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19/05 Menschenrechte;Norm
FrPolG 2005 §2 Abs4 Z12;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Schmidl, über die Beschwerde des ZA in W, geboren am 16. August 1977, vertreten durch Mag. Nadja Lorenz, Rechtsanwältin in 1070 Wien, Kirchengasse 19, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 9. März 2007, Zl. SD 615/06, betreffend Erlassung eines befristeten Rückkehrverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen (Ersatz-)Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 9. März 2007 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen pakistanischen Staatsangehörigen, gemäß § 62 i.V.m. § 60 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Rückkehrverbot erlassen.
Der Beschwerdeführer sei am 2. November 2000 illegal in das Bundesgebiet gelangt und habe einen Asylantrag gestellt, der erstinstanzlich abgewiesen worden sei. Das diesbezügliche Berufungsverfahren sei anhängig.
Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 3. August 2004 sei der Beschwerdeführer nach § 15 StGB, § 28 Abs. 2 SMG und § 27 Abs. 1 SMG zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, davon acht Monate bedingt, rechtskräftig verurteilt worden. Der Beschwerdeführer konsumiere seit 2004 unregelmäßig Cannabisprodukte und habe bei seiner Verhaftung 3,4 Gramm Cannabiskraut bei sich gehabt. Er habe bei einem Mitbeschuldigten 100 Gramm Kokain erworben, um es an einen verdeckten Ermittler weiterzuverkaufen. (Dem Beschwerdevorbringen zufolge ist die Straftat am 17. Juni 2004 begangen worden.) Beim Zusammentreffen mit dem vermeintlichen Abnehmer sei er festgenommen worden. Während der Verbüßung seiner Haft habe er eine österreichische Staatsbürgerin geheiratet.
Der in § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG normierte Sachverhalt sei verwirklicht. Das Fehlverhalten des Beschwerdeführers gefährde die öffentliche Ordnung und Sicherheit gegenwärtig, erheblich und in einem das Grundinteresse der Gesellschaft berührenden Ausmaß. Die Voraussetzungen für die Erlassung des Rückkehrverbotes seien auch unter Zugrundelegung der §§ 87 und 86 FPG - vorbehaltlich des § 66 FPG - im Grund des § 62 Abs. 1 FPG gegeben. Zum Fehlverhalten des Beschwerdeführers trete hinzu, dass dieser im Jahr 2006 zwei Beschäftigungsverhältnisse und im Jahr 2007 ein Beschäftigungsverhältnis eingegangen sei, obwohl er - einer Auskunft des Arbeitsmarktservice Wien zu Folge - nicht über eine Bewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz verfügt habe. Da der Beschwerdeführer nicht der in § 1 Abs. 2 lit. m AuslBG normierten Personengruppe angehöre, sei er jedenfalls seit dem 1. Jänner 2006 nicht zur Arbeitsaufnahme berechtigt. Die Beschäftigungsverhältnisse seien daher als unrechtmäßig zu qualifizieren.
Der Beschwerdeführer sei nunmehr verheiratet. Sorgepflichten oder sonstige familiäre Bindungen zum Bundesgebiet seien nicht aktenkundig. Zwar sei angesichts aller Umstände von einem mit dem Rückkehrverbot verbundenen Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers auszugehen, dieser Eingriff sei jedoch zulässig, weil er zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele - hier: zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen, insbesondere der Suchtgiftkriminalität, und zum Schutz der Gesundheit Dritter - dringend geboten sei. Wer wie der Beschwerdeführer in Österreich angeblich Schutz vor Verfolgung suche und dann hier dem gewerbsmäßigen Suchtgifthandel in derartigem Ausmaß nachgehe, lasse seine Geringschätzung maßgeblicher in Österreich gültiger Rechtsvorschriften erkennen. Der Suchtgiftkriminalität hafte eine hohe Sozialschädlichkeit und eine hohe Wiederholungsgefahr an. Die Verhaltensprognose für den Beschwerdeführer falle zu seinen Ungunsten aus. Die Erlassung des Rückkehrverbotes sei dringend geboten und sohin zulässig im Sinn des § 66 Abs. 1 FPG. Bei der gemäß § 66 Abs. 2 FPG durchzuführenden Interessenabwägung sei zunächst auf die aus der Dauer des inländischen Aufenthalts ableitbare Integration des Beschwerdeführers Bedacht zu nehmen. Diese erweise sich jedoch als gering, weil er lediglich auf Grund des Asylantrages zum vorläufigen Aufenthalt berechtigt sei und die jeglicher Integration zu Grunde liegende soziale Komponente durch das schwer wiegende strafbare Verhalten entsprechend an Gewicht gemindert sei. Selbst unter Bedachtnahme auf die am 6. Oktober 2004 geschlossene Ehe erweise sich das dem Beschwerdeführer insgesamt zu unterstellende Interesse an einem Weiterverbleib im Bundesgebiet zwar nicht als gering, keinesfalls jedoch als besonders gewichtig. Dem stehe das maßgebliche große öffentliche Interesse an der Verhinderung der Suchtgiftkriminalität gegenüber. Bei Abwägung dieser Interessenlagen wögen die Auswirkungen des Rückkehrverbots auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers keinesfalls schwerer als das in seinem Fehlverhalten gegründete große öffentliche Interesse daran, dass er das Bundesgebiet verlasse und diesem fernbleibe. Die Erlassung des Rückkehrverbotes sei daher auch im Sinn des § 66 Abs. 2 FPG zulässig.
Mangels sonstiger besonders zu Gunsten des Beschwerdeführers sprechender Umstände habe die Behörde keine Veranlassung gesehen, von der Erlassung des Rückkehrverbotes im Rahmen des ihr zustehenden Ermessens Abstand zu nehmen.
Das Rückkehrverbot sei mit zehn Jahren zu befristen, weil vor Ablauf dieser Frist nicht erwartet werden könne, dass im Hinblick auf das dargestellte Gesamtfehlverhalten und die aktenkundige Lebenssituation des Beschwerdeführers die für das Rückkehrverbot maßgeblichen Gründe weggefallen sein würden.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Gegen den Beschwerdeführer als Familienangehörigen einer nicht freizügigkeitsberechtigten Österreicherin ist die Erlassung eines Rückkehrverbotes gemäß §§ 62 i.V.m. 87 und 86 Abs. 1 erster bis vierter Satz FPG nur zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig.
Für die Beantwortung der Frage, ob diese Annahme gerechtfertigt ist, ist demnach zu prüfen, ob sich aus dem gesamten Fehlverhalten des Fremden ableiten lässt, dass sein weiterer Aufenthalt die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet. Dabei ist nicht auf die bloße Tatsache der Verurteilung bzw. Bestrafung des Fremden, sondern auf die Art und Schwere der zu Grunde liegenden Straftaten und das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen. Bei der Beurteilung der genannten Gefährdung kann auf den Katalog des § 62 Abs. 2 i.V.m. § 60 Abs. 2 Z. 1 bis 5, 8 bis 10 und 12 bis 14 FPG als "Orientierungsmaßstab" zurückgegriffen werden (vgl. zum Ganzen die hg. Erkenntnisse vom 5. September 2006, Zl. 2006/18/0186, vom 29. November 2006, Zl. 2006/18/0275, und vom 13. März 2007, Zl. 2006/18/0417).
1.2. Die - nicht bekämpfte - Ansicht der belangten Behörde, dass auf Grund der unstrittig feststehenden rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers zu einer teilbedingten zwölfmonatigen Freiheitsstrafe der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG erfüllt sei, begegnet keinen Bedenken.
1.3. Die Beschwerde bestreitet nicht, dass der Beschwerdeführer - wie oben (1.1.) wiedergegeben - versucht hat, Suchtgift, nämlich 100 Gramm Kokain, das er von einem Mitbeschuldigten erworben hatte, an einen verdeckten Ermittler weiterzuverkaufen. In Anbetracht dieses Fehlverhaltens und des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung der Suchtgiftkriminalität (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 27. März 2007, Zl. 2007/18/0118) begegnet der Ansicht der belangten Behörde, dass die in § 86 Abs. 1 erster und zweiter Satz FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei, keinem Einwand. Daran vermag das Beschwerdevorbringen, der Beschwerdeführer weise keine Drogenabhängigkeit auf, sei seit der Begehung der Straftat unbescholten und gehe einer geregelten Erwerbstätigkeit nach, ebenso wenig zu ändern wie sein Vorbringen, "dass eine Aussetzung der Strafvollstreckung (teilweise) zur Bewährung erfolgte (vgl. das hg. Erkenntnis vom 18. Mai 2006, Zl. 2006/18/0103).
2.1. Der Beschwerdeführer bekämpft den angefochtenen Bescheid auch im Grund des § 66 FPG. Er halte sich seit November 2001 rechtmäßig im Bundesgebiet auf und lebe seit März 2003 mit seiner nunmehrigen Ehefrau, die er am 6. Oktober 2004 geheiratet habe, in Lebensgemeinschaft. Diese habe durch seinen positiven Einfluss auf ihre Lebensführung ihr abgebrochenes Studium der Soziologie an der Universität Wien wieder aufgenommen. Bei seiner Straftat habe es sich um ein "einmaliges Straucheln" gehandelt. Es bestehe keine Suchtmittelabhängigkeit. Zwar habe er damals gelegentlich Cannabisprodukte konsumiert, er sei aber - wie ein Befund vom 25. Jänner 2006 bestätige - absolut drogenfrei. Seit dem 6. Dezember 2004 sei er unselbständig erwerbstätig und bestreite den Lebensunterhalt des Ehepaares allein. Er stehe mit seinem Schwiegervater in ständigem Kontakt und nehme an allen Treffen der Familie seiner Ehegattin teil. Er sei in Österreich integriert und beherrsche die deutsche Sprache. Seiner Ehefrau könne nicht zugemutet werden, nach Pakistan zu übersiedeln, um die Familieneinheit aufrecht zu erhalten. In Anbetracht dieser Sachverhaltselemente erweise sich die Maßnahme als unverhältnismäßig.
2.2. Angesichts der Dauer des bisherigen inländischen Aufenthalts des Beschwerdeführers seit November 2000, sohin seit mehr als 6 Jahren, seiner daraus ableitbaren Integration, seiner regelmäßigen Beschäftigung sowie seiner familiären Bindungen zu seiner österreichischen Ehegattin ist mit dem Aufenthaltsverbot ein relevanter Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers verbunden. Bei der Bewertung der Zulässigkeit des Eingriffs in familiäre oder private Beziehungen war jedoch darauf Bedacht zu nehmen, dass die Eheschließung des lediglich zum vorläufigen Aufenthalt nach dem Asylgesetz berechtigten Beschwerdeführers während seiner Haftverbüßung zu einem Zeitpunkt erfolgte, zu dem er nicht damit rechnen durfte, das begonnene Familienleben in Österreich fortsetzen zu können. Werden die - unter einem erhöhten Schutz stehenden - Familienbande zu einem österreichischen Staatsbürger zu einem Zeitpunkt begründet, zu dem der Fremde im Inland weder rechtmäßig niedergelassen noch mit einer Bewilligung seiner Niederlassung rechnen konnte, so erfahren die aus der familiären Bindung abzuleitenden persönlichen Interessen des Fremden an einem Verbleib im Bundesgebiet eine wesentliche, die Interessenabwägung nachteilig beeinflussende Minderung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Februar 2003, Zl. 2002/18/0207).
Die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib in Österreich werden in ihrem Gewicht weiters dadurch deutlich gemindert, dass sein bisheriger Aufenthalt - wie erwähnt -
nur auf Grund seiner Stellung als Asylwerber und der damit verbundenen vorläufigen Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz rechtmäßig ist. Darüber hinaus ist seine Beschäftigung seit dem 1. Jänner 2006 in Ermangelung einer Bewilligung nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz unrechtmäßig, weil er - was die Beschwerde nicht bestreitet - nicht der in § 1 Abs. 2 lit. m AuslBG normierten Personengruppe angehört und er daher ab dem 1. Jänner 2006 nicht gemäß § 3 Abs. 8 AuslBG vom Geltungsbereich des AuslBG ausgenommen ist. Die Integration des Beschwerdeführers hat schließlich in der für sie wesentlichen sozialen Komponente durch das von ihm begangene Suchtgiftdelikt eine ganz erhebliche Beeinträchtigung erfahren.
Den genannten persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet steht die aus seiner Straftat resultierende Gefährdung öffentlicher Interessen gegenüber. Der Beschwerdeführer hat seit 2004 unregelmäßig Cannabisprodukte selbst konsumiert, bei seiner Verhaftung 3,4 Gramm Cannabiskraut bei sich gehabt und bei einem Mitbeschuldigten 100 Gramm Kokain erworben, um es an einen verdeckten Ermittler weiterzuverkaufen. Ihm liegt somit ein im Lichte des großen öffentlichen Interesses an der Verhinderung der Suchtgiftkriminalität verwerfliches Fehlverhalten zur Last. Bei Abwägung der genannten gegenläufigen Interessen kann die Auffassung der belangten Behörde, dass die Erlassung des Aufenthaltsverbots zum Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen durch den Beschwerdeführer sowie zum Schutz der Rechte und Gesundheit anderer, somit zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen, dringend geboten sei (§ 66 Abs. 1 FPG) und die Auswirkungen des Aufenthaltsverbotes auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie nicht schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von dessen Erlassung (§ 66 Abs. 2 FPG), nicht als rechtswidrig angesehen werden.
3. Da somit bereits der Beschwerdeinhalt erkennen lässt, dass die behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde gemäß § 35 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung als unbegründet abzuweisen.
Wien, am 31. März 2008
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2007180483.X00Im RIS seit
24.04.2008Zuletzt aktualisiert am
09.11.2011