Index
E000 EU- Recht allgemein;Norm
32004L0038 Unionsbürger-RL;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Rosenmayr und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gubesch, über die Beschwerde der S A in W, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/II/23, gegen den Bescheid der Landesgeschäftsstelle des Arbeitsmarktservice Wien vom 6. März 2007, Zl. 3/08115/146 2923, betreffend Antrag auf Ausstellung eines Befreiungsscheines nach dem Ausländerbeschäftigungsgesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Arbeitsmarktservice hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die (am 29. August 1987 geborene) Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Ghana, verfügte zum Zwecke der Familienzusammenführung mit ihrem Vater, einem in Wien lebenden österreichischen Staatsbürger, über eine vom 16. November 2005 bis 18. August 2006 gültige (Erst-)Niederlassungsbewilligung nach § 49 Abs. 1 FrG 1997. Die Beschwerdeführerin zog im Frühjahr 2006 nach Österreich und war seit 3. April 2006 in Wien gemeldet. Mit Eingabe vom 26. Jänner 2007 stellte sie den Antrag auf Ausstellung eines Befreiungsscheines gemäß § 15 Abs. 1 Z. 3 AuslBG, wozu sie vorbrachte, mit ihrem Vater im gemeinsamen Haushalt zu leben.
Mit Bescheid vom 29. Jänner 2007 lehnte die Behörde erster Instanz diesen Antrag mit der Begründung ab, die Beschwerdeführerin sei erst nach Vollendung ihres 18. Lebensjahres nach Österreich gezogen und es mangle an der (gemäß Z. 3 leg. cit. geforderten) Ausnahme vom Geltungsbereich des Ausländerbeschäftigungsgesetzes.
Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin Berufung.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 6. März 2007 wies die belangte Behörde diese Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG iVm § 15 Abs. 1 Z. 3 AuslBG ab. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass das Erfordernis der aufrechten rechtmäßigen Niederlassung im Bundesgebiet nicht gegeben sei, da die Beschwerdeführerin mit Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 27. Februar 2007 aus Österreich ausgewiesen worden sei.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, in welcher die Rechtswidrigkeit seines Inhaltes sowie die Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht werden.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, eine Gegenschrift erstattet und die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde begehrt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Gemäß § 15 Abs. 1 Z. 3 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) idF BGBl. I Nr. 101/2005 ist einem Ausländer, der noch keinen unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt hat (§ 17 AuslBG), auf Antrag ein Befreiungsschein auszustellen, wenn er bisher gemäß § 1 Abs. 2 lit. l und m nicht dem Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes unterlegen und weiterhin rechtmäßig niedergelassen ist.
§ 1 Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) idF BGBl. I Nr. 157/2005 lautet auszugsweise:
"§ 1 (1) Dieses Bundesgesetz regelt die Beschäftigung von Ausländern (§ 2) im Bundesgebiet.
(2) Die Bestimmungen dieses Bundesgesetzes sind nicht anzuwenden auf
...
l) Freizügigkeitsberechtigte EWR-Bürger, deren drittstaatsangehörige Ehegatten und Kinder (einschließlich Adoptiv- und Stiefkinder), die noch nicht 21 Jahre alt sind oder denen der EWR-Bürger oder der Ehegatte Unterhalt gewährt, sowie drittstaatsangehörige Eltern des EWR-Bürgers und seines Ehegatten, denen der EWR-Bürger oder der Ehegatte Unterhalt gewährt, sofern sie zur Niederlassung nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005 berechtigt sind;
m) EWR-Bürger, die ihr Recht auf Freizügigkeit nicht in Anspruch nehmen, deren drittstaatsangehörige Ehegatten und Kinder (einschließlich Adoptiv- und Stiefkinder) sowie die drittstaatsangehörigen Ehegatten und Kinder österreichischer Staatsbürger, sofern der Ehegatte bzw. das Kind zur Niederlassung nach dem NAG berechtigt ist."
Soweit die Beschwerde darauf hinweist, dass die Beschwerdeführerin zeitgerecht einen Verlängerungsantrag zur bis 18. August 2006 gültigen Niederlassungsbewilligung als begünstigte Drittstaatsangehörige gemäß § 49 Abs. 1 FrG 1997 erhoben hat, und einwendet, dass das zum Zwecke ihrer Ausweisung eingeleitete Aufenthaltsbeendigungsverfahren noch offen sei, sowie weiters argumentiert, dass der Beschwerdeführerin ein Aufenthaltsrecht zukäme und der freie Arbeitsmarktzugang offen stünde, kommt ihr im Ergebnis Berechtigung zu:
Das FrG 1997 wurde durch das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (Fremdenrechtspaket 2005), BGBl. I Nr. 100/2005, mit Wirksamkeit vom 31. Dezember 2005 außer Kraft gesetzt.
In den Übergangsbestimmungen (§ 81 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG) ist festgelegt, dass "Verfahren auf Erteilung von Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen, die bei Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes anhängig sind, nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zu Ende zu führen sind".
Gemäß § 25 Abs. 1 des Niederlassungs-Aufenthaltsgesetzes - NAG, hat die Behörde bei Fehlen von Erteilungsvoraussetzungen (§ 11 Abs. 1 und 2) in einem Verfahren zur Verlängerung des Aufenthalts- oder Niederlassungsrechts - gegebenenfalls nach Einholung einer fremdenpolizeilichen Stellungnahme - den Antragsteller davon in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass eine Aufenthaltsbeendigung gemäß §§ 52 ff FPG beabsichtigt ist und ihm darzulegen, warum dies unter Bedachtnahme auf den Schutz seines Privat- oder Familienlebens (§ 66 FPG) zulässig scheint. Außerdem hat sie ihn zu informieren, dass er das Recht hat, sich hiezu binnen einer gleichzeitig festzusetzenden, 14 Tage nicht unterschreitenden Frist zu äußern. Nach Ablauf dieser Frist hat die Behörde die zur Aufenthaltsbeendigung zuständige Fremdenpolizeibehörde - gegebenenfalls unter Anschluss der Stellungnahme des Fremden - zu verständigen. Während eines Verfahrens zur Aufenthaltsbeendigung ist der Ablauf der Frist gemäß § 73 AVG gehemmt.
Erwächst eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft, ist das Verfahren über den Verlängerungsantrag auf Erteilung des Aufenthaltstitels formlos einzustellen. Das Verfahren ist im Fall der Aufhebung einer Aufenthaltsbeendigung auf Antrag des Fremden fortzusetzen, wenn nicht neuerlich eine aufenthaltsbeendende Maßnahme gesetzt wird (Abs. 2 dieser Bestimmung).
Wie sich aus den Verwaltungsakten und dem hg. Verfahren zur Zl. 2007/18/0401ergibt, hat im vorliegenden Fall die Beschwerdeführerin fristgerecht einen Antrag auf Verlängerung ihrer Niederlassungsbewilligung gestellt. Die zuständige Aufenthaltsbehörde gelangte zur Auffassung, dass der Vater der Beschwerdeführerin angesichts seines geringen Einkommens nicht in der Lage wäre, in ausreichender Höhe für den Unterhalt der Beschwerdeführerin gemäß § 11 Abs. 2 Z. 4 und Abs. 5 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes - NAG, BGBl. I Nr. 100/2005, aufzukommen und verständigte in weiterer Folge gemäß § 25 Abs. 1 NAG die zur Aufenthaltsbeendigung zuständige Fremdenpolizeibehörde. Daraufhin wurde die Beschwerdeführerin mit (dem im Instanzenzug ergangenen) Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 27. Februar 2007 gemäß § 54 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ausgewiesen. Nachdem der dagegen beim Verwaltungsgerichtshof erhobenen Beschwerde aufschiebende Wirkung zuerkannt worden war, wurde die Beschwerde mit hg. Erkenntnis vom 29. Jänner 2008, Zl. 2007/18/0401, abgewiesen.
Der Beschwerdeführerin wurde erstmals eine vom 18. August 2005 bis zum 18. August 2006 gültige Erstniederlassungsbewilligung als begünstigte Drittstaatsangehörige nach § 49 Abs. 1 Fremdengesetz 1997 - FrG erteilt und sie hat vor Ablauf der Gültigkeitsdauer ihres Aufenthaltstitels einen Verlängerungsantrag im Sinn des § 24 Abs. 1 NAG gestellt. Nach § 24 Abs. 2 dritter Satz leg. cit. ist der Antragsteller nach Stellung eines Verlängerungsantrages, unbeschadet fremdenpolizeilicher Bestimmungen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Antrag weiterhin rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältig. Gemäß § 24 Abs. 3 erster Satz dieser Bestimmung wären solche Aufenthaltstitel, soweit die Voraussetzungen weiterhin vorliegen sollten, mit dem gleichen Aufenthaltszweck wie bisher zu erteilen.
Gemäß § 81 Abs. 2 erster Satz NAG gelten vor dem Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes erteilte Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen innerhalb ihrer Gültigkeitsdauer (hier: bis 18. August 2006) und ihres Gültigkeitszwecks (hier:
Niederlassungsfreiheit als begünstigter Drittstaatsangehöriger gemäß § 49 Abs. 1 FrG) insoweit weiter, als sie nach dem Zweck des Aufenthalts den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes entsprechen. Gemäß § 81 Abs. 2 dritter Satz leg. cit. ist der Bundesminister für Inneres ermächtigt, durch Verordnung festzulegen, welche vor dem Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes erteilten Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen nach ihrem Aufenthaltszweck als entsprechende Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigungen nach diesem Bundesgesetz und dem Fremdenpolizeigesetz weiter gelten.
Zum Zeitpunkt der Erteilung der Erstniederlassungsbewilligung (18. August 2005) hatte die (am 29. August 1987 geborene) Beschwerdeführerin ihr 18. Lebensjahr noch nicht vollendet, womit die ihr erteilte Niederlassungsbewilligung "begünstigter Drittstaat - Ö, § 49 Abs. 1 FrG" somit ab dem 1. Jänner 2006 gemäß § 11 Abs. 1 lit. A Z. 3 der Niederlassungs-Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung - NAG-DV, BGBl. II Nr. 451/2005 als Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" (§ 8 Abs. 1 Z. 2 NAG iVm § 47 Abs. 2 NAG) weiter galt.
Entgegen der Annahme der belangten Behörde lag zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides noch keine rechtskräftige aufenthaltsbeendende Entscheidung vor, weshalb auch das Verfahren zum Antrag der Beschwerdeführerin auf Verlängerung ihres Aufenthaltstitels als noch nicht erledigt zu betrachtenwar. Wie im hg. Erkenntnis vom 2. April 2008, Zl. 2007/08/0028, ausgeführt, ist Sinn und Zweck des § 24 Abs. 2 NAG, die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes während der zeitlichen Lücke auf Grund einer ausstehenden Antragserledigung sicherzustellen und den bisherigen aufenthaltsrechtlichen Status des Antragstellers bis zur rechtskräftigen Entscheidung über einen Verlängerungsantrag zu wahren, sofern dem nicht fremdenpolizeiliche Maßnahmen entgegenstehen. Auch im vorliegenden Fall war damit die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides weiterhin zur Niederlassung berechtigt.
Ebenso irrt die belangte Behörde, wenn sie vom Anwendungsbereich des § 1 Abs. 2 lit. m AuslBG nur jene Kinder als erfasst betrachtet, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. Bereits im hg. Erkenntnis vom 13. Dezember 2007, Zl. 2007/09/0228, wurde ausgesprochen, dass der Gesetzgeber in Umsetzung der "Unionsbürgerrichtlinie" (RL 2004/38/EG vom 29. April 2004) unter "Kinder" in der Ausnahmebestimmung des § 1 Abs. 2 lit. m AuslBG Verwandte in gerader absteigender Linie versteht, was unter anderem auch den §§ 40 und 42 ABGB entspricht.
Für den konkreten Fall bedeutet dies, dass die Beschwerdeführerin zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides weiterhin zur Niederlassung nach dem NAG berechtigt gewesen ist und als Kind eines österreichischen Staatsbürgers unter die Ausnahme des § 1 Abs. 2 lit. m AuslBG fällt; das AuslBG ist auf sie nicht anzuwenden. Damit fehlt es an der notwendigen Voraussetzung zur Ausstellung eines Befreiungsscheines gemäß § 15 Abs. 1 Z. 3 AuslBG, nämlich dass sie nunmehr dem Geltungsbereich des AuslBG unterliege; die Ausstellung eines Befreiungsscheines kommt sohin nicht in Betracht.
Die belangte Behörde hätte bei richtiger rechtlicher Beurteilung den Bescheid der Behörde erster Instanz aufzuheben gehabt, weil die Behörde erster Instanz eine Entscheidung in der Sache getroffen hat, anstatt richtigerweise den Antrag der Beschwerdeführerin auf Ausstellung eines Befreiungsscheines zurückzuweisen, und in Anwendung des § 66 Abs. 4 AVG den Antrag der Beschwerdeführerin zurückweisen müssen (vgl. auch dazu das bereits zitierte hg. Erkenntnis vom 13. Dezember 2007, Zl. 2007/09/0228).
Aus diesen Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Von der beantragten Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG abgesehen werden.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 28. Mai 2008
Schlagworte
Gemeinschaftsrecht Richtlinie Umsetzungspflicht EURallg4/2Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2007090109.X00Im RIS seit
10.07.2008Zuletzt aktualisiert am
19.04.2011