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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des B, vertreten durch Dr. Thomas Gratzl, Rechtsanwalt in 4600 Wels, Pfarrgasse 15a, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 6. November 2007, Zl. VwSen-400914/3/Ste/Wb/RSt, betreffend Schubhaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, gemäß seinen Angaben ein am 18. Juli 1980 geborener Staatsangehöriger von Gambia, stellte - seinen Behauptungen zufolge unmittelbar davor über Italien nach Österreich eingereist - am 29. Dezember 2005 einen Asylantrag. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 12. Juli 2006 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 abgewiesen. Zugleich stellte das Bundesasylamt gemäß § 8 Abs. 1 Asylgesetz 1997 fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Gambia zulässig sei und wies den Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 Asylgesetz 1997 aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Gambia aus.
Der genannte Bescheid des Bundesasylamtes erwuchs am 4. August 2006 in Rechtskraft. Über den am 13. August 2006 aufgegriffenen Beschwerdeführer wurde im Hinblick darauf per 14. August 2006 seitens der Bundespolizeidirektion Wien gemäß § 76 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung verhängt. In der Folge ersuchte die Bundespolizeidirektion Wien das Generalkonsulat der Republik Gambia um Ausstellung eines Heimreisezertifikates und brachte dem Beschwerdeführer am 11. Oktober 2006 zur Kenntnis, dass die Schubhaft daher gemäß § 80 Abs. 4 Z 2 FPG über zwei Monate hinaus "auf die Dauer von sechs Monaten" ausgedehnt werde.
Am 9. Jänner 2007 wurde der Beschwerdeführer - das angeforderte Heimreisezertifikat war trotz Urgenz nicht ausgestellt worden - aus der Schubhaft entlassen. Am 10. Mai 2007 wurde er im unmittelbaren Anschluss an eine Rücküberstellung aus Deutschland nach der "Dublin-II-Verordnung" gemäß § 76 Abs. 1 iVm § 80 Abs. 2 und 4 FPG "zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes sowie zur Sicherung der Abschiebung" neuerlich in Schubhaft genommen. Auch die diese zweite Schubhaft anordnende Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck versuchte, ein Heimreisezertifikat zu erlangen, und verständigte den Beschwerdeführer am 24. Juli 2007 (im Wege über die Bundespolizeidirektion Wels) darüber, dass die Schubhaft, weil das Heimreisezertifikat noch nicht eingelangt sei, im Grunde des § 80 Abs. 4 Z 2 FPG verlängert werde.
Einlangend mit 2. November 2007 legte die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck der belangten Behörde die Verwaltungsakten zur Entscheidung gemäß § 80 Abs. 6 FPG vor. Diese stellte hierauf mit Bescheid vom 6. November 2007 gemäß der genannten Bestimmung fest, dass die maßgeblichen Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft auch über die Dauer von sechs Monaten hinaus vorlägen und dass die Aufrechterhaltung der Schubhaft im Zeitpunkt der Entscheidung verhältnismäßig sei. Begründend führte die belangte Behörde - auf das Wesentlichste zusammengefasst - aus, dass die Nichtvornahme der Abschiebung dem Beschwerdeführer im Sinn des § 80 Abs. 4 FPG zuzurechnen sei, weshalb die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts innerhalb von zwei Jahren insgesamt zehn Monate dauern dürfe. Weiter heißt es:
"Aufgrund des Wortlautes des § 80 Abs. 4 FPG steht fest, dass eine überschreitende Dauer der Schubhaft nur als unverhältnismäßig angesehen werden kann, wenn die Verhängung der verlängerten Schubhaft durch die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck aufgrund desselben Sachverhaltes erfolgt wäre, wie er zum Zeitpunkt der Schubhaftverlängerung durch die Bundespolizeidirektion Wien vorgelegen ist.
In der Niederschrift der Bundespolizeidirektion Wien vom 11. Oktober 2006 wurde dem Fremden zur Kenntnis gebracht, dass bis dato kein Heimreisezertifikat eingelangt ist und daher die Schubhaft gemäß § 80 Abs. 4 Z. 2 FPG auf die Dauer von 6 Monaten ausgedehnt werde.
Offenbar ganz bewusst erst bei der Befragung durch die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck am 10. Mai 2007 hat der Fremde jedoch einen in seinem Besitz befindlichen Führerschein vorgelegt, womit er jedoch das bisherige Verfahren bzw. seine Identitätsfeststellung verzögert hat. Auch weigert sich der Fremde, wie aus der Niederschrift vom 5. November 2007 ersichtlich ist, an der Feststellung seiner Identität mitzuwirken.
Dem Fremden wurde mit Schreiben der Bundespolizeidirektion Wels vom 24. Juli 2007 mitgeteilt, dass gemäß § 80 Abs. 2 und 4 FPG die Schubhaft auf 6 Monate verlängert wird.
Aufgrund des oben genannten Verhaltens des Fremden - Weigerung an der Mitwirkung der Identitätsfeststellung - ist die neuerliche Schubhaftverlängerung auf § 80 Abs. 4 Z. 1 FPG zurückzuführen, womit eine weitere Anhaltung in Schubhaft bis zu den gesetzlich vorgegebenen Terminen möglich ist."
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift seitens der belangten Behörde erwogen:
1. § 80 FPG regelt die Dauer der Schubhaft. Diese Vorschrift lautet wie folgt:
"Dauer der Schubhaft
§ 80. (1) Die Behörde ist verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass die Schubhaft so kurz wie möglich dauert.
(2) Die Schubhaft darf so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann. Sie darf außer in den Fällen des Abs. 3 und 4 insgesamt nicht länger als zwei Monate dauern.
(3) Darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden, weil über einen Antrag gemäß § 51 noch nicht rechtskräftig entschieden ist, kann die Schubhaft bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung, insgesamt jedoch nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden.
(4) Kann oder darf ein Fremder deshalb nicht abgeschoben werden,
1. weil die Feststellung seiner Identität und Staatsangehörigkeit nicht möglich ist oder
2. weil die für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht vorliegt oder
3. weil er die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 13) widersetzt,
kann die Schubhaft wegen desselben Sachverhalts innerhalb eines Zeitraumes von zwei Jahren nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden, es sei denn, die Nichtvornahme der Abschiebung ist dem Verhalten des Fremden zuzurechnen. In diesen Fällen darf der Fremde wegen desselben Sachverhalts innerhalb eines Zeitraumes von zwei Jahren nicht länger als zehn Monate in Schubhaft angehalten werden. Ebenso kann die Schubhaft, die gemäß § 76 Abs. 2 verhängt wurde, länger als sechs Monate in zwei Jahren, aber nicht länger als zehn Monate in zwei Jahren aufrechterhalten werden.
(5) In Fällen, in denen die Schubhaft gemäß § 76 Abs. 2 verhängt wurde, kann diese bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftig negativer Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz aufrecht erhalten werden, es sei denn, es läge auch ein Fall des Abs. 4 Z 1 bis 3 vor. Wird der Berufung gegen eine Ausweisung, die mit einer zurückweisenden Entscheidung verbunden ist, die aufschiebende Wirkung gemäß § 37 AsylG 2005 zuerkannt, darf die Schubhaft bis zu Entscheidung des unabhängigen Bundesasylsenates aufrecht erhalten werden. Darüber hinaus darf die Schubhaft nur aufrechterhalten werden, wenn der unabhängige Bundesasylsenat eine zurück- oder abweisende Entscheidung erlässt.
(6) Soll der Fremde länger als sechs Monate durchgehend in Schubhaft angehalten werden, so ist die Verhältnismäßigkeit der Anhaltung nach dem Tag, an dem das sechste Monat überschritten wurde, und danach alle acht Wochen vom örtlich zuständigen unabhängigen Verwaltungssenat von Amts wegen zu überprüfen. Die Behörde hat die Verwaltungsakten so rechtzeitig vorzulegen, dass den unabhängigen Verwaltungssenaten eine Woche zur Entscheidung vor den gegenständlichen Terminen bleibt. Dabei hat sie darzulegen, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig ist. Der unabhängige Verwaltungssenat hat jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen und ob die Aufrechterhaltung der Schubhaft verhältnismäßig ist.
(7) Die Behörde hat einen Fremden, der ausschließlich aus den Gründen des Abs. 3 oder 4 in Schubhaft anzuhalten ist, hievon unverzüglich schriftlich in Kenntnis zu setzen."
Die ErläutRV (952 BlgNR 22. GP 105 f) halten zur zitierten Bestimmung Folgendes fest:
"In Abs. 1 wird den Fremdenpolizeibehörden auferlegt, auf eine Minimierung der Schubhaftdauer hinzuwirken und sodann die maximale Haftdauer auf grundsätzlich zwei Monate beschränkt. Jedenfalls ist die Schubhaft unabhängig von ihrer bisherigen Dauer aufzuheben, wenn sie für die Erreichung des Haftzweckes nutzlos geworden ist. Dies wird insbesondere dann der Fall sein, wenn - bereits nach Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung - eine Abschiebung aus faktischen oder rechtlichen Gründen auf Dauer oder auf unbestimmte Zeit nicht möglich ist.
Die im Abs. 1 enthaltene Verpflichtung zur Minimierung der Schubhaftdauer verpflichtet die Fremdenpolizeibehörden dazu, Aufenthaltsverbote gegen Fremde, die sich in Strafhaft befinden, nach Möglichkeit während der Dauer dieser Strafhaft zu erlassen und damit nicht bis zu deren Ende zuzuwarten.
Im Falle des Abs. 3 kann die Schubhaft maximal sechs Monate dauern. Im Hinblick auf diesen Schubhaftgrund wird ein Kompromiss zwischen Verfahrenssicherung und Schonung der persönlichen Freiheit des Betroffenen angestrebt. Es wäre nämlich nicht sinnvoll, wenn der Zweck der Schubhaft, nämlich die Abschiebung zu sichern, letztlich dadurch gefährdet werden würde, dass ein Antrag auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung in einen bestimmten Staat noch nicht erledigt ist.
In den Fällen des Abs. 4 wird eine Schubhaft länger als zwei Monate - grundsätzlich längstens sechs Monate - dauern. Die Voraussetzungen hiefür sind, dass eine Abschiebung nicht möglich ist, weil die Identität des Fremden nicht feststeht, die Einreise- oder Durchreisebewilligungen anderer Staaten nicht vorliegen oder der Fremde die Abschiebung durch Widerstand vereitelt. Ist der Grund für die bisherige Unmöglichkeit der Abschiebung dem Fremden -
und nicht etwa der mangelnden Kooperationsbereitschaft einer ausländischen Botschaft - zuzurechen, so kann die Schubhaft darüber hinaus zehn Monate in zwei Jahren aufrechterhalten werden.
Ebenso kann nach den Regeln des Abs. 4 und 5 die Schubhaft für Asylwerber prinzipiell sechs Monate und vier Wochen aufrechterhalten werden. Dies ergibt sich aus der maximalen Entscheidungsdauer der Asylbehörden von sechs Monaten und der danach weiter möglichen Anhaltung für 4 Wochen. Bei Asylwerbern ist dies unbedingt erforderlich, um eine Abschiebung auch nach dem gänzlich abweisenden Verfahren - beide Instanzen haben insgesamt 6 Monate Zeit für die Entscheidung - organisieren und durchführen zu können. Nur wenn die Voraussetzungen des Abs. 4 Z 1 bis 3 vorliegen, kann Schubhaft bei einem Fremden, dessen Asylantrag ab- oder zurückgewiesen wurde länger - aber niemals länger als zehn Monate in zwei Jahren - aufrechterhalten werden. Schubhaft darf gegen Asylwerber dann aufrechterhalten werden, wenn der unabhängige Bundesasylsenat einer Berufung gegen eine zurückweisende Entscheidung die aufschiebende Wirkung zuerkannt hat; diese Verfahren sind binnen 14 Tagen zu entscheiden.
Abs. 5 sieht - im Hinblick auf die Eingriffsintensität - eine obligatorische Schubhaftprüfung durch den zuständigen unabhängigen Verwaltungssenat nach einer Anhaltung von 6 Monaten vor. Das Recht einen Antrag nach § 82 zu stellen, bleibt unberührt. Die Wahl der Formulierung 'binnen 24 Monate länger als sechs Monate' soll die Möglichkeit verhindern, dass die Schubhaft unterbrochen wird, um wiederum von Neuen die Frist beginnen zu lassen und dadurch die obligatorische Prüfung durch den UVS zu umgehen."
2. Der gegenständlich bekämpfte Bescheid erging in Ausübung der amtswegigen Schubhaftprüfung nach § 80 Abs. 6 FPG. In der vorliegenden Beschwerde wird dazu zunächst vorgebracht, dass nicht der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich, sondern im Hinblick darauf, dass gegen den Beschwerdeführer erstmals die Bundespolizeidirektion Wien eingeschritten sei, gemäß § 6 Abs. 2 FPG der Unabhängige Verwaltungssenat Wien zur Entscheidung zuständig gewesen wäre. Diese Ansicht trifft jedoch nicht zu.
Gemäß § 83 Abs. 1 FPG ist zur Entscheidung über eine Schubhaftbeschwerde nach § 82 FPG jener unabhängige Verwaltungssenat zuständig, in dessen Sprengel der Beschwerdeführer festgenommen wurde. Wenn § 80 Abs. 6 FPG bezüglich der amtswegigen Schubhaftprüfung vom "örtlich zuständigen unabhängigen Verwaltungssenat" spricht, so ist damit unmissverständlich der nach § 83 Abs. 1 FPG zuständige unabhängige Verwaltungssenat gemeint. Das folgert nicht nur aus dem systematischen Zusammenhang, sondern ergibt sich auch daraus, dass dem Fremden ungeachtet einer amtswegigen Überprüfung der Schubhaft die Beschwerdemöglichkeit nach § 82 FPG unbenommen bleibt (siehe die oben wiedergegebenen ErläutRV). Ein mögliches Auseinanderklaffen der Entscheidungszuständigkeiten für diesen Fall kann aber nicht ernsthaft in Betracht gezogen werden.
Vorliegend wurde der Beschwerdeführer nach seiner Rücküberstellung aus Deutschland am 10. Mai 2007 in Oberösterreich festgenommen. Zur Schubhaftprüfung nach § 80 Abs. 6 FPG war demnach nach dem Gesagten der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich, die belangte Behörde, zuständig.
3. Dem bekämpften Bescheid liegt zusammengefasst die Auffassung zu Grunde, der Beschwerdeführer dürfe gemäß § 80 Abs. 4 FPG - im Hinblick auf die Erfüllung des Tatbestandes der Z 1 - bis zu zehn Monate in Schubhaft angehalten werden, weil die Nichtvornahme der Abschiebung seinem Verhalten zuzurechnen sei. Außerdem habe es nicht zu einer Zusammenrechnung der Schubhaftzeiten nach den beiden Bescheiden vom 14. August 2006 und vom 10. Mai 2007 zu kommen, weshalb die zu überprüfende Schubhaft über den 10. November 2007 hinaus (länger als sechs Monate vom Tag der zweiten Schubhaftnahme, dem 10. Mai 2007, an gerechnet) andauern dürfe.
Was die erste Annahme anlangt, so ist dazu einleitend festzuhalten, dass § 80 Abs. 4 erster Satz FPG - die Problematik einer Änderung des Sachverhaltes einmal außer Betracht lassend - eine Schubhaft in der Dauer von bis zu sechs Monaten in drei Fällen erlaubt. Wenn die Nichtvornahme der Abschiebung des Fremden seinem Verhalten zuzurechnen ist, so ist die Anhaltung in Schubhaft nach dem zweiten Satz des erwähnten Absatzes bis zu zehn Monate zulässig. Aus dem normativen Zusammenhang dieser beiden Sätze ergibt sich eindeutig, dass eine Schubhaft bis zu zehn Monate - vom hier nicht vorliegenden Fall der Verhängung einer Schubhaft nach § 76 Abs. 2 FPG abgesehen - nur in eben jenen drei Fällen des ersten Satzes in Betracht kommt, was des Weiteren zu dem Ergebnis führt, dass Handlungen oder Unterlassungen des Fremden gerade für einen der drei Fälle des besagten ersten Satzes ursächlich sein müssen, um eine Schubhaft in der Dauer von bis zu zehn Monaten zu ermöglichen (so im Ergebnis auch Muzak, Die Schubhaftprüfung durch die UVS nach dem FPG 2005, UVS aktuell 2007, 140 (143)).
Die belangte Behörde hat den Verlängerungstatbestand nach § 80 Abs. 4 Z 1 FPG ins Spiel gebracht (Unterbleiben der Abschiebung eines Fremden, weil die Feststellung seiner Identität und Staatsangehörigkeit nicht möglich ist) und argumentiert, der Beschwerdeführer habe seine Identitätsfeststellung verzögert, weil er erst am 10. Mai 2007 (und nicht bereits während der ersten Schubhaft vom 14. August 2006 bis zum 9. Jänner 2007) seinen Führerschein vorgelegt und weil er am 5. November 2007 an der Feststellung seiner Identität nicht mitgewirkt habe. Was die Vorlage des Führerscheins anlangt, so erfolgte diese jedoch bereits zu Beginn der zweiten Schubhaft, sodass insoweit kein Verhalten erkennbar ist, welches während dieser Schubhaft "abschiebungshemmend" gewirkt hätte. Was aber das Verhalten des Beschwerdeführers vom 5. November 2007 (Verweigerung der Ausfüllung eines Formblattes zur Erwirkung eines Heimreisezertifikates) anlangt, so legt die belangte Behörde gleichfalls nicht dar, dass dieser Umstand angesichts der bis dahin mehrfach ergebnislos unternommenen, unter Mitwirkung des Beschwerdeführers erfolgten Versuche, ein Heimreisezertifikat zu erlangen, für das Unterbleiben der Abschiebung (bis 10. November 2007!) ursächlich gewesen wäre. Im Übrigen ist festzuhalten, dass der Beschwerdeführer nach dem Akteninhalt bereits am 10. Mai 2007 einer umfangreichen Identitätsüberprüfung unterzogen wurde, an der er nach Auffassung der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck "hilfreich" mitwirkte, sodass diese in einem Bericht vom 11. Mai 2007 festhielt, weitere Erhebungen hätten "erfolgreich zu einem kaum abstreitbaren Hinweis der gambischen Staatsbürgerschaft" des Beschwerdeführers geführt, der noch nie andere Identitäten verwendet und nun auch freiwillig an seiner Identitätsfeststellung mitgewirkt habe. Warum davon ausgehend das Verhalten des Beschwerdeführers am 5. November 2007 im Sinn des von der belangten Behörde herangezogenen § 80 Abs. 4 Z 1 FPG die Feststellung seiner Identität und Staatsangehörigkeit nicht ermöglicht habe, ist nicht ersichtlich.
Bezüglich der Frage der Zusammenrechnung der am 10. Mai 2007 verhängten Schubhaft mit jener knapp fünfmonatigen Schubhaft vom 14. August 2006 bis zum 9. Jänner 2007 hat die belangte Behörde den Standpunkt vertreten, dass "jeweils unterschiedliche Sachverhalte zugrunde lagen" (so die belangte Behörde ausdrücklich in ihrer Gegenschrift), weil einerseits (bezogen auf die zweite Schubhaft) ein Fall des § 80 Abs. 4 Z 1 FPG und andererseits (bezüglich der ersten Schubhaft) ein solcher nach § 80 Abs. 4 Z 2 FPG vorgelegen habe (Anmerkung: Die "Schubhaftverlängerungen" vom 11. Oktober 2006 und vom 24. Juli 2007 wurden von den Fremdenpolizeibehörden aber jeweils auf § 80 Abs. 4 Z 2 FPG gestützt!). Handle es sich aber nicht um idente Sachverhalte, so seien die Schubhaftzeiten nicht im Sinn des § 80 Abs. 4 FPG zusammenzurechnen.
Der bekämpften Entscheidung liegt mithin die Auffassung zu Grunde, die Wortfolge "wegen desselben Sachverhalts" in § 80 Abs. 4 erster und zweiter Satz FPG sei auf die drei Verlängerungstatbestände des ersten Satzes zu beziehen. Trete einer dieser Tatbestände an die Stelle eines anderen, so liege mithin nicht mehr "derselbe Sachverhalt" vor, weshalb die sechsmonatige bzw. die zehnmonatige Höchstdauer der Schubhaft dann nicht zum Tragen käme.
Welche Bedeutung dem Textteil "wegen desselben Sachverhalts" zukommt, ist für die Beurteilung der "Zusammenrechnungsfrage" tatsächlich entscheidungswesentlich. Eine erste Auslegungshilfe vermag § 69 Fremdengesetz 1997 - FrG, die Vorgängerbestimmung zu § 80 FPG, zu bieten. Diese, bis 31. Dezember 2005 in Geltung gestandene Vorschrift lautete - auszugsweise - wie folgt:
"Dauer der Schubhaft
§ 69. (1) ...
(2) Die Schubhaft darf nur so lange aufrechterhalten werden, bis der Grund für ihre Anordnung weggefallen ist oder ihr Ziel nicht mehr erreicht werden kann. Sie darf außer in den Fällen des Abs. 4 insgesamt nicht länger als zwei Monate dauern.
(3) ...
(4) Kann oder darf ein Fremder nur deshalb nicht abgeschoben werden,
1. weil über einen Antrag gemäß § 75 noch nicht rechtskräftig entschieden ist oder
2. weil die Feststellung seiner Identität und Staatsangehörigkeit nicht möglich ist oder
3. weil er die für die Ein- oder Durchreise erforderliche Bewilligung eines anderen Staates nicht besitzt oder
4. weil er die Abschiebung dadurch vereitelt, dass er sich der Zwangsgewalt (§ 60) widersetzt,
so kann die Schubhaft bis zum Ablauf der vierten Woche nach rechtskräftiger Entscheidung (Z 1), nach Feststellung der Identität und Staatsangehörigkeit (Z 2), nach Einlangen der Bewilligung bei der Behörde (Z 3) oder nach Vereitelung der Abschiebung (Z 4), insgesamt jedoch nicht länger als sechs Monate aufrecht erhalten werden; Abs. 6 bleibt jedoch unberührt.
(5) ...
(6) Wegen desselben Sachverhaltes darf ein Fremder innerhalb eines Zeitraumes von zwei Jahren nicht länger als sechs Monate in Schubhaft angehalten werden; dies gilt nicht für einen Zeitraum von höchstens vierzehn Tagen zur Durchsetzung einer Abschiebung nach Einlangen der Bewilligung."
Die in § 69 Abs. 6 FrG gebrauchte Wendung "wegen desselben Sachverhaltes" kann sich offensichtlich nicht auf die Fälle des Abs. 4 der zitierten Vorschrift beziehen. Konnte ein Fremder bei Vorliegen eines dieser Fälle ohnehin "insgesamt jedoch nicht länger als 6 Monate" in Schubhaft bleiben, so hätte § 69 Abs. 6 FrG nämlich dann, wenn man mit "demselben Sachverhalt" nur einen der Tatbestände des Abs. 4 verstehen wollte, bloß eine sinnlose - und daher nicht zu unterstellende - Wiederholung der zeitlichen Grenze des Abs. 4 gebracht. Dem ersten Halbsatz des § 69 Abs. 6 FrG konnte demnach nur die Bedeutung zukommen, die sechsmonatige Frist des Abs. 4 insoweit zu relativieren, als sie nach Ablauf von zwei Jahren jedenfalls neu zu laufen beginnen sollte.
Damit ist noch nicht die Frage beantwortet, was als "derselbe Sachverhalt" zu verstehen war. Mangels anderer Anhaltspunkte liegt es jedoch nahe, auf die einschlägige Judikatur des Verfassungsgerichtshofes zu § 48 des Fremdengesetzes aus 1992 zurückzugreifen (VfSlg. 14.730 und VfSlg. 15.131), derzufolge die höchstzulässige Dauer der Schubhaft von sechs Monaten dann neu zu laufen beginne, wenn der Fremde Österreich verlässt und dann wieder in das Bundesgebiet einreist (so auch Wiederin, Voraussetzungen der Schubhaft, ZUV 1996/1, 13 (17)). Eine Sachverhaltsänderung wäre in diesem Sinne demnach dann anzunehmen gewesen, wenn ein Fremder nach Verlassen Österreichs und neuerlicher Einreise in das Bundesgebiet aus diesem wiederum zu entfernen wäre. Allenfalls hätte eine solche maßgebliche Sachverhaltsänderung auch bloß in der auf Grund geänderter Umstände erfolgenden neuerlichen Durchführung eines aufenthaltsbeendenden Verfahrens (wenn es etwa in einem vorangegangenen Verfahren nicht zu einem Titel für die Abschiebung gekommen ist oder ein solcher Titel wieder wegfiel) erblickt werden können.
Die oben zitierten ErläutRV geben keinen Hinweis darauf, dass die Wortfolge "wegen desselben Sachverhalts" in § 80 FPG nunmehr anders zu verstehen sein solle als in der eben erläuterten Vorgängerregelung. Dazu kommt, dass "derselbe Sachverhalt" in den beiden ersten Sätzen des § 80 Abs. 4 FPG erkennbar mit der Schubhaft kausal verknüpft ist ("wegen"). Vor dem Hintergrund, dass auch eine verlängerte Schubhaft nach § 80 Abs. 4 FPG eines Schubhaftgrundes nach § 76 FPG bedarf (vgl. sinngemäß das zu § 80 Abs. 5 FPG ergangene Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 15. Juni 2007, B 1330/06 und B 1331/06), scheint dies das aus den obigen historischen Erwägungen gewonnene Ergebnis zu bestätigen. Die demgegenüber von der belangten Behörde vertretene Ansicht, als "Sachverhalt" sei jeweils einer der drei Fälle des § 80 Abs. 4 FPG zu verstehen, würde letztlich bei entsprechender Fallgestaltung eine zeitlich unbeschränkte Schubhaftdauer ermöglichen, was den Vorstellungen des Gesetzgebers offenkundig zuwiderläuft (vgl. die oben wiedergegebenen ErläutRV, wonach nur dann, wenn die Voraussetzungen des Abs. 4 Z 1 bis 3 vorliegen, die Schubhaft bei einem Fremden, dessen Asylantrag ab- oder zurückgewiesen wurde, länger - aber niemals länger als 10 Monate in zwei Jahren - aufrecht erhalten werden könne).
Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass eine Sachverhaltsänderung im Sinn des § 80 Abs. 4 FPG, die die dort normierten zeitlichen Grenzen auch innerhalb eines Zeitraumes von zwei Jahren obsolet macht, in der Regel nur dann gegeben ist, wenn es nach wie auch immer erfolgter Ausreise eines Fremden nach seiner Wiedereinreise erneut zu aufenthaltsbeendenden Maßnahmen oder einer Abschiebung kommen kann (in diesem Sinn auch Riel/Schrefler-König/Szymanski/Wollner, FPG § 80 Anm. 6.).
Für den vorliegenden Fall bedeutet das dargestellte Ergebnis, dass die Schubhaft des Beschwerdeführers vom 14. August 2006 bis zum 9. Jänner 2007 bei Bedachtnahme auf die zeitlichen Obergrenzen des § 80 Abs. 4 FPG nur dann außer Acht gelassen werden durfte, wenn er nach dieser Schubhaft ausgereist und in der Folge wiedereingereist wäre. Fallbezogen steht zwar fest, dass der Beschwerdeführer nach dem 9. Jänner 2007 Österreich verlassen hat. Er wurde allerdings gemäß der "Dublin-II-Verordnung" von den deutschen Behörden am 10. Mai 2007 nach Österreich rücküberstellt. Den Verwaltungsakten lassen sich zudem Hinweise darauf entnehmen, dass er erst am 6. Mai 2007 aus Österreich ausgereist ist und noch am selben Tag von den deutschen Behörden aufgegriffen wurde. Jedenfalls in einer derartigen Konstellation, in der die letztlich nur geplante Ausreise in einer unmittelbaren Rücküberstellung mündete, läge im Sinn des schon zitierten Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 15.131 keine maßgebliche Wiedereinreise des Beschwerdeführers vor, die einen neuen Sachverhalt nach § 80 Abs. 4 FPG begründen könnte. Vor diesem Hintergrund verletzt die nach dem Gesagten nicht zutreffende Rechtsansicht der belangten Behörde den Beschwerdeführer jedenfalls in seinen Rechten, weshalb der bekämpfte Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen der prävalierenden Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.
Wien, am 31. März 2008
Schlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2Besondere Rechtsgebieteörtliche ZuständigkeitAuslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2VerfahrensbestimmungenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2008210053.X00Im RIS seit
01.05.2008Zuletzt aktualisiert am
08.01.2013