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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
ABGB §1297;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Marzi, über die Beschwerde der I V in K, vertreten durch Dr. Reinhard Tögl Rechtsanwaltgesellschaft m. b. H. in 8010 Graz, Schmiedgasse 31, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Steiermark vom 29. November 2006, Zl. LGS600/SfA/0566/2006-Dr. Si/Pa, betreffend Rückforderung von Arbeitslosengeld, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin bezog in den Jahren 2003 bis 2005 mehrfach Arbeitslosengeld. Im Jahr 2005 war dieser Bezug durch kurze Arbeitsaufnahmen der Beschwerdeführerin unterbrochen; so hat sie im Zeitraum vom 27. Juni bis 31. Juli 2005 bei der Volkshilfe Steiermark gearbeitet und diese Beschäftigung ordnungsgemäß der belangten Behörde gemeldet. Auf Grund einer Berichtigung ("Aufrollung") des Leistungsaktes der Beschwerdeführerin kam es beim Arbeitsmarktservice Voitsberg am 5. Oktober 2005 irrtümlich zu einer Auszahlung von EUR 774,27 an die Beschwerdeführerin, weil das Arbeitsmarktservice vergessen hatte, die bereits gespeicherte Bezugsunterbrechung vom 27. Juni bis 31. Juli 2005 neuerlich in die EDV einzugeben. Dieser am 11. Oktober 2005 am Konto der Beschwerdeführerin eingelangte Betrag wurde in der Form als Arbeitslosengeldnachzahlung gewidmet, dass auf deren Kontoauszug der Vermerk "ALV-Nachz." aufschien.
Mit Bescheid des Arbeitmarktservice Voitsberg vom 2. November 2006 wurde der der Beschwerdeführerin gewährte Bezug des Arbeitslosengeldes infolge dieser Beschäftigung bei der Volkshilfe Steiermark gemäß § 24 Abs. 2 AlVG für den Zeitraum 27. Juni bis 31. Juli 2005 widerrufen und die Beschwerdeführerin gemäß § 25 Abs. 1 AlVG zum Ersatz des für diesen Zeitraum zu Unrecht bezogenen Arbeitslosengeldes in Höhe von insgesamt EUR 861,35 verpflichtet.
Der von der Beschwerdeführerin erkennbar (und auch im weiteren Verfahren unbestritten) lediglich gegen die Rückforderung gerichteten Berufung gab die belangte Behörde mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid nicht Folge, sondern bestätigte die Rückersatzverpflichtung. Zur Begründung der Rückforderung der zu Unrecht bezogenen Leistung wurde ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin im Oktober 2005 nicht mit einer so hohen Auszahlung rechnen durfte, zumal sie am 3. Oktober 2005 eine Anweisung in Höhe von EUR 270,71 und nur zwei Tage später die - irrtümlich erfolgte - Zahlung von EUR 747,27 (also insgesamt EUR 1.044,98) erhalten habe, wohingegen ihr im Oktober nur die Auszahlung für 16 Bezugstage im September in Höhe von EUR 418,37 zugestanden wäre. Der zum Rückersatz vorgeschriebene Betrag von EUR 861,35 resultiere aus 35 x EUR 24,61, wobei (durch sofortigen Einbehalts eines Überbezug für die Zeit vom 25. bis 28. Oktober 2004 in Höhe von EUR 87,08) tatsächlich EUR 774,27 ausbezahlt worden seien.
Dazu wurden nachstehende Feststellungen über den Bezug von Arbeitslosengeld durch die Beschwerdeführerin getroffen:
"Folgende Auszahlungen erfolgten:
04.07.2005:
01.06.-05.06.2005
EUR 123,05
09.08.2005:
19.06.-26.06.2005
EUR 196,88
02.09.2005:
01.08.-21.08.2005
EUR 561,81
03.10.2005:
01.09.-10.09.2005
EUR 270,71
05.10.2005:
27.06.-31.07.2005
EUR 774,27 (EUR 861,35 abzügl. Einbehalt von EUR 87,08)
20.10.2005:
25.09.-30.09.2005
EUR 147,66
03.11.2005:
01.10.-02.10.2005
EUR 49,22."
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit des Inhalts und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde. Darin wird im Wesentlichen vorgebracht, dass die Beschwerdeführerin nicht erkennen habe können, dass ihr die Leistung nicht bzw. nicht in dieser Höhe gebühren würde; auf Grund der kurz zuvor übermittelten Leistungsmitteilung, welche sämtliche Unterbrechungen richtig wiedergegeben habe, sei sie davon ausgegangen, dass ursprünglich gewisse Unterbrechungen unrichtig berechnet worden seien, ihr infolge dessen ein höheres Arbeitslosengeld gebührt hätte und sich daraus der als Nachzahlung gewidmete Betrag ergebe. Überdies habe es die belangte Behörde unterlassen, Feststellungen dazu zu treffen, inwieweit für die Beschwerdeführerin der Übergenuss überhaupt erkennbar war, und die Widmung als Nachzahlung, welche auf dem Kontoauszug ersichtlich ist, bei der Frage der Erkennbarkeit nicht berücksichtigt.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Nach § 24 Abs. 2 AlVG ist die Zuerkennung des Arbeitslosengeldes zu widerrufen oder die Bemessung rückwirkend zu berichtigen, wenn sich die Zuerkennung oder die Bemessung nachträglich als gesetzlich nicht begründet herausstellt.
Bei Einstellung, Herabsetzung, Widerruf oder Berichtigung einer Leistung ist der Empfänger des Arbeitslosengeldes gemäß § 25 Abs. 1 AlVG zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn er den Bezug durch unwahre Angaben oder durch Verschweigung maßgeblicher Tatsachen herbeigeführt oder wenn er erkennen musste, dass die Leistung nicht oder nicht in dieser Höhe gebührte.
Im vorliegenden Fall beschränkt sich die Prüfung des Verwaltungsgerichtshofes auf die entscheidende Frage, ob die belangte Behörde hinsichtlich des von der Beschwerdeführerin empfangenen Arbeitslosengeldes, dessen Zuerkennung mit dem (in diesem Umfang unangefochtenen) erstinstanzlichen Bescheid widerrufen wurde, zu Recht den dritten Rückforderungstatbestand des § 25 Abs. 1 erster Satz AlVG angenommen hat, ob die Beschwerdeführerin also hätte erkennen müssen, dass die Leistung nicht gebührte. Dabei ist nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes nach dem Wortlaut "... wenn er erkennen musste, dass ..." der hier heranzuziehende Tatbestand nicht erst dann erfüllt, wenn der Leistungsempfänger die Ungebührlichkeit der Leistung an sich erkannt hat; das Gesetz stellt vielmehr auf das bloße Erkennenmüssen ab und statuiert dadurch eine - allerdings nicht näher definierte - Sorgfaltspflicht. Aus der Gegenüberstellung mit den zwei anderen im § 25 Abs. 1 leg. cit. genannten Tatbeständen (unwahre Angaben, Verschweigung maßgebender Tatsachen) wird jedoch deutlich, dass bei Anwendung des dritten Rückforderungstatbestandes des § 25 Abs. 1 leg. cit. eine gegenüber den beiden anderen Tatbeständen abgeschwächte Verschuldensform normiert wurde. Setzen die ersten beiden Tatbestände zumindest mittelbaren Vorsatz (dolus eventualis) voraus, genügt zur Anwendung des dritten Rückforderungstatbestandes bereits Fahrlässigkeit ("... erkennen musste"). Fahrlässige Unkenntnis davon, dass die Geldleistung nicht gebührte, setzt voraus, dass die Ungebühr bei Gebrauch der (im Sinne des § 1297 ABGB zu vermutenden) gewöhnlichen Fähigkeiten erkennbar gewesen ist. Ob dies zutrifft, ist im Einzelfall zu beurteilen, wobei jedoch der Grad der pflichtgemäßen Aufmerksamkeit weder überspannt noch überdurchschnittliche geistige Fähigkeiten verlangt werden dürfen (vgl. u.a. die hg. Erkenntnisse vom 16. Juni 1992, Zl. 91/08/0163, und vom 19. Februar 2003, Zl. 2000/08/0091).
Im angefochtenen Bescheid stützt die belangte Behörde ihre Argumentation lediglich darauf, dass die Beschwerdeführerin aus dem Umstand, dass sie zwei Tage vor der irrtümlich erfolgten Leistung bereits eine Anweisung in Höhe von EUR 270,71 erhalten hat, erkennen hätte müssen, dass ihr entgegen der (somit insgesamt geleisteten) EUR 1.044,98 im Oktober 2005 nur die Auszahlung für 16 Bezugstage im September in Höhe von EUR 418,37 zugestanden wäre (wozu Auszahlungen im Vergleichszeitraum Juli bis November 2005 angeführt werden). Wie die Beschwerde zutreffend aufzeigt, unterlässt es dabei die belangte Behörde aber völlig darzutun, wieso es der Beschwerdeführerin, die - wie aus der Aktenlage ersichtlich - seit 2003 immer wieder Arbeitslosengeld in unterschiedlicher Höhe bezogen hat, als Zahlungsempfängerin angesichts der bloßen Widmung des Betrages als Nachzahlung, ohne dass dazu jegliche Konkretisierung des bezughabenden Zeitraumes durch die auszahlende Stelle angeführt wurde, erkennbar hätte sein müssen, dass sie darauf keinen Anspruch hätte. Der am 5. Oktober 2005 überwiesene Betrag sticht auch im Vergleich zu den anderen im Bescheid angeführten Auszahlungen in den Vormonaten der Höhe nach nicht so eklatant hervor (vgl. dazu z.B. die Auszahlung am 2. September 2005 von EUR 561,81), dass er ungeachtet der Widmung schon allein deshalb der Beschwerdeführerin auffallen hätte müssen.
Im Ergebnis hat die belangte Behörde damit keinen überzeugenden Grund aufzeigen können, aus dem die Beschwerdeführerin erkennen hätte müssen, dass sie den rückgeforderten Betrag zu Unrecht bezogen hätte.
Daraus folgt, dass der angefochtene Bescheid an der von der Beschwerdeführerin aufgegriffenen Rechtswidrigkeit des Inhalts leidet, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Wien, am 2. April 2008
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2007080005.X00Im RIS seit
07.05.2008Zuletzt aktualisiert am
22.09.2008