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62 Arbeitsmarktverwaltung;Norm
AlVG 1977 §38;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Moritz, Dr. Lehofer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Marzi, über die Beschwerde des V O in Wien, vertreten durch Dr. Wenzel Drögsler, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Wollzeile 34/3, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 27. September 2006, Zl. LGSW/Abt. 3-AlV/05661/2006-9911, betreffend Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Am 19. Juli 2006 wurde dem Beschwerdeführer vom Arbeitsmarktservice Niederösterreich, Regionale Geschäftsstelle Baden, eine Beschäftigung als Bauhilfsarbeiter beim Dienstgeber BS zugewiesen. Nach dem im Akt befindlichen Stelleninserat handelte es sich um eine Vollbeschäftigung im Ausmaß von 40 Wochenstunden mit ehestmöglichem Eintrittstermin und Entlohnung "nach Vereinbarung".
Aus einem Computereintrag vom gleichen Tag geht unter anderem hervor, dass sich der Beschwerdeführer telefonisch bei BS gemeldet habe und dass ihm eine Entlohnung von EUR 800,-- netto angeboten worden sei.
Am 27. Juli 2006 wurde vom Arbeitsmarktservice Wien, Regionale Geschäftsstelle Dresdner Straße (in der Folge AMS Dresdner Straße), eine Niederschrift aufgenommen, in der - soweit wesentlich - festgehalten wurde, dass dem Beschwerdeführer eine Stelle bei BS mit Entlohnung brutto laut Kollektivvertrag zuzüglich Unterkunft, Verpflegung etc. mit möglichem Arbeitsbeginn 20. Juli 2006 zugewiesen worden sei und dass der Beschwerdeführer am Telefon gegenüber BS eine Entlohnung von EUR 1.200,-- netto verlangt habe. Außerdem habe der Beschwerdeführer laut dieser Niederschrift vorgebracht, das AMS Baden habe ihm gesagt, er brauche nicht zu BS zu gehen.
Mit Bescheid des AMS Dresdner Straße vom 4. August 2006 wurde dem Beschwerdeführer die Notstandshilfe für den Zeitraum vom 21. Juli bis zum 31. August 2006 entzogen. Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass der Beschwerdeführer die ihm vom AMS zugewiesene, zumutbare Beschäftigung bei BS nicht angenommen habe. Berücksichtigungswürdige Gründe für eine Nachsicht seien nicht vorgelegen.
In der dagegen erhobenen Berufung führte der Beschwerdeführer im Wesentlichen aus, dass er sich mit BS nicht über die Entlohnung habe einigen können, da die ihm angebotenen EUR 800,-- seine monatlichen Kosten nicht abdecken könnten. Er habe EUR 1.100,-- bis 1.200,-- vorgeschlagen. Er befinde sich zur Zeit in einer Ausbildung als medizinischer Masseur, die er selbst finanzieren müsse. Die Kosten würden EUR 440,-- im Monat betragen. Seine Miete betrage EUR 350,-- im Monat.
In einer Niederschrift vor der belangten Behörde vom 6. September 2006 gab der Beschwerdeführer - soweit wesentlich - an, BS habe ihm EUR 800,-- "lt. Kollektivvertrag" angeboten. Dies sei ihm aber auf Grund von Ausbildungs- und Wohnungskosten zu wenig gewesen, was er BS auch mitgeteilt habe. Er habe darüber hinaus erklärt, dass er vom 1. bis 8. August 2006 auf Urlaub sei und sich danach wieder melden werde. Er habe sich auch um andere Stellen umgesehen und sich beim Sozial-Medizinischen Dienst Österreich (SMD) vorgestellt. Man habe ihm mitgeteilt, dass er sicher nach dem Urlaub beim SMD anfangen könne. Er habe nach Ende seines Urlaubes BS mitgeteilt, dass er ein besseres Angebot bei einem anderen Unternehmen erhalten habe. Danach habe er vom SMD erfahren, dass er nur auf der Warteliste für die dortige Stelle sei.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung des Beschwerdeführers keine Folge. In der Begründung stellte sie nach Darstellung des Verfahrensgangs fest, dass dem Beschwerdeführer vom AMS Baden am 19. Juli 2006 eine Stelle bei BS zugewiesen worden sei. Dabei handle es sich um eine Vollbeschäftigung als Hilfsarbeiter. Der Beschwerdeführer habe die Annahme einer zumutbaren Beschäftigung durch sein Verhalten (Bekanntgabe eines besseren Dienstverhältnisses beim SMD) vereitelt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtwidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
In der Beschwerde bestreitet der Beschwerdeführer unter Vorlage einer Lohntafel, dass die angebotene Entlohnung dem Kollektivvertrag für Bauindustrie und Baugewerbe entspricht. Demnach wäre ihm nämlich ein Stundenlohn von EUR 8,84 zugestanden.
Gemäß § 9 Abs. 1 AlVG ist arbeitswillig, wer (unter anderem) bereit ist, eine durch die regionale Geschäftsstelle vermittelte zumutbare Beschäftigung anzunehmen.
Gemäß § 9 Abs. 2 AlVG idF BGBl. I Nr. 77/2004 ist eine Beschäftigung zumutbar, wenn sie den körperlichen Fähigkeiten der arbeitslosen Person angemessen ist, ihre Gesundheit und Sittlichkeit nicht gefährdet, angemessen entlohnt ist, in einem nicht von Streik oder Aussperrung betroffenen Betrieb erfolgen soll, in angemessener Zeit erreichbar ist oder eine entsprechende Unterkunft am Arbeitsort zur Verfügung steht sowie gesetzliche Betreuungsverpflichtungen eingehalten werden können. Als angemessene Entlohnung gilt grundsätzlich eine zumindest den jeweils anzuwendenden Normen der kollektiven Rechtsgestaltung entsprechende Entlohnung.
Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 1 AlVG idF BGBl. I Nr. 77/2004 verliert eine arbeitslose Person, wenn sie sich weigert, eine ihr von der regionalen Geschäftsstelle zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen, oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, für die Dauer der Weigerung, mindestens jedoch für die Dauer der auf die Pflichtverletzung folgenden sechs Wochen den Anspruch auf Arbeitslosengeld.
Diese Bestimmungen sind gemäß § 38 AlVG sinngemäß auch auf die Notstandshilfe anzuwenden.
Aus den zitierten Vorschriften ergibt sich im gegebenen Zusammenhang, dass, wenn eine zugewiesene Beschäftigung nicht angemessen entlohnt wird, diese nicht zumutbar ist und somit keine Sperre des Bezuges von Notstandshilfe verhängt werden darf.
Wenn ein Arbeitsloser die Zumutbarkeit einer zugewiesenen Arbeitsstelle gegenüber dem AMS bestreitet, dann hat sich das AMS mit dieser Frage in der Begründung seines Bescheides auch dann auseinander zu setzen, wenn es die Einwände nicht für berechtigt hält. Das AMS hat dann gegebenenfalls auch darzulegen, dass mit der in Aussicht genommenen Stelle auch eine konkret anzugebende, angemessene, insbesondere dem in Betracht kommenden Kollektivvertrag entsprechende Entlohnung verbunden ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 4. Juli 2007, Zl. 2006/08/0097, mwN).
Der Beschwerdeführer hat im Verwaltungsverfahren stets zu geringe Entlohnung geltend gemacht. Dieses Vorbringen stellt der Sache nach die Zumutbarkeit der Beschäftigung in Frage. Schon im Inserat, welches der Zuweisung des Beschwerdeführers durch die regionale Geschäftsstelle zugrundelag, war nur eine Entlohnung "nach Vereinbarung" angegeben; dies deckt sich nicht mit den Niederschriften vom 27. Juli 2006 und vom 6. September 2006, in welchen von einer Entlohnung "laut Kollektivvertrag" die Rede ist. Außerdem könnte die in der Niederschrift vom 27. Juli 2006 dokumentierte Angabe des Beschwerdeführers, das (die Stelle zuweisende) AMS Baden habe ihm gesagt, er brauche nicht mehr zu BS zu gehen, im Zusammenhang mit der Unzumutbarkeit der zugewiesenen Beschäftigung eine Rolle spielen, da allenfalls dieser Geschäftsstelle die Unzumutbarkeit bereits bekannt gewesen sein könnte.
Zwar kommt es im Zusammenhang mit der Angemessenheit der Entlohnung nicht auf die individuelle Bedarfssituation des Arbeitslosen an (vgl. das hg. Erkenntnis vom 26. Jänner 2000, Zl. 98/08/0355). Jedoch hätte sich die belangte Behörde angesichts des Vorbringens des Beschwerdeführers und der sonstigen Aktenlage mit der Frage auseinanderzusetzen gehabt, ob die Entlohnung insbesondere im Hinblick auf den in Betracht kommenden Kollektivvertrag angemessen war. Die Angabe der BS, dass "lt. Kollektivvertrag" eine Entlohnung von EUR 800,-- vorgesehen gewesen sei, kann im Falle der substantiierten Bestreitung durch den Beschwerdeführer Feststellungen der Behörde dazu nicht ersetzen. Wie in der Beschwerde, insbesondere durch Vorlage einer Lohntafel für Bauindustrie und Baugewerbe, dargetan wird, ist dieser Verfahrensmangel wesentlich, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass die belangte Behörde bei einer diesbezüglichen Befassung zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Wien, am 2. April 2008
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2007080059.X00Im RIS seit
08.05.2008Zuletzt aktualisiert am
18.06.2009