TE Vwgh Erkenntnis 2008/6/19 2007/21/0358

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Veröffentlicht am 19.06.2008
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Index

L00152 Unabhängiger Verwaltungssenat Kärnten;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AVG §56;
AVG §66 Abs4;
AVG §67b idF 1998/I/158;
AVG §67b Z2;
AVG §67b;
AVG §67c Abs4;
AVG §67c Abs5;
AVG §67c idF 1998/I/158;
AVG §67c;
AVG §67d;
AVG §67e;
AVG §67f;
AVG §67g Abs1;
AVG §67g;
AVG §68 Abs1;
AVG §79a;
AVGNov 1998;
FrG 1993 §52;
FrG 1997 §73 Abs2;
FrG 1997 §73 Abs3 idF 1998/I/158;
FrG 1997 §73;
FrPolG 1954 §5a;
FrPolG 2005 §76 Abs1;
FrPolG 2005 §82;
FrPolG 2005 §83 Abs2;
FrPolG 2005 §83 Abs4;
FrPolG 2005 §83;
GO UVS Krnt 1991 §11 Z3;
VStG §51h Abs4;
VwGG §42 Abs2 Z2;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher, Dr. Pfiel und Mag. Eder als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates im Land Niederösterreich vom 14. August 2007, Zl. Senat-FR-07-1047/1, betreffend Schubhaft (mitbeteiligte Partei: A, vertreten durch Dr. Lennart Binder, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Rochusgasse 2/12), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufgehoben.

Begründung

Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger von Nigeria, reiste illegal in das österreichische Bundesgebiet ein und beantragte am 17. Juli 2006 die Gewährung von internationalem Schutz. Mit Bescheid vom 15. Dezember 2006 wies das Bundesasylamt diesen Antrag ab und erkannte dem Mitbeteiligten auch nicht den Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Nigeria zu. Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 2 AsylG 2005 wies es den Mitbeteiligten aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Nigeria aus. Seine gegen diesen Bescheid erhobene Berufung wurde mit Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 25. Jänner 2007 als verspätet zurückgewiesen. Eine Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes gegen diese Entscheidung ist nicht erfolgt.

Mit - am selben Tag in Vollzug gesetztem - Bescheid vom 20. Juli 2007 ordnete die Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen gegen den Mitbeteiligten gemäß § 76 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG die Schubhaft zur Sicherung seiner Abschiebung an. Er wurde bis zum 14. August 2007 in Schubhaft angehalten.

Mit Bescheid vom 26. Juli 2007 wies die belangte Behörde seine Schubhaftbeschwerde gemäß § 83 FPG ab und stellte gemäß § 83 Abs. 4 erster Satz FPG fest, dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen.

Diese Entscheidung wurde lediglich der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen mit den Verwaltungsakten übermittelt, eine Zustellung an den Mitbeteiligten ist jedoch irrtümlich unterblieben. Dessen Rechtsvertreter teilte der belangten Behörde daraufhin mit Eingabe vom 14. August 2007 mit, keine Entscheidung über seine Beschwerde erhalten zu haben, obwohl die siebentägige Frist des § 83 Abs. 2 Z. 2 FPG bereits verstrichen sei. Es werde daher um sofortige Entlassung des Mitbeteiligten ersucht.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 14. August 2007 gab die belangte Behörde daraufhin der genannten Beschwerde gemäß § 83 FPG statt und stellte fest, dass die Anhaltung des Mitbeteiligten in der Zeit vom 25. Juli bis zum 14. August 2007 rechtswidrig gewesen sei. Begründend führte sie aus, das Unterbleiben einer Zustellung des Bescheides vom 26. Juli 2007 an den Rechtsvertreter des Mitbeteiligten bedeute, dass nunmehr die Wochenfrist überschritten und diesem eine Entscheidung über die Beschwerde bisher nicht rechtsgültig zugekommen sei. Der Mitbeteiligte sei daher "in Entsprechung der Judikatur der Höchstgerichte in seinen Rechten verletzt", sodass spruchgemäß zu entscheiden sei.

Über die dagegen erhobene Beschwerde der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Erstattung von Gegenschriften durch die belangte Behörde sowie den Mitbeteiligten erwogen:

Festzuhalten ist, dass der Bescheid der belangten Behörde vom 26. Juli 2007 zwar nicht dem Beschwerdeführer zugestellt worden war, durch seine Zustellung an die Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen aber in rechtliche Existenz getreten ist:

Es trifft zunächst zu, dass § 83 Abs. 2 Satz 2 FPG formal lediglich auf die §§ 67c bis 67g sowie auf § 79a AVG, nicht aber auch auf § 67b AVG verweist, der in seiner Z. 2 die Parteistellung der belangten Behörde im Verfahren über eine Beschwerde wegen der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt normiert. Dabei handelt es sich jedoch um ein offensichtliches Redaktionsversehen des Gesetzgebers, der den Ausschluss der Parteistellung der belangten Behörde (wie sich aus den Erläuterungen der Regierungsvorlage zum Fremdenrechtspaket 2005 betreffend die §§ 82 und 83 FPG, 952 BlgNR XXII. GP 106 ergibt, wo hervorgehoben wird, die Regelung entspreche im Wesentlichen jener des § 5a des Fremdenpolizeigesetzes 1954 (FpG)) nicht beabsichtigt hatte. Bereits im § 5a FpG, ebenso im § 52 FrG 1992 und im § 73 FrG 1997, war der Verweis auf die §§ 67c bis 67 g AVG enthalten. Während der Geltung des FpG und des FrG 1992 sowie im Zeitpunkt des Inkrafttretens des FrG 1997 wurde die Parteistellung der belangten Behörde in Maßnahmenbeschwerdeverfahren im § 67c Abs. 4 AVG bzw. - ab 1. Juli 1995 - im § 67c Abs. 5 AVG festgelegt; § 67b AVG betraf damals das Berufungsverfahren. Die Verweise im § 5a FpG, im § 52 FrG 1992 und im § 73 FrG 1997 (jeweils) auf § 67c AVG hatten somit - auch in Verfahren über Schubhaftbeschwerden - die Parteistellung der belangten Behörde zur Folge.

Mit Wirkung vom 1. Jänner 1999 (also während der Geltung des FrG 1997) wurden die §§ 67b und 67c AVG dahingehend geändert, dass die Parteistellung der belangten Behörde nunmehr im § 67b AVG geregelt wurde (BGBl. I Nr. 158/1998). Mit dieser Novelle wurde zwar auch § 73 FrG 1997 in seinem Abs. 3 (betreffend die Fristhemmung im Falle eines Mängelbehebungsauftrages) geändert, jedoch Abs. 2 dieser Bestimmung nicht an die eben dargestellte Neufassung der §§ 67b und 67c AVG angepasst. Dieses Versehen bei der redaktionellen Übernahme des bisherigen Verweises (u.a.) auf § 67c AVG wurde offenbar im § 83 Abs. 2 FPG fortgeschrieben. Es besteht einerseits kein Hinweis darauf, dass mit der Novelle BGBl. I Nr. 158/1998 die Parteistellung der belangten Behörde in Schubhaftbeschwerdeverfahren beseitigt werden sollte, andererseits hat sich der Gesetzgeber in den erwähnten Erläuterungen zu § 83 FPG - wie erwähnt - dahin geäußert, dass § 5a FpG (1954) als Vorbild dienen sollte.

Dazu kommt, dass auch der im § 83 Abs. 2 FPG enthaltene Verweis auf § 79a AVG auf das Bestehen einer Parteistellung der belangten Behörde hinweist. Hätte der Gesetzgeber diese beseitigen wollen, wäre davon auszugehen, dass er auch den Verweis auf die Bestimmung des § 79a AVG aus dem Gesetz entfernt hätte, weil die Befugnis der belangten Behörde zur Beantragung von Kostenersatz wohl auch deren Parteistellung impliziert.

Es ist daher insgesamt ersichtlich, dass der Gesetzgeber bei dem im § 83 Abs. 2 FPG normierten Verweis die Novellierung des AVG durch BGBl. I Nr. 158/1998 sowie die dadurch erforderlich gewordene Anpassung der Zitierung - unter Ergänzung des § 67b AVG -

lediglich übersehen hat. Dies gebietet eine berichtigende Interpretation durch analoge Ausdehnung des in § 83 Abs. 2 Satz 2 FPG enthaltenen Verweises auch auf diese Norm.

Ausgehend von der Parteistellung der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen in dem eingangs dargestellten Verfahren vor der belangten Behörde erweist sich der angefochtene Bescheid schon deshalb als verfehlt, weil die belangte Behörde über ein und dieselbe Schubhaftbeschwerde - trotz rechtlicher Existenz des genannten Bescheides vom 26. Juli 2007, der der Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen bereits zugestellt worden war - ein zweites Mal entschieden hat. Die - vorliegend angefochtene - zweite Entscheidung ist daher mit (gemäß § 41 Abs. 1 VwGG amtswegig wahrzunehmender) Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde behaftet. Hat nämlich ein unabhängiger Verwaltungssenat eine Schubhaftbeschwerde zweifach erledigt, so wird durch die neuerliche (hier zudem inhaltlich unterschiedliche) Entscheidung der Grundsatz des "ne bis in idem" verletzt und es wird eine nach dem Gesetz nicht zustehende Kompetenz in Anspruch genommen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. November 2007, Zl. 2006/21/0268, mwN).

Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 2 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit der belangten Behörde aufzuheben.

Wien, am 19. Juni 2008

Schlagworte

Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Analogie Schließung von Gesetzeslücken VwRallg3/2/3Zeitpunkt der Bescheiderlassung Eintritt der RechtswirkungenRechtskraft Besondere Rechtsprobleme BerufungsverfahrenRechtsverletzung sonstige FälleBesondere RechtsgebieteAuslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2Zurückweisung wegen entschiedener Sache

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2007210358.X00

Im RIS seit

03.08.2008

Zuletzt aktualisiert am

08.01.2013
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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