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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §66 Abs4;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Händschke und Dr. Rosenmayr als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gubesch, über die Beschwerde des Dipl.-Ing. Dr. N S in M, vertreten durch Dr. Josef Michael Danler, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Wilhelm-Greil-Straße 9, gegen den Bescheid der Disziplinaroberkommission beim Bundeskanzleramt vom 28. März 2006, Zl. 10/8-DOK/06, betreffend Zurückweisung eines Antrages auf Aufhebung der Suspendierung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird im Umfange seiner Anfechtung, das ist in seinem Spruchpunkt 2. wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer steht als Lehrer in einem öffentlichrechtlichen Dienstverhältnis zum Bund. Seine Dienststelle ist die Höhere Technische Bundes-Lehr- und Versuchsanstalt I. An der dort eingerichteten Versuchsanstalt war er überdies bis zu seiner Suspendierung als Prüfer tätig. Seit 12. Juni 2001 war er Leiter der Versuchsanstalt.
Mit Bescheid vom 1. März 2005 des Landesschulrates für Tirol wurde über den Beschwerdeführer die vorläufige Suspendierung vom Dienst ausgesprochen, weil er im Verdacht stehe, im Zeitraum zwischen Juli 2004 und Jänner 2005 an Auftraggeber der Bundes-Lehr- und Versuchsanstalt in Rechnung gestellte Beträge teils als Versuchsanstalts-Leiter in Vertretung des Direktors in bar einkassiert, jedoch der Versuchsanstalt nicht zur Gänze weitergeleitet, teils auf Grund separat ausgestellter Rechnungen für sich höhere Geldbeträge kassiert zu haben.
Mit Bescheid der Disziplinarkommission für Schulleiter und sonstige Lehrer sowie Erzieher beim Landesschulrat für Tirol vom 14. April 2005 wurde beschlossen, gegen den Beschwerdeführer wegen des Verdachtes, er habe
1. im Dezember 2004, Jänner und Februar 2005, möglicherweise schon seit dem Jahre 2003 auf Grund separat ausgestellter Rechnungen nach erstellten Prüfberichten der Versuchsanstalt in mindestens 36 Fällen bei den Auftraggebern als Leiter der Versuchsanstalt in Vertretung des Direktors wesentlich höhere Beträge bar einkassiert als jene Beträge, die er in den an die Rechnungsführerin der Versuchsanstalt übermittelten Rechnungen angeführt und die er auch bar zur Verrechnung übergeben habe,
2. im Februar 2005 und Oktober 2004 in mindestens zehn Fällen zwar von den Auftraggebern erstellten Prüfberichten Beträge bar einkassiert, diese jedoch nicht an die Versuchsanstalt weitergegeben, und
3. im April 2003 in der bautechnischen Versuchsanstalt an der HTL R zweimal den Betrag von EUR 863,80 mit dem Vermerk "Probenvorbereitung" als Barauslagen für sich in Rechnung gestellt, dies zu Unrecht, da der Betrag aus der zweckgebundenen Gebarung der Versuchsanstalt beglichen worden sei,
dadurch in allen drei Fällen seine dienstlichen Aufgaben nicht unter Beachtung der geltenden Rechtsordnung besorgt und gegen die Bestimmung des § 43 Abs. 1 und 2 BDG 1979 verstoßen,
1. gemäß § 123 Abs. 1 BDG 1979 das Disziplinarverfahren einzuleiten,
2. gemäß § 124 Abs. 1 BDG 1979 eine mündliche Verhandlung anzuberaumen,
3. gemäß § 114 Abs. 2 BDG 1979 das Disziplinarverfahren zu unterbrechen, und
4. gemäß § 112 Abs. 3 BDG 1979 den Beschwerdeführer vom Dienst zu suspendieren.
Gegen die Suspendierung erhob der Beschwerdeführer Berufung.
Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 14. Juni 2005 wurde diese Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 105 BDG 1979 abgewiesen.
Dagegen erhob der Beschwerdeführer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, welche mit dem hg. Erkenntnis vom 19. April 2007, Zl. 2005/09/0124, als unbegründet abgewiesen wurde.
Bereits mit Schriftsatz vom 25. November 2005 hatte der Beschwerdeführer die Aufhebung der vorläufigen Suspendierung beantragt und diesen Antrag unter anderem damit begründet, der Bescheid der Disziplinarkommission vom 14. April 2005, mit welchem über ihn (auch) die Suspendierung verfügt worden sei, sei mittels Beschwerde an den Verfassungs- und den Verwaltungsgerichtshof bekämpft worden und daher nicht rechtskräftig. Das gegen ihn eingeleitete gerichtliche Strafverfahren sei gemäß § 90 StPO eingestellt worden.
Mit Bescheid der Disziplinarkommission vom 19. Jänner 2006 wurde dieser Antrag im Wesentlichen mit der Begründung zurückgewiesen, mit Bestätigung der durch die Disziplinarkommission verhängten (endgültigen) Suspendierung sei diese in Rechtskraft erwachsen. Die vom Beschwerdeführer dagegen erhobene Beschwerde an einen der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts könne daran nichts ändern.
Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Berufung, in welcher er u.a. ausführte, es sei aus dem Antrag unschwer zu erkennen gewesen, dass sich die beantragte Aufhebung auf die - egal ob vorläufige oder endgültige - Suspendierung bezogen habe, was die Disziplinarkommission erkennen und den Antrag entsprechend hätte umdeuten müssen. Die Zurückweisung aus rein formalistischen Gründen sei unzulässig.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 28. März 2006 behob die belangte Behörde den bekämpften erstinstanzlichen Bescheid in Stattgebung der Berufung ersatzlos (Spruchpunkt 1) und wies den Antrag des Beschwerdeführers auf Aufhebung der Suspendierung ab (Spruchpunkt 2).
In der Begründung zu Spruchpunkt 1 dieses Bescheides vertrat die belangte Behörde die Ansicht, zu Unrecht sei der Antrag auf Aufhebung der vorläufigen Suspendierung, die im Zeitpunkt der Antragstellung aber schon nicht mehr existent gewesen sei, infolge der Eindeutigkeit des Irrtums des Antragstellers nicht zur Verbesserung zurückgestellt bzw. in jenes Begehren, das nach dem Stand des Verfahrens das einzig sinnvolle gewesen sei, umgedeutet und über dieses meritorisch entschieden worden. Die Zurückweisung sei daher rechtswidrig gewesen.
In der Begründung zur meritorischen Erledigung des Antrages auf Aufhebung der Suspendierung laut Spruchpunkt 2 des angefochtenen Bescheides verwies die belangte Behörde darauf, dass nach Auskunft der Staatsanwaltschaft Innsbruck vom 27. März 2006 ein Antrag auf Wiederaufnahme des gemäß § 90 StPO eingestellten Strafverfahrens gegen den Beschwerdeführer beim Landesgericht Innsbruck anhängig sei, weil die seinerzeitige Einstellung auf Grund tätiger Reue durch Zahlung eines Betrages von EUR 65.000,-- auf der irrigen Annahme beruht habe, der Schadensbetrag belaufe sich lediglich auf EUR 62.000,--; tatsächlich hätte sich mittlerweile eine Schadenshöhe von EUR 100.000,-- ergeben. Nach Wiedergabe der angewendeten gesetzlichen Bestimmung und der dazu ergangenen Rechtsprechung stellte die belangte Behörde fest, der Beschwerdeführer stehe im begründeten Verdacht, die oben bereits dargestellten Dienstpflichtverletzungen begangen zu haben. Dieser Verdacht sei als gravierend anzusehen und durchaus geeignet, das Vertrauen der Allgemeinheit, aber auch des Dienstgebers in die Dienstausübung des Beschwerdeführers nachhaltig zu erschüttern. Ein wesentliches dienstliches Interesse des Dienstgebers sei dadurch jedenfalls berührt, weil sich die Dienstbehörde auf ihre Beamten verlassen können müsse, was bei Begehung von Vermögensdelikten nicht mehr der Fall sei. Besonders hervorzuheben sei, dass der Beschwerdeführer Lehrer an einer Höheren Technischen Lehranstalt sei, der in dieser Eigenschaft einem erhöhten charakterlichen Profil zu entsprechen habe. Ein Lehrer, der im Verdacht stehe, seinen Dienstgeber im Vermögen geschädigt zu haben, sei nicht in der Lage, seine Vorbildwirkung für die von ihm zu unterrichtenden Schüler zu erfüllen. Auch im Hinblick auf das Vertrauensverhältnis zu diesen und deren Eltern sei ein derartiges Verhalten dem Ansehen des Dienstes abträglich. Daran ändere auch im Hinblick auf die enge Verflechtung der Versuchsanstalt und der HTL nichts, dass die Malversationen des Beschwerdeführers im Rahmen seiner Tätigkeit als Leiter der Versuchsanstalt begangen wurden, weil alle Mitglieder der Versuchsanstalt dem Lehrkörper der HTL obligatorisch anzugehören hätten.
Gegen den Spruchpunkt 2 dieses Bescheides richtet sich die vorliegende Beschwerde, mit welcher die Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend gemacht wird.
Der Beschwerdeführer erachtet sich insbesondere auch in seinem Recht auf Erhalt des ungekürzten Instanzenzuges verletzt.
Die belangte Behörde erstattete eine Gegenschrift, in welcher sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte, und legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
In Ausführung der Beschwerde gegen den Spruchpunkt 2 des angefochtenen Bescheides macht der Beschwerdeführer geltend, abgesehen von einer Verletzung des Parteiengehörs dadurch, dass die belangte Behörde ihm die Mitteilung der Staatsanwaltschaft über ihren Wiederaufnahmeantrag nicht zur Kenntnis gebracht und ihm keine Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu gegeben habe, habe sie auch zu Unrecht meritorisch entschieden. Gegenstand des Berufungsverfahrens wäre nur die zurückweisende (Formal-)Entscheidung der Disziplinarkommission gewesen.
Damit ist der Beschwerdeführer im Recht.
Die Berufungsbehörde hat gemäß § 66 Abs. 4 AVG zwar in der Regel in der Sache selbst zu entscheiden. "Sache" des Berufungsverfahrens ist aber die Angelegenheit, die den Inhalt des Spruches des mit Berufung bekämpften Bescheides der Unterinstanz gebildet hat (vgl. etwa die in Walter/Thienel, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze2, Bd. I, unter E 111 f zu § 66 AVG abgedruckte hg. Judikatur).
Im Beschwerdefall war "Sache" des Berufungsverfahrens im Sinne des § 66 Abs. 4 AVG die Zurückweisung des Antrages des Beschwerdeführers. Gegenstand der Berufungsentscheidung war daher lediglich die Frage der Rechtmäßigkeit der Zurückweisung. Diese Frage hat die belangte Behörde durch - in diesem Punkte unrichtig:
ersatzlose - Behebung der bekämpften Zurückweisung in Spruchpunkt 1 des angefochtenen Bescheides beantwortet. Dieser Teil des angefochtenen Bescheides ist unbekämpft, sodass dahinstehen kann, ob entgegen dem eindeutigen Wortlaut des Antrages und seiner Begründung eine Umdeutung zulässig war oder nicht.
Die belangte Behörde hat aber auch unter Spruchpunkt 2 des angefochtenen Bescheides in merito über den - in der Berufung gestellten - Antrag des Beschwerdeführers auf Aufhebung der Suspendierung entschieden. Offenbar war der belangten Behörde bewusst, dass sie dann, wenn die Verwaltungsbehörde erster Instanz den Antrag aus Formalgründen zurückgewiesen hat, sie als Berufungsbehörde keine Sachentscheidung treffen darf, sie meinte nur, zur Entscheidung über jenen Antrag berufen zu sein, der im Berufungsverfahren an sie gerichtet worden war. Damit hat sie aber verkannt, dass sie als Berufungsbehörde auch über einen erstmals im Berufungsverfahren gestellten Antrag mangels funktioneller Zuständigkeit ebenso wenig entscheiden darf wie über den bereits in erster Instanz gestellten Antrag, der durch die Unterinstanz zurückgewiesen wurde. Da die belangte Behörde zur meritorischen Erledigung daher in keinem Fall funktionell zuständig war, war der angefochtene Bescheid im Umfange seiner Anfechtung, das ist in seinem Spruchpunkt 2, wegen Unzuständigkeit der belangten Behörde gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 15. Mai 2008
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2006090090.X00Im RIS seit
10.07.2008Zuletzt aktualisiert am
05.11.2008