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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
B-VG Art130 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des F, vertreten durch Mag. Michael-Thomas Reichenvater, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Herrengasse 13/II, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Steiermark vom 7. November 2006, Zl. 2 F 524-2006, betreffend Erlassung eines befristeten Rückkehrverbotes, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 41,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid vom 11. September 2006 erließ die Bezirkshauptmannschaft Graz-Umgebung gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen von "Serbien und Montenegro", gemäß § 62 Abs. 1 und 2 iVm § 60 Abs. 2 Z. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG ein auf zehn Jahre befristetes Rückkehrverbot. Begründend führte sie aus, der Beschwerdeführer sei, "eigenen Angaben zufolge am 29.12.2003 über unbekannt in einem Lkw versteckt in das Bundesgebiet" eingereist und habe am selben Tag die Gewährung von Asyl beantragt. Über diesen Antrag sei in erster Instanz gemäß § 7 Asylgesetz 1997 "negativ entschieden" und gleichzeitig festgestellt worden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung gemäß § 8 Asylgesetz 1997 zulässig sei. Über eine dagegen eingebrachte Berufung sei noch nicht entschieden worden.
Der Beschwerdeführer sei mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 17. Juni 2005 wegen des Verbrechens der absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB, des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs. 1 und 2 StGB sowie des beim Versuch gebliebenen Verbrechens der schweren Nötigung nach den §§ 15, 105 Abs. 1 und 106 Abs. 1 Z. 1 StGB zu einer zwölfmonatigen Freiheitsstrafe (davon neun Monate bedingt nachgesehen) verurteilt worden. (Der Beschwerdeführer hatte am 26. April 2005 in Graz Daniela E. eine schwere Körperverletzung absichtlich zugefügt, indem er ihr mit einer Schere zahlreiche Stich- und Schnittwunden am linken Brustkorb und am linken Unterarm sowie durch Schläge und Tritte einen Nasenbeintrümmerbruch, einen Jochbeintrümmerbruch, Brüche des Kiefers, der Rippen und an zwei Wirbeln sowie einen Milzriss zufügte, sowie Andreas Z. durch die Ankündigung, ihn umzubringen, gefährlich mit dem Tod bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen. Weiters hatte er den Genannten durch gefährliche Drohungen mit dem Tod zu Unterlassungen zu nötigen versucht, und zwar durch eine Ankündigung am 8. April 2005, er sei im Krieg gewesen, habe vor nichts Angst und werde ihm den Kopf abschlagen, wenn er noch einmal Daniela E. anrufe, und am 28. April 2005 durch die Äußerung, wenn er noch einmal bei der Polizei anrufe, so wie beim letzten Mal, würden seine Kollegen bei seiner Freundin das fertig machen, was er bei Daniela E. begonnen habe; es wäre besser, Daniela E. wäre tot.)
Weiters sei der Beschwerdeführer mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 9. Juni 2006 wegen des "Vergehens der Drohung" gemäß § 107 Abs. 1 und 2 StGB, des Vergehens der Körperverletzung gemäß § 83 Abs. 1 StGB, des Vergehens der Nötigung gemäß § 105 Abs. 1 StGB und des Verbrechens der schweren Nötigung gemäß den §§ 105 Abs. 1 und 106 Abs. 1 Z. 1 StGB "in der Entwicklungsstufe des Versuches gemäß § 15 StGB" zu einer achtmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt worden. (Er hatte in Graz seine ehemalige Lebensgefährtin Gabriela R. im Dezember 2005 und Jänner 2006 wiederholt gefährlich - mit dem Tod bzw. mit einer Verletzung am Körper - bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen. Er hatte sie am 30. Jänner 2006 durch Schläge vorsätzlich am Körper verletzt, sie durch Gewalt, indem er sich auf ihren Oberkörper setzte und mit seinen Knien ihre Oberarme fixierte, zur Unterlassung des Verlassens eines Zimmers und zur Duldung von Schlägen genötigt und sie wiederholt durch telefonische Bedrohung mit dem Tod zur Unterlassung der Auflösung ihrer Lebensgemeinschaft und dazu, Sachen aus ihrer Wohnung zu holen, zu nötigen versucht.)
Nach Einräumung des Parteiengehörs habe der Beschwerdeführer in einer Stellungnahme vom 28. Februar 2006 "u.a. asylrelevante Gründe" angeführt, die eine Rückkehr in sein Heimatland unmöglich machten. Er habe geltend gemacht, in Österreich bleiben zu wollen und eine gute Beziehung zu seiner Freundin zu haben. Er hätte Arbeit und "Privatschulden" in der Höhe von EUR 15.000,--, die er bezahlen müsste.
Die Tatsache der angeführten gerichtlichen Verurteilungen und das diesen zu Grunde liegende Verhalten rechtfertige die Annahme, dass der weitere Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden könnte. Die beiden Verurteilungen innerhalb eines Jahres ließen auf ein ausgeprägtes Aggressions- und Gewaltpotenzial schließen; er stelle auch zukünftig eine unberechenbare Gefahr für seine Umwelt dar. Die fremdenrechtliche Maßnahme sei somit zum Schutz potenzieller Opfer erforderlich und zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, zum Schutz der Rechte anderer sowie zur Verhinderung von weiteren strafbaren Handlungen dringend geboten. Das dokumentierte Verhalten zeige eine krasse Missachtung des "Wertgefühls und des Anstandes" anderer Personen. Die Duldung eines solchen Verhaltens würde den grundlegendsten Interessen des österreichischen Staates widersprechen. Auch die Ermessensentscheidung habe somit nicht zu Gunsten des Beschwerdeführers getroffen werden können. Die Erlassung eines Rückkehrverbotes sei zur Verhinderung weiterer strafbarer Handlungen, also zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen, dringend geboten.
Das aufgezeigte Fehlverhalten sei ausschlaggebend dafür, dass das Rückkehrverbot für eine Dauer von zehn Jahren auszusprechen sei, weil auf Grund des Verhaltens des Beschwerdeführers "derzeit" davon ausgegangen werden könne, dass "innerhalb dieses Zeitraumes" der für die Erlassung des Rückkehrverbotes maßgebliche Grund, nämlich die Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit, weggefallen sein werde.
Diese Beurteilung habe die Fremdenpolizei unabhängig und ohne Bindung an die vom Gericht gestellte Prognose hinsichtlich der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr vorzunehmen. Die zur Strafbemessung und zur bedingten Nachsicht der Strafe angestellten Erwägungen des Strafgerichtes seien im vorliegenden Zusammenhang somit nicht entscheidungswesentlich.
Auch wögen die öffentlichen Interessen an der Erlassung des Rückkehrverbotes unverhältnismäßig schwerer als die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers, zumal seine Eltern und Geschwister in Serbien (Provinz Kosovo) lebten und er im österreichischen Bundesgebiet über keine familiären Bindungen verfüge.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 7. November 2006 gab die belangte Behörde einer dagegen vom Beschwerdeführer erhobenen Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG keine Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Bescheid.
Begründend legte sie dar, sich den Ausführungen der Erstbehörde "voll inhaltlich" anzuschließen. "Definitive Gründe", die angeblich in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers eingriffen, seien auch in der Berufungsschrift nicht aufgezeigt worden. Die vom Beschwerdeführer "aufgezeigten Verfolgungsgründe" seien in seinem Asylverfahren zu klären. Dort genieße er zunächst faktischen Abschiebeschutz. Werde ihm der Status eines Asylberechtigten zuerkannt, gehe das Rückkehrverbot ex lege unter. Werde ihm der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt, habe das Rückkehrverbot während des Bestehens dieses Status keine Wirkung. Komme es im Asylverfahren oder nach Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten zu einer Ausweisung, werde das Rückkehrverbot zu einem Aufenthaltsverbot.
Den Zahlungsverpflichtungen, die der Beschwerdeführer in Österreich habe, könnte er auch im Ausland nachkommen.
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde erwogen:
Gemäß § 62 Abs. 1 FPG kann gegen einen Asylwerber ein Rückkehrverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z. 1) oder anderen im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen (diese Konventionsbestimmung nennt die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung, die Verhinderung von strafbaren Handlungen, den Schutz der Gesundheit und der Moral und den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) zuwiderläuft (Z. 2).
Gemäß § 62 Abs. 2 FPG sind bestimmte Tatsachen im Sinn des Abs. 1 insbesondere jene des § 60 Abs. 2 Z. 1 bis 5, 8 bis 10 und 12 bis 14.
Wie im Fall eines Aufenthaltsverbotes ist auch bei der Erstellung der für jedes Rückkehrverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die im § 62 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Bei der Entscheidung, ein Rückkehrverbot zu erlassen, ist Ermessen zu üben, wobei die Behörde vor dem Hintergrund der gesamten Rechtsordnung auf alle für und gegen das Rückkehrverbot sprechenden Umstände Bedacht zu nehmen hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2007/21/0004, mwN).
Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass im Blick auf die vorliegenden Verurteilungen der Tatbestand des § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG verwirklich wurde. Der Gerichtshof hegt auch keine Bedenken gegen die Richtigkeit der von der belangten Behörde getroffenen Gefährlichkeitsprognose nach § 62 Abs. 1 FPG. An dieser Beurteilung vermag weder das Vorbringen des Beschwerdeführers, er "gelte" als geläutert, noch die in der Verurteilung vom 17. Juni 2005 zum Teil erfolgte bedingte Strafnachsicht etwas zu ändern. Zum einen hatte die Behörde nämlich das Fehlverhalten des Fremden eigenständig aus dem Blickwinkel des Fremdenrechts und unabhängig von gerichtlichen Erwägungen über die Gewährung einer teilbedingten Strafnachsicht zu beurteilen (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 13. März 2007, Zl. 2007/18/0008, mwN). Zum anderen hat sich der Beschwerdeführer noch im Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung in Strafhaft befunden, sodass von einem verlässlichen Wohlverhalten, das auf einen Wegfall der Gründe für das Rückkehrverbot schließen ließe, nicht die Rede sein kann.
In erster Linie weist die Beschwerde darauf hin, dass die belangte Behörde den Beschwerdeführer nicht mündlich einvernommen habe, wobei dieser die Umstände seines Familienlebens und die privaten Gründe, die für einen Verbleib im Bundesgebiet sprächen, näher hätte darlegen können.
Dieser Mängelrüge ist zu entgegnen, dass im fremdenrechtlichen Administrativverfahren ein Recht des Fremden, von der Berufungsbehörde mündlich gehört zu werden, nicht besteht (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 28. Juni 2007, Zl. 2007/21/0206, mwN). Es wäre dem Beschwerdeführer freigestanden, ein entsprechendes umfassendes Vorbringen vor der Erstbehörde oder in seiner Berufung an die belangte Behörde zu erstatten. Auch wird in der Beschwerde nicht konkretisiert, welche weiteren Angaben der Beschwerdeführer im Fall einer ergänzenden Einvernahme hätte tätigen können oder welcher Sachverhalt im Fall ergänzender Erhebungen hervorgekommen wäre, weshalb auch insoweit die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels nicht dargestellt wird.
Gemäß § 66 Abs. 1 iVm § 62 Abs. 3 FPG ist ein Rückkehrverbot, würde dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Gemäß § 66 Abs. 2 iVm § 62 Abs. 3 FPG darf ein Rückkehrverbot nicht erlassen werden, wenn die Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von seiner Erlassung. Bei dieser Abwägung ist auf die Dauer des Aufenthaltes, das Ausmaß der Integration des Fremden oder seiner Familienangehörigen und die Intensität der familiären oder sonstigen Bindungen Bedacht zu nehmen.
Diesbezüglich ist - wie bereits die Erstbehörde hervorgehoben hat - davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer, der sich seit 29. Dezember 2003 im Bundesgebiet aufhält, über keine familiäre Bindung in Österreich verfügte und zuletzt in Strafhaft angehalten wurde. Angesichts dessen, wegen des raschen einschlägigen Rückfalls nach Verhängung einer teilbedingten Freiheitsstrafe und unter Berücksichtigung der Vielzahl der - insbesondere gegen die körperliche Integrität Anderer gerichteter, eine massive Gewaltbereitschaft zum Ausdruck bringenden - Straftaten des Beschwerdeführers erweist sich damit das gegenständliche Rückkehrverbot im Grunde des § 66 FPG als gerechtfertigt. Der - noch nicht besonders lange - inländische Aufenthalt des Beschwerdeführers ist zudem in seinem Gewicht insofern zu relativieren, als er zur Gänze auf seiner Stellung als Asylwerber beruht (vgl. zum Ganzen etwa das hg. Erkenntnis vom 28. Februar 2008, Zl. 2008/21/0061). Der Beschwerdevorwurf, die belangte Behörde hätte keine oder lediglich eine willkürliche Interessenabwägung durchgeführt, ist somit unrichtig.
Angesichts der Dauer des inländischen Aufenthaltes des Beschwerdeführers, das Fehlen familiärer Bindungen im Bundesgebiet und sonstiger integrationsbegründender Umstände von ausreichendem Gewicht einerseits sowie der Schwere seiner wiederholten Straftaten andererseits kann die Zulässigkeit des Rückkehrverbotes nach § 66 FPG nicht in Zweifel gezogen werden. Zudem fehlen jegliche für den Beschwerdeführer sprechende Umstände, die die belangte Behörde hätten veranlassen müssen, von dem ihr eingeräumten Ermessen zu seinen Gunsten Gebrauch zu machen.
Die Abstattung von Schadenersatzzahlungen und sonstigen Verbindlichkeiten kann - etwa nach Aufnahme einer Berufstätigkeit durch den Beschwerdeführer - auch vom Ausland aus erfolgen. Ebenso kommt der behaupteten Bedrohung im Heimatland im vorliegenden Zusammenhang keine Relevanz zu. Das Vorliegen einer asylrelevanten Verfolgung wird vielmehr im Asylverfahren zu prüfen sein (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 27. Februar 2007, Zl. 2005/21/0372).
Nach dem Gesagten erweist sich die Beschwerde als unbegründet, sodass sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
Von der Durchführung der in der Beschwerde beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
Der Kostenzuspruch beruht - im Umfang des ziffernmäßigen Begehrens - auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 29. April 2008
Schlagworte
Ermessen besondere RechtsgebieteErmessen VwRallg8European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2007210057.X00Im RIS seit
29.05.2008Zuletzt aktualisiert am
09.11.2011