TE Vwgh Erkenntnis 2008/4/3 2005/09/0036

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Veröffentlicht am 03.04.2008
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
24/01 Strafgesetzbuch;
63/01 Beamten-Dienstrechtsgesetz;

Norm

BDG 1979 §43 Abs1;
BDG 1979 §43 Abs2;
BDG 1979 §92 Abs1 Z4;
BDG 1979 §93 Abs1 idF 2002/I/087;
BDG 1979 §95 Abs1;
BDG 1979 §95 Abs3;
StGB §15;
StGB §32 Abs1;
StGB §32 Abs2;
StGB §83 Abs1;
StGB §84 Abs2 Z4;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Rosenmayr, Dr. Bachler und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gubesch, über die Beschwerde des RT in R, vertreten durch Dr. Alexandra Slama, Rechtsanwältin in 9020 Klagenfurt, Herrengasse 12/2, gegen den Bescheid der Disziplinaroberkommission beim Bundeskanzleramt vom 9. November 2004, Zl. 61/8-DOK/04, betreffend Disziplinarstrafe der Entlassung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer stand bis zu seiner mit dem angefochtenen Bescheid erfolgten Entlassung als Revierinspektor in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund.

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Disziplinaroberkommission beim Bundeskanzleramt vom 9. November 2004 wurde - auf Grund einer auf den Strafausspruch eingeschränkten Berufung des Beschwerdeführers - über den Beschwerdeführer gemäß § 92 Abs. 1 Z 4 i.V.m. § 126 Abs. 2 des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979 (BDG 1979) wegen Verletzung von Dienstpflichten gemäß § 43 Abs. 1 und 2 erster Satz BDG 1979 die Disziplinarstrafe der Entlassung ausgesprochen. Dieser Disziplinarstrafe lag zusammengefasst zu Grunde, dass der Beschwerdeführer in der Zeit von September 2002 bis 9. Juni 2003 vier Kollegen in einem Polizeiwachzimmer ohne deren Wissen ein Medikament verabreicht und sie vorsätzlich in ihrer Gesundheit geschädigt habe, weshalb der Beschwerdeführer mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 25. Februar 2004 wegen des Vergehens der teils versuchten, teils vollendeten schweren Körperverletzung nach den § 83 Abs. 1, § 84 Abs. 2 Z 4, teilweise in Verbindung mit § 15 StGB zu einer Geldstrafe von 200 Tagessätzen und einer - bedingt nachgesehenen - Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt worden war.

Der angefochtene Bescheid wurde im Wesentlichen damit begründet, dass das Vertrauen der Allgemeinheit in seine Dienstführung durch das Verhalten des Beschwerdeführers erschüttert worden sei, es liege eine Dienstpflichtverletzung nach § 43 Abs. 2 BDG 1979 vor, und sohin ein disziplinärer Überhang, weil der spezifisch dienstrechtliche Aspekt von keinem Tatbestand eines anderen Strafrechtsbereiches wahrgenommen werde.

Der Beschwerdeführer habe ein sehr schwer wiegendes Fehlverhalten im Kernbereich seiner Dienstpflichten als Exekutivbeamter gesetzt. Diesbezüglich sei von einem hohem Grad des Verschuldens und einem hohen Unrechtsgehalt der Verfehlung auszugehen. Das dem Beschwerdeführer angelastete Fehlverhalten sei "im Hinblick auf den hohen Stellenwert, der der körperlichen Sicherheit und Integrität anderer Personen, also insbesondere auch von Kollegen zukomm(e), als dermaßen schwer wiegend anzusehen, dass das Vertrauen der Allgemeinheit in die Dienstverrichtung des Beschwerdeführers irreparabel zerstört" und der Beschwerdeführer für eine weitere Dienstverrichtung untragbar sei. Das Vergehen der schweren Körperverletzung, begangen von einem Exekutivbeamten an seinen Kollegen, sei als gravierendes und nicht entschuldbares Fehlverhalten anzusehen; die Untragbarkeit eines Exekutivbeamten sei auch in anderen Fällen (schwerer) Körperverletzung vom Verwaltungsgerichtshof bejaht worden (Hinweis auf die hg. Erkenntnisse vom 15. Dezember 1999, Zl. 97/09/0381, und vom 20. November 2002, Zl. 2001/09/0014). Der Disziplinarstrafe der Entlassung komme im Unterschied von anderen Strafmitteln keine Erziehungsfunktion zu, sie sei vielmehr "als Instrument des im Beamten-Dienstrechtsgesetz enthaltenen so genannten 'Untragbarkeitsgrundsatzes' zu sehen". Rechtfertigten die aus der Schwere des Dienstvergehens entstandenen Nachteile die Beendigung des öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses durch Entlassung, sei also der Gesetzesbefehl, auf diese Nachteile Rücksicht zu nehmen, nur durch die Verhängung der Disziplinarstrafe der Entlassung befolgt, so könnten andere (Milderungs-)Gründe wie etwa die in der Berufung des Beschwerdeführers vorgebrachte bisherige tadellose langjährige Dienstleistung und die ihm zuzubilligende günstige Zukunftsprognose und die ihm obliegenden Sorgepflichten für seine Tochter nicht mehr entscheidend sein.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, zunächst beim Verfassungsgerichtshof erhobene und von diesem mit Beschluss vom 16. März 2005, B 196/05-3, abgelehnte und dem Verwaltungsgerichtshof abgetretene Beschwerde, mit welcher der Beschwerdeführer die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften beantragt.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, eine Gegenschrift wurde nicht erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die maßgeblichen Bestimmungen des Beamten-Dienstrechtsgesetzes 1979, BGBl. Nr. 333, in der Fassung BGBl. I Nr. 87/2002 (BDG 1979), lauten:

"Allgemeine Dienstpflichten

§ 43. (1) Der Beamte ist verpflichtet, seine dienstlichen Aufgaben unter Beachtung der geltenden Rechtsordnung treu, gewissenhaft und unparteiisch mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln aus eigenem zu besorgen.

(2) Der Beamte hat in seinem gesamten Verhalten darauf Bedacht zu nehmen, dass das Vertrauen der Allgemeinheit in die sachliche Wahrnehmung seiner dienstlichen Aufgaben erhalten bleibt.

(...)

8. Abschnitt

Disziplinarrecht

(...)

Dienstpflichtverletzungen

§ 91. Der Beamte, der schuldhaft seine Dienstpflichten verletzt, ist nach diesem Abschnitt zur Verantwortung zu ziehen.

Disziplinarstrafen

     § 92. (1) Disziplinarstrafen sind

     1.        der Verweis,

     2.        die Geldbuße bis zur Höhe eines halben

Monatsbezuges unter Ausschluss der Kinderzulage,

     3.        die Geldstrafe bis zur Höhe von fünf Monatsbezügen

unter Ausschluss der Kinderzulage, und

     4.        die Entlassung.

(...)

Strafbemessung

§ 93. (1) Das Maß für die Höhe der Strafe ist die Schwere der Dienstpflichtverletzung. Dabei ist jedoch darauf Rücksicht zu nehmen, inwieweit die beabsichtigte Strafhöhe erforderlich ist, um den Beamten von der Begehung weiterer Dienstpflichtverletzungen abzuhalten. Die nach dem Strafgesetzbuch für die Strafbemessung maßgebenden Gründe sind dem Sinne nach zu berücksichtigen; weiters ist auf die persönlichen Verhältnisse und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Beamten Bedacht zu nehmen.

(...)

Zusammentreffen von gerichtlich oder verwaltungsbehördlich strafbaren Handlungen mit Dienstpflichtverletzungen

§ 95. (1) Wurde der Beamte wegen einer gerichtlich oder verwaltungsbehördlich strafbaren Handlung rechtskräftig verurteilt und erschöpft sich die Dienstpflichtverletzung in der Verwirklichung des strafbaren Tatbestandes, so ist von der Verfolgung abzusehen, wenn anzunehmen ist, dass die Verhängung einer Disziplinarstrafe nicht erforderlich ist, um den Beamten von der Begehung weiterer Dienstpflichtverletzungen abzuhalten.

(2) Die Disziplinarbehörde ist an die dem Spruch eines rechtskräftigen Urteils zu Grunde gelegte Tatsachenfeststellung eines Strafgerichtes (Straferkenntnis eines unabhängigen Verwaltungssenates) gebunden. Sie darf auch nicht eine Tatsache als erwiesen annehmen, die das Gericht (der unabhängige Verwaltungssenat) als nicht erweisbar angenommen hat.

(3) Wird von der Verfolgung nicht abgesehen, dann ist, wenn sich eine strafgerichtliche oder verwaltungsbehördliche Verurteilung auf denselben Sachverhalt bezieht, eine Strafe nur auszusprechen, wenn und soweit dies zusätzlich erforderlich ist, um den Beamten von der Begehung weiterer Dienstpflichtverletzungen abzuhalten."

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits in seinem Erkenntnis vom 7. Juli 1999, Zl. 99/09/0042, darauf hingewiesen, dass es sich auch bei der Entlassung gemäß § 92 Abs. 1 Z 4 BDG 1979 um eine Strafe handelt und sich die Disziplinarkommission auch bei einer objektiv schwer wiegenden Dienstpflichtverletzung gemäß § 93 Abs. 1 dritter Satz BDG 1979 an den nach dem Strafgesetzbuch für die Strafbemessung maßgebenden Gründen zu orientieren und gemäß § 32 Abs. 1 StGB vom Ausmaß der Schuld des Täters als Grundlage für die Bemessung der Strafe auszugehen hat. Die Disziplinarkommission hat in jedem Fall die Erschwerungs- und die Milderungsgründe gegeneinander abzuwägen (§ 32 Abs. 2 StGB) und dabei auf alle geltend gemachten oder der Aktenlage nach zu berücksichtigenden Milderungsgründe Bedacht zu nehmen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 6. November 2006, Zl. 2005/09/0093).

In dem Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 14. November 2007, Zl. 2005/09/0115, hat der Verwaltungsgerichtshof klargestellt, dass der Disziplinarstrafe der Entlassung zwar kein "Erziehungszweck" zugeordnet werden kann, auch ihr Ausspruch aber u.a. davon abhängt, ob bei Fortsetzung des Dienstverhältnisses mit weiteren Dienstpflichtverletzungen zu rechnen wäre, ein Unterbleiben der Auseinandersetzung auch mit dieser Frage entspricht nicht § 93 Abs. 1 BDG 1979.

Die belangte Behörde ging im vorliegenden Fall zwar im Grunde des § 93 Abs. 1 erster Satz BDG 1979 zutreffend von einer beträchtlichen objektiven Schwere der dem Beschwerdeführer zur Last liegenden Dienstpflichtverletzung aus. Diese Schwere ist angesichts des großen objektiven Unrechtsgehaltes der Dienstpflichtverletzung so hoch, dass durchaus auch bei Vorliegen von Milderungsgründen grundsätzlich die Entlassung als Disziplinarstrafe in Betracht kommt. Die belangte Behörde hat es jedoch unterlassen, sich gemäß § 93 Abs. 1 BDG 1979 im Sinne der dargelegten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes mit den geltend gemachten Milderungsgründen, insbesondere der langjährigen Bewährung des Beschwerdeführers sowie mit der Frage der Erforderlichkeit der Disziplinarstrafe der Entlassung überhaupt auseinander zu setzen. Ihren Ausführungen insbesondere hinsichtlich der "Untragbarkeit" des Beschwerdeführers lassen sich auch im Wege der Auslegung auch nur ansatzweise eine solche Bedeutung nicht entnehmen.

Die belangte Behörde ist weiters zwar im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass sich die Dienstpflichtverletzungen des Beschwerdeführers gemäß § 95 Abs. 1 BDG 1979 in der gerichtlich strafbaren Handlung nicht erschöpfte, wegen welcher er rechtskräftig verurteilt worden war, und dass daher ein - erheblicher - "disziplinärer Überhang" vorlag. Sie hat aber in keiner Weise beurteilt, ob und inwieweit gegen den Beschwerdeführer angesichts der gegen ihn bereits vom Landesgericht Klagenfurt ausgesprochenen Strafe eine Disziplinarstrafe auszusprechen und ob die Disziplinarstrafe der Entlassung zu verhängen war, um ihn von der Begehung weiterer Dienstpflichtverletzungen abzuhalten (§ 95 Abs. 3 BDG 1979, vgl. auch dazu das bereits genannte hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 14. November 2007, Zl. 2005/09/0115, auf welches insoferne gemäß § 43 Abs. 2 BDG 1979 verwiesen wird). Bei der dabei anzustellenden Prognose wird die belangte Behörde im fortgesetzten Verfahren die Gefährlichkeit des Beschwerdeführers nach einer Beurteilung seiner - auch in der Dienstpflichtverletzung zum Ausdruck gebrachten - Persönlichkeit zu beurteilen haben (vgl. zur Spezialprävention allgemein Ebner, zu § 32, RZ 27ff, in: Höpfel/Ratz, Wiener Kommentar zum Strafgesetzbuch, 2003).

Letztlich hat die belangte Behörde ihre Entscheidung, von der Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung im Rahmen des ihr von § 125a Abs. 2 und 3 BDG 1979 eingeräumten Ermessens Abstand zu nehmen (vgl. auch dazu das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 14. November 2007, Zl. 2005/09/0115), nicht begründet. Dies belastet den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Der Aufhebungsgrund des § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG geht jenem des § 42 Abs. 2 Z 3 leg. cit. vor. Daher war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG i.V.m. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Wien, am 3. April 2008

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2005090036.X00

Im RIS seit

13.05.2008

Zuletzt aktualisiert am

27.08.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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