TE Vfgh Beschluss 2003/6/27 G346/02

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Veröffentlicht am 27.06.2003
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Index

90 Straßenverkehrsrecht, Kraftfahrrecht
90/02 Kraftfahrgesetz 1967, Führerscheingesetz

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Präjudizialität
FührerscheinG §24 Abs3
FührerscheinG §26
VfGG §15 Abs2
VfGG §62

Leitsatz

Zurückweisung von Anträgen eines Unabhängigen Verwaltungssenates auf Aufhebung von Bestimmungen des Führerscheingesetzes infolge widersprüchlichen Antragsvorbringens hinsichtlich der Präjudizialität

Spruch

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. 1. Der Unabhängige Verwaltungssenat Oberösterreich (in der Folge: UVS) stellt gemäß Art140 B-VG den Antrag, der Verfassungsgerichtshof wolle:

"§24 Abs3 Führerscheingesetz - FSG idF BGBl. I Nr. 81/2002 im zweiten Satz die Wortfolge ... 'oder wegen einer Übertretung gemäß §99 Abs1 oder 1a StVO 1960'

in eventu

§24 Abs3 Führerscheingesetz - FSG idF BGBl. I Nr. 81/2002 im zweiten Satz die Wortfolge ... 'oder 1a'

und

§26 Abs1 Z3 Führerscheingesetz idF BGBl. I Nr. 81/2002

und

§24 Abs3 Führerscheingesetz - FSG idF BGBl. I Nr. 81/2002 den fünften Satz, zweiter Halbsatz die Wortfolge ... 'so endet die Entziehungsdauer nicht vor Befolgung der Andordnung' [gemeint wohl:

'Anordnung']"

als verfassungswidrig aufheben.

In eventu beantragt der UVS, der Verfassungsgerichtshof wolle feststellen, daß

"§26 Abs1 Z3 und §26 Abs8 des Führerscheingesetzes - FSG, BGBl. I Nr. 120/1997 (§26 Abs1 Z3 FSG in der Fassung der Novelle BGBl. I Nr. 2/1998, §26 Abs8 idF BGBl. I Nr. 94/1998) und §25 Abs3 letzter Satz des Führerscheingesetzes - FSG, idF BGBl. I Nr. 120/1997

in eventu

§26 Abs1 Z3 sowie die Wortfolge 'Abs1 Z3 oder' in §26 Abs8 Führerscheingesetz - FSG, BGBl. I Nr. 120/1997 (beide Gesetzesstellen in der zuvor (erster Antrag) genannten Fassung)

in eventu

§26 Abs1 Z3 des Führerscheingesetzes - FSG, BGBl. I Nr. 120/1997 (beide Gesetzesstellen in der zuvor (erster Antrag) genannten Fassung)"

verfassungswidrig waren.

2. Die Bundesregierung hat eine Äußerung zum Gegenstand abgegeben, in der sie dem Antrag entgegentritt und dessen Zurückweisung, hilfsweise dessen Abweisung beantragt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat zur Zulässigkeit des Antrags erwogen:

1.1. Zu dem von ihm zu beurteilenden Sachverhalt und zur Frage der Präjudizialität der angefochtenen Gesetzesstellen in dem bei ihm anhängigen Verfahren führt der antragstellende UVS folgendes aus:

"Der Berufungswerber lenkte am 24.8.2002, um 03.40 Uhr einen Pkw in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand von einem seiner Wohnadresse nahe gelegenen Lokal nach Hause. Bei einer 'Alkokontrolle' wurde sein Atemluftalkoholgehalt mit 1,58 Promille (niedrigster Wert) festgestellt. Diesbezüglich wurde das Strafverfahren in erster Instanz rechtskräftig abgeschlossen. Dieses Faktum wird mit Blick auf seinen Tatunwert materiell dahingehend gewürdigt, dass dieser angesichts der in einer verkehrsarmen Tageszeit zurückgelegten kurzen Wegstrecke hinter dem für eine derartige Tat typischen Ausmaß beträchtlich zurückblieb.

...

Da mit BGBl. I Nr. 81/2002 am 1.10.2002 die fünfte Führerscheingesetznovelle ohne Übergangsbestimmungen in Kraft tritt, kommt für das Berufungsverfahren den neu gefassten und im Ergebnis zur Rechtslage vor dem 1.10.2001 inhaltsgleichen Bestimmungen des FSG potentiell [sic!] die Präjudizialtät zu."

1.2. Die Bundesregierung ist der Auffassung, daß der Antrag unzulässig sei, weil mit diesem Vorbringen die Präjudizialität der angefochtenen Normen nicht hinreichend dargelegt ist. Sie führt dazu im Einzelnen aus:

"Aus der Darstellung des antragstellenden UVS lässt sich nicht zweifelsfrei erkennen, welche Bestimmungen er im Berufungsverfahren anzuwenden hat. In den Ausführungen zum Sachverhalt und zur Präjudizialität beziffert der UVS das mengenmäßige Ausmaß der Alkoholkonzentration mit der mengenmäßigen Einheit 'Promille' und setzt diese in Bezug zur Untersuchung der Atemluft (arg: 'Atemluftalkoholgehalt mit 1,58 Promille').

Hiezu darf angemerkt werden, dass sowohl das FSG (zB: §4 Abs7, §14 Abs8, §26 Abs1 Z3, Abs4) als auch die StVO 1960 (zB: §5, §5b, §99 Abs1 lita und Absla) die mengenmäßigen Einheiten und Grenzwerte für die Messergebnisse des Atemluftalkoholgehaltes und des Blutalkoholgehaltes in einheitlicher Weise ausdrücken und nach der Art des Gemessenen unterschiedlich zuordnen; der Wert des Blutalkoholgehaltes wird in 'g/l' und 'Promille' ausgedrückt, jener des Atemluftalkoholgehaltes in 'mg/l'. Je nach dem Grad der Alkoholbeeinträchtigung sind die daran anknüpfenden Rechtsfolgen im FSG und in der StVO 1960 unterschiedlich:

So bestimmt etwa §14 Abs8 FSG, dass ein Kraftfahrzeug nur in Betrieb genommen oder gelenkt werden darf, wenn beim Lenker der Alkoholgehalt des Blutes weniger als 0,5 g/l (0,5 Promille) oder der Alkoholgehalt der Atemluft weniger als 0,25 mg/l beträgt. Für Probeführerscheinbesitzer (§4 Abs7 FSG) oder etwa für Besitzer einer Lenkberechtigung für die Klasse F bis zur Vollendung des 20. Lebensjahres (§6 Abs3 FSG) ist der (zulässige) Alkoholgehalt bei 0,1 g/l (0,1 Promille) im Blut oder 0,05 mg/l in der Atemluft begrenzt. Die StVO 1960 verbietet das Lenken oder die Inbetriebnahme eines Fahrzeuges in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand; Bei einem Alkoholgehalt des Blutes von 0,8 g/l (0,8 Promille) oder darüber sowie bei einem Alkoholgehalt der Atemluft von 0,4 mg/l oder darüber gilt der Zustand einer Person jedenfalls als von Alkohol beeinträchtigt (§5 StVO 1960). Abstellend auf den Grad der Alkoholbeeinträchtigung beim Lenken oder bei der In-Betrieb-Name eines Fahrzeuges differenziert §99 StVO 1960 (auf dessen Abs1 und 1a die mit Primär- und Ersteventualantrag angefochtene Bestimmung des §24 Abs3 FSG idF BGBl. I 81/2002 verweist) im Hinblick auf den daran anknüpfenden Strafrahmen: §99 Abs1b StVO normiert für die 'nicht qualifizierte Alkoholisierung' einen Strafrahmen von 581 bis 3.633 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe von einer Woche bis sechs Wochen).

§99 Abs1a leg. cit. bestimmt den Strafrahmen mit 872 bis 4.360 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe von zehn Tagen bis sechs Wochen) bei einem Alkoholgehalt des Blutes von 1,2 g/l (1,2 Promille) oder mehr, aber weniger als 1,6 g/l (1,6 Promille) respektive einem Alkoholgehalt der Atemluft von 0,6 mg/l oder mehr, aber weniger als 0,8 mg/l. Bei einem Alkoholgehalt des Blutes von 1,6 g/l (1,6 Promille) oder mehr sowie bei einem Alkoholgehalt der Atemluft von 0,8 mg/l oder mehr ist der Strafrahmen in §99 Abs1 lita StVO 1960 mit 1.162 bis 5.813 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe von zwei bis sechs Wochen) festgelegt. Im Anwendungsbereich der Sonderfälle der Entziehung der Lenkberechtigung des §26 FSG differenzieren etwa dessen Abs1 Z3 und Abs2 bei der Mindestdauer der Entziehung der Lenkberechtigung ebenso nach dem Grad der Alkoholbeeinträchtigung. So stellt etwa §26 Abs1 Z3 auf eine Alkoholbeeinträchtigung im Ausmaß von 1,2 g/l (1,2 Promille) oder mehr, aber weniger als 1,6 g/l (1,6 Promille) Alkoholgehalt des Blutes, bzw. 0,6 mg/l oder mehr, aber weniger als 0,8 mg/l Alkoholgehalt der Atemluft, ab, für eine Entziehungsdauer von mindestens drei Monaten. Im Anwendungsbereich des §26 Abs2 FSG beträgt die Mindestdauer der Entziehung vier Monate, wenn der Lenker eine Alkoholbeeinträchtigung im Sinne des in §99 Abs1 lita StVO 1960 statuierten Ausmaßes aufweist (oder er iSd §99 Abs1 litb StVO 1960 die Messung der Alkoholbeeinträchtigung verweigert).

Eine Subsumtion des vom antragstellenden UVS bezeichneten Sachverhaltes unter die genannten Bestimmungen des FSG bzw. der StVO 1960 ließe kein eindeutiges Ergebnis bezüglich der anzuwendenden Norm zu: Würde das Hauptaugenmerk bei den Sachverhaltsangaben auf den Wert '1,58 Promille' gelegt werden, so hätte dies die Anwendung des §99 Abs1a StVO 1960 iVm §24 Abs3 FSG bzw. des §26 Abs1 Z3 FSG zur Folge. Würde sich das Hauptaugenmerk auf die Wendung 'Atemluftalkoholgehalt mit 1,58' richten, so hätte dies die Anwendung des §99 Abs1 lita StVO iVm §24 Abs3 FSG bzw. des §26 Abs2 FSG zur Folge.

Eine solche Deutung ist zum einen spekulativ, zöge aber zum anderen auch die Gefahr mit sich, eine andere - als die vom UVS im Berufungsverfahren tatsächlich anzuwendende - Bestimmung als anwendbar anzunehmen. Da der Nachweis der anzuwendenden Bestimmungen dem antragstellenden UVS obliegt, und dieser Nachweis nicht frei von Zweifeln geführt wurde, ist der Gesetzesprüfungsantrag mangels Klarheit der anzuwendenden Normen nach Ansicht der Bundesregierung unzulässig."

2. Die Bundesregierung ist mit diesem Einwand im Recht.

2.1. Nach ständiger Rechtsprechung hat der Verfassungsgerichtshof die vom antragstellenden UVS behauptete Präjudizialität der angefochtenen Norm auf ihre Denkmöglichkeit hin zu überprüfen. Wenn es offenkundig unrichtig (denkunmöglich) ist, daß die - angefochtene - generelle Norm eine Voraussetzung der Entscheidung des antragstellenden UVS im Anlaßfall ist, so ist der Antrag wegen mangelnder Präjudizialität zurückzuweisen (vgl. VfSlg. 11867/1988 mwN). Um diese Prüfung durchführen zu können, bedarf es - im Antrag - einer hinlänglichen Konkretisierung der dem Antrag zugrundeliegenden "Sache" im Sinne des §62 Abs3 VfGG. Darüberhinaus hat ein solcher Antrag gemäß §15 Abs2 VfGG eine "Darstellung des Sachverhaltes, aus dem der Antrag hergeleitet wird" zu enthalten. Das Fehlen solcher notwendiger Antragselemente ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nicht als bloßes Formgebrechen im Sinne des §18 VfGG, sondern als inhaltlicher Mangel des Antrages zu beurteilen, der einer Verbesserung nach §18 VfGG nicht zugänglich ist.

2.2. Handelte es sich beim vom UVS zu beurteilenden Sachverhalt um einen Alkoholisierungsgrad von 1,58 mg/l Atemluftalkoholgehalt, so wäre es denkunmöglich, daß der UVS den von ihm angefochtenen §26 Abs1 Z3 FSG anzuwenden hätte, weil dieser auf einen Alkoholisierungsgrad der Atemluft von "0,6 mg oder mehr, aber weniger als 0,8 mg/l" abstellt (das entspricht nach der gesetzlichen Definition 1,2 bis 1,6 g/l Blutalkoholgehalt). Handelte es sich dabei hingegen um einen Alkoholisierungsgrad von 1,58 Promille, so wäre es möglich, daß §26 Abs1 Z3 FSG vom UVS anzuwenden wäre.

In der Sachverhaltsschilderung des UVS wurde neben dem Wert von "1,58" ohne Angabe einer Maßeinheit ausdrücklich das Wort "Atemluftalkoholgehalt" angeführt. Zugleich ist dort aber von "Promille" die Rede. Das Antragsvorbringen ist in dieser - für die Prüfung der Präjudizialität wesentlichen - Frage widersprüchlich und läßt nicht erkennen, ob im Verfahren vor dem UVS jene Bestimmungen zur Anwendung kommen, die für einen Alkoholisierungsgrad von 1,58 g/l (= 1,58 Promille Blutalkoholgehalt) gelten, oder aber jene für 1,58 mg/l (Atemluftalkoholgehalt). Im ersten Fall wäre §26 Abs1 Z3 FSG anzuwenden, im zweiten Fall jedoch §26 Abs2 FSG (iVm. §99 Abs1 lita StVO 1960). Da es dem Verfassungsgerichtshof angesichts der widersprüchlichen Formulierung des Antrages nicht möglich ist, zu überprüfen, ob §26 Abs1 Z3 FSG vom UVS (denkmöglich) anzuwenden wäre, entspricht der Antrag - soweit er sich auf §26 Abs1 Z3 FSG bezieht - nicht den Erfordernissen des §62 VfGG iVm. §15 Abs2 VfGG.

Da die Anfechtung des §26 Abs1 Z3 FSG nach dem Wortlaut des Antrages mit den übrigen Teilen der Anfechtung (§24 FSG) eine untrennbare Einheit bildet, zumal auch der UVS diese Teile seines Begehrens mit "und" verbindet, und lediglich innerhalb der Anfechtung des §24 Abs3 FSG zwei Varianten der Abgrenzung des Anfechtungsumfanges (in Form eines Eventualantrages) zur Wahl stellt, war der Antrag nicht nur zum Teil, sondern insgesamt zurückzuweisen, ohne auf das weitere Vorbringen eingehen zu müssen.

3. Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lita VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Kraftfahrrecht, Lenkerberechtigung, Straßenpolizei, Alkoholisierung, VfGH / Formerfordernisse, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Prüfungsumfang, VfGH / Antrag, Eventualantrag, Lenkberechtigung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2003:G346.2002

Dokumentnummer

JFT_09969373_02G00346_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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