Index
001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
FSG 1997 §39 Abs1 idF 2002/I/081;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bernard und die Hofräte Dr. Gall, Dr. Schick, Dr. Grünstäudl und Mag. Samm als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Runge, über die Beschwerde der A in S, vertreten durch Dr. Gernot Kerschhackel, Rechtsanwalt in 2500 Baden, Wiener Straße 44/11, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 4. Jänner 2005, Zl. Senat-MB-04-2002, betreffend vorläufige Abnahme des Führerscheines, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem angefochtenen Bescheid wurde die auf Art. 129a Abs. 1 Z 2 B-VG gestützte Maßnahmenbeschwerde der Beschwerdeführerin gegen die am 25. Mai 2004 in St. Pölten erfolgte vorläufige Abnahme ihres Führerscheines durch Beamte der Bundespolizeidirektion St. Pölten gemäß § 67a Abs. 1 Z 2 in Verbindung mit § 67c Abs. 3 AVG und § 39 Abs. 1 FSG als unbegründet abgewiesen.
Die belangte Behörde legte ihrer Entscheidung zu Grunde, dass die Beschwerdeführerin im Ortsgebiet von St. Pölten als Lenkerin eines Kraftfahrzeuges eine (mittels Lasermessgerät festgestellte) Geschwindigkeit von 93 km/h eingehalten habe.
In der rechtlichen Beurteilung führte die belangte Behörde im Wesentlichen Folgendes aus:
Auch wenn wegen einer an der "Ortstafel" unzulässig angebrachten Hinweistafel ein Kundmachungsmangel vorliege, hätten die einschreitenden Organe im Hinblick auf die Örtlichkeit und das Ergebnis der Geschwindigkeitsmessung (96 km/h) vertretbarer Weise das Vorliegen der Voraussetzungen für ihr Einschreiten (mit technischen Hilfsmitteln festgestellte, mit einer Entziehung zu ahndende Geschwindigkeitsüberschreitung) annehmen dürfen. Unberechtigt sei - im Hinblick auf Gesetzeswortlaut und -zweck - der Einwand der Beschwerdeführerin, eine vorläufige Abnahme des Führerscheins sei nur zulässig, wenn der betreffende Lenker auf Grund der Geschwindigkeitsüberschreitung nicht mehr die volle Herrschaft über seinen Geist und Körper besitze. Unter Zugrundelegung dieser Annahme wäre nämlich der vierte Satz des § 39 Abs. 1 FSG inhaltsleer.
2. In ihrer Beschwerde beantragt die Beschwerdeführerin die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag auf Abweisung der Beschwerde.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1.1. § 39 Abs. 1 des Führerscheingesetzes, BGBl. I Nr. 120/1997 idF BGBl. I Nr. 81/2002 (FSG) lautet:
"Vorläufige Abnahme des Führerscheines
§ 39. (1) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der Straßenaufsicht haben einem Kraftfahrzeuglenker, aus dessen Verhalten deutlich zu erkennen ist, dass er insbesondere infolge Alkohol- oder Suchtmittelgenusses, Einnahme von Medikamenten oder eines außergewöhnlichen Erregungs- oder Ermüdungszustandes nicht mehr die volle Herrschaft über seinen Geist und seinen Körper besitzt, den Führerschein, den Mopedausweis oder gegebenenfalls beide Dokumente vorläufig abzunehmen, wenn er ein Kraftfahrzeug lenkt, in Betrieb nimmt oder versucht, es in Betrieb zu nehmen. Weiters haben die Organe die genannten Dokumente vorläufig abzunehmen, wenn ein Alkoholgehalt des Blutes von 0,8 g/l (0,8 Promille) oder mehr oder ein Alkoholgehalt der Atemluft von 0,4 mg/l oder mehr festgestellt wurde oder der Lenker eine Übertretung gemäß § 99 Abs. 1 lit. b oder c StVO 1960 begangen hat, wenn der Lenker ein Kraftfahrzeug gelenkt hat, in Betrieb genommen hat oder versucht hat, es in Betrieb zu nehmen, auch wenn anzunehmen ist, dass der Lenker in diesem Zustand kein Kraftfahrzeug mehr lenken oder in Betrieb nehmen wird. Außerdem haben diese Organe Personen, denen die Lenkberechtigung mit Bescheid vollstreckbar entzogen wurde oder über die ein mit Bescheid vollstreckbares Lenkverbot verhängt wurde und die der Ablieferungsverpflichtung der Dokumente nicht nachgekommen sind, den Führerschein, den Mopedausweis oder gegebenenfalls beide Dokumente abzunehmen. Ebenso können diese Organe bei mit technischen Hilfsmitteln festgestellten Geschwindigkeitsübertretungen, die mit einer Entziehung geahndet werden, den Führerschein vorläufig abnehmen. Bei der vorläufigen Abnahme ist eine Bescheinigung auszustellen, in der die Gründe für die Abnahme und eine Belehrung über die zur Wiedererlangung des Führerscheines oder Mopedausweises erforderlichen Schritte enthalten sind.
..."
1.2.1. Die Vorgängerbestimmung zu § 39 Abs. 1 FSG, § 76 Abs. 1 KFG 1967, lautete (unverändert in der Stammfassung bis zum Außerkrafttreten am 30. Oktober 1997):
"§ 76. Vorläufige Abnahme des Führerscheines
(1) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes haben einem Kraftfahrzeuglenker, aus dessen Verhalten deutlich zu erkennen ist, daß er insbesondere infolge eines übermäßigen Alkoholgenusses oder eines außergewöhnlichen Erregungs- oder Ermüdungszustandes nicht mehr die volle Herrschaft über seinen Geist und seinen Körper besitzt, den Führerschein vorläufig abzunehmen, wenn er ein Kraftfahrzeug lenkt, in Betrieb nimmt oder versucht, es in Betrieb zu nehmen. Bei der vorläufigen Abnahme ist eine Bescheinigung auszustellen, in der die Gründe für die Abnahme und eine Belehrung über die zur Wiedererlangung des Führerscheines erforderlichen Schritte enthalten sind.
..."
1.2.2. In den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage (RV 186 Blg NR XI. GP) heißt es zu dieser Bestimmung:
"Die Verpflichtung der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, einen Führerschein vorläufig abzunehmen, soll ausschließlich mit der Feststellung einer unmittelbaren Unfallgefahr entstehen, die durch eine bestimmte geistige oder körperliche Verfassung des Führerscheinbesitzers zusammen mit der Tatsache gegeben ist, daß dieser ein Kraftfahrzeug lenkt, in Betrieb nimmt oder versucht, es in Betrieb zu nehmen. Bei der Beurteilung, ob die Verpflichtung zur vorläufigen Abnahme des Führerscheines besteht, hat sich das einschreitende Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes sohin ausschließlich von dem Bestreben leiten zu lassen, einen drohenden Verkehrsunfall zu verhüten. Andere Umstände, wie etwa das Verschulden oder Nichtverschulden eines vorangegangenen Unfalles, werden für diese Beurteilung somit nur maßgebend sein, wenn sie die Unfallsgefahr zu vergrößern oder zu vermindern scheinen. Der Zusicherung des Führerscheinbesitzers, vom Lenken eines Kraftfahrzeuges so lange Abstand zu nehmen, als ärztlicherseits Bedenken gegeben sind, könnte zweifellos Glauben geschenkt werden, wenn der Führerscheinbesitzer offensichtlich vertrauenswürdig und in vollem Besitze seiner Vernunft ist. Bei Beurteilung der Vertrauenswürdigkeit und der vollen Zurechnungsfähigkeit werden allerdings im Hinblick auf die möglichen schweren Folgen der Belassung des Führerscheines strengste Maßstäbe anzulegen sein. Die Verpflichtung, aber auch die Befugnis zur vorläufigen Abnahme des Führerscheines endet jedenfalls, wenn die geforderten Voraussetzungen ganz oder teilweise wegfallen und daher eine unmittelbare Unfallsgefahr nicht mehr gegeben ist. Die für den Führerscheinbesitzer offensichtliche Unmöglichkeit, ein Kraftfahrzeug zu lenken, schließt jedenfalls eine unmittelbare Unfallsgefahr aus. Die vorläufige Abnahme des Führerscheines wird bei der Wiedererlangung der geistigen oder körperlichen Eignung eines Führerscheinbesitzers, ein Kraftfahrzeug zu lenken, mit Rücksicht auf den Verwaltungszweck nur dann unterbleiben können, wenn ein Rückfall nicht unmittelbar zu befürchten ist. Sie wird ferner auch nur unterbleiben können, wenn nicht zu befürchten ist, daß der Führerscheinbesitzer noch vor Wiedererlangung seiner geistigen und körperlichen Eignung ein Kraftfahrzeug lenkt, in Betrieb nimmt oder versucht, es in Betrieb zu nehmen."
1.3.1. § 39 Abs. 1 FSG in der Stammfassung (BGBl. I Nr. 120/1997) lautete:
"Vorläufige Abnahme des Führerscheines
§ 39. (1) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der Straßenaufsicht haben einem Kraftfahrzeuglenker, aus dessen Verhalten deutlich zu erkennen ist, daß er insbesondere infolge Alkohol oder Suchtmittelgenusses, Einnahme von Medikamenten oder eines außergewöhnlichen Erregungs- oder Ermüdungszustandes nicht mehr die volle Herrschaft über seinen Geist und seinen Körper besitzt oder bei dem ein Alkoholgehalt des Blutes von 0,8 g/l (0,8 Promille) oder mehr oder ein Alkoholgehalt der Atemluft von 0,4 mg/l oder mehr festgestellt wurde, den Führerschein vorläufig abzunehmen, wenn er ein Kraftfahrzeug gelenkt hat, in Betrieb genommen hat oder es in Betrieb zu nehmen versucht. Ebenso können diese Organe bei mit technischen Hilfsmitteln festgestellten Geschwindigkeitsübertretungen, die mit einer Entziehung geahndet werden, den Führerschein vorläufig abnehmen. Bei der vorläufigen Abnahme ist eine Bescheinigung auszustellen, in der die Gründe für die Abnahme und eine Belehrung über die zur Wiedererlangung des Führerscheines erforderlichen Schritte enthalten sind."
1.3.2. Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage (RV 714 Blg. NR. XX GP) führen diesbezüglich lediglich aus:
"Zu § 39:
Entspricht den Bestimmungen des bisherigen § 76 KFG mit der Maßgabe, daß auch bei mit technischen Hilfsmitteln festgestellten Geschwindigkeitsübertretungen, die gemäß § 7 Abs. 3 Z 4 eine Entziehung nach sich ziehen, der Führerschein vorläufig abgenommen werden kann."
1.4.1. § 39 Abs. 1 FSG erhielt durch die 5. Führerscheingesetz-Novelle (BGBl. I Nr. 81/2002) die nunmehr geltende Fassung.
1.4.2. Die Erläuterungen zur Regierungsvorlage (RV 1033 Blg. NR. XXI GP) lauten diesbezüglich:
"Zu Z 89 (§ 39 Abs. 1 erster Satz):
Da in den in § 39 Abs. 1 genannten Fällen eine Gefährdung der Verkehrssicherheit auch dann gegeben ist, wenn der Betreffende 'nur' ein Moped lenkt bzw. bei Alkoholdelikten auch ein Lenkverbot ausgesprochen werden kann, ist konsequenterweise auch eine Verpflichtung zur vorläufigen Abnahme des Mopedausweises analog dem Führerschein einzuführen.
Außerdem wird der aktuellen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes Rechnung getragen, die davon ausgeht, dass trotz der Formulierung 'gelenkt hat' die vorläufige Abnahme nicht zulässig ist, wenn nicht anzunehmen ist, dass der Lenker in alkoholisiertem Zustand Kraftfahrzeuge lenken wird. In diesem Fall soll die vorläufige Abnahme jedoch auch zulässig sein, um die Vollstreckung des Entzugs der Lenkberechtigung sicherzustellen und zu verhindern, dass der Betreffende trotz Entzugs der Lenkberechtigung den Führerschein nicht bei der Behörde abliefert.
Außerdem wird ein neuer dritter Satz eingefügt:
Das System des Wiederauflebens der Lenkberechtigung nach einem Entzug führt in der Praxis des Öfteren zu der Situation, dass die betreffenden Führerscheinbesitzer den Führerschein nicht bei der Behörde abliefern. Da diese Situation höchst unbefriedigend ist, muss es für die Exekutive die Möglichkeit geben, Lenkern, denen die Lenkberechtigung entzogen wurde und der Ablieferungsverpflichtung nicht nachgekommen sind, den Führerschein vorläufig abzunehmen. Die Feststellung, dass einem Lenker die Lenkberechtigung entzogen wurde, obwohl er im Besitz eines Führerscheines ist, ist mittels Anfrage der Exekutive an das Zentrale Führerscheinregister möglich."
2.1. § 76 Abs. 1 KFG 1967 ermöglichte also die vorläufige Abnahme des Führerscheines dann, wenn ein Kraftfahrzeuglenker - deutlich erkennbar - nicht mehr die volle Herrschaft über Geist und Körper besitzt. Die daraus resultierende "unmittelbare Unfallgefahr" sei es, so die zitierten Erläuterungen, die es durch die Führerscheinabnahme abzuwenden gelte.
2.2. Durch § 39 Abs. 1 FSG wurde der Anwendungsbereich für die vorläufige Abnahme des Führerscheines erweitert, und zwar (entgegen den Erläuterungen) nicht nur um die Fälle der mit technischen Hilfsmitteln festgestellten, mit einer Entziehung zu ahndenden Geschwindigkeitsüberschreitungen, sondern auch insoweit, als die Feststellung eines bestimmten Blut- bzw. Atemluftalkoholgehaltes unabhängig vom konkreten Einfluss dieses Alkoholgehalts auf die Herrschaft über Geist und Körper des Kraftfahrzeuglenkers die vorläufige Abnahme des Führerscheines (unter weiteren - im Übrigen gleich bleibenden - Bedingungen) rechtfertigt.
2.3. Eine zusätzliche Erweiterung des Anwendungsbereiches brachte - wie dargestellt - die Novelle BGBl. I Nr. 81/2002, die im gegebenen Zusammenhang einerseits die Begehung einer Übertretung des § 99 Abs. 1 lit. b oder c StVO 1960 mit der Feststellung eines Blutalkoholgehalts von 0,8 Promille gleichsetzte und andererseits die vorläufige Abnahme des Führerscheines auch zur Durchsetzung der Ablieferungspflicht nach Entziehung der Lenkberechtigung bzw. Verhängung eines Lenkverbotes ermöglichte.
3.1. Nach der zu § 76 Abs. 1 KFG 1967 ergangenen ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die vorläufige Abnahme des Führerscheines eine Sicherungsmaßnahme, die im Interesse der Verkehrssicherheit gesetzt wird. Sie soll im gegebenen Zusammenhang verhindern, dass eine Person als Kraftfahrzeuglenker am Straßenverkehr teilnimmt, obwohl sie sich in einem Zustand befindet, in dem sie das Kraftfahrzeug nicht zu beherrschen im Stande ist (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 6. März 1990, Zl. 89/11/0257, mwN). Die Rechtmäßigkeit einer vorläufigen Abnahme des Führerscheines war nach dieser Judikatur bereits dann gegeben, wenn die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes zur Annahme berechtigt waren, die betreffende Person werde in ihrem die Fähigkeit hiezu ausschließenden Zustand ein Kraftfahrzeug lenken (vgl. z.B. das bereits erwähnte hg. Erkenntnis vom 6. März 1990 sowie die hg. Erkenntnisse vom 12. Juni 1990, Zl. 89/11/0297, vom 20. November 1990, Zl. 90/11/0118, und vom 28. Juni 1994, Zl. 94/11/0146). Für die Frage der Rechtmäßigkeit der vorläufigen Abnahme des Führerscheines kam es hingegen nicht darauf an, ob das Einschreiten der Organe, welches zur Feststellung von Alkoholisierungssymptomen führte, seinerseits rechtmäßig war.
3.2. Diese Judikatur zu § 76 Abs. 1 KFG 1967 wurde vom Verwaltungsgerichtshof auch auf vorläufige Führerscheinabnahmen nach dem FSG übertragen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Juli 2002, Zl. 2000/11/0171).
Unter Hinweis darauf, dass nach § 39 Abs. 1 FSG die vorläufige Abnahme des Führerscheines nicht nur wie schon nach § 76 Abs. 1 erster Satz KFG 1967 dann zulässig ist, wenn aus dem Verhalten des Kraftfahrzeuglenkers zu erkennen ist, dass er aus näher genannten Gründen nicht mehr die volle Herrschaft über seinen Geist und seinen Körper besitzt, sondern auch dann, wenn ein bestimmter Alkoholisierungsgrad festgestellt wurde, hat der Verwaltungsgerichtshof im zuletzt zitierten Erkenntnis Folgendes ausgeführt:
"Dem Charakter der vorläufigen Führerscheinabnahme als Sicherungsmaßnahme entsprechend muss es auch im Fall eines einschlägigen Alkoholisierungsgrades für die Rechtmäßigkeit der Maßnahme ausreichen, wenn die einschreitenden Organe, insbesondere auf Grund eines unbedenklichen Messergebnisses mit einem entsprechend geeigneten und funktionstüchtigen Messgerät, im Einzelfall davon ausgehen können, dass die gesetzlichen Grenzwerte (Alkoholgehalt des Blutes von 0,8 g/l oder mehr; Alkoholgehalt der Atemluft von 0,4 mg/l oder mehr) erreicht oder überschritten werden. Ob es später zu einer Bestrafung wegen des Begehens einer Verwaltungsübertretung oder zur Entziehung der Lenkberechtigung kommt, ist für die Frage der Rechtmäßigkeit der vorläufigen Abnahme des Führerscheines nicht von Belang."
4.1. Die vorläufige Abnahme des Führerscheins ist also (sieht man vom Fall der Durchsetzung der Ablieferungspflicht nach Entziehung der Lenkberechtigung bzw. Verhängung eines Lenkverbotes - § 39 Abs. 1 dritter Satz FSG - ab) ein im Wesentlichen den Interessen der Verkehrssicherheit dienendes Sicherungsmittel; es soll damit durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes einer "unmittelbaren Unfallgefahr" entgegengewirkt werden.
4.2. Zu der - im gegebenen Zusammenhang (Voraussetzungen für die Anwendung eines Sicherungsmittels) vergleichbaren - Bestimmung des § 35 VStG, wonach die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes außer den gesetzlich besonders geregelten Fällen, Personen, die auf frischer Tat betreten werden, zum Zweck ihrer Vorführung vor die Behörde festnehmen dürfen, wenn eine der weiteren in § 35 Z 1 bis 3 VStG genannten Festnahmevoraussetzungen vorliegt, judiziert der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung, dass die Voraussetzung, jemand habe eine als Verwaltungsübertretung strafbare Handlung begangen und sei bei der Begehung der Tat betreten worden, schon dann erfüllt ist, wenn es vertretbar erscheint, die Tat als strafbar zu beurteilen, wenn also das Organ mit gutem Grund annehmen konnte, dass eine Verwaltungsübertretung begangen wird (vgl. die bei Walter/Thienel,
Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze II2, unter E 26 f zu § 35 VStG zitierte Judikatur).
4.3. Hinsichtlich der - gleichfalls Sicherungscharakter aufweisenden - Einhebung einer vorläufigen Sicherheit gemäß § 37a Abs. 2 Z 2 VStG wird ebenfalls judiziert, dass es - für die Tatbestandsvoraussetzung "auf frischer Tat betreten" - ausreichend ist, dass eine Person beim Setzen einer Handlung wahrgenommen wird, von der das Organ mit gutem Grund annehmen kann, dass es sich um eine Verwaltungsübertretung handelt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 8. Juni 2006, Zl. 2004/03/0220, mwN).
5. Vor dem dargestellten Hintergrund erweist sich das Beschwerdevorbringen als nicht zielführend:
5.1. Anknüpfend an ihr schon im Verwaltungsverfahren erstattetes Vorbringen, die Anbringung einer Hinweistafel mit der Aufschrift "ATP Tennis Grand-Prix" unmittelbar an der Ortstafel "St. Pölten" bedeute, dass eine Geschwindigkeitsbeschränkung von 50 km/h nicht ordnungsgemäß kundgemacht sei, vertritt die Beschwerdeführerin die Auffassung, sie habe gegen keine Geschwindigkeitsbeschränkung verstoßen. Die einschreitenden Sicherheitsorgane hätten aber auch nicht vertretbarer Weise von einer Geschwindigkeitsüberschreitung ausgehen können, sei es ihnen doch zumutbar gewesen, sich vor Durchführung von Messungen davon zu vergewissern, "dass die Geschwindigkeitsbegrenzung, von denen die Sicherheitsorgane ausgehen, auch tatsächlich stimmt". Eine solche Überprüfung hätte sich auf einen stark eingeschränkten geographischen Bereich bezogen und keine großen Mühen bereitet. Dass die Beschwerdeführerin die Sicherheitsorgane nicht auf den Kundmachungsmangel aufmerksam gemacht habe, sei unerheblich, weil ein solcher Hinweis nicht geboten gewesen sei.
5.2. Unstrittig ist im Beschwerdefall allerdings, dass die Beschwerdeführerin ihr Fahrzeug im verfahrensgegenständlichen Zeitpunkt in St. Pölten, von der A1 kommend Richtung Landhaus lenkte, dass dabei eine Überprüfung der eingehaltenen Geschwindigkeit mit technischen Hilfsmitteln (Lasergerät) erfolgte, die eine Geschwindigkeit von 96 km/h ergab. Angesichts dieses Messergebnisses und der gegebenen Örtlichkeit - die Messung erfolgte an einer Stelle im "Ortsgebiet" von St. Pölten, also auf einer Straße innerhalb der Hinweiszeichen "Ortstafel" (§ 53 Z 17a StVO 1960) und "Ortsende" (§ 53 Z 17b StVO 1960) - konnten die einschreitenden Organe vertretbarer Weise vom Vorliegen einer mit einer Entziehung zu ahndenden Geschwindigkeitsüberschreitung (§ 7 Abs. 3 Z 4 FSG) ausgehen: Gemäß § 53 Z 17a StVO 1960 ist das Zeichen "Ortstafel" jeweils am Beginn des verbauten Gebietes anzubringen; ein Gebiet ist dann verbaut, wenn die örtliche Zusammengehörigkeit mehrerer Bauwerke leicht erkennbar ist. Dass diese Voraussetzung für die Anbringung des Zeichens "Ortstafel" vorgelegen ist, ist im Beschwerdefall nicht strittig. Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Maßnahme kommt es nicht darauf an, ob - ex post betrachtet - die Fahrweise der Beschwerdeführerin als Verwaltungsübertretung zu qualifizieren ist, und ob es später zu einer Bestrafung wegen des Begehens einer Verwaltungsübertretung oder zur Entziehung der Lenkberechtigung kommt. Es genügt vielmehr, dass die einschreitenden Organe in der konkreten Fallkonstellation dies annehmen konnten, wozu sie angesichts des Messergebnisses und der Örtlichkeit berechtigt waren. Der im Beschwerdefall geltend gemachte Kundmachungsfehler durch Anbringung einer unzulässigen Hinweistafel an der "Ortstafel" änderte daran nichts.
5.3. Ebenso wenig zielführend ist das Vorbringen der Beschwerdeführerin, sie habe trotz der hohen Geschwindigkeit die volle Herrschaft über Geist und Körper gehabt und sei in ihrer Wahrnehmungsfähigkeit nicht beeinträchtigt gewesen, weshalb eine Führerscheinabnahme unzulässig gewesen sei.
Schon die belangte Behörde hat zutreffend darauf verwiesen, dass aus der Formulierung "ebenso" im (nunmehr) vierten Satz des § 39 Abs. 1 FSG (zweiter Satz der Stammfassung) nicht der Schluss gezogen werden kann, in den Fällen erheblicher Geschwindigkeitsüberschreitungen sei die vorläufige Abnahme des Führerscheins nur dann zulässig, wenn der Betreffende nicht mehr über die volle Herrschaft über Geist und Körper verfüge. Unter Zugrundelegung dieser Auslegungsvariante bestünde nämlich kein eigenständiger Anwendungsbereich für diesen Fall, durch den vom Gesetzgeber (offenbar bewusst; so jedenfalls die zitierten Erläuterungen) der Anwendungsbereich für die vorläufige Abnahme des Führerscheins gegenüber der Vorgängerbestimmung (§ 76 Abs. 1 KFG 1967) erweitert werden sollte. Das kann aber dem Gesetzgeber nicht zugesonnen werden.
6. Dennoch erweist sich die Beschwerde im Ergebnis als begründet:
6.1. Auf Grund der Bestimmung des § 39 Abs. 1 vierter Satz FSG steht es im Ermessen der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes, bei mit technischen Hilfsmitteln festgestellten Geschwindigkeitsüberschreitungen, die mit einer Entziehung geahndet werden, den Führerschein vorläufig abzunehmen. Dafür, dass der Gesetzgeber mit dieser Bestimmung der Behörde bzw. den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes schrankenloses Ermessen einräumen wollte, fehlt jeder Hinweis. Im Hinblick auf die dargestellte Entstehungsgeschichte und das Ziel der anzuwendenden Bestimmung (Sicherheitsmaßnahme im Dienste der Verkehrssicherheit) muss vielmehr angenommen werden, dass es für die Rechtmäßigkeit der vorläufigen Abnahme des Führerscheins auch im Fall einer mit einer Entziehung zu ahndenden Geschwindigkeitsüberschreitung erforderlich ist, dass das einschreitende Organ ausgehend von dem im Zeitpunkt des Einschreitens gegebenen Sachverhalt den Eindruck haben konnte, der Betreffende werde - weiterhin - durch sein Verhalten, etwa durch abermalige Einhaltung einer massiv überhöhten Geschwindigkeit, die Verkehrssicherheit gefährden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. März 2006, Zl. 2006/11/0019).
6.2. Für das Vorliegen dieser Wiederholungsgefahr gibt es im Beschwerdefall keinen Hinweis: Die Beschwerdeführerin hat zwar anlässlich der Kontrolle und vorläufigen Abnahme des Führerscheins ihr Verhalten mit einem "dringenden Termin im Regierungsviertel" zu rechtfertigen versucht. Von der belangten Behörde blieb aber unberücksichtigt, dass die Führerscheinabnahme nach der Aktenlage (erst) in der Tiefgarage des "Landhausviertels" erfolgte, also bereits am Ziel der Fahrt der Beschwerdeführerin.
6.3. Davon ausgehend fehlten aber Anhaltspunkte für eine die vorläufige Abnahme des Führerscheins rechtfertigende Annahme, die Beschwerdeführerin könnte ohne vorläufige Abnahme des Führerscheins die Verkehrssicherheit gefährden.
7. Der angefochtene Bescheid war deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 18. Juni 2008
Schlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2Besondere RechtsgebieteAuslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2005110048.X00Im RIS seit
18.07.2008Zuletzt aktualisiert am
17.10.2011