TE Vwgh Erkenntnis 2008/6/4 2004/13/0124

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Veröffentlicht am 04.06.2008
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;
32/04 Steuern vom Umsatz;

Norm

BAO §251;
BAO §274 idF 2002/I/097;
BAO §289 Abs3;
FinStrG §33 Abs2 lita;
UStG 1994 §21;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hargassner und die Hofräte Dr. Fuchs, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Unger, über die Beschwerde des P in W, vertreten durch Dr. Herbert Wabnegg, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Dr. Karl Lueger-Platz 5, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom 29. März 2004, Zl. RV/4468- W/02, betreffend Umsatzsteuer für die Jahre 2000 und 2001 sowie Umsatzsteuerfestsetzungen für Jänner bis August 2002, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als damit die Berufungen gegen die Umsatzsteuerfestsetzungsbescheide Jänner bis August 2002 zurückgewiesen wurden, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheiden vom 1. Oktober 2002 setzte das Finanzamt - unter Verweis auf einen Betriebsprüfungsbericht vom 18. September 2002 - die vom Beschwerdeführer für die Jahre 2000 und 2001 zu entrichtende Umsatzsteuer mit S 93.049,-- bzw. S 40.581,-- fest. Der Betriebsprüfungsbericht, in dem die Unternehmereigenschaft des Beschwerdeführers verneint wurde, bezog sich auch auf die Jahre 1996 bis 1999 (vgl. insoweit das hg. Erkenntnis vom heutigen Tag, Zl. 2003/13/0049). Aus den in ihm enthaltenen Bezugnahmen auf die Umsatzsteuererklärungen ging hervor, dass der Beschwerdeführer die Umsatzsteuer für die Jahre 2000 und 2001 ausschließlich gemäß § 11 Abs. 14 UStG 1994 (und nicht, wie für die Jahre davor, zum Teil auch gemäß Art. 7 Abs. 4 UStG 1994) schulden sollte. Mit Schriftsätzen vom 4. und 7. Oktober 2002 erhob der Beschwerdeführer gegen beide Bescheide Berufung.

Mit drei weiteren, nicht vorliegenden Bescheiden vom 1. Oktober 2002 setzte das Finanzamt (gemäß § 21 Abs. 3 UStG 1994) die vom Beschwerdeführer für die Voranmeldungszeiträume Jänner bis Juni, Juli und August 2002 zu entrichtende Umsatzsteuer fest. Dagegen erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsätzen vom 9., 12. und 10. Oktober 2002 Berufung.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufungen gegen die Umsatzsteuerfestsetzungsbescheide für Jänner bis August 2002 zurück, weil diese Bescheide durch die inzwischen erfolgte Erlassung des Umsatzsteuerveranlagungsbescheides 2002 vom 1. Oktober 2003 aus dem Rechtsbestand ausgeschieden seien.

Den Berufungen gegen die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2000 und 2001 gab die belangte Behörde teilweise Folge. Sie änderte die Bescheide dahingehend ab, dass die Umsatzsteuer - jeweils nach Abzug von Vorsteuern - für das Jahr 2000 S 29.122,-- (EUR 2.116,38) und für das Jahr 2001 S 26.909,-- (EUR 1.955,55) zu betragen habe.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

1. Zur Zurückweisung der den Zeitraum Jänner bis August 2002 betreffenden Berufungen:

Die belangte Behörde hat diese im Oktober 2002 erhobenen Berufungen in ihrem Bescheid vom März 2004 zunächst nur mit dem Hinweis zurückgewiesen, die bekämpften Bescheide seien durch den im Oktober 2003 erlassenen Jahresbescheid aus dem Rechtsbestand ausgeschieden. Die darauf gestützte Zurückweisung der Berufungen entsprach der Rechtslage vor der Änderung des § 274 BAO durch das Abgaben-Rechtsmittel-Reformgesetz, BGBl. I Nr. 97/2002. Seit der Änderung, die gemäß § 323 Abs. 10 BAO mit 1. Jänner 2003 in Kraft trat und auch auf alle an diesem Tag unerledigten Berufungen - wie die hier verfahrensgegenständlichen - anzuwenden war, lautet die genannte Bestimmung jedoch wie folgt:

"§ 274. Tritt ein Bescheid an die Stelle eines mit Berufung angefochtenen Bescheides, so gilt die Berufung als auch gegen den späteren Bescheid gerichtet. Soweit der spätere Bescheid dem Berufungsbegehren Rechnung trägt, ist die Berufung als gegenstandslos zu erklären."

Der Beschwerdeführer macht geltend, der Jahresbescheid für das Jahr 2002 vom Oktober 2003 sei an die Stelle der mit den zurückgewiesenen Berufungen bekämpften Bescheide getreten, weshalb § 274 erster Satz BAO anzuwenden gewesen wäre und ihn die Zurückweisung der Berufungen im Recht auf deren meritorische Behandlung verletze.

Die belangte Behörde führt in der Gegenschrift ins Treffen, dass einerseits der Bescheid vom Oktober 2003 "nicht nur" an die Stelle der mit den zurückgewiesenen Berufungen bekämpften Bescheide getreten sei, sondern darüber hinaus gehe, worauf es nach einer vom Bundesministerium für Finanzen (SWK 2005, S 425) vertretenen Auffassung hingegen nicht ankommen soll, und andererseits nun mehrere - im Extremfall bis zu zwölf, im vorliegenden Fall drei - Berufungen als gegen den einen Jahresbescheid gerichtet gelten müssten.

Vergleichbare Gesichtspunkte mangelnder zeitlicher Kongruenz hat der Verwaltungsgerichtshof in dem hg. Erkenntnis vom 20. Februar 2008, Zl. 2006/15/0339, einer einschränkenden Auslegung des Begriffs der "abändernden, aufhebenden oder ersetzenden Bescheide im Sinne des § 289 Abs. 3 BAO" zugrunde gelegt (vgl. dazu auch RdW 2008, 308 f). Die dafür nach diesem Erkenntnis maßgeblichen Gründe sind jedoch auf die Frage, ob unerledigte Berufungen gegen Umsatzsteuerfestsetzungsbescheide bei Erlassung des Umsatzsteuerjahresbescheides von der Wirkung des § 274 BAO ausgeschlossen bleiben sollen, sodass der Jahresbescheid mangels Erhebung einer weiteren Berufung unangefochten in Rechtskraft erwachsen würde, nicht übertragbar. Der Jahresbescheid, durch den die Umsatzsteuerfestsetzungsbescheide aus dem Rechtsbestand ausscheiden, tritt daher auch im Sinne des § 274 erster Satz BAO an ihre Stelle. Dies trägt dem nunmehrigen Gleichklang der Formulierungen in §§ 251 und 274 BAO und der neueren hg. Rechtsprechung zum Verhältnis von Umsatzsteuerfestsetzungs- und Umsatzsteuerjahresbescheid (vgl. dazu das Erkenntnis vom 29. Juli 1997, Zl. 95/14/0117, Slg. Nr. 7201/F, Punkt A 5 der Entscheidungsgründe) Rechnung und entspricht auch der im Schrifttum bei weitem überwiegenden Ansicht (vgl. dazu die Nachweise bei Ritz, BAO3, § 274 Tz 2, und zuletzt Gassner in SWK 2008, S 457).

Durch den Umsatzsteuerjahresbescheid vom 1. Oktober 2003, mit dem der Beschwerdeführer ein weiteres Mal unter Verneinung seiner Unternehmereigenschaft zur Entrichtung von Umsatzsteuer gemäß § 11 Abs. 14 UStG 1994 verpflichtet wurde, war den Berufungsbegehren des Beschwerdeführers auch nicht im Sinne des § 274 zweiter Satz BAO Rechnung getragen worden.

Der auf die Zurückweisung der Berufungen gegen die Umsatzsteuerfestsetzungsbescheide für Jänner bis August 2002 bezogene Spruchpunkt des angefochtenen Bescheides war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

2. Zur Festsetzung der Umsatzsteuer für die Jahre 2000 und 2001:

In Bezug auf die Umsatzsteuer für die Jahre 2000 und 2001 ist die belangte Behörde nach umfangreichen ergänzenden Ermittlungen zu der Auffassung gelangt, der Beschwerdeführer sei - im Gegensatz zu den Ausführungen im Betriebsprüfungsbericht vom 18. September 2002, auf den in den erstinstanzlichen Bescheiden verwiesen worden war - in der im angefochtenen Bescheid als "Buchherstellung ohne Vertrieb an Dritte" bezeichneten Weise unternehmerisch tätig gewesen und es habe sich - ebenfalls im Gegensatz zu der vom Betriebsprüfer vertretenen Auffassung - bei der Vermietung von Wohnflächen auf seiner Liegenschaft nicht um Liebhaberei gehandelt. Die belangte Behörde hat allerdings die von ihr als "Handel mit Rechten" bezeichneten Geschäfte des Beschwerdeführers und darauf bezogene, näher genannte Gegengeschäfte - in teilweiser Bindung an ein den Beschwerdeführer betreffendes Strafurteil - als absolute Scheingeschäfte gewertet. Bei der Vermietung im Erdgeschoß ging sie vom Fehlen eines Bestandverhältnisses zwischen dem Beschwerdeführer und der von der belangten Behörde als seine Lebensgefährtin eingestuften E.K. aus, weshalb in Bezug auf die Vermietung eines Zimmers im Erdgeschoß an N.J. der Beschwerdeführer selbst (und nicht E.K. als Untervermieterin) Bestandgeber gewesen sei.

Diesen auf einer eingehenden Auseinandersetzung mit dem Sachverhalt beruhenden, im angefochtenen Bescheid ausführlich begründeten Annahmen der belangten Behörde vermag die Beschwerde - soweit sie der in ihr vertretenen Auffassung widersprechen - nichts Zielführendes entgegenzusetzen. Die Beschwerde zeigt nichts auf, was an der Schlüssigkeit der Beweiswürdigung oder an der Richtigkeit der in die erwähnten Annahmen eingeflossenen rechtlichen Bewertungen der belangten Behörde zweifeln ließe.

Es ist auch - entgegen der in der Rechtsrüge des Beschwerdeführers vertretenen Auffassung - aus umsatzsteuerrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden, wenn die belangte Behörde dem zusätzlich zur vereinbarten Miete für die Wohnung im ersten Stock gewährten zinsenlosen Darlehen im Umfang des dadurch verschafften Zinsengewinns Entgeltcharakter zugesprochen hat. Nach der von der belangten Behörde in unbedenklicher Beweiswürdigung zugrunde gelegten Auskunft der Mieterin (OZl. 32 der vorgelegten Akten) entsprach dies im Zusammenhang mit der zusätzlichen Einräumung eines Gartenplatzes durch den Beschwerdeführer, dessen Äußerung, er wolle "das Geld anlegen, dadurch hätte er ein zusätzliches Zinseinkommen", und dem Verständnis des vereinbarten Mietzinses "zuzüglich dem Zinseinkommen" als "angemessener Gegenwert für die Wohnung" den Vereinbarungen der Vertragspartner.

Dass beim Beschwerdeführer, was in der Rechtsrüge ebenfalls bestritten wird, die Voraussetzungen für eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen vorlagen, ist angesichts der von der belangten Behörde mängelfrei festgestellten Wahrheitswidrigkeiten und Unvollständigkeiten in seinen Angaben nicht zweifelhaft.

Im Rahmen der Rechtsrüge wird auch geltend gemacht, dem Beschwerdeführer wären ein Arbeitsraum und ein Lager "zuzubilligen" gewesen. Dass Teile der Liegenschaft tatsächlich so genutzt worden seien, dass dies den vom Beschwerdeführer u.a. angestrebten, darauf bezogenen Vorsteuerabzug ermöglicht hätte, geht aber auch aus der Beschwerde nicht hervor. Dies betrifft im Besonderen die im Nebengebäude gelagerten, vom Betriebsprüfer noch als "Müll" eingestuften Altbestände an Büchern und Verpackungsmaterial ohne erkennbaren Zusammenhang mit dem aufrechten Betrieb des Beschwerdeführers. Davon abgesehen hat der Beschwerdeführer - was auch seinen Ausführungen über ein Recht zum "100%-igen Vorsteuerabzug" entgegenzuhalten ist - die ausdrückliche Aufforderung der belangten Behörde im Vorhalt vom 19. Dezember 2002, eine Liste der geltend gemachten Vorsteuern vorzulegen und diese nachvollziehbar zu erläutern, nicht befolgt und darauf im Rahmen des stattdessen gestellten "Antrags auf Auskunft" vom 4. Jänner 2003 nur mit einer Gegenfrage reagiert. Er hat das Ermittlungsverfahren vor der belangten Behörde in weiterer Folge (Schreiben vom 11. März 2003) als "rechtswidrige

2. Betriebsprüfung" bezeichnet und auch auf den Vorhalt der belangten Behörde vom 10. Februar 2004, mit dem ihm zu der beabsichtigten Schätzung der Bemessungsgrundlagen und deren voraussichtlichem Ergebnis in allen Einzelheiten Parteiengehör gewährt wurde, mit einem "Antrag auf Auskunft" reagiert, ohne die in seinen Umsatzsteuererklärungen als Vorsteuern angeführten Beträge aufzuschlüsseln (Schreiben vom 8. März 2004).

Schließlich kann auch die in der Beschwerde vertretene Auffassung, die belangte Behörde habe die Grenzen ihrer Bindung an das Strafurteil verkannt, nicht geteilt werden. Der Beschwerdeführer wurde im Strafverfahren - wie im Urteil des OGH vom 6. November 2001, 14 Os 37/01-10, dargestellt - schuldig erkannt, durch ungerechtfertigte Geltendmachung von Vorsteuern über einen längeren Zeitraum hinweg eine Verkürzung von Umsatzsteuervorauszahlungen im Ausmaß von insgesamt S 7,328.983,-- wissentlich bewirkt und im Zuge dieser Tathandlungen durch die Vorlage inhaltlich unrichtiger Rechnungskopien falsche Beweismittel in einem verwaltungsbehördlichen Verfahren gebraucht zu haben. An die dieser Verurteilung zugrunde liegenden Feststellungen war die belangte Behörde, was auch die Beschwerde dem Grunde nach nicht bestreitet, gebunden (vgl. dazu etwa das hg. Erkenntnis vom 24. September 1996, Zl. 95/13/0214, Slg. Nr. 7123/F). Wenn die belangte Behörde - mit jeweils ausführlicher Begründung - auch Feststellungen traf, die über die schon vom Strafurteil "gedeckten Tatsachen" hinaus gingen, so folgt daraus keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides. Dabei spielt es auch keine Rolle, dass Strafverfahren gegen Personen, die dem Beschwerdeführer als Scheinrechnungen beurteilte Rechnungen ausgestellt hatten, mit Einstellung oder Freispruch endeten und vom Strafgericht - außer dem Beschwerdeführer selbst - nur E.K. (als Beteiligte) schuldig gesprochen wurde.

Insoweit sich die Beschwerde gegen die Festsetzung der Umsatzsteuer für die Jahre 2000 und 2001 richtet, war sie daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Wien, am 4. Juni 2008

Schlagworte

Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3Individuelle Normen und Parteienrechte Bindung der Verwaltungsbehörden an gerichtliche Entscheidungen VwRallg9/4

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2004130124.X00

Im RIS seit

09.07.2008

Zuletzt aktualisiert am

21.05.2013
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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