Index
001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des I, vertreten durch Mag. Laszlo Szabo, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Claudiaplatz 2, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion Tirol vom 7. September 2007, Zl. 2/4033/97/05, betreffend Aufenthaltsverbot, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Nigeria, reiste im Jänner 2003 in das Bundesgebiet ein und stellte einen letztlich negativ beschiedenen Asylantrag (rechtskräftig seit 11. Februar 2005). Am 28. Jänner 2005 heiratete der Beschwerdeführer eine österreichische Staatsbürgerin, die am 4. April 2007 ein eheliches Kind zur Welt brachte.
Mit im Instanzenzug ergangenem Bescheid vom 7. September 2007 erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 86 Abs. 1 iVm §§ 87, 61, 63, 66 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein fünfjähriges Aufenthaltsverbot. Dies begründete sie im Wesentlichen wie folgt:
"Sie sind vom Bezirksgericht Innsbruck mit Urteil vom 21.3.2005, Zl. 7 U 418/04z, rechtskräftig seit 21.3.2005, wegen des Vergehens des versuchten Diebstahls nach den §§ 15, 127 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Geldstrafe von 40 Tagessätzen, Probezeit drei Jahre, verurteilt worden, weil Sie am 28.10.2004 in Innsbruck versucht haben, einem Verfügungsberechtigten des Geschäftes 'Interspar' fremde bewegliche Sachen, nämlich eine Packung Skiny-Unterwäsche im Gesamtwert von 14,95 Euro mit dem Vorsatz wegzunehmen, sich oder einen Dritten dadurch unrechtmäßig zu bereichern.
Sie sind vom Landesgericht Innsbruck mit Urteil vom 18.8.2005, Zl. 27 Hv 89/05g, rechtskräftig seit 23.8.2005, wegen des Vergehens nach § 27 Abs. 1 Suchtmittelgesetz und des teils vollendeten, teils versuchten Vergehens nach den §§ 27 Abs. 2 Z. 2 Suchtmittelgesetz, 15 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Zusatz-Geldstrafe von 240 Tagessätzen, Probezeit drei Jahre, verurteilt worden, weil Sie in Innsbruck, Gnadenwald und Zirl den bestehenden Vorschriften zuwider Suchtgifte erworben, besessen sowie anderen überlassen haben, und zwar
1. durch Erwerb und Besitz von nicht mehr feststellbaren Mengen an Cannabisprodukten und Kokain bei den abgesondert
verfolgten ... und ... und weiteren, namentlich nicht bekannten
Personen zu datumsmäßig jeweils nicht mehr exakt feststellbaren Zeitpunkten im Zeitraum September 2003 bis 24.8.2004;
2. indem Sie zu datumsmäßig jeweils nicht mehr exakt feststellbaren Zeitpunkten im Zeitraum September 2003 bis
24.8.2004 teilweise allein, teilweise gemeinsam mit ... und
weiteren, namentlich nicht bekannten Personen in zahlreichen Fällen Cannabisprodukte und Kokain konsumierten, wobei Sie teilweise das Suchtgift zur Verfügung stellten;
3. durch teilweise vollendeten, teilweise versuchten gewerbsmäßigen Verkauf nicht mehr exakt feststellbarer Mengen von Kokain teilweise als Alleintäter,
teilweise im bewussten und gewollten Zusammenwirken mit ... als
Mittäterin (§ 12 StGB) an namentlich nicht bekannte Abnehmer zu datumsmäßig jeweils nicht mehr exakt feststellbaren Zeitpunkten im Zeitraum Anfang August 2004 bis 24.8.2004.
Sie sind vom Landesgericht Innsbruck mit Urteil vom 3.7.2006,
Zl. 35 Hv 79/06x, rechtskräftig seit 13.2.2007, wegen des
Vergehens nach § 27 Abs. 1 Suchtmittelgesetz zu einer bedingt
nachgesehenen Freiheitsstrafe von zwei Monaten, Probezeit
drei Jahre, verurteilt worden, weil Sie zu datumsmäßig jeweils
nicht mehr genau feststellbaren Zeitpunkten zwischen Sommer 2005
und Ende Jänner 2006 den bestehenden Vorschriften zuwider
Suchtgifte erworben, besessen sowie anderen überlassen haben, und
zwar
1. durch Erwerb von nicht mehr feststellbaren Mengen an
Cannabisprodukten bei den abgesondert verfolgten ... und ... sowie
einer weiteren, namentlich nicht bekannten Person und deren Besitz;
2. dadurch, dass Sie zusammen mit den abgesondert verfolgten
... und ... in mehreren Fällen Cannabisprodukte konsumierten,
wobei Sie zumindest teilweise das Suchtgift zur Verfügung stellten;
3. durch Weitergabe von nicht mehr feststellbaren Mengen an
Cannabisprodukten an ..., ... und zumindest einer weiteren,
namentlich nicht bekannten Person im Verlauf von mehreren Teilgeschäften."
Außerdem sei der Beschwerdeführer - so die belangte Behörde weiter - zweimal nach dem Tiroler Landespolizeigesetz bestraft worden. Sein Gesamtfehlverhalten zeige deutlich seine negative Einstellung zur Rechtsordnung, woraus sich die Folgerung ergebe, dass sein Aufenthalt im Bundesgebiet im Sinn des § 86 Abs. 1 erster Satz iVm § 87 FPG die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährde. Dieses persönliche Fehlverhalten, insbesondere der gewerbsmäßige Verkauf von Suchtgift, stelle eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr dar, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berühre. Seine Verurteilungen nach dem SMG vom 18. August 2005 und vom 3. Juli 2006 erfüllten den als "Orientierungsmaßstab" heranzuziehenden Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 vierter Fall FPG. Der Erlassung des gegenständlichen Aufenthaltsverbotes stehe auch § 66 FPG nicht entgegen.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde erwogen:
Der Beschwerdeführer ist Ehegatte einer österreichischen Staatsbürgerin (und zugleich Vater einer österreichischen Tochter). Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes ist daher gegen ihn gemäß § 87 iVm § 86 Abs. 1 FPG nur zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.
Bei der Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes nach der eben wiedergegebenen Vorschrift des § 86 Abs. 1 FPG gegeben sind, kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auf den Katalog des § 60 Abs. 2 FPG als "Orientierungsmaßstab" zurückgegriffen werden (vgl. zuletzt das hg. Erkenntnis vom 7. Februar 2008, Zl. 2007/21/0442). Gemäß § 60 Abs. 2 Z 1 FPG hat als bestimmte, eine Gefährdungsannahme im Sinn des Abs. 1 rechtfertigende Tatsache zu gelten, wenn ein Fremder von einem inländischen Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als drei Monaten, zu einer teilbedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe, zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehr als einmal wegen auf der gleichen schädlichen Neigung beruhender strafbarer Handlungen rechtskräftig verurteilt worden ist.
Die im bekämpften Bescheid angeführten strafgerichtlichen Verurteilungen werden in der vorliegenden Beschwerde nicht bestritten. Der Beschwerdeführer hat damit den nach dem eben Gesagten als Orientierungsmaßstab auch für die Beurteilung nach § 86 Abs. 1 FPG dienenden Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z 1 FPG - wenn auch lediglich in Gestaltung der vierten Variante - verwirklicht. Es trifft darüber hinaus zu, dass nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes im Fall der Verwirklichung von Suchtgiftdelikten regelmäßig davon ausgegangen werden muss, dass wegen der besonderen Gefährlichkeit dieser Kriminalitätsform ein Grundinteresse der Gesellschaft im Sinn des § 86 Abs. 1 zweiter Satz FPG berührt ist (vgl. zuletzt etwa das hg. Erkenntnis vom 20. Dezember 2007, Zl. 2007/21/0474, dem zwei Verurteilungen des dortigen Beschwerdeführers nach § 27 Abs. 2 SMG zu Grunde lagen).
Gegenständlich darf allerdings nicht außer Betracht gelassen werden, dass sowohl die erste als auch die zweite Suchtgiftverurteilung - diese erfolgte lediglich wegen des Vergehens nach § 27 Abs. 1 SMG - nur zu relativ geringfügigen, zur Gänze bedingt nachgesehenen Strafen führten. In seinem Urteil vom 13. Februar 2007 (zweite Suchtgiftverurteilung) wies der Oberste Gerichtshof auf die von Beginn an geständige Verantwortung des Beschwerdeführers und auf den Umstand hin, dass er sich seit August 2006 erfolgreich und konsequent einer ambulanten klinischpsychologischen Behandlung und Suchttherapie sowie einer psychosozialen Beratung und Betreuung unterziehe, weshalb die Androhung des Vollzugs der - durch die Untersuchungshaft allerdings bereits verbüßten - Freiheitsstrafe ausreichend sei, dem Beschwerdeführer das Unrecht seiner Vorgangsweise deutlich zu machen und ihn zu einer Änderung seiner bisherigen Lebensweise zu veranlassen.
Auf diese Überlegungen ist die belangte Behörde nicht eingegangen. Im Sinn der gebotenen aktuellen Gesamtbetrachtung der Persönlichkeit des Beschwerdeführers hätte sie sich indes damit beschäftigen müssen, zumal es - ungeachtet dessen, dass die Fremdenpolizeibehörden das Fehlverhalten eines Fremden eigenständig aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts und unabhängig von gerichtlichen Erwägungen betreffend das Strafausmaß zu beurteilen haben (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 4. Oktober 2006, Zl. 2006/18/0306) - letztlich doch nicht gänzlich unerheblich sein kann, dass die Strafgerichte mit einer bedingt nachgesehenen Geldstrafe und zuletzt der Oberste Gerichtshof - aus den dargestellten Erwägungen - mit einer bedingt nachgesehenen zweimonatigen Freiheitsstrafe das Auslangen gefunden haben. Wenn die Gerichte bloß zu diesen, am unteren Rand des Sanktionensystems angesiedelten Strafen gegriffen haben, so kann nämlich nicht ohne weiteres gesagt werden, vom Beschwerdeführer gehe eine erhebliche Gefahr aus, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Dieser Standpunkt liefe auf eine radikale Abkoppelung von jeglicher strafrechtlicher Beurteilung hinaus, was allerdings schon deshalb nicht rechtens sein kann, weil § 60 Abs. 2 Z 1 FPG bei seinen ersten drei Tatbeständen auf die Art und die Höhe strafgerichtlicher Verurteilungen abstellt.
Bagatelleverurteilungen - und nicht anders sind die hier gegenständlichen Verurteilungen dem Strafausmaß nach zu werten - weisen, will man nicht unauflösbare Wertungswidersprüche hinnehmen, auf eine Gefährdungslage hin, welche ohne hinzutretende besondere Umstände noch nicht die Grenze des § 86 Abs. 1 FPG überschreitet.
Das hat die belangte Behörde verkannt, weshalb der bekämpfte Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 31. März 2008
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteIndividuelle Normen und Parteienrechte Bindung der Verwaltungsbehörden an gerichtliche Entscheidungen VwRallg9/4European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2007210547.X00Im RIS seit
05.05.2008Zuletzt aktualisiert am
08.01.2013