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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 2005 §27 Abs4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des Ü, vertreten durch Dr. Walter Eisl, Rechtsanwalt in 3300 Amstetten, Ardaggerstraße 14, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 22. November 2006, Zl. Senat-FR-06-0123, betreffend Schubhaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird, soweit er über die Schubhaft ab dem 30. Oktober 2006 abspricht, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, beantragte nach seiner Einreise in Österreich am 7. Dezember 2001 die Gewährung von Asyl. Das Bundesasylamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom 19. März 2002 gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 1997 als unzulässig zurück und stellte fest, dass für die Prüfung des Antrages Dänemark zuständig sei. Zugleich wies es den Beschwerdeführer aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Dänemark aus. Eine dagegen erhobene Berufung zog der Beschwerdeführer zurück, nachdem er am 28. Mai 2002 eine österreichische Staatsangehörige geheiratet und einen Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung für den Aufenthaltszweck "Familiengemeinschaft mit Österreicher" gestellt hatte.
Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn vom 17. Dezember 2003, bestätigt durch den Bescheid der Sicherheitsdirektion Oberösterreich vom 13. Oktober 2004, wurde gegen den Beschwerdeführer gemäß § 48 Abs. 1 iVm § 36 Abs. 1 Z. 1 und 2 sowie Abs. 2 Z. 6 und 9 des (bis zum 31. Dezember 2005 in Geltung gestandenen) Fremdengesetzes 1997 (FrG) ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot verhängt. Begründend wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer habe mit der - bereits erwähnten -
österreichischen Staatsbürgerin eine Scheinehe geschlossen, um sich dadurch den weiteren Aufenthalt in Österreich zu sichern.
Nach einem vorübergehenden Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland (im Jahr 2004), von wo aus er in die Türkei abgeschoben worden war, beantragte der Beschwerdeführer am 22. Dezember 2005 in der Tschechischen Republik die Gewährung von Asyl, reiste von dort aus allerdings wieder in die Türkei zurück (S. 29 des vorgelegten Verwaltungsaktes).
Am 3. Oktober 2006 reiste der Beschwerdeführer - unter Umgehung der Grenzkontrolle - in das österreichische Bundesgebiet ein, wo er in der Folge bei seinem Freund E.K. wohnte. Am 9. Oktober 2006 beantragte er - gestützt auf die Behauptung einer Verfolgung in der Türkei bei seinem letzten Aufenthalt - neuerlich die Gewährung von Asyl.
Am 16. Oktober 2006 teilte ihm das Bundesasylamt mit, dass beabsichtigt sei, seinen Antrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen (§ 29 Abs. 3 Z. 4 AsylG 2005), weil Dublin-Konsultationen mit der Tschechischen Republik seit 16. Oktober 2006 geführt würden. Diese Mitteilung gelte auch als Einleitung des Ausweisungsverfahrens.
Mit - am selben Tag in Vollzug gesetztem - Bescheid vom 16. Oktober 2006 ordnete die Bezirkshauptmannschaft Baden gemäß § 76 Abs. 2 Z. 2 und 3 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG die Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft an, um das Verfahren zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 und um seine Abschiebung zu sichern. In ihrer Begründung berief sie sich auf die vorgenannte Einleitung eines Ausweisungsverfahrens und das - oben dargestellte - aufrechte Aufenthaltsverbot. Der Beschwerdeführer sei in Österreich nicht sozial integriert. Er habe keine Wohnung und kein Einkommen, zu einem in Österreich lebenden Bruder habe er keinen Kontakt. Auch ändere dieser Angehörige nichts am Umstand der illegalen Einreise ohne gültiges Visum. Es sei daher davon auszugehen, dass sich der Beschwerdeführer "auch an weitere negative Entscheidungen bezüglich (seines) Aufenthaltes in Österreich nicht halten werde, um (das) Ziel des Aufenthaltes zu erreichen und längstmöglich hinauszuzögern". Er besitze kein gültiges Reisedokument und sei nicht willens bzw. nicht in der Lage, das Bundesgebiet zu verlassen. Da eine Ausreise aus eigenem Entschluss und auf legalem Weg nicht möglich sei, seien fremdenpolizeiliche Maßnahmen zu treffen. Auch verfüge er für den weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet nicht über ausreichende Barmittel. Eine rechtmäßige Beschäftigung könne er nicht ausüben, weil er weder im Besitz einer arbeitsmarkt- noch aufenthaltsrechtlichen Bewilligung sei. Es müssten daher für den weiteren Aufenthalt öffentliche Mittel aufgewendet werden bzw. sei der Schluss zulässig, dass er versuchen würde, durch Begehung strafbarer Handlungen seinen Unterhalt zu fristen. Aus diesen Gründen sei auch die Anwendung gelinderer Mittel auszuschließen, durch die der Zweck der Schubhaft nicht erreicht werden könnte.
Am 30. Oktober 2006 gab das Bundesasylamt bekannt, dass dem Beschwerdeführer eine Aufenthaltsberechtigungskarte gemäß § 51 AsylG 2005 zukomme. Das gemäß § 27 Abs. 1 Z. 1 AsylG 2005 eingeleitete Ausweisungsverfahren sei eingestellt worden, weil die gesetzlichen Voraussetzungen für die Einleitung nicht mehr vorlägen.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 22. November 2006 wies die belangte Behörde (Unabhängiger Verwaltungssenat im Land Niederösterreich) eine vom Beschwerdeführer erhobene Schubhaftbeschwerde gemäß § 83 FPG ab und stellte gemäß § 83 Abs. 4 erster Satz FPG fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen.
In ihrer Begründung teilte sie die Argumentation der Bezirkshauptmannschaft Baden. Der Beschwerdeführer sei ungeachtet des gegen ihn bestehenden Aufenthaltsverbotes neuerlich und illegal - unter Umgehung der Grenzkontrolle - in das Bundesgebiet eingereist und habe sich bis zur Asylantragstellung am 9. Oktober 2006 illegal in Österreich aufgehalten, ohne sich bei den zuständigen Behörden zu melden. Auch sei er beschäftigungslos und nicht ausreichend sozial verankert. Wenn er sich auf die Unterstützung durch in Österreich lebende Verwandte berufe, sei dem zu entgegnen, "dass hierdurch eine Bonität allfälliger Bürgen nicht bewiesen (sei)". Das gesamte Verhalten des Beschwerdeführers seit dem Jahr 2001 habe mehrfach gezeigt, dass er sowohl die österreichische Rechtsordnung als auch die Rechtsordnungen anderer EU-Staaten missachte und gewillt sei, "immer wieder Umgehungsversuche in Bezug auf gesetzliche Bestimmungen zu unternehmen". Es müsse daher von der Gefahr des Untertauchens ausgegangen werden, weshalb die Verhängung der Schubhaft als einzig mögliches Mittel anzusehen sei und von der Anwendung eines gelinderen Mittels nicht Gebrauch gemacht werden könnte.
Wenngleich die Ausfolgung der Aufenthaltsberechtigungskarte gemäß § 51 AsylG 2005 das vorläufige Aufenthaltsrecht des Beschwerdeführers im Bundesgebiet dokumentiere, sei die Erlassung einer den Asylantrag allfällig zurück- oder abweisenden Entscheidung "dadurch nicht vorweggenommen", weshalb auch der Schubhaftgrund des § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG (zur Sicherung der Abschiebung) nicht weggefallen sei.
Da die Anhaltung in Schubhaft noch nicht unverhältnismäßig lang (erst seit dem 16. Oktober 2006) dauere, sei festzustellen, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Gemäß § 76 Abs. 2 FPG kann die örtlich zuständige Fremdenpolizeibehörde über einen Asylwerber oder einen Fremden, der einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, Schubhaft zum Zwecke der Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung gemäß § 10 AsylG 2005 oder zur Sicherung der Abschiebung u.a. anordnen, wenn gegen ihn nach den Bestimmungen des AsylG 2005 ein Ausweisungsverfahren eingeleitet wurde (Z. 2) oder gegen ihn vor Stellung des Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare Ausweisung (§§ 53 oder 54) oder ein durchsetzbares Aufenthaltsverbot (§ 60) verhängt worden ist (Z. 3).
Der letztgenannte Tatbestand des § 76 Abs. 2 Z. 3 FPG ist jedoch - entgegen der von der belangten Behörde vertretenen Ansicht - nur anwendbar, solange das Ausweisungsverfahren nach Z. 2 dieser Bestimmung noch nicht eingeleitet wurde (vgl. das hg. Erkenntnis vom 7. Februar 2008, Zl. 2006/21/0389, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird). Die Einleitung des Ausweisungsverfahrens ist im Beschwerdefall bereits am 16. Oktober 2006 erfolgt, sodass § 76 Abs. 2 Z. 3 FPG während des gesamten von der belangten Behörde in Prüfung gezogenen Zeitraumes als taugliche Rechtsgrundlage für die Verhängung oder Aufrechterhaltung von Schubhaft ausscheidet.
Ab Bekanntgabe der mit einer Einstellung des Ausweisungsverfahrens verbundenen (§ 27 Abs. 4 AsylG 2005) Zulassung des Asylverfahrens durfte die Schubhaft auch nicht mehr auf § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG gestützt werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. Oktober 2007, Zl. 2006/21/0267). Damit war auch - dies sei zur Vollständigkeit erwähnt - ein Rückgriff auf "vorgelagerte" Schubhafttatbestände nicht zulässig (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. August 2007, Zl. 2007/21/0043).
Im Umfang des Zeitraumes vom 16. bis zum 30. Oktober 2006 lagen dagegen die Voraussetzungen des § 76 Abs. 2 Z. 2 FPG für die Verhängung von Schubhaft vor. Auch ein - nicht durch Anwendung bloß gelinderer Mittel beseitigbarer - Sicherungsbedarf ist bei der vorliegenden Schubhaftnahme insbesondere im Hinblick auf die seinerzeitige Scheinehe, das aufrechte Aufenthaltsverbot und die mit Asylantragstellungen verbundene über mehrere Jahre fortgesetzte "erhöhte Mobilität" des Beschwerdeführers innerhalb Europas zu bejahen. Dazu kommt, dass der Beschwerdeführer mit seiner letzten Asylantragstellung in Österreich ohne plausible Erklärung von der Einreise am 3. Oktober bis zum 9. Oktober 2006 zugewartet hat.
Nach dem Gesagten ist der bekämpfte Bescheid jedoch, soweit er über die Schubhaft ab dem 30. Oktober 2006 abspricht, mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb er insoweit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Im Übrigen war die Beschwerde hingegen gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere auf § 50 VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 31. März 2008
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2006210363.X00Im RIS seit
01.05.2008Zuletzt aktualisiert am
25.01.2009