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32/01 Finanzverfahren allgemeines Abgabenrecht;Norm
AVG §73;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hargassner und die Hofräte Dr. Fuchs, Dr. Nowakowski, Dr. Pelant und Dr. Mairinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Unger, über die Beschwerde des P in W, vertreten durch Dr. Peter Klein, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Dr. Karl Lueger-Platz 5, gegen den Bescheid der Finanzlandesdirektion für Wien, Niederösterreich und Burgenland vom 19. Dezember 2002, Zl. AO 670/8-16/2002, betreffend Zurückweisung eines Devolutionsantrages, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Schriftsatz vom 11. September 2000 beantragte der Beschwerdeführer Neufestsetzungen der bereits bescheidmäßig festgesetzten Einkommensteuer, Umsatzsteuer und Gewerbesteuer 1992.
Da das Finanzamt über diesen Antrag nicht entschied, beantragte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 9. September 2002 die Entscheidung der belangten Behörde über den Antrag vom 11. September 2000.
Die belangte Behörde entschied darüber mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid insoweit, als sich der Antrag auf die Einkommen- und die Gewerbesteuer bezog. Hinsichtlich der Umsatzsteuer erging mit Bescheid der belangten Behörde vom 20. Dezember 2002 eine gesonderte - weitere, die Umsatzsteuer für spätere Jahre betreffende Devolutionsanträge des Beschwerdeführers einbeziehende - Entscheidung.
Der Spruch des angefochtenen Bescheides lautet:
"Der Antrag des ... auf Übergang der Entscheidungspflicht auf
die Abgabenbehörde zweiter Instanz (Devolutionsantrag) gemäß § 311 Abs 2 Bundesabgabenordnung (BAO) vom 9.9.2002 betreffend die Neufestsetzung der Einkommensteuer 1992 und der Gewerbesteuer 1992 wird zurückgewiesen."
Begründend führte die belangte Behörde - soweit hier wesentlich - aus:
"Die Entscheidungspflicht besteht nicht nur für Anbringen, die meritorisch zu erledigen sind. Sie besteht auch dann, wenn das Anbringen zurückzuweisen ist.
Ein Anbringen ist zurückzuweisen, wenn es unzulässig ist. Eine Unzulässigkeit liegt z.B. vor bei einer entschiedenen Sache (Bundesabgabenordnung, Kommentar, Ritz, § 311 Tz10).
Im gegenständlichen Fall war der Antrag als unzulässig zurückzuweisen, da über die Einkommensteuer 1992 und die Gewerbesteuer 1992 bereits entschieden worden ist."
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
In der Beschwerde und in der Replik auf die Gegenschrift der belangten Behörde wird vor allem geltend gemacht, der Antrag vom 11. September 2000 wäre als Wiederaufnahmsantrag zu werten gewesen. Als Wiederaufnahmegründe wären dabei - nach dem in der Beschwerde vertretenen Standpunkt - offenbar Annahmen zu verstehen gewesen, die dem letztinstanzlichen Bescheid u.a. über die Einkommensteuer 1992 bereits zugrunde gelegen waren. Darüber hinaus wird mit Hinweis darauf, dass sich der Bescheid vom 20. Dezember 2002 auf einen die Umsatzsteuer 1992 betreffenden Devolutionsantrag vom 12. September 2002 (richtigerweise bloß das Datum des Einlangen des Devolutionsantrages vom 9. September 2002) beziehe, bestritten, dass der Antrag vom 9. September 2002 mit dem zweiten Bescheid der belangten Behörde insoweit erledigt worden sei.
Eine Auseinandersetzung mit diesen Argumenten erübrigt sich, weil der angefochtene Bescheid wegen des verfehlten Inhaltes der in seinem Spruch formulierten Entscheidung nicht Bestand haben kann. Ist ein Anbringen zurückzuweisen und kommt die Erstbehörde ihrer diesbezüglichen Entscheidungspflicht nicht nach, so hat die mit Devolutionsantrag angerufene Oberbehörde nicht den Devolutionsantrag, sondern in Stattgebung des Devolutionsantrages den Sachantrag zurückzuweisen (vgl. in diesem Sinn vor allem die zu § 73 AVG ergangenen hg. Erkenntnisse vom 25. Juni 1996, Zl. 95/11/0419 und Zl. 95/11/0352; zur Entscheidungspflicht bei zurückzuweisenden Anbringen als Beispiel für viele etwa auch das Erkenntnis vom 21. September 2005, Zl. 2005/13/0064). Die Zurückweisung des Devolutionsantrages aus dem von der belangten Behörde angeführten Grund, nämlich wegen Unzulässigkeit des zugrunde liegenden Sachantrages, entsprach daher nicht dem Gesetz.
Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom 19. Juni 2002, Zl. 2000/05/0107, ausgesprochen, es liege ein bloßes Vergreifen im Ausdruck vor, wenn der in einem abweisenden Spruch (im entschiedenen Fall: mit Datum) bezeichnete Antrag zwar der Devolutionsantrag sei, aus der Begründung aber zweifelsfrei hervorgehe, dass die belangte Behörde vom Übergang der Zuständigkeit zur Sachentscheidung ausgegangen sei und eine Abweisung nicht des Devolutionsantrages, sondern des verfahrenseinleitenden Antrages beabsichtigt habe. Den Devolutionsantrag hatte die belangte Behörde in diesem Fall - mit Hinweis auf die "Säumnis" der Behörde erster Instanz - in der Begründung als "zulässig" bezeichnet.
An dieses Erkenntnis anknüpfend hat der Verwaltungsgerichtshof in dem Erkenntnis vom 23. Oktober 2002, Zl. 99/12/0039, auch für die (scheinbare) spruchmäßige Zurückweisung eines Devolutionsantrages statt des verfahrenseinleitenden Antrages ein bloßes Vergreifen im Ausdruck angenommen. Diese Entscheidung stützte sich auf die "weitere Formulierung des Spruches" der Entscheidung in Verbindung mit der Begründung. In den beiden Spruchpunkten waren der "Devolutionsantrag auf bescheidmäßige Feststellung ... zurückgewiesen" bzw. der "Devolutionsantrag auf zusätzliche
Abgeltung ... abgewiesen" worden.
Von diesen Fällen unterscheidet sich der vorliegende zunächst dadurch, dass die belangte Behörde ihre Entscheidung im Spruch nicht nur auf einen Antrag bezogen hat, bei dem es sich seiner datumsmäßigen Bezeichnung nach um den Devolutionsantrag handelte, wie im Fall des Erkenntnisses vom 19. Juni 2002, oder sich in Verbindung mit einer Wiedergabe der die Sache selbst betreffenden Antragsinhalte versehentlich des Ausdrucks "Devolutionsantrag" bedient hat, wie im Fall des Erkenntnisses vom 23. Oktober 2002, sondern sich ihr Spruch unter ausdrücklicher Bezeichnung des Antragszieles "auf Übergang der Entscheidungspflicht auf die Abgabenbehörde zweiter Instanz" auf den Devolutionsantrag bezog. Die belangte Behörde hat andererseits in der Begründung ihrer Entscheidung zwar Rechtsausführungen aneinander gereiht, die eine Zulässigkeit des Devolutionsantrages implizieren, diese aber auch in der Begründung ihrer Entscheidung nicht ausdrücklich bejaht. Damit steht der Fall insbesondere dem mit dem hg. Erkenntnis vom 25. Juni 1996, Zl. 95/11/0352, entschiedenen Fall, in dem ein Devolutionsantrag "gemäß § 68 Abs. 1 AVG ... wegen entschiedener Sache" (gemeint: hinsichtlich des zugrunde liegenden Sachanliegens) zurückgewiesen worden war, näher als den mit den Erkenntnissen vom 19. Juni 2002 und vom 23. Oktober 2002 entschiedenen Fällen.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz im Ausmaß des im Beschwerdeschriftsatz vom 10. September 2003 gestellten Begehrens gründet
sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 4. Juni 2008
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2003130110.X00Im RIS seit
09.07.2008Zuletzt aktualisiert am
10.07.2012