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E000 EU- Recht allgemein;Norm
32003L0109 Drittstaatsangehörigen-RL Kap3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des M, vertreten durch Dr. Klaus Rohringer, Rechtsanwalt in 4600 Wels, Maria-Theresia-Straße 9/2. OG, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 22. November 2007, Zl. 316.228/2- III/4/2006, betreffend Rückstufung und Entziehung eines unbefristeten Niederlassungsrechts gemäß § 28 Abs. 1 NAG, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Dem Beschwerdeführer, einem serbischen Staatsangehörigen, war am 26. August 2003 gemäß § 24 des (bis 31. Dezember 2005 in Geltung gestandenen) Fremdengesetzes 1997 - FrG ein Niederlassungsnachweis (langfristige Aufenthaltsberechtigung - EG) erteilt worden, der zur unbefristeten Niederlassung in Österreich berechtigt.
Mit Bescheid vom 18. September 2006 stellte die Bezirkshauptmannschaft Wels-Land namens des Landeshauptmannes von Oberösterreich gemäß § 28 Abs. 1 des (am 1. Jänner 2006 in Kraft getretenen) Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes - NAG das Ende des unbefristeten Niederlassungsrechtes des Beschwerdeführers fest. Die dagegen erhobene Berufung wies der Bundesminister für Inneres (die belangte Behörde) mit dem angefochtenen Bescheid vom 22. November 2007 ab.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen hat:
§ 28 Abs. 1 NAG lautet samt Überschrift:
"Rückstufung und Entziehung eines unbefristeten
Niederlassungsrechts
§ 28. (1) Liegen gegen einen Inhaber eines Aufenthaltstitels 'Daueraufenthalt - EG' (§ 45) oder 'Daueraufenthalt - Familienangehöriger' (§ 48) die Voraussetzungen des § 54 FPG für die Erlassung einer Ausweisung oder die Voraussetzungen des § 60 FPG für die Erlassung eines Aufenthaltsverbots vor, können diese Maßnahmen aber im Hinblick auf § 66 FPG nicht verhängt werden, hat die Behörde das Ende des unbefristeten Niederlassungsrechts mit Bescheid festzustellen und von Amts wegen eine befristete 'Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt' (§ 8 Abs. 2 Z 3) auszustellen (Rückstufung)."
Nach den Gesetzesmaterialien (RV 952 XXII. GP 131) kommt diese Bestimmung nur zur Anwendung, wenn der Fremde - vor allem im Hinblick auf Art. 8 EMRK - nicht "ausgewiesen" werden kann. Zweck dieser Norm sei, einem Fremden in diesen Fällen das Aufenthaltsrecht nicht gänzlich zu nehmen, sondern ihn lediglich seines privilegierten gemeinschaftsrechtlichen Status als unbefristet Niederlassungsberechtigter mit Daueraufenthalt - damit werden v.a. die dem Inhaber eines solchen Aufenthaltstitels nach Kapitel III der Richtlinie 2003/109/EG zukommenden Rechte, sich in einem anderen Mitgliedstaat niederzulassen, angesprochen - zu entkleiden; ihm komme trotz Entziehung dieses Daueraufenthaltsrechts in Zukunft ein befristetes Aufenthaltsrecht zu (sog. "Rückstufung").
Die belangte Behörde begründete den angefochtenen Bescheid nach Wiedergabe des Inhalts der zitierten Bestimmung des NAG damit, dass über den Beschwerdeführer mit dem seit 7. Dezember 2004 rechtskräftigen Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien wegen des Vergehens nach § 156 Abs. 1 und 2 StGB, § 159 Abs. 1 und 5 Z 4 iVm § 161 Abs. 1 StGB eine Freiheitsstrafe von 24 Monaten (davon 22 Monate bedingt nachgesehen) verhängt worden sei. Angesichts dieser Verurteilung, die durchaus die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes rechtfertigen würde, sei der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG verwirklicht. Im Hinblick auf den langjährigen Aufenthalt des Beschwerdeführers - seinen Angaben zufolge sei er seit 1988 in Österreich niedergelassen und seit 23. November 1999 im Besitz eines unbefristeten Aufenthaltsrechtes - könnten jedoch zum Schutz seines Privat- und Familienlebens gemäß § 66 FPG aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht ergriffen werden. Bemerkt werde aber, dass sich aus § 28 Abs. 1 NAG eindeutig die gesetzliche Verpflichtung ergebe, in Fällen, in denen der Tatbestand des § 60 FPG vorliege, eine Rückstufung und Entziehung des unbefristeten Niederlassungsrechtes vorzunehmen. Die Erstbehörde werde - so heißt es im angefochtenen Bescheid abschließend - dem Beschwerdeführer nunmehr von Amts wegen eine befristete "Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt" auszustellen haben.
In der Beschwerde kritisiert der Beschwerdeführer (wie auch schon in der Berufung), die belangte Behörde habe sich damit begnügt, seine einzige strafgerichtliche Verurteilung "bloß formell zu zitieren" und bereits daraus die Notwendigkeit der Entziehung seines unbefristeten Niederlassungsrechtes mit der Konsequenz einer Rückstufung auf eine befristete "Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt" abzuleiten. Es sei aber verfehlt, "quasi einen Automatismus" zwischen einer "formellen Verurteilung" im Sinne des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG und der "notwendigen Entziehungsfolge" herzustellen. Die Rückstufung setze aber jedenfalls voraus, dass konkrete Gründe für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes vorlägen, die aufenthaltsbeendende Maßnahme jedoch zum Schutz des Privat- und Familienlebens nicht erlassen werden dürfe. Beim Aufenthaltsverbot komme es aber auf die einer Verurteilung zugrundeliegende strafbare Handlung und die darauf gegründete Gefährlichkeitsprognose an. Diesbezügliche Feststellungen seien der Bescheidbegründung aber nicht einmal ansatzweise zu entnehmen. Dabei hätte die belangte Behörde auch darauf Bedacht nehmen müssen, dass der Beschwerdeführer bis zu den maßgeblichen Tatzeiträumen (August 2000 bis Anfang März 2001) nicht das "geringste Fehlverhalten" gesetzt habe und die Verwirklichung der tatbestandsbildenden Sachverhalte nunmehr bereits fast sieben Jahre, in denen er sich wohlverhalten habe, zurückliege.
Mit diesen Ausführungen zeigt der Beschwerdeführer einen relevanten Begründungsmangel auf:
Nach der Übergangsvorschrift des § 81 Abs. 2 erster Satz NAG gelten vor dem Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes erteilte Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen innerhalb ihrer Gültigkeitsdauer und ihres Gültigkeitszweckes insoweit weiter, als sie nach dem Zweck des Aufenthaltes den Bestimmungen des NAG entsprechen. § 8 NAG regelt Arten und Form der Aufenthaltstitel. Gemäß § 8 Abs. 1 Z 3 NAG wird der (im § 28 Abs. 1 NAG genannte) Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" (§ 45 NAG) für die Dokumentation des unbefristeten Niederlassungsrechts erteilt. Dem entsprechend ordnet die (u.a.) aufgrund der Ermächtigung im § 81 Abs. 2 letzter Satz NAG erlassene Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung - NAG-DV, BGBL. II Nr. 451/2005, im § 11 Abs. 1 unter Punkt C. an, dass nach dem FrG erteilte Niederlassungsnachweise (im fallbezogen relevanten Zusammenhang der lit. b) als Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" weiter gelten.
Der Beschwerdeführer war - wie eingangs erwähnt - seit 26. August 2003 im Besitz eines Niederlassungsnachweises, der somit seit dem Inkrafttreten des NAG am 1. Jänner 2006 als Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" weitergalt und (weiterhin) zur unbefristeten Niederlassung in Österreich berechtigte. Demgegenüber gewährt der Aufenthaltstitel "Niederlassungsbewilligung - unbeschränkt", auf den die Rückstufung nach § 28 Abs. 1 NAG erfolgt, nach § 8 Abs. 2 Z 3 NAG nur ein befristetes Niederlassungsrecht.
Die belangte Behörde hat die Rückstufung auf diesen Aufenthaltstitel im angefochtenen Bescheid - ohne das allfällige Vorliegen der Voraussetzungen für die Erlassung einer Ausweisung gegen den Beschwerdeführer in die Betrachtung einzubeziehen - nur mit dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 60 FPG für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes begründet.
Nach der zuletzt genannten Bestimmung kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen zuwiderläuft (Z 2). Nach dem fallbezogen in Betracht kommenden und von der belangten Behörde auch herangezogenen § 60 Abs. 2 Z 1 FPG hat als bestimmte, eine Gefährdungsannahme im Sinn des Abs. 1 rechtfertigende Tatsache zu gelten, wenn der Fremde von einem inländischen Gericht (u.a.) zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe rechtskräftig verurteilt worden ist. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die in § 60 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Für diese Beurteilung ist demnach nicht das Vorliegen von rechtskräftigen Bestrafungen oder Verurteilungen, sondern das diesen zu Grunde liegende Verhalten des Fremden maßgeblich. Dabei ist also - anders als bei der Frage, ob der erwähnte Tatbestand des § 60 Abs. 2 FPG erfüllt ist - nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen (vgl. etwa das Erkenntnis vom 26. September 2007, Zl. 2007/21/0197, mit dem Hinweis auf das Erkenntnis vom 26. September 2006, Zl. 2004/21/0097, mit zahlreichen weiteren Nachweisen).
Demzufolge reichen die wiedergegebenen (offenbar nur dem Inhalt einer Strafregisterauskunft folgenden) Feststellungen der belangten Behörde zur Verurteilung des Beschwerdeführers, denen weder die ihm im Schuldspruch konkret angelasteten Straftaten noch deren Begleitumstände zu entnehmen sind, nicht für eine nachvollziehbare Darstellung einer Gefährdungsannahme im Sinne des § 60 Abs. 1 FPG. Deren Vorliegen - bei der diesbezüglichen Beurteilung ist auch auf ein Wohlverhalten seit Begehung der zugrundeliegenden Straftat Bedacht zu nehmen - wäre aber gesetzliche Voraussetzung für eine Rückstufung nach § 28 Abs. 1 NAG. Da diese Bestimmung auf das Vorliegen aller Voraussetzungen des § 60 FPG abstellt, dürfen im Übrigen auch Ermessenserwägungen der (hypothetischen) Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nicht entgegen stehen und es darf kein Aufenthaltsverbots-Verbotstatbestand (§ 61 FPG) vorliegen. Lediglich die Unzulässigkeit eines Aufenthaltsverbotes unter dem Gesichtspunkt des Schutzes des Privat- und Familienlebens im Sinne § 66 FPG (iVm § 60 Abs. 6 FPG) hindert nicht die Rückstufung.
Der angefochtene Bescheid war daher schon angesichts der aufgezeigten sekundären Begründungsmängel gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufzuheben.
Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 31. März 2008
Schlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4Besondere RechtsgebieteAuslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2007210533.X00Im RIS seit
24.04.2008Zuletzt aktualisiert am
04.07.2018