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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);Norm
AVG §67a Abs1 Z2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Mag. Nedwed und Mag. Eder als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des K T in F, vertreten durch Dr. Robert Eiter, Rechtsanwalt in 6500 Landeck, Malser Straße 13/II, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates in Tirol vom 10. Februar 2004, Zl. uvs- 2003/23/239-10, betreffend Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Am Abend des 30. September 2003 kam es auf der B 316 Arlberg Ersatzstraße zwischen Flirsch und Landeck zu einem Verkehrsunfall, an dem der Beschwerdeführer beteiligt war. Während der Unfallgegner noch an der Unfallstelle verstarb, wurde der Beschwerdeführer schwer verletzt in das St. Vinzenz Krankenhaus in Zams gebracht, wo ihm in den frühen Morgenstunden des 1. Oktober 2003 während der Notoperation auch Blut abgenommen wurde.
In seiner an die belangte Behörde gerichteten Beschwerde "gem. § 67c iVm. 88 SpG" stellte er (in der eingeschränkten Letztfassung) den Antrag, "die am 1.10.2003 um 1.25 Uhr im A.Ö.
Krankenhaus St. Vinzenz in 6511 Zams ... in bewusstlosem Zustand
vorgenommene Blutabnahme für rechtswidrig zu erklären".
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde diese Beschwerde "gemäß § 67a Abs. 1 Z 2 i.V.m. § 67c Abs. 1 und 3 sowie § 67d AVG" ab.
Sie stellte im Wesentlichen fest, der Beschwerdeführer sei nach seiner Einlieferung zunächst im Schockraum erstversorgt und dann in den Operationssaal gebracht worden. Es sei ihm unmittelbar nach der Aufnahme im Krankenhaus Blut zu medizinischen Zwecken abgenommen und im Labor zur Gänze bestimmungsgemäß verarbeitet worden. Gegen 1.00 Uhr suchte Bezirksinspektor W.G. (es handelte sich dabei um einen jener Beamten des Gendarmeriepostenkommandos Landeck, die am Unfallort interveniert hatten) das St. Vinzenz Krankhaus zwecks weiterer Erhebung auf. Zu diesem Zeitpunkt befand sich der Beschwerdeführer bereits im Operationssaal. Von einer Krankenschwester erfuhr der Gendarmeriebeamte, dass beim Beschwerdeführer Symptome einer Alkoholisierung (Alkoholgeruch in der Atemluft) vorgelegen hätten. Bezirksinspektor G. äußerte daraufhin gegenüber der Krankenschwester den "Wunsch, ob man dem Beschwerdeführer Blut abnehmen könne". Diesen "Wunsch" trug die Krankenschwester an die behandelnden Ärzte im Operationssaal heran, worauf über Anweisung des Arztes Dr. K. dem Beschwerdeführer um 1.25 Uhr in bewusstlosem Zustand Blut abgenommen (und dem Gendarmeriebeamten in der Folge übergeben) wurde. Zu diesem Zeitpunkt lag keine diesbezügliche Anordnung des Untersuchungsrichters beim Landesgericht Innsbruck vor. Erst um 2.06 Uhr wurde der diensthabende Untersuchungsrichter von den Geschehnissen in Kenntnis gesetzt und er hielt in einem Aktenvermerk des Strafaktes 32 Ur 229/03h fest, dass der zuständige Staatsanwalt im Zuge von Vorerhebungen wegen §§ 80, 81 Abs. 1 Z 2 StGB gegen den Beschwerdeführer die gerichtliche Beschlagnahme der Blutproben beantragt habe. Er (der Untersuchungsrichter) schließe sich diesen Anträgen an.
Rechtlich folgerte die belangte Behörde, im gegenständlichen Fall habe es sich beim Einschreiten des Gendarmeriebeamten um eine Maßnahme im Dienste der Strafjustiz gehandelt, für die es im Zeitpunkt der Blutabnahme noch keinen richterlichen Befehl gegeben habe. Die Beschwerde könne sich deshalb nicht auf § 88 Abs. 2 SPG berufen, weil die Handlung des Gendarmeriebeamten nicht als "Besorgung der Sicherheitsverwaltung" zu werten gewesen sei. Für die Zulässigkeit der Beschwerde im Sinne des Art. 129a Abs. 1 Z 2 B-VG iVm § 67a Abs. 1 Z 2 AVG sei vielmehr ausschlaggebend, ob der Gendarmeriebeamte unmittelbare behördliche Befehls- und Zwangsgewalt ausgeübt habe. Es sei jedoch festgestellt worden, dass der Gendarmeriebeamte gegenüber der Krankenschwester lediglich den Wunsch nach einer Blutabnahme geäußert, diese jedoch nicht angeordnet und keine Konsequenzen für den Fall angedroht habe, dass diesem Wunsch nicht entsprochen würde. Auch vom behandelnden Arzt sei dieses Ansinnen als "Wunsch" verstanden worden. Damit könne nicht von der Ausübung behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch den Gendarmeriebeamten gesprochen werden. Vielmehr habe die "tatsächliche Durchführung dieses Wunsches in der Eigenverantwortung der behandelnden Ärzte" gelegen, die einem derartigen Ersuchen nicht "kommentarlos" Folge leisten hätten dürfen. Deshalb sei die Beschwerde abzuweisen, es werde allerdings abschließend festgehalten, dass eine Verwertung der gegenständlichen Blutprobe nicht in Frage komme, weil die durch Art. 8 EMRK statuierten Persönlichkeitsrechte dem jedenfalls entgegen stünden.
Dagegen erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der ihre Behandlung mit Beschluss vom 28. September 2004, Zl. B 444/04-6, ablehnte und sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
Der Verwaltungsgerichtshof hat darüber erwogen:
Der belangten Behörde ist zunächst darin zu folgen, dass das Einschreiten des Gendarmeriebeamten im gegenständlichen Fall im Dienst der Strafjustiz erfolgte. Zwar schließt das Tätigwerden für die Strafverfolgungsbehörden grundsätzlich nicht aus, dass einer Amtshandlung auch eine sicherheitspolizeiliche Komponente innewohnt und sie solcherart (auch) der Sicherheitsverwaltung zuzurechnen ist (vgl. hiezu etwa die hg. Erkenntnisse vom 21. März 2006, Zl. 2003/01/0596, und vom 30. September 2006, Zl. 2003/01/0502). Eine derartige Komponente ist fallbezogen allerdings nicht ersichtlich, womit sich die Beschwerde nicht auf § 88 Abs. 2 SPG stützen kann.
Zu Recht hat die belangte Behörde daher auch angenommen, dass der Frage, ob die am bewusstlosen Beschwerdeführer vorgenommene Blutabnahme als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt im Sinne des Art. 129a Abs. 1 Z 2 B-VG bzw. § 67a Abs. 1 Z 2 AVG zu qualifizieren war, entscheidende Bedeutung zukommt.
Diese Frage wurde von der belangten Behörde unter Hinweis darauf, dass der einschreitende Gendarmeriebeamte nur den "Wunsch" nach einer Blutabnahme geäußert hatte, verneint. Dieser Rechtsansicht ist jedoch - wie die Beschwerde zutreffend aufzeigt -
nicht beizupflichten.
Der Verfassungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 6. Dezember 1988, B 1092/87, VfSlg. 11.923, dem insoweit ein vergleichbarer Sachverhalt zugrunde lag, als auch dort über "Ersuchen" von Gendarmeriebeamten in einem Krankenhaus an einem Bewusstlosen eine Blutabnahme zum Zweck der Feststellung des Blutalkoholgehaltes durchgeführt worden war, folgendes ausgeführt (Hervorhebungen nicht im Original):
"Bei der von Exekutivbeamten veranlassten Blutabnahme
zwecks Blutalkoholbestimmung handelt es sich um eine ... in
Ausübung behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gesetzte Maßnahme,
die sich gegen eine bestimmte Person, nämlich den
Beschwerdeführer, richtete. Mag auch die Anwendung unmittelbaren
Zwanges gegen den Beschwerdeführer - anders als bei dem vom VfGH
zu B 502/85 am 26.9.1986 entschiedenen Fall einer behördlichen
Blutabnahme - wegen der Bewusstlosigkeit des Bf. zum Zeitpunkt der
Blutabnahme ohne Überwindung eines dagegen gerichteten
Widerstandes erfolgt sein, so ändert dieser Umstand nichts daran,
dass die von der belangten Behörde verfügte Blutabnahme beim
Beschwerdeführer ohne dessen - auch nur vermutbare - Zustimmung
erfolgte und schon deswegen eine ... anfechtbare behördliche
Maßnahme vorliegt. Ist es doch auch aus Gründen der Effektivität
des Rechtsschutzes ... schlechterdings ausgeschlossen, eine
bewusstlose Person, gegen die sich eine behördliche Maßnahme richtet, schlechter zu stellen als eine im Besitze des Bewusstseins befindliche Person. Der Umstand, dass bei einer bewusstlosen Person eine die Anfechtbarkeit der behördlichen
Maßnahme ... ausschließende Zustimmung zu der von der Behörde
verfügten Maßnahme von vornherein unmöglich ist, kann nicht dazu führen, bei bewusstlosen Personen eine derartige Zustimmung zu fingieren."
Diese Überlegungen lassen sich auch auf den gegenständlichen Fall übertragen. Die belangte Behörde übersieht in ihrer Argumentation, dass es für die Ausübung behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt nicht darauf ankommt, ob den behandelnden Ärzten von Seiten des Gendarmeriebeamten Befehle erteilt oder ihnen gegenüber Zwang ausgeübt worden ist. Ziel der behördlichen Maßnahme war vielmehr der Beschwerdeführer, dem ohne dessen tatsächliche oder vermutbare Zustimmung zwangsweise Blut abgenommen wurde. Dass die Abnahmehandlung nicht vom Gendarmeriebeamten selbst, sondern über dessen Ersuchen von den Ärzten des Krankenhauses erfolgte, vermag daran nichts zu ändern. Nach den Feststellungen der belangten Behörde ist nämlich unbestritten, dass die Blutabnahme nur deshalb durchgeführt wurde, weil die Ärzte vom einschreitenden Gendarmen darum gebeten worden waren, und sie ausschließlich behördlichen Ermittlungen diente. Somit kann nicht zweifelhaft sein, dass die Blutabnahme von einem Gendarmerieorgan veranlasst wurde und damit auch den Sicherheitsbehörden zuzurechnen war.
Da sich die belangte Behörde in ihrem Bescheid aber rechtsirrtümlich nur darauf stützte, dass die strittige Maßnahme kein Akt der Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt gewesen sei, war der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Ein gesonderter Zuspruch von Umsatzsteuer findet darin keine Deckung.
Wien, am 10. April 2008
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2004010502.X00Im RIS seit
04.06.2008Zuletzt aktualisiert am
08.01.2013