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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
B-VG Art130 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde des L, vertreten durch Dr. Johannes Leon, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Reichsratsstraße 5, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien vom 30. März 2007, Zl. UVS-01/32/2545/2007- 29, betreffend Schubhaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein georgischer Staatsangehöriger, stellte nach seiner am 14. Oktober 2005 erfolgten Einreise nach Österreich am nächsten Tag einen Asylantrag, der mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 29. Mai 2006 gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997 - AsylG abgewiesen wurde. Unter einem wurde gemäß § 8 Abs. 1 AsylG die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Georgien festgestellt und seine Ausweisung nach Georgien verfügt. Die dagegen erhobene Berufung wies der unabhängige Bundesasylsenat mit Bescheid vom 5. Dezember 2006 ab.
Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 31. Mai 2006 war gegen den Beschwerdeführer im Hinblick auf eine strafgerichtliche Verurteilung zu einer teilbedingten Freiheitsstrafe ein mit zehn Jahren befristetes Rückkehrverbot erlassen worden.
Mit dem gemäß § 57 Abs. 1 AVG erlassenen - am 22. März 2007 in Vollzug gesetzten - Bescheid vom 26. Februar 2007 ordnete die Bundespolizeidirektion Wien gemäß § 76 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG gegen den Beschwerdeführer zur Sicherung seiner Abschiebung die Schubhaft an.
Zur Begründung wurde zunächst auf den seit der Beendigung des Asylverfahrens unrechtmäßigen Aufenthalt des Beschwerdeführers verwiesen. Die Verhängung der Schubhaft sei notwendig, weil zu befürchten sei, der Beschwerdeführer werde sich den weiteren fremdenpolizeilichen Maßnahmen zu entziehen trachten, zumal er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen sei. Nach der Aktenlage seien weder berufliche noch soziale Verankerungen im Inland bekannt. Die Anwendung eines gelinderen Mittels sei nicht in Betracht gekommen, zumal die Behörde keinen Grund zu der Annahme gehabt habe, dass der Zweck der Schubhaft auch durch dessen Anwendung erreicht werden könne, weil die Behörde von einer Verweigerung der Ausreiseverpflichtung ausgehen müsse. Da der Beschwerdeführer trotz der rechtskräftigen negativen Entscheidung im Asylverfahren das Bundesgebiet nicht freiwillig verlassen habe, könne nicht angenommen werden, dass sich der Beschwerdeführer an die behördlichen Anweisungen im Rahmen eines gelinderen Mittels halten würde. Seine Ausreise könne daher nur durch die gegenständliche Maßnahme gesichert werden.
In der am 23. März 2007 erhobenen Schubhaftbeschwerde brachte der Beschwerdeführer unter dem Gesichtspunkt der Unverhältnismäßigkeit der Schubhaft und des Fehlens eines Sicherungszweckes vor, er wohne mit seiner georgischen Lebensgefährtin M.P. und dem gemeinsamen, am 1. Oktober 2006 geborenen Kind in einer Notunterkunft des Arbeiter Samariterbundes an einer näher genannten Adresse in Wien 21, an der er auch aufrecht gemeldet sei. Dort wohne auch die Schwester seiner Lebensgefährtin, die an einer schweren psychischen Krankheit leide und "stark mit Psychopharmaka medikamentiert" werde. Dadurch befinde sich die Lebensgefährtin des Beschwerdeführers in einer "extrem schwierigen Situation", weil sie nicht nur das Baby zu versorgen habe, sondern sich auch um ihre Schwester kümmern müsse. Ihre Unterstützung durch den Beschwerdeführer sei daher dringend notwendig. Im Übrigen habe die Behörde ihre Annahme, der Beschwerdeführer könnte sich dem Verfahren entziehen, nicht begründet. Dafür hätten keinerlei Anhaltspunkte bestanden. Wenn die Behörde von ihm aber schon jetzt die freiwillige Ausreise verlange, so bedeute dies, dass er sich seines Rechtes auf eine wirksame Beschwerde bzw. Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes im Asylverfahren begeben würde. Außerdem sei auch nicht nachvollziehbar dargelegt worden, warum ein gelinderes Mittel in diesem Fall nicht ausgereicht hätte.
Mit dem angefochtenen, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 30. März 2007 verkündeten und sodann schriftlich ausgefertigten Bescheid wies der Unabhängige Verwaltungssenat Wien (die belangte Behörde) die Schubhaftbeschwerde des Beschwerdeführers gemäß § 83 FPG als unbegründet ab, stellte gemäß § 83 Abs. 4 erster Satz FPG fest, dass die Voraussetzungen für seine weitere Anhaltung in Schubhaft vorlägen, und verpflichtete den Beschwerdeführer zum Kostenersatz.
Nach wörtlicher Zitierung des Inhalts der Schubhaftbeschwerde und nach umfangreichen Wiedergaben aus den fremdenpolizeilichen Akten und aus den Akten betreffend das Asylverfahren des Beschwerdeführers ging die belangte Behörde im Anschluss an die Darstellung seiner Aussage in der genannten Verhandlung und Auseinandersetzung mit der Glaubwürdigkeit einzelner Angaben auf die in der Schubhaftbeschwerde geltend gemachten familiären Bindungen des Beschwerdeführers ein. Diesbezüglich hielt die belangte Behörde zunächst fest, die Frage der Zulässigkeit der Trennung des Beschwerdeführers von seiner Lebensgefährtin M.P. und dem Kind sei bereits von den Asylbehörden im Rahmen der Ausweisungsentscheidung geprüft worden. Dennoch werde von Seiten der belangten Behörde dazu bemerkt, dass die Beziehung des Beschwerdeführers zu M.P. und zu seinem Kind "keine familiäre Bindung des Beschwerdeführers in Österreich bewirken" könne, weil die Lebensgefährtin in Österreich nicht dauernd aufenthaltsberechtigt sei, sondern es sei nur ihr in erster Instanz abgewiesener Asylantrag im Berufungsstadium anhängig. In den weiteren Ausführungen legte die belangte Behörde unter Bedachtnahme auf die Haftzeiten des Beschwerdeführers und die Meldedaten näher dar, dass der Beschwerdeführer und M.P. nur einige Monate zusammengelebt hätten, sodass es sich nicht um eine "gefestigte, lang andauernde Beziehung" handle. An der Einschätzung eines nur kurzen Zusammenlebens könne auch der Umstand nichts ändern, dass der Beschwerdeführer seit 10. Jänner 2007 bis zu seiner Inschubhaftnahme am 22. März 2007 ebenso wie M.P. an der Adresse in Wien 21 wohnhaft und gemeldet sei.
Obwohl der Beschwerdeführer - so begründete die belangte Behörde erkennbar unter dem Gesichtspunkt des Sicherungsbedarfs weiter - aufgrund der rechtskräftigen Ausweisung, die ihm durch Zustellung des Bescheides des unabhängigen Bundesasylsenates am 12. Dezember 2006 zu Kenntnis gelangt sei, zur Ausreise aus Österreich verpflichtet gewesen wäre, habe er dazu "keine Anstalten" gemacht, sondern sei in Österreich verblieben. Der Beschwerdeführer habe bis zuletzt erkennen lassen, dass er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen wolle. Auch in der Verhandlung vor der belangten Behörde habe er angegeben, jetzt keinesfalls aus Österreich ausreisen zu wollen, sondern erst die Entscheidung der "dritten Instanz" abwarten zu wollen. Aufgrund des Umstandes, dass der Beschwerdeführer seinen Angaben zufolge nicht aus Österreich ausreisen wolle, müsse auch jederzeit mit der Möglichkeit gerechnet werden, dass der Beschwerdeführer untertauchen werde.
Abschließend ging die belangte Behörde auf die Frage der Anwendung gelinderer Mittel ein und vertrat dazu die Auffassung, diese seien grundsätzlich nur bei minderjährigen Personen anzuwenden. Bei volljährigen Personen (wie dem Beschwerdeführer) liege dies hingegen im Ermessen der Behörde. Dass die Fremdenpolizeibehörde kein gelinderes Mittel angewendet habe, sei bei der gegebenen Sachlage - der Beschwerdeführer sei trotz seiner seit 12. Dezember 2006 bestehenden Verpflichtung nicht von selbst ausgereist und er könnte jederzeit untertauchen und sich somit der Abschiebung entziehen - keinesfalls als Ermessensfehler zu werten. Im Übrigen werde bemerkt, dass es "der Behörde nach bereits erfolgter Anordnung der Schubhaft rechtlich verwehrt ist, auf eine gelindere Maßnahme 'umzusteigen'."
Über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Die Schubhaft gegen den Beschwerdeführer wurde gemäß § 76 Abs. 1 erster Satz FPG zur Sicherung seiner Abschiebung, also zur Durchsetzung der rechtskräftigen asylrechtlichen Ausweisung (iVm dem Rückkehrverbot), angeordnet und von der belangten Behörde aufrecht erhalten. Die genannte Bestimmung lautet:
"Schubhaft
§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern dies notwendig ist, um das Verfahren zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung bis zum Eintritt ihrer Durchsetzbarkeit oder um die Abschiebung, die Zurückschiebung oder die Durchbeförderung zu sichern."
Dem verfassungsrechtlichen Gebot der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Schubhaft - vgl. Art. 2 Abs. 1 Z 7 iVm Art. 1 Abs. 3 des Bundesverfassungsgesetzes vom 29. November 1988 über den Schutz der persönlichen Freiheit (PersFrG) - wird im § 76 Abs. 1 FPG mit der - an Art. 2 Abs. 1 Z 7 PersFrG angelehnten -
Wortfolge "... sofern dies notwendig ist, um ..." Rechnung
getragen. Zur Beurteilung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Schubhaft ist nach der Rechtsprechung des Verfassungs- und des Verwaltungsgerichtshofes eine einzelfallbezogene Abwägung zwischen dem öffentlichen Interesse an der Sicherung der Außerlandesschaffung (Aufenthaltsbeendigung) und dem privaten Interesse an der Schonung der persönlichen Freiheit des Betroffenen vorzunehmen (vgl. etwa das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 24. Juni 2006, B 362/06; aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes siehe etwa das Erkenntnis vom 30. August 2007, Zl. 2007/21/0043).
Bei dieser Prüfung ist unter dem Gesichtspunkt des öffentlichen Interesses vor allem der Frage nachzugehen, ob im jeweils vorliegenden Einzelfall ein Sicherungsbedürfnis gegeben ist. Das setzt die gerechtfertigte Annahme voraus, der Fremde werde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme bzw. nach deren Vorliegen der Abschiebung (insbesondere) durch Untertauchen entziehen oder sie zumindest wesentlich erschweren (vgl. etwa das Erkenntnis vom 8. September 2005, Zl. 2005/21/0100).
In diesem Zusammenhang ist auf das (zum inhaltsgleichen § 61 Abs. 1 FrG 1997 ergangene) Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. September 2005, 2005/21/0301, zu verweisen, in dem klargestellt wurde, dass fehlende Ausreisewilligkeit für sich allein die Verhängung der Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung nicht zu rechtfertigen vermag. Diese Konsequenz ergibt sich eindeutig - wie in dem Erkenntnis näher begründet wurde - aus dem Zusammenspiel der Bestimmungen über die Abschiebung und die Schubhaft. Die mangelnde Ausreisewilligkeit bildet bei Vorliegen einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme zunächst nämlich nur die Voraussetzung für eine Abschiebung im Grunde des (nunmehr geltenden) § 46 Abs. 1 Z 2 bzw. Z 3 FPG. Danach können Fremde, gegen die eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme erlassen wurde, zwangsweise zur Ausreise verhalten, also abgeschoben werden, wenn sie ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht zeitgerecht nachgekommen sind oder auf Grund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, sie würden ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen. Damit ist aber noch nicht - in jedem Fall und ohne Weiteres - gesagt, dass es auch der Verhängung der Schubhaft bedarf, um diese Abschiebung zu sichern. Es ist vielmehr in einem zweiten Schritt die Frage zu beantworten, ob ein Sicherungsbedarf besteht. Diese Frage kann naturgemäß nicht immer schon dann als bejaht gelten, wenn infolge bestehender Ausreiseunwilligkeit überhaupt erst die vorweg zu behandelnde Zulässigkeit einer Abschiebung als solche feststeht.
Die bloße Nichtbefolgung eines Ausreisebefehls vermag daher für sich genommen die Verhängung der Schubhaft nicht zu rechtfertigen, sondern das Sicherungserfordernis muss in weiteren Umständen begründet sein, wofür etwa eine mangelnde soziale Verankerung in Österreich in Betracht kommt (vgl. etwa das Erkenntnis vom 28. Juni 2007, Zl. 2005/21/0288). Ungeachtet dessen hat die belangte Behörde - aber auch schon die Bundespolizeidirektion Wien - die Zulässigkeit der Schubhaft in aus ihrer Sicht tragender Weise nur damit begründet, dass der Beschwerdeführer der nach Erlassung der asylrechtlichen Ausweisung durch Zustellung des Bescheides des unabhängigen Bundesasylsenates am 12. Dezember 2006 bestehenden Ausreiseverpflichtung nicht nachgekommen und in Österreich verblieben sei. Daraus allein lässt sich - am Maßstab der dargestellten Rechtsprechung - in schlüssiger Weise aber noch nicht ableiten, der Beschwerdeführer hätte sich auch einer Abschiebung durch Untertauchen in die Illegalität entzogen.
Unter diesem Gesichtspunkt wäre vielmehr auf die vom Beschwerdeführer geltend gemachten familiären Bindungen in Österreich Bedacht zu nehmen gewesen. Das verkannte die belangte Behörde, indem sie dieses Vorbringen erkennbar nur unter dem Blickwinkel der Zulässigkeit einer Ausweisung prüfte und auf das Bestehen einer bereits "gefestigten lang andauernden Beziehung" abstellte. Sie hätte sich demgegenüber mit der Frage auseinander setzen müssen, aus welchen konkreten Gründen anzunehmen sei, der Beschwerdeführer hätte das wieder aufgenommene und jedenfalls in den letzten zweieinhalb Monaten vor der Inschubhaftnahme bestehende Zusammenleben in einer gemeinsamen Unterkunft mit seiner Lebensgefährtin und dem gemeinsamen Kind (wieder) aufgegeben, M.P mit dem dann allein zu versorgenden Baby und der zu betreuenden Schwester zurückgelassen und er wäre in die Illegalität abgetaucht, obwohl für M.P. (nach dem unwidersprochen gebliebenen Vorbringen in der Schubhaftbeschwerde) die Unterstützung durch den Beschwerdeführer dringend notwendig gewesen wäre. Konkrete Anhaltspunkte in diese Richtung, die etwa aus dem aktuellen oder in der Vergangenheit gezeigten Verhalten des Beschwerdeführers hätten abgeleitet werden können, hat die belangte Behörde aber nicht ins Treffen geführt. Der in der Verhandlung vor der belangten Behörde am 30. März 2007 geäußerte Wunsch des Beschwerdeführers, während des angestrebten verwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahrens - der Verwaltungsgerichtshof hatte die Verfahrenshilfe bereits mit Beschluss vom 9. Jänner 2007 bewilligt, der am 10. April 2007 eingelangten Beschwerde wurde mit Beschluss vom 13. April 2007 die aufschiebende Wirkung zuerkannt - bei seinen Familienangehörigen in Österreich verbleiben zu wollen, spricht vielmehr tendenziell gegen eine solche Annahme. Schließlich ist in diesem Zusammenhang noch anzumerken, dass der Beschwerdeführer bei seiner Festnahme auch an dem gemeinsamen Wohnsitz angetroffen wurde, an dem er - wie er nach den Feststellungen im angefochtenen Bescheid bereits in der Vergangenheit seinen Meldeverpflichtungen nachgekommen ist -
ordnungsgemäß gemeldet ist (vgl. zu ähnlichen Sachverhaltskonstellationen etwa die Erkenntnisse vom 26. September 2007, Zl. 2004/21/0150, und Zl. 2004/21/0160, sowie das schon zitierte Erkenntnis vom 28. Juni 2007, Zl. 2005/21/0288).
Soweit die Bundespolizeidirektion Wien in ihrem Schubhaftbescheid neben der Ausreiseunwilligkeit auch noch darauf abstellte, "nach der Aktenlage seien weder berufliche noch soziale Verankerungen im Inland bekannt", vermag das die Schubhaftanordnung deshalb nicht zu rechtfertigen, weil die Behörde im Rahmen der vorzunehmenden Verhältnismäßigkeitsprüfung zu einer diesbezüglichen Befragung des Beschwerdeführers nach seiner Festnahme verpflichtet gewesen wäre. Insoweit kann daher nicht davon ausgegangen werden, die soziale Verankerung des Beschwerdeführers sei in einem mängelfreien Verfahren abgeklärt worden (vgl. zu dieser Verpflichtung neuerlich das zuletzt genannte Erkenntnis Zl. 2005/21/0288, mit weiteren Nachweisen).
Der angefochtenen Bescheid erweist sich somit schon deshalb als inhaltlich rechtswidrig, weil die Voraussetzungen für das Vorliegen eines Sicherungsbedarfes unrichtig beurteilt wurden. Das Fehlen eines Sicherungsbedarfes schließt auch die Anwendung gelinderer Mittel aus (vgl. dazu und zum Verhältnis der Anwendung gelinderer Mittel bei Minderjährigen und bei Erwachsenen das hg. Erkenntnis vom 24. Oktober 2007, Zl. 2007/21/0370). Auf die diesbezüglichen Ausführungen der belangten Behörde war daher nicht weiter einzugehen. Zur oben wiedergegebenen abschließenden "Bemerkung" der belangten Behörde, ihr sei es verwehrt, auf eine gelindere Maßnahme "umzusteigen", ist aber noch Folgendes klarzustellen:
In Bezug auf den nach § 83 Abs. 4 erster Satz FPG vom unabhängigen Verwaltungssenat vorzunehmenden Ausspruch über die weitere Anhaltung in Schubhaft, der gegebenenfalls einen neuen Titelbescheid darstellt, hat der unabhängige Verwaltungssenat nach der genannten Bestimmung zu prüfen, ob die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung der Schubhaft gegeben sind. Er hat dabei auch die Möglichkeit der Anwendung gelinderer Mittel an Stelle der Schubhaft - bei Vorliegen der Voraussetzungen nach § 77 Abs. 1 FPG im Rahmen des ihm insoweit eingeräumten Ermessens - bei dieser Entscheidung zu berücksichtigen. Er ist allerdings nicht zum Ausspruch zuständig, welches gelindere Mittel anzuwenden wäre (vgl. § 77 Abs. 3 FPG). Das bleibt der Fremdenpolizeibehörde vorbehalten (vgl. das zu den inhaltsgleichen Regelungen des FrG 1997 ergangene Erkenntnis vom 6. November 2002, Zl. 2001/02/0278). Der unabhängige Verwaltungssenat hat aber auch in die Prüfung der Rechtmäßigkeit des die Schubhaft anordnenden Bescheides und der darauf gegründeten Anhaltung die Frage der Anwendung eines gelinderen Mittels einzubeziehen. Wäre dessen Anwendung geboten gewesen, führt dies zur Rechtswidrigkeit der mit Schubhaftbeschwerde bekämpften Maßnahmen (vgl. zum diesbezüglichen Begründungserfordernis das Erkenntnis vom 22. Mai 2007, Zl. 2006/21/0052, und zur Kritik am Fehlen einer insoweit nachvollziehbaren Begründung zuletzt etwa die Erkenntnisse vom 29. April 2008, Zl. 2008/21/0085, sowie vom 28. Februar 2008, Zl. 2007/21/0512, und Zl. 2007/21/0391; siehe zum Ganzen auch Muzak, die Schubhaftprüfung durch die UVS nach dem FPG 2005, UVS aktuell 2007, 140, Punkt IV.).
Der angefochtene Bescheid war aber schon aus den vorgenannten Gründen wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 28. Mai 2008
Schlagworte
Ermessen besondere RechtsgebieteErmessen VwRallg8Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2007210246.X00Im RIS seit
02.07.2008Zuletzt aktualisiert am
22.12.2011