der Effektivität die den Schutz der aus dem Gemeinschaftsrecht erfließenden Rechte gewährleistende nationale Verfahrensordnung nicht ungünstiger ausgestaltet sein als die entsprechenden, den Schutz innerstaatlicher Rechtspositionen gewährleistenden Verfahrensregeln (Rn 54).

6.2. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass mit der Parteistellung nach österreichischem Verfahrensrecht wesentliche Mitwirkungsrechte verbunden sind: Nur die Parteien und nicht auch (bloß) Beteiligte haben das Recht auf Akteneinsicht (§ 17 AVG), Gehör (§§ 37, 43 Abs 3 und 4, 45 Abs 3, 65 AVG), Ablehnung eines Sachverständigen (§ 53 Abs 1 AVG), Verkündung bzw Zustellung eines Bescheides (§ 62 Abs 2 und 3 AVG), Erhebung ordentlicher (§§ 57 und 63 AVG) und außerordentlicher (§§ 69 und 71 AVG) Rechtsmittel sowie auf Geltendmachung der Entscheidungspflicht (§ 73 AVG).

Würde also einer "betroffenen Partei" zwar ein Rechtsmittelrecht eingeräumt, ihr aber nicht - zuvor - die Stellung einer Partei im Sinne des § 8 AVG, wäre die Effektivität des dieser "Partei" zustehenden Rechtsmittels wesentlich beeinträchtigt.

6.3. Daraus ist abzuleiten, dass dann, wenn die Beschwerdeführerin "betroffene Partei" im dargestellten Sinne ist, ihr auch Parteistellung im Sinne des § 8 AVG (samt den damit verbundenen Rechten) zu gewähren ist.

7. Die belangte Behörde hat, ausgehend von einer im Lichte der zitierten Entscheidung des EuGH unrichtigen Rechtsansicht, eine Prüfung der "Betroffenheit" der Beschwerdeführerin im Sinne von Art 4 Abs 1 der Rahmenrichtlinie unterlassen.

Deshalb war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl II Nr 333/2003.

Wien, am 26. März 2008

Gerichtsentscheidung

EuGH 62005CJ0426 Tele2 VORAB

Schlagworte

Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4Parteibegriff - Parteienrechte Allgemein diverse Interessen RechtspersönlichkeitVerfahrensbestimmungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2008030020.X00

Im RIS seit

08.04.2008

Zuletzt aktualisiert am

23.11.2015
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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