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62 Arbeitsmarktverwaltung;Norm
AlVG 1977 §10 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Moritz, Dr. Lehofer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Marzi, über die Beschwerde des F in L, vertreten durch Sattlegger, Dorninger, Steiner & Partner, Rechtsanwälte in 4020 Linz, Harrachstraße 6, gegen den auf Grund eines Beschlusses des Ausschusses für Leistungsangelegenheiten ausgefertigten Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Oberösterreich vom 12. Juni 2007, Zl. LGSOÖ/Abt.4/2007-0566-4-000197/2007-2, betreffend Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit) hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde wurde der Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Oberösterreich, Regionale Geschäftsstelle Traun (in der Folge AMS Traun), vom 13. März 2007, mit welchem ihm die Notstandshilfe für den Zeitraum vom 27. Februar bis zum 23. April 2007 entzogen worden war, nicht stattgegeben. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass dem Beschwerdeführer vom AMS Traun am 7. Februar 2007 eine Beschäftigung als Hilfsarbeiter beim Dienstgeber Ö zugewiesen worden war. Das Beschäftigungsverhältnis sei nicht zu Stande gekommen. Laut Inserat habe das angebotene Einkommen EUR 1.255,-
brutto betragen. Laut Eintrag in den Personenstammdaten seien allerdings EUR 1.200,- netto monatlich geboten worden. Im Ermittlungsverfahren sei festgestellt worden, dass die Lohnangabe im Inserat nicht den kollektivvertraglichen Bestimmungen entsprochen habe, dass allerdings das Angebot von EUR 1.200,-
netto dem Kollektivvertrag mehr als entsprochen hätte. Der Kollektivvertragslohn betrage laut Auskunft der Gewerkschaft für Metall - Bergbau - Energie brutto EUR 8,08 pro Stunde, somit bei einer Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden brutto EUR 1.346,95, was einer Nettoentlohnung von EUR 1.115,26 entspräche. Daraus sei ersichtlich, dass die angebotene Entlohnung jedenfalls überkollektivvertraglich gewesen sei. Am 11. Juni 2007 habe die belangte Behörde in einem Telefonat dem Beschwerdeführer den Sachverhalt nochmals eingehend dargelegt. Es sei dem Beschwerdeführer unter anderem mitgeteilt worden, dass die Entlohnung EUR 1.200,- netto betragen und daher dem Kollektivvertrag entsprochen hätte. Die Entlohnung sei erstmals im Telefonat zwischen der belangten Behörde und dem Beschwerdeführer thematisiert worden; nach Angaben des Beschwerdeführers sei diese während des ca. zwanzigminütigen Vorstellungsgespräches mit Ö am 27. Februar 2007 nicht Thema gewesen.
Aus Sicht der belangten Behörde habe die zugewiesene Stelle bei Ö unter Berücksichtigung der Inserateinträge lediglich formal nicht sämtliche Zumutbarkeitskriterien erfüllt. Im Übrigen sei das Beschäftigungsverhältnis wegen der Aussage des Beschwerdeführers, am Morgen mit der Arbeit zu beginnen und am Abend wieder aufzuhören, nicht zustande gekommen. Zwar habe hinsichtlich dieser Aussage beim Vorstellungsgespräch ein Missverständnis bestanden, doch habe es der Beschwerdeführer unterlassen, dieses auszuräumen.
Wenn man zum Schluss käme, dass die angebotene Stelle den Zumutbarkeitskriterien nicht entsprochen habe, sei zu prüfen, ob der Beschwerdeführer von einer sonst sich bietenden Arbeitsmöglichkeit keinen Gebrauch gemacht habe. Eine sonst sich bietende Arbeitsmöglichkeit unterscheide sich von der bloßen Vermittlung durch das AMS dadurch, dass sich eine Arbeitsmöglichkeit dann "bieten" würde, wenn es entweder nur mehr am Dienstnehmer liege, dass ein Beschäftigungsverhältnis zustande komme, oder wenn zumindest der potentielle Dienstgeber direkt mit der arbeitsuchenden Person in Kontakt trete. Eine Kontaktnahme mit dem potentiellen Dienstgeber am 27. Februar 2007 sei unbestritten. Es könne daher der Schluss gezogen werden, dass von einer sonst sich bietenden Arbeitsmöglichkeit, die auch sämtlichen Zumutbarkeitskriterien entsprochen habe, da ja EUR 1.200,- netto geboten worden seien, ausgegangen werden könne. Diese Beschäftigung habe der Beschwerdeführer aber vereitelt.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtwidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften kostenpflichtig aufzuheben.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 9 Abs. 1 AlVG in der zeitraumbezogen anzuwendenden Fassung BGBl. I Nr. 77/2004 ist arbeitswillig, wer bereit ist, eine durch die regionale Geschäftsstelle vermittelte zumutbare Beschäftigung anzunehmen, sich zum Zwecke beruflicher Ausbildung nach- oder umschulen zu lassen, an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt teilzunehmen, von einer sonst sich bietenden Arbeitsmöglichkeit Gebrauch zu machen und von sich aus alle gebotenen Anstrengungen zur Erlangung einer Beschäftigung zu unternehmen, soweit dies entsprechend den persönlichen Fähigkeiten zumutbar ist.
Gemäß § 9 Abs. 2 AlVG idF BGBl. I Nr. 77/2004 ist eine Beschäftigung zumutbar, wenn sie den körperlichen Fähigkeiten der arbeitslosen Person angemessen ist, ihre Gesundheit und Sittlichkeit nicht gefährdet, angemessen entlohnt ist, in einem nicht von Streik oder Aussperrung betroffenen Betrieb erfolgen soll, in angemessener Zeit erreichbar ist oder eine entsprechende Unterkunft am Arbeitsort zur Verfügung steht sowie gesetzliche Betreuungsverpflichtungen eingehalten werden können. Als angemessene Entlohnung gilt grundsätzlich eine zumindest den jeweils anzuwendenden Normen der kollektiven Rechtsgestaltung entsprechende Entlohnung.
§ 10 Abs. 1 AlVG idF BGBl. I Nr. 77/2004 lautet:
"(1) Wenn die arbeitslose Person
1. sich weigert, eine ihr von der regionalen Geschäftsstelle zugewiesene zumutbare Beschäftigung anzunehmen oder die Annahme einer solchen Beschäftigung vereitelt, oder
2. sich ohne wichtigen Grund weigert, einem Auftrag zur Nach(Um)schulung zu entsprechen oder durch ihr Verschulden den Erfolg der Nach(Um)schulung vereitelt, oder
3. ohne wichtigen Grund die Teilnahme an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt verweigert oder den Erfolg der Maßnahme vereitelt, oder
4. auf Aufforderung durch die regionale Geschäftsstelle nicht bereit oder in der Lage ist, ausreichende Anstrengungen zur Erlangung einer Beschäftigung nachzuweisen,
so verliert sie für die Dauer der Weigerung, mindestens jedoch für die Dauer der auf die Pflichtverletzung gemäß Z 1 bis 4 folgenden sechs Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld. Die Mindestdauer des Anspruchsverlustes erhöht sich mit jeder weiteren Pflichtverletzung gemäß Z 1 bis 4 um weitere zwei Wochen auf acht Wochen. Die Erhöhung der Mindestdauer des Anspruchsverlustes gilt jeweils bis zum Erwerb einer neuen Anwartschaft. Die Zeiten des Anspruchsverlustes verlängern sich um die in ihnen liegenden Zeiträume, während derer Krankengeld bezogen wurde."
Diese Bestimmungen sind gemäß § 38 AlVG sinngemäß auch auf die Notstandshilfe anzuwenden.
Die Bestimmungen der §§ 9 und 10 AlVG sind Ausdruck des dem gesamten Arbeitslosenversicherungsrecht zu Grunde liegenden Gesetzeszweckes, den arbeitslos gewordenen Versicherten, der trotz Arbeitsfähigkeit und Arbeitswilligkeit nach Beendigung seines Beschäftigungsverhältnisses keinerlei Beschäftigung gefunden hat, möglichst wieder durch Vermittlung in eine ihm zumutbare Beschäftigung einzugliedern und ihn so in die Lage zu versetzen, seinen Lebensunterhalt ohne Zuhilfenahme öffentlicher Mittel zu bestreiten. Wer eine Leistung der Versichertengemeinschaft der Arbeitslosenversicherung in Anspruch nimmt, muss sich daher darauf einstellen, eine ihm angebotene zumutbare Beschäftigung anzunehmen, d.h. bezogen auf eben diesen Arbeitsplatz arbeitswillig zu sein (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 19. September 2007, Zl. 2006/08/0157, mwN).
Um sich in Bezug auf eine von der regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice vermittelte zumutbare Beschäftigung arbeitswillig zu zeigen, bedarf es grundsätzlich einerseits eines auf die Erlangung dieses Arbeitsplatzes ausgerichteten, unverzüglich zu entfaltenden aktiven Handelns des Arbeitslosen und andererseits auch der Unterlassung jedes Verhaltens, welches objektiv geeignet ist, das Zustandekommen des konkret angebotenen Beschäftigungsverhältnisses zu verhindern. Das Nichtzustandekommen eines die Arbeitslosigkeit beendenden zumutbaren Beschäftigungsverhältnisses kann vom Arbeitslosen - abgesehen vom Fall der ausdrücklichen Weigerung, eine angebotene Beschäftigung anzunehmen - somit auf zwei Wegen verschuldet, die Annahme der Beschäftigung also auf zwei Wegen vereitelt werden: Nämlich dadurch, dass der Arbeitslose ein auf die Erlangung des Arbeitsplatzes ausgerichtetes Handeln erst gar nicht entfaltet (etwa durch Unterlassen der Vereinbarung eines Vorstellungstermins oder Nichtantritt der Arbeit), oder dadurch, dass er den Erfolg seiner (nach außen zu Tage getretenen) Bemühungen durch ein Verhalten, welches nach allgemeiner Erfahrung geeignet ist, den potentiellen Dienstgeber von der Einstellung des Arbeitslosen abzubringen, zunichte macht. Bei der Beurteilung, ob ein bestimmtes Verhalten eines Vermittelten als Vereitelung im Sinne des § 10 Abs. 1 AlVG zu qualifizieren ist, kommt es zunächst darauf an, ob dieses Verhalten für das Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses ursächlich war. Ist die Kausalität zwischen dem Verhalten des Vermittelten und dem Nichtzustandekommen des Beschäftigungsverhältnisses zu bejahen, dann muss geprüft werden, ob der Vermittelte vorsätzlich gehandelt hat, wobei bedingter Vorsatz (dolus eventualis) genügt. Ein bloß fahrlässiges Handeln, also die Außerachtlassung der gehörigen Sorgfalt, reicht zur Verwirklichung des Tatbestandes nicht hin (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. Oktober 2006, Zl. 2005/08/0049).
Eine sonst sich bietende Arbeitsmöglichkeit unterscheidet sich nach dem aus dem Gesetzeswortlaut abzuleitenden Konzept des Gesetzgebers von der bloßen Vermittlung durch die regionale Geschäftsstelle dadurch, dass sich eine Arbeitsmöglichkeit in der Regel erst dann "bieten" wird, wenn es entweder nur mehr am Dienstnehmer liegt, dass ein Beschäftigungsverhältnis zustande kommt, oder wenn zumindest der potentielle Dienstgeber direkt mit der arbeitssuchenden Person in Kontakt tritt und ihr (zumindest) ein Vorstellungsgespräch offeriert. In § 10 AlVG ist die sich "sonst bietende Arbeitsmöglichkeit" nicht explizit angeführt. Sie wird nur in § 9 Abs. 1 AlVG genannt. Aus dem systematischen Zusammenhang dieser beiden Bestimmungen ergibt sich jedoch ebenso wie aus dem Zweck dieser Regelungen, Leistungsbezieher zu verhalten, ehestmöglich durch die Aufnahme einer Beschäftigung aus dem Leistungsbezug wieder auszuscheiden, dass die in § 10 AlVG vorgesehenen Sanktionen auch bei der Ausschlagung einer "sonst sich bietenden Arbeitsmöglichkeit" in Frage kommen. (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. September 2007, Zl. 2006/08/0252, mwN).
Nach den Feststellungen der belangten Behörde erfüllte die zugewiesene Stelle unter Zugrundelegung des tatsächlich vorgesehenen Nettogehalts von EUR 1.200,- objektiv die Zumutbarkeitskriterien des § 9 Abs. 2 AlVG, weil diese Entlohnung zumindest dem Kollektivvertrag entsprach. Dem Beschwerdeführer war aber im Zeitpunkt des Vorstellungsgespräches aufgrund der eindeutigen Angaben im Inserat nur bekannt, dass für die zugewiesene Stelle EUR 1.255,- brutto geboten waren. Die belangte Behörde konnte auch nicht feststellen, dass dem Beschwerdeführer gegenüber dies als Irrtum rechtzeitig aufgeklärt worden wäre; sie hat vielmehr nur festgestellt, dass dies dem Beschwerdeführer am 11. Juni 2007 mitgeteilt worden sei, also lange Zeit nach der behaupteten Vereitelungshandlung.
Der (bedingte) Vorsatz, eine zugewiesene Beschäftigung zu vereiteln, muss sich auf alle Tatbestandselemente beziehen, also auch darauf, dass die zugewiesene Beschäftigung zumutbar im Sinne des § 9 Abs. 2 AlVG ist. Da der Beschwerdeführer im Zeitpunkt des Vorstellungsgespräches, bei dem er das ihm von der belangten Behörde angelastete Verhalten gesetzt hat, aber nur das eindeutige Angebot über EUR 1.255,- brutto, welches niedriger als im anwendbaren Kollektivvertrag gelegen und somit nicht zumutbar gewesen wäre, aus dem Inserat kannte, konnte sich sein Vorsatz nicht darauf beziehen, durch sein Verhalten eine zumutbare Beschäftigung zu vereiteln. Es wäre ihm in dieser Konstellation nicht einmal vorwerfbar gewesen, überhaupt nicht zum Vorstellungsgespräch zu erscheinen, da ihm - ausgehend von seinem Kenntnisstand zum fraglichen Zeitpunkt - ja gar keine zumutbare Stelle zugewiesen worden war. Dem Beschwerdeführer kann wegen der Eindeutigkeit der Angabe über die Entlohnung im Stelleninserat im Übrigen auch nicht vorgeworfen werden, dass er es unterlassen hat, Klarstellungen über den Lohn, etwa durch Nachfragen, herbeizuführen.
Selbst wenn man davon ausginge, dass der Beschwerdeführer "eine sonst sich bietende Arbeitsmöglichkeit" nicht angenommen habe, ist für die belangte Behörde daraus nichts zu gewinnen, stünde doch eine solche Arbeitsmöglichkeit ebenfalls unter der Anforderung der Zumutbarkeit (vgl. das hg. Erkenntnis vom 7. September 2005, Zl. 2002/08/0265, mwN).
Da die belangte Behörde dies verkannte, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Wien, am 7. Mai 2008
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2007080163.X00Im RIS seit
04.07.2008Zuletzt aktualisiert am
23.07.2013