TE Vwgh Erkenntnis 2008/5/7 2007/08/0154

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Veröffentlicht am 07.05.2008
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Index

21/01 Handelsrecht;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §71 Abs1 Z1;
UGB §2;
UGB §212;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Müller und die Hofräte Dr. Strohmayer, Dr. Moritz, Dr. Lehofer und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Marzi, über die Beschwerde der E Gesellschaft mbH in Wien, vertreten durch Brauneis Klauser Prändl Rechtsanwälte GmbH, 1010 Wien, Bauernmarkt 2, gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich vom 21. Mai 2007, Zl. SV(SanR)-414731/5-2007-Sax/Gu, betreffend Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 AVG in einer Beitragsangelegenheit nach dem ASVG (mitbeteiligte Partei:

Oberösterreichische Gebietskrankenkasse, 4020 Linz, Gruberstraße 77), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1. Aus der Beschwerde und dem ihr angeschlossenen angefochtenen Bescheid ergibt sich folgender Sachverhalt:

Die beschwerdeführende Partei beantragte am 6. Juni 2006 die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung des Einspruchs gegen den Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse vom "27. Februar 2006", mit welchem der beschwerdeführenden Partei Sonderbeiträge in der Höhe von EUR 10.637,96, Beiträge zur Mitarbeitervorsorgekasse in der Höhe von EUR 176,33 und ein Beitragszuschlag in Höhe von EUR 1.563,23 vorgeschrieben wurden. Auf Grund eines Tippfehlers der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse war als Datum dieses Bescheids der "27.2.2006" (statt richtig der "17.2.2006") angegeben. Dieser Bescheid ist der beschwerdeführenden Partei am 21. Februar 2006 zugestellt worden. Die einmonatige Rechtsmittelfrist des § 412 Abs. 1 ASVG hat demnach am 21. März 2006 geendet.

Am 24. März 2006 - sohin nach Ablauf der Rechtsmittelfrist - hat die steuerliche Vertreterin der beschwerdeführenden Partei, die E. D. Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsgesellschaft, einen Einspruch gegen den genannten Bescheid der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse zur Post gegeben. Dieser Einspruch war verspätet (vgl. den hg. Beschluss vom 31. Jänner 2007, Zl. 2007/08/0001, mit dem die Beschwerde gegen den Bescheid, mit dem der Einspruch zurückgewiesen worden war, ebenfalls zurückgewiesen worden ist).

Die beschwerdeführende Partei begründete ihren Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand damit, die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse habe gegen § 58 Abs. 3 iVm § 18 Abs. 4 AVG verstoßen, weil der Bescheid eine falsche Datumsangabe enthalten habe. Die Sachbearbeiterin der beschwerdeführenden Partei habe sich beim Fristvermerk für die Einbringung des Rechtsmittels am Datum der Ausstellung orientiert. Dabei habe es sich um eine Art "Sicherheitsdenken" der Sachbearbeiterin gehandelt, weil das Datum der Zustellung (zu ergänzen wohl: normalerweise) zeitlich dem Datum der Ausstellung des Bescheides nachgelagert sei. Auf Grund des fehlerhaften Verhaltens der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse habe sich dieses "Sicherheitsdenken" jedoch ins Gegenteil verkehrt. Die Einhaltung der Rechtsmittelfrist sei auf Grund eines unabwendbaren bzw. unvorhergesehenen Ereignisses nicht möglich gewesen. Die Heranziehung des Ausstellungsdatums des Bescheides für die Berechnung der einmonatigen Rechtsmittelfrist habe auf Grund eines entschuldbaren Irrtums dazu geführt, dass die Rechtsmittelfrist nicht habe eingehalten werden können.

2. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Landeshauptmannes von Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 21. Mai 2007 wurde der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vom 6. Juni 2006 gemäß § 71 AVG iVm § 357 Abs. 1 ASVG abgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde aus, es sei rechtlich nicht relevant, dass der verspätet angefochtene Bescheid auf Grund eines offenkundigen Tippfehlers mit 27. Februar 2006 datiert sei. Gemäß § 412 Abs. 1 ASVG sei für den Beginn des Fristenlaufes ausschließlich auf das Zustelldatum abzustellen. Die beschwerdeführende Partei habe ausgeführt, dass ihre steuerliche Vertreterin über den Lauf der Rechtsmittelfrist jene Auskunft erhalten habe, welche auf dem "Sicherheitsdenken" der Mitarbeiterin der beschwerdeführenden Partei beruht habe. Worin diese Information genau bestanden habe, sei von der beschwerdeführenden Partei nicht dargestellt worden. Ihrem Vorbringen habe nicht entnommen werden können, dass ihrer steuerlichen Vertreterin etwa der Briefumschlag (in welchem der angefochtene Bescheid zugestellt worden sei und auf dem der Poststempel des Zustelltages zu ersehen gewesen wäre) oder zumindest eine mit einem Eingangsstempel der beschwerdeführenden Partei versehene Bescheidausfertigung vorgelegt worden wäre. Die Sachbearbeiterin der beschwerdeführenden Partei habe sich offenbar nicht um eine umfassende Information der steuerlichen Vertretung der beschwerdeführenden Partei über die für die Fristberechnung maßgeblichen Umstände bemüht. Im Hinblick auf die prozessuale Bedeutung der gesetzlich festgelegten und überdies in der Rechtsmittelbelehrung aufgezeigten Frist zur Einbringung eines Einspruches liege ein nicht nur minderer Grad des Versehens vor. Die beschwerdeführende Partei müsse sich das Verschulden ihres beruflichen Parteienvertreters zurechnen lassen. Die Fristversäumung sei dadurch verursacht worden, dass die Sachbearbeiterin der beschwerdeführenden Partei die Einspruchsfrist "aus einer Art Sicherheitsdenken heraus" vom Ausstellungsdatum des Bescheides abgeleitet habe. Die steuerliche Vertretung der beschwerdeführenden Partei, welche den Einspruch verfasst habe, hätte sich nicht auf die Angaben einer Mitarbeiterin der beschwerdeführenden Partei über das Zustelldatum verlassen dürfen. Die zweifelsfreie Feststellung des Zustelldatums durch die steuerliche Vertretung wäre nicht nur zumutbar, sondern geboten gewesen.

Hinsichtlich der Beurteilung, ob ein minderer Grad des Versehens vorliege, sei an berufliche, rechtskundige Parteienvertreter ein strengerer Maßstab anzulegen als an rechtsunkundige und bisher nie an Verfahren beteiligte Personen. Die für die im Verkehr mit Behörden und (insbesondere die) für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und nach den "persönlichen Fähigkeiten" zumutbare Sorgfalt lasse ein Parteienvertreter außer Acht, wenn er eine Rechtsmittelfrist bemesse, ohne diese zu überprüfen. Die Vertreterin der beschwerdeführenden Partei hätte somit selbst eine Prüfung der Angaben über die Zustellung des Bescheides vornehmen müssen, um einen Irrtum über die Rechtsmittelfrist auszuschließen. Es liege nicht bloß ein minderer Grad des Versehens, sondern ein klares Verschulden des Parteienvertreters vor, welches der Partei zuzurechnen sei.

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhalts geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Gemäß § 71 Abs. 1 AVG ist gegen die Versäumung einer Frist oder einer mündlichen Verhandlung auf Antrag der Partei, die durch die Versäumung einen Rechtsnachteil erleidet, die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn (Z. 1) die Partei glaubhaft macht, dass sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis verhindert war, die Frist einzuhalten oder zur Verhandlung zu erscheinen und sie kein Verschulden oder nur ein minderer Grad des Versehens trifft, oder (Z. 2) die Partei die Berufungsfrist versäumt hat, weil der Bescheid fälschlich die Angabe enthält, dass keine Berufung zulässig sei.

4.1. Die beschwerdeführende Partei macht auch in der Beschwerde geltend, die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse habe den Bescheid unrichtig mit 27. Februar 2006 datiert. Der Verstoß gegen § 58 Abs. 3 iVm § 18 Abs. 4 AVG habe weitreichende Wirkungen gehabt. Zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung bzw. Bescheidzustellung sei die beschwerdeführende Partei noch nicht durch ihren steuerlichen Vertreter vertreten gewesen. Der Bescheid sei daher nicht dem steuerlichen Vertreter, sondern der beschwerdeführenden Partei selbst zugegangen. Noch bevor mit dem steuerlichen Vertreter Kontakt aufgenommen worden sei, habe die Sachbearbeiterin der beschwerdeführenden Partei den (unrichtigen) Fristvermerk vorgenommen. Da für sie der genaue Tag der Zustellung nicht nachvollziehbar gewesen sei, habe sie sich alternativ am Tag der Ausstellung des Bescheides orientiert. Auf Grund des fehlerhaften Verhaltens der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse habe sich das "Sicherheitsdenken" der Sachbearbeiterin ins Gegenteil verkehrt. Bei ihrem Irrtum über den Beginn des Laufs der Rechtsmittelfrist habe es sich um ein unabwendbares bzw. unvorhergesehenes Ereignis gehandelt. Weder die beschwerdeführende Partei noch den von ihr nach der erfolgten Zustellung des genannten Bescheides der mitbeteiligten Gebietskrankenkasse beauftragten steuerlichen Vertreter treffe ein Verschulden, welches über den Grad des minderen Versehens hinausgehe. Die Sachbearbeiterin der beschwerdeführenden Partei habe eine aus ihrer Sicht bei herkömmlichem Ablauf der Dinge vertretbare Vorgangsweise gewählt, indem sie sich an der Datierung des Bescheides orientiert habe. Dabei habe sie die - für einen Durchschnittsbürger nachvollziehbare - Ansicht vertreten, dass ein im Postweg zugestellter Bescheid, der mit 27. Februar 2006 datiert sei, frühestens am 28. Februar 2006 im Unternehmen eingelangt sein könne. Daher habe die Sachbearbeiterin das Ende der Rechtsmittelfrist mit 28. März 2006 vermerkt. Dieses Datum "hat sie sodann unserem steuerlichen Vertreter kommuniziert". Der Sachbearbeiterin könne auch insoweit kein Vorwurf gemacht werden, als die mitbeteiligte Gebietskrankenkasse durch die fehlerhafte Ausstellung des Bescheides "das Ihrige zur Versäumnis der fristgerechten Einbringung des Rechtsmittels beigetragen hat".

Auch den steuerlichen Vertreter der beschwerdeführenden Partei treffe kein Verschulden, weil ihm (von der Sachbearbeiterin der beschwerdeführenden Partei) schriftlich mitgeteilt worden sei, dass das Ende der Rechtsmittelfrist der 28. März 2006 wäre. Der steuerliche Vertreter habe die beschwerdeführende Partei zum Zeitpunkt der Zustellung noch nicht vertreten, sodass es ihm "nur eingeschränkt möglich" gewesen sei, das konkrete Datum der Zustellung in diesem Zusammenhang zu überprüfen. Dieser Vertreter habe sich auf die schriftlich gemachte Mitteilung, dass das Ende der Rechtsmittelfrist der 28. März 2006 sei, verlassen dürfen, wobei er in Anbetracht der Datierung des Bescheides mit 27. Februar 2006 keinen Grund gehabt habe, an der Richtigkeit dieser Mitteilung zu zweifeln; "damit hat unser steuerlicher Vertreter in Anbetracht der Umstände des konkreten Falls durch die Einhaltung der ihm schriftlich kommunizierten Rechtsmittelfrist eine Sorgfalt an den Tag gelegt, die als alles andere als auffallend sorglos aufgefasst werden muss."

4.2. Die beschwerdeführende Partei legt zwar dar, aus welchen Gründen ihre Sachbearbeiterin sich bei ihrem (am Tag der Ausstellung des Bescheides orientierten) "Fristvermerk" auf der "sicheren Seite" wähnte, erklärt aber mit keinem Wort, aus welchen Gründen der Fristvormerk hinsichtlich eines schon am 21. Februar 2006 zugestellten Bescheides erst nach dem 27. Februar 2006, jedenfalls aber zu einem Zeitpunkt vorgenommen worden ist, zu dem für die Sachbearbeiterin das Zustelldatum nicht mehr bekannt oder nicht mehr leicht feststellbar gewesen ist. Die Büroorganisation der beschwerdeführenden Partei als eine Unternehmerin iSd § 2 UGB entspricht aber nur dann dem hier anzuwendenden Sorgfaltsmaßstab (vgl. z.B. § 212 UGB und das hg. Erkenntnis vom 24. November 1989, Zl. 89/17/0116), wenn sichergestellt ist, dass schon unmittelbar bei der Zustellung fristauslösender Schriftstücke von Gerichten und Verwaltungsbehörden die - im Falle der Erhebung eines Rechtsmittels allenfalls - zu beachtenden (Rechtsmittel-)Fristen, wie sie sich auch in der Rechtsmittelbelehrung finden, auf geeignete (dh eine Fristversäumnis nach menschlichem Ermessen vermeidende) Weise vorgemerkt und evident gehalten werden. Der Wiedereinsetzungsantrag ließ jedes Vorbringen zu dem bei der beschwerdeführenden Partei eingerichteten System des rechtzeitigen Fristenvormerks vermissen, sodass der WE-Antrag im Ergebnis schon aus diesen Gründen zu Recht abgewiesen worden ist.

Es kann bei diesem Ergebnis auf sich beruhen, ob ein berufsmäßiger Parteienvertreter grob fahrlässig handelt, wenn er bei einem von der Partei übergebenen Bescheid "sicherheitshalber" das Ausstellungsdatum als (vermeintlich frühestmögliches) Datum der Zustellung behandelt und dabei die Möglichkeit eines Verschreibens des Bescheiddatums im Sinne einer Nachdatierung nicht in Betracht zieht.

5. Da somit bereits der Inhalt der Beschwerde erkennen ließ, dass die von der beschwerdeführenden Partei behauptete Rechtsverletzung nicht vorliegt, war die Beschwerde ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung gemäß § 35 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

6. Die mündliche Verhandlung konnte gemäß § 39 VwGG unterbleiben.

Wien, am 7. Mai 2008

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2007080154.X00

Im RIS seit

11.06.2008

Zuletzt aktualisiert am

05.11.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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