TE Vwgh Erkenntnis 2008/5/28 2008/04/0008

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Veröffentlicht am 28.05.2008
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
95/08 Sonstige Angelegenheiten der Technik;

Norm

IngG 2006 §2 Abs4;
IngG 2006 §2 Z1;
IngG 2006 §2 Z4;
IngG 2006 §3 Abs3 Z1;
IngG 2006 §3 Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Rigler und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Marzi, über die Beschwerde der V P in G, vertreten durch Dr. Josef Leitner, Rechtsanwalt in 3340 Waidhofen/Ybbs, Oberer Stadtplatz 33, gegen den Bescheid des Bundesministers für Wirtschaft und Arbeit vom 29. November 2007, Zl. 91.508/053075- I/3/07, betreffend Verleihung der Berechtigung zur Führung der Standesbezeichnung "Ingenieur", zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem angefochtenen Bescheid wies der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit den auf Verleihung der Berechtigung zur Führung der Standesbezeichnung "Ingenieur" gerichteten Antrag der Beschwerdeführerin vom 23. November 2007 (gemeint offensichtlich: mangels Erfüllung der Voraussetzungen) gemäß § 2 Z 4 Ingenieurgesetz 2006, BGBl. I Nr. 120, ab.

Begründend führte die belangte Behörde aus, gleichwertige fachliche und allgemeine Kenntnisse lägen nur dann vor, wenn diese qualitativ und quantitativ jenen entsprächen, wie sie an den höheren technischen Lehranstalten bis zur Reifeprüfung vermittelt würden. Kenntnisse in den allgemeinen Gegenständen wie Mathematik und lebenden Fremdsprachen müssten daher ebenso nachgewiesen werden wie solche in den wesentlichen fachlich-theoretischen Unterrichtsgegenständen einer höheren technischen Lehranstalt. Maßgeblich seien die für die jeweilige Fachrichtung geltenden Lehrpläne. Die Lehranstalten, deren "Absolvierung im Regelfall zum Ingenieurtitel (führe)" und die daher zum Vergleich der Kenntnisse heranzuziehen seien, seien in der Ingenieurgesetz-Durchführungsverordnung 2006, BGBl. II Nr. 39/2007, angeführt. Die Beschwerdeführerin habe - laut den beigelegten Unterlagen - am 1. Juni 1976 die Reifeprüfung an einem Gymnasium und wirtschaftskundlichem Realgymnasium für Mädchen mit den allgemeinen Gegenständen Deutsch, Englisch, Französisch und Mathematik abgelegt; dem mit 29. Juni 1978 datierten Jahres- und Abschlusszeugnis einer näher genannten höheren technischen Bundes-Lehr- und Versuchsanstalt zufolge habe sie den Abiturientenlehrgang für Vermessungstechnik für Berufstätige abgeschlossen. Damit seien jene fachlichen Gegenstände nicht umfasst, wie sie in der Regel an einer einschlägigen höheren technischen Lehranstalt bis zur Reifeprüfung vermittelt würden. Daher seien durch die vorgelegten Zeugnisse gleichwertige fachliche Kenntnisse, wie sie an den höheren technischen Lehranstalten vermittelt würden, nicht erbracht. Es könne kein Zweifel daran bestehen, dass im Hinblick auf den systematischen Aufbau der Berufsausbildung in Österreich durch eine Reifeprüfung an einem Gymnasium sowie durch den Abschluss des Abiturientenlehrgangs für Vermessungswesen keine Fachkenntnisse erworben würden, die an jene in einer höheren technischen Lehranstalt heranreichten. Daher hätten sich auch weitere Ermittlungen bezüglich der Berufspraxis der Beschwerdeführerin erübrigt.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des Ingenieurgesetzes 2006 - IngG 2006, BGBl. I Nr. 120/2006, lauten wie folgt:

"Voraussetzungen für die Verleihung

§ 2. Die Berechtigung zur Führung der Standesbezeichnung "Ingenieur" ist Personen zu verleihen, die

1. a) die Reife- und Diplomprüfung nach dem Lehrplan inländischer höherer technischer und gewerblicher oder höherer land- und forstwirtschaftlicher Lehranstalten erfolgreich abgelegt (haben) ...

...

oder

4. a) die Voraussetzungen der Z 1 ... nicht erfüllen, aber gleichwertige fachliche und allgemeine Kenntnisse, wie sie an den höheren technischen und gewerblichen oder höheren land- und forstwirtschaftlichen Lehranstalten bis zur Reife- und Diplomprüfung vermittelt werden

nachweisen.

Höhere Lehranstalten

§ 3. ...

(3) Durch Verordnung hat zu bestimmen:

1. der Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit die höheren technischen und gewerblichen Lehranstalten gemäß § 2 Z 1 und die Tätigkeiten, die als Praxis auf technischem Gebiet anzurechnen sind ...

(4) In den Verordnungen gemäß Abs. 3 ist auch die zusammenfassende Bezeichnung der Lehranstalten nach Fachbereichen auch ohne Nennung einzelner Lehranstalten zulässig.

Antrag auf Verleihung - Beurkundung

§ 4.

...

(2) Dem Antrag sind insbesondere anzuschließen:

...

4. Prüfungszeugnisse öffentlicher oder mit Öffentlichkeitsrecht ausgestatteter inländischer Schulen, die Kenntnisse gemäß § 2 Z 4 nachweisen."

Die Beschwerdeführerin bringt vor, nach dem Schulorganisationsgesetz zählten zu den berufsbildenden höheren Schulen auch die Sonderformen der höheren technischen bzw. gewerblichen Lehranstalt. Zu diesen Sonderformen gehörten auch die Abiturientenlehrgänge an den höheren technischen und gewerblichen Lehranstalten. Diese Abiturientenlehrgänge setzten die Reifeprüfung an einer allgemein bildenden oder berufsbildenden höheren Schule voraus. Demnach sei jemand, der nach erfolgreicher Ablegung der Reifeprüfung an einer allgemein bildenden oder berufsbildenden höheren Schule den Abiturientenlehrgang absolviert habe, jenem völlig gleichgestellt, der von vornherein eine höhere technische und gewerbliche Lehranstalt mit Reifeprüfung abgeschlossen habe. Es sei "Sinn dieser Sonderformen", im Nachhinein die Spezialausbildung, die durch die berufsbildende höhere Schule vermittelt werde, zu ermöglichen. Es wäre unlogisch, dem Absolventen des Abiturientenlehrganges den Besuch der technischen Hochschule zu gestatten - und zwar weil seine Ausbildung mit der an einer höheren technischen und gewerblichen Lehranstalt vermittelten gleichzuhalten sei -, ihm aber das Recht zu verwehren, nach Absolvierung der erforderlichen Praxiszeit die Standesbezeichnung "Ingenieur" zu führen.

Die Ansicht der belangten Behörde, die - neben einer einschlägigen Berufspraxis erforderlichen - Kenntnisse iSd § 2 Z 4 IngG 2006 könnten ausschließlich durch eine - durch Prüfungszeugnisse belegte - Ausbildung an einer öffentlichen oder mit Öffentlichkeitsrecht ausgestatteten inländischen Schule nachgewiesen werden, nicht aber etwa durch die Ausübung bestimmter beruflicher Tätigkeiten, ist nicht als rechtswidrig zu erkennen (vgl. zur nahezu wortgleichen Rechtslage nach dem IngG 1990, BGBl. Nr. 461/1990, etwa bereits das hg. Erkenntnis vom 24. Jänner 2001, Zl. 99/04/0220 mwN).

Aus den Bestimmungen des § 2 Z 1 und des § 3 Abs. 3 Z 1 IngG 2006 folgt, dass für die Beantwortung der Frage, ob eine Lehranstalt als höhere technische Lehranstalt iSd § 2 Z 1 IngG 2006 anzusehen ist, ihre - zumindest unter die zusammenfassende Bezeichnung gemäß § 3 Abs. 4 leg. cit. fallende - Aufnahme in die Verordnung nach § 3 Abs. 3 leg. cit. entscheidend ist. Eine Gleichwertigkeit iSd § 2 Z 4 leg. cit. kann demnach nur gegenüber einer solchen höheren technischen Lehranstalt iSd § 2 Z 1 leg. cit. bestehen, die in der Verordnung nach § 3 Abs. 3 leg. cit. Aufnahme gefunden hat (vgl. zum Ganzen das zur Rechtslage nach IngG 1990 ergangene hg. Erkenntnis vom 10. Dezember 1996, Zl. 96/04/0121 mwN).

Die belangte Behörde hat der von der Beschwerdeführerin absolvierten Ausbildung in dem Abiturientenlehrgang der höheren technischen Bundes-Lehr- und Versuchsanstalt von vornherein die Gleichwertigkeit abgesprochen, ohne sich mit den Lehrplänen - und zwar weder mit dem des Abiturientenlehrganges noch mit jenem einer zum Vergleich heranzuziehenden höheren technischen Lehranstalt iSd § 2 Z 1 leg. cit. - auseinander zu setzen. Ohne eine solche Auseinandersetzung ist jedoch eine Überprüfung der Gleichwertigkeit der Ausbildungen nicht möglich; die Ausführungen, es könne kein Zweifel bestehen, dass durch den Abschluss eines Abiturientenlehrganges keine Fachkenntnisse erworben werden, die an jene an einer höheren technischen Lehranstalt vermittelten heranreichen, reichen für eine Verneinung der Gleichwertigkeit jedenfalls nicht aus.

Eine konkrete Auseinandersetzung mit den Lehrplänen bringt die belangte Behörde (erst) in ihrer Gegenschrift vor. Begründungselemente können jedoch nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. u.a. das hg. Erkenntnis vom 12. Dezember 2007, Zl. 2007/04/0115) in der Gegenschrift nicht nachgetragen werden. Eine Auseinandersetzung mit der Tragfähigkeit der in der Gegenschrift vorgebrachten Argumente erübrigte sich daher.

Da die belangte Behörde auf Grund einer unrichtigen Rechtauffassung Ermittlungen und Feststellungen im aufgezeigten Sinn unterlassen hat, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Das die Umsatzsteuer betreffende Mehrbegehren war abzuweisen, weil neben dem pauschalierten Ersatz für den Schriftsatzaufwand eine gesonderte Vergütung von Umsatzsteuer nicht vorgesehen ist.

Wien, am 28. Mai 2008

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2008040008.X00

Im RIS seit

04.07.2008

Zuletzt aktualisiert am

05.03.2012
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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