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19/05 Menschenrechte;Norm
FrPolG 2005 §60 Abs2 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Enzenhofer, Dr. Strohmayer sowie die Hofrätin Mag. Merl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Schmidl, über die Beschwerde des H F in A, geboren am 12. Dezember 1985, vertreten durch Mag. Wulf Sieder, Rechtsanwalt in 4470 Enns, Stadlgasse 5, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 21. Juni 2006, Zl. St 51/06, betreffend Erlassung eines befristeten Rückkehrverbots, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 51,50 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 21. Juni 2006 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen Staatsangehörigen von Gambia, gemäß § 62 Abs. 1 und Abs. 2 iVm § 60 Abs. 2 Z. 1 sowie §§ 63 und 66 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ein Rückkehrverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.
Der Beschwerdeführer sei am 8. August 2004 illegal aus Italien nach Österreich eingereist und habe am darauffolgenden Tag einen Asylantrag gestellt. Auf Grund des im Berufungsstadium anhängigen Asylverfahrens sei der Beschwerdeführer zum vorläufigen Aufenthalt berechtigt.
Am 6. April 2005 sei der Beschwerdeführer wegen des teils versuchten und teils vollendeten Vergehens gemäß § 27 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 erster Fall Suchtmittelgesetz (SMG) zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten, davon sechs Monate unter bedingter Strafnachsicht, rechtskräftig verurteilt worden, weil er am 2. März 2005 23 Säckchen Marihuana gewerbsmäßig an unbekannte Abnehmer verkauft und fünf weitere Säckchen zum unmittelbare bevorstehenden Weiterverkauf bereitgehalten habe.
Am 7. Dezember 2005 sei der Beschwerdeführer wegen des Vergehens gemäß § 27 Abs. 1 und Abs. 2 Z. 1 erster Fall SMG zu einer unbedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Monaten rechtskräftig verurteilt worden, weil er in der Zeit von 25. September 2005 bis 25. Oktober 2005 gewerbsmäßig mehreren Unbekannten Kugeln mit Heroin und Kokain um je EUR 30,-- verkauft und am 25. Oktober 2005 neun Kugeln Heroin und fünf Kugeln Kokain sowie einen weiteren Behälter Kokain anderen zu überlassen versucht habe.
Auf Grund der zweimaligen Verurteilung und der schweren Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung sei der Tatbestand des §§ 62 Abs. 2 iVm 60 Abs. 2 Z. 1 FPG erfüllt und das Rückkehrverbot nach § 62 Abs. 1 leg. cit. zulässig.
Die Erlassung des Rückkehrverbots sei im Grund des § 66 Abs. 1 FPG dringend erforderlich, weil die Suchtgiftkriminalität sehr schwer zu gewichten sei.
Schon im Hinblick auf die besondere Gefährlichkeit der Suchtgiftkriminalität, insbesondere des Suchtgifthandels, sei die Erlassung eines Rückkehrverbots nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes auch bei ansonsten völliger sozialer Integration des Fremden dringend geboten, weil das maßgebliche öffentliche Interesse in diesen Fällen unverhältnismäßig schwerer wiege als das gegenläufige private Interesse des Fremden.
Ein rigoroses Vorgehen gegen Suchtgiftdelikte in jeder Form sei schon deshalb dringend geboten, weil der immer größer werdende Konsum von Suchtgiften insbesondere bei Jugendlichen zu verheerenden Schäden führe. Schon im Hinblick auf den Schutz der Gesellschaft, vor allem der Jugendlichen, sei eine derartige in das Privat- und Familienleben eingreifende Maßnahme dringend erforderlich. Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sei die Wiederholungsgefahr bei Suchtgiftdelikten besonders groß.
Der Beschwerdeführer halte sich erst seit kurzer Zeit in Österreich auf und sei infolge dessen im Bundesgebiet noch nicht integriert. Er habe den Ausführungen der Behörde erster Instanz, wonach er in Österreich kein Familienleben habe, nicht widersprochen. Unter Abwägung aller angeführten Tatsachen und im Hinblick auf die für den weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet zu stellende negative Verhaltensprognose wögen die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von der Erlassung des Rückkehrverbots wesentlich schwerer als die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers. Das Rückkehrverbot sei daher im Grund des § 66 Abs. 2 FPG zulässig.
2. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer zunächst eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser Gerichtshof trat die Beschwerde nach Ablehnung ihrer Behandlung dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab (Beschluss vom 28. November 2006, B 1455/06). Vor dem Verwaltungsgerichtshof begehrt der Beschwerdeführer die Aufhebung des angefochtenen Bescheides wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, sah jedoch von der Erstattung einer Gegenschrift ab.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Der Beschwerdeführer macht zunächst geltend, die von § 9 Abs. 1 FPG normierte Zuständigkeit unterschiedlicher Berufungsbehörden für EWR-Bürger und andere Fremde widerspreche Art. 6 und Art. 14 EMRK sowie dem Gleichheitsgrundsatz. Dem ist - abgesehen davon, dass der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der vorliegenden Beschwerde abgelehnt hat - entgegenzuhalten, dass es sich bei § 9 Abs. 1 FPG um eine Verfassungsbestimmung handelt.
2. Auf Grund der unstrittig feststehenden rechtskräftigen Verurteilungen des Beschwerdeführers ist der Tatbestand des § 62 Abs. 2 iVm § 60 Abs. 2 Z. 1 FPG erfüllt.
3. Der Beschwerdeführer hat im März 2005 insgesamt 28 Säckchen Marihuana an Suchtgiftabnehmer verkauft bzw. zu verkaufen versucht. Dabei ging er gewerbsmäßig, also in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung derartiger strafbarer Handlungen eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen (§ 70 StGB), vor. Nur etwa fünf Monate nach der deswegen erfolgten rechtskräftigen Verurteilung hat er neuerlich begonnen, gewerbsmäßig Suchtgift, nämlich Heroin und Kokain, zu verkaufen. Aus der gewerbsmäßigen Vorgangsweise, der mehrmaligen Tatwiederholung und dem raschen Rückfall ergibt sich deutlich, dass die Suchtgiftdelikten erfahrungsgemäß innewohnende Wiederholungsgefahr (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 29. November 2006, Zl. 2006/18/0376) auch beim Beschwerdeführer gegeben ist.
Aus diesen Gründen geht vom weiteren Inlandsaufenthalt des Beschwerdeführers eine erhebliche Gefährdung des großen öffentlichen Interesse an der Verhinderung der Suchtgiftkriminalität aus. Der Beschwerdeführer macht zwar geltend, dass die belangte Behörde die tatsächlichen Auswirkungen seines Verhaltens auf die öffentliche Ordnung und Sicherheit nicht ermittelt habe, macht jedoch keine konkreten Umstände geltend, aus denen auf einen Wegfall oder eine erhebliche Minderung der von ihm ausgehenden Gefahr geschlossen werden könnte.
Die in § 62 Abs. 1 FPG umschriebene Annahme ist daher gerechtfertigt.
4. Der Beschwerdeführer wendet sich auch gegen die Zulässigkeit des Rückkehrverbots im Grund des § 66 Abs. 1 und Abs. 2 FPG.
Zunächst ist ihm zuzustimmen, dass die Begehung von Suchtgiftdelikten nicht zwingend die Erlassung eines Rückkehrverbots erforderlich macht. Vielmehr ist in jedem Einzelfall zunächst zu prüfen, ob die Maßnahme mit einem Eingriff in das Privat- oder Familienleben verbunden ist. Ist dies der Fall, so ist den persönlichen Interessen am Verbleib im Bundesgebiet die auf Grund des festgestellten Fehlverhaltens vom weiteren Inlandsaufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung öffentlicher Interessen gegenüberzustellen. Anschließend hat die Behörde unter gehöriger Abwägung dieser Interessenlage zu beurteilen, ob das Aufenthalts- oder Rückkehrverbot zur Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen dringend geboten ist (§ 66 Abs. 1 FPG) und ob die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung (§ 66 Abs. 2 leg. cit).
Dem Beschwerdeführer gelingt es allerdings nicht aufzuzeigen, durch das Ergebnis der von der belangten Behörde vorgenommenen Beurteilung in Rechten verletzt zu werden:
Im maßgeblichen Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides befand sich der Beschwerdeführer noch nicht einmal zwei Jahre im Bundesgebiet. Sein Aufenthalt ist nur auf Grund eines Asylantrages vorläufig berechtigt. Unstrittig bestehen keine familiären Bindungen im Bundesgebiet. Die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers sind daher insgesamt nur schwach ausgeprägt. Konkrete Umstände, die zu einer Verstärkung dieser Interessen führen könnten, werden in der Beschwerde nicht behauptet. Damit ist es dem Beschwerdeführer nicht gelungen, die Relevanz der in diesem Zusammenhang geltend gemachten Verfahrensmängel aufzuzeigen.
Den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet steht die aus seinen Straftaten resultierende - oben 3. dargestellte - große Gefährdung öffentlicher Interessen gegenüber. Die Ansicht der belangten Behörde, dass die Erlassung des Rückkehrverbots zu Erreichung von im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Zielen (Verhinderung strafbarer Handlungen, Schutz der Gesundheit) dringend geboten sei (§ 66 Abs. 1 FPG) und die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Fremden nicht schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung (§ 66 Abs. 2 leg. cit.), kann nicht als rechtswidrig erkannt werden.
5. Da sich die Beschwerde somit als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
6. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 19. Juni 2008
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2007180010.X00Im RIS seit
03.08.2008Zuletzt aktualisiert am
09.11.2011