TE Vwgh Erkenntnis 2008/6/25 2007/02/0251

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Veröffentlicht am 25.06.2008
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
90/01 Straßenverkehrsordnung;
90/02 Kraftfahrgesetz;

Norm

AVG §37;
KFG 1967 §106 Abs5 Z2;
KFG 1967 §134 Abs1;
StVO 1960 §5 Abs2;
StVO 1960 §99 Abs1 litb;
VStG §22 Abs1;
VStG §31 Abs2;
VStG §6;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höfinger und die Hofräte Dr. Beck und Dr. Köller als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Becker, über die Beschwerde des E L in K/Deutschland, vertreten durch Dr. Philipp Lettowsky, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Getreidegasse 50, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Salzburg vom 26. Juni 2007, Zlen. UVS-3/16473/17-2007 und UVS-7/13720/17-2007, betreffend Übertretung der StVO und des KFG, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund und dem Land Salzburg Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 381,90 zu gleichen Teilen binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft St. Johann im Pongau vom 15. November 2006 wurde der Beschwerdeführer für schuldig befunden, er habe sich am 19. März 2006 um 21 Uhr 19 an einem näher umschriebenen Ort trotz Aufforderung durch ein ermächtigtes Organ der Straßenaufsicht geweigert, die Atemluft auf Alkoholgehalt untersuchen zu lassen, obwohl habe vermutet werden können, dass er sich beim vorhergehenden Lenken des Fahrzeuges in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand befunden habe (Spruchpunkt 1.) und er habe als Lenker nicht dafür gesorgt, dass ein Kind bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres, das kleiner als 150 cm ist, in einem Kraftwagen nur dann befördert werde, wenn dabei eine geeignete, der Größe und dem Gewicht des Kindes entsprechende Rückhalteeinrichtung verwendet werde, welche die Gefahr von Körperverletzungen bei einem Unfall verringere. Der Beschuldigte habe dadurch die Bestimmungen der §§ 99 Abs. 1 lit. b iVm § 5 Abs. 2 StVO (zu 1.) und § 106 Abs. 2 Z. 2 KFG (zu 2.) verletzt, weshalb über ihn Geldstrafen zu 1. in der Höhe von EUR 1.400,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 480 Stunden) und zu 2. in der Höhe von EUR 200,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 72 Stunden) verhängt wurden.

Der vom Beschwerdeführer gegen dieses Straferkenntnis erhobenen Berufung hat die belangte Behörde keine Folge gegeben und das Straferkenntnis mit der Maßgabe bestätigt, dass die Tatzeit zu Spruchpunkt 2. richtig 21 Uhr 10 zu lauten habe und der Tatanlastung der Satz "Das Kind wurde am vorderen Beifahrersitz befördert und war nur mit dem regulären Sicherheitsgurt angegurtet" angefügt werde; die Höhe der Strafe hat die belangte Behörde zu 1. auf EUR 1.162,-- und zu 2. auf EUR 100,-- vermindert.

In der Begründung gab die belangte Behörde das Verwaltungsgeschehen wieder und stellte folgenden Sachverhalt fest:

"Am 19.3.2006 fuhr der (Beschwerdeführer) gegen 21:10 Uhr in Begleitung seines damals sechs Jahre alten Sohnes mit seinem PKW ... vom Gasthof A in Flachau kommend auf der Flachauer Landesstraße in Richtung Altenmarkt. Auf der Höhe des ADEG-Marktes in Flachau wurde der (Beschwerdeführer) von (Name eines Bezirkinspektors) im Zuge einer routinemäßigen Fahrzeug- und Lenkerkontrolle angehalten. Bei dieser Anhaltung wurde vom Meldungsleger festgestellt, dass der im PKW mitfahrende, damals sechs Jahre alte und - laut Angabe des (Beschwerdeführers) - 130 cm große Sohn des (Beschwerdeführers) auf dem Beifahrersitz saß und ohne Sitzerhöhung lediglich mit dem serienmäßig vorhandenen Sicherheitsgurt gesichert war. Nach Aushändigung und Überprüfung von Führer- und Fahrzeugschein sowie Befragung über einen allfälligen Alkoholkonsum wurde der (Beschwerdeführer) vom Beamten zur Durchführung einer Atemalkoholuntersuchung an Ort und Stelle aufgefordert und über das Erfordernis einer 15-minütigen Wartefrist in Kenntnis gesetzt. In der Folge wandte sich der (Beschwerdeführer) gegen diese Wartefrist gegenüber dem einschreitenden Beamten unter Hinweis auf seine Absicht, seine zu dieser Zeit am Bahnhof Altenmarkt mit dem Zug eintreffende Bekannte (Name) abzuholen und eine anderenfalls für seine Bekannte im dortigen Bahnhofsbereich zu dieser Zeit mögliche Gefährdungssituation. Nachdem der Beschuldigte wenige Minuten später auf seinem Mobiltelefon einen Anruf seiner zwischenzeitlich am Bahnhof in Altenmarkt eingetroffenen Bekannten erhalten und mit welchem seine Bekannte ihn um ehestmögliche Hilfe gebeten hatte, da sie bereits während ihrer Anreise im Zug von einer unberechenbar wirkenden Frau belästigt worden sei und diese Frau sie auch nach Verlassen des Zuges am Bahnhof Altenmarkt verfolgen würde, verließ er mit seinem Sohn zu Fuß den Ort der Amtshandlung, um vom nahegelegen Lokal 'W' ein Taxi zu rufen und mit diesem anschließend seine Bekannte vom Bahnhof in Altenmarkt abzuholen."

In rechtlicher Hinsicht führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe dadurch, dass er sich vor Durchführung der angeordneten Atemluftuntersuchung vom Ort der Amtshandlung entfernt habe, das Zustandekommen dieses Tests verhindert und solcher Art den Tatbestand der Verwaltungsübertretung gemäß § 99 Abs. 1 lit. b StVO in objektiver Hinsicht verwirklicht. Das vom Beschwerdeführer behauptete Vorliegen einer Notstandsituation liege nicht vor, weil das Belästigen der Bekannten des Beschwerdeführers im Zug bzw. am Bahnhof keine schwere, unmittelbar drohende Gefahr darstelle, was für das Vorliegen einer Notstandsituation erforderlich sei. Auch die Rechtfertigung des Beschwerdeführers für das Unterlassen der Verwendung einer entsprechenden Rückhalteeinrichtung für seinen Sohn stelle keine Notstandsituation dar. Der Beschwerdeführer habe diesbezüglich ausgeführt - insofern trägt die belangte Behörde in der rechtlichen Beurteilung Feststellungen nach -, dass er nach dem Verlassen des zuvor besuchten Gasthauses in der Hektik Probleme beim Anschnallen seines Kindes am rückwärtigen Kindersitz gehabt habe, und aus Angst, die randalierenden Jugendlichen, mit denen er im Gasthaus eine Auseinandersetzung gehabt habe, würden ihm dort erneut Probleme bereiten, sein Kind am Beifahrersitz positioniert habe, um so schnell wie möglich von dort weg zu kommen. Selbst bei Zutreffen dieser Umstände wäre der Beschwerdeführer verpflichtet gewesen, ehestmöglich nach Verlassen des Parkplatzes den gesetzmäßigen Zustand herzustellen. Es könne keine Rede davon sein, dass am späteren Ort der Anhaltung nach rund 600 Meter Fahrstrecke vom Beschuldigten noch immer eine Notstandlage habe angenommen werden dürfen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 5 Abs. 2 StVO sind Organe des amtsärztlichen Dienstes oder besonders geschulte und von der Behörde hiezu ermächtigte Organe der Straßenaufsicht berechtigt, jederzeit die Atemluft von Personen, die ein Fahrzeug lenken, in Betrieb nehmen oder zu lenken oder in Betrieb zu nehmen versuchen, auf Alkoholgehalt zu untersuchen. Sie sind außerdem berechtigt, die Atemluft von Personen, die verdächtig sind, in einem vermutlich durch Alkohol beeinträchtigten Zustand ein Fahrzeug gelenkt zu haben (Z. 1 leg. cit.) auf Alkoholgehalt zu untersuchen. Wer zu einer Untersuchung der Atemluft aufgefordert wird, hat sich dieser zu unterziehen.

Nach § 99 Abs. 1 lit. b StVO begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von 1 162 Euro bis 5 813 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Arrest von zwei bis sechs Wochen, zu bestrafen, wer sich bei Vorliegen der in § 5 bezeichneten Voraussetzungen weigert, seine Atemluft auf Alkoholgehalt untersuchen oder sich vorführen zu lassen, oder sich bei Vorliegen der bezeichneten Voraussetzungen nicht der ärztlichen Untersuchung unterzieht.

Der Lenker hat gemäß § 106 Abs. 5 Z. 2 KFG dafür zu sorgen, dass Kinder bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres, die kleiner als 150 cm sind, in Kraftwagen, ausgenommen Fahrzeuge der Klassen M2 und M3, nur befördert werden, wenn dabei geeignete, der Größe und dem Gewicht der Kinder entsprechende Rückhalteeinrichtungen verwendet werden, welche die Gefahr von Körperverletzungen bei einem Unfall verringern.

Nach § 134 Abs. 1 KFG begeht, wer unter anderem diesem Bundesgesetz zuwiderhandelt, eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe bis zu 5.000 EUR, im Falle ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Wochen zu bestrafen.

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, die ihm zur Last gelegten Taten begangen zu haben. Er bestreitet auch nicht die Zumutbarkeit der ihm aufgetragenen Wartezeit zur Durchführung einer Atemluftuntersuchung von 15 Minuten (vgl. das Erkenntnis vom 20. April 2001, Zl. 97/02/0341, wonach den Anordnungen der Straßenaufsichtsorgane im Rahmen der Zumutbarkeit Folge zu leisten ist, was insbesondere für die dort angeordnete Beförderung im Streifenwagen zu einem Wachzimmer gilt).

Der Beschwerdeführer macht jedoch geltend, dass die ihm vorgeworfenen Handlungen nicht strafbar seien, weil sie durch Notstandsituationen entschuldigt seien.

Nach § 6 VStG ist eine Tat nicht strafbar, wenn sie durch Notstand entschuldigt oder, obgleich sie dem Tatbestand einer Verwaltungsübertretung entspricht, vom Gesetz geboten oder erlaubt ist.

Nach der ständigen hg. Rechtsprechung kann unter Notstand im Sinne des § 6 VStG nur ein Fall der Kollision von Pflichten und Rechten verstanden werden, in dem jemand sich oder einen anderen aus schwerer unmittelbarer Gefahr einzig und allein dadurch retten kann, dass er eine im Allgemeinen strafbare Handlung begeht (vgl. das Erkenntnis vom 11. Mai 2004, Zl. 2004/02/0144, in dem starke Unterleibskrämpfe der Lebensgefährtin des Lenkers nicht dem Begriff der "schweren unmittelbaren Gefahr" im Sinne des § 6 VStG unterstellt worden ist). Des weiteren gehört es zum Wesen des Notstandes, dass die Gefahr in zumutbarer Weise nicht in anderer Art als durch die Begehung der objektiv strafbaren Handlung zu beheben ist und dass die Zwangslage nicht selbst verschuldet ist (vgl. das Erkenntnis vom 26. Jänner 1996, Zl. 95/02/0523, wo das Lenken eines Kraftfahrzeuges ohne Führerschein zur Erreichung des Arbeitsplatzes nicht als Notstandsituation gewertet worden ist).

Die Beweislast in Hinsicht auf das Bestehen eines Notstandes trifft den Bestraften (vgl. etwa das Erkenntnis vom 30. Juni 1993, Zl. 93/02/0066).

Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist nicht anzunehmen, dass in den in Rede stehenden Fällen für den Beschwerdeführer Notstand vorgelegen ist:

Hinsichtlich der Beförderung seines Kindes ohne entsprechende Rückhalteeinrichtung behauptet der Beschwerdeführer selbst in der Beschwerde keinen Sachverhalt, aus dem sich eine schwere unmittelbare Gefahr für sich und seinen Sohn am Parkplatz vor dem Gasthof ergeben hätte, wenn er vorbringt, er habe annehmen müssen, dass sich die Jugendlichen noch immer in der Nähe des Gasthofes aufgehalten hätten. Auch die entsprechenden Feststellungen im angefochtenen Bescheid tragen die Annahme von Notstand nicht.

Selbst wenn man diesen Sachverhalt als Notstand wertete, vermag der Beschwerdeführer dem Argument der belangten Behörde, spätestens nach Verlassen des Parkplatzes und damit nach Wegfall der behaupteten Notstandsituation hätte er seinen Sohn am Kindersitz am Rücksitz anzuschnallen gehabt, nur entgegenzuhalten, er "hätte wohl kaum in der Dunkelheit auf einer befahrenen Straße anhalten können, um seinen Sohn am rückwärtigen Kindersitz anzuschnallen." Mit diesem Argument hat der Beschwerdeführer aber den Vorwurf nicht entkräftet, bei erster Gelegenheit nach Wegfall des Notstandes den rechtmäßigen Zustand nicht hergestellt zu haben. Bei dem Delikt nach § 106 Abs. 5 Z. 2 KFG handelt es sich um ein Dauerdelikt. Wird es während einer Notstandsituation begangen, ist es nicht strafbar. Die Strafbarkeit tritt jedoch wieder ein, wenn der Notstand wegfällt.

Dies ist im Beschwerdefall - nimmt man überhaupt einen Notstand an - mangels gegenteiliger Behauptungen des insofern beweisbelasteten Beschwerdeführers spätestens nach Verlassen des Gasthausparkplatzes der Fall gewesen, wobei von ihm kein weiterer die Schuld ausschließender Sachverhalt behauptet wurde. Demnach wäre er gehalten gewesen, die rechtmäßige Sitzposition seines Sohnes herzustellen, sobald er davon ausgehen konnte, dass kein Notstand mehr vorlag. Das war spätestens nach Verlassen des Gasthausparkplatzes, somit jedenfalls vor Erreichen des 600 m entfernten Ortes der Verkehrskontrolle.

Auch der hinsichtlich seiner Bekannten festgestellte Sachverhalt ist nicht geeignet, als Notstandsituation gewertet zu werden. Insbesondere ist nicht zu sehen, worin die unmittelbar drohende schwere Gefahr bestanden hat. Alleine in der "Belästigung" bzw. "Verfolgung" der Bekannten des Beschwerdeführers lag ohne weitergehende Bedrohung schon mangels Intensität der Handlungen kein Notstand, der es dem Beschwerdeführer erlaubt hätte, straffrei die Atemluftkontrolle zu verweigern.

Schließlich behauptet der Beschwerdeführer das Vorliegen eines Putativnotstandes. Darunter versteht man die irrtümliche Annahme eines Notstandes, die den Täter nur entschuldigen kann, wenn der Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Notstandes nicht auf Fahrlässigkeit beruhte, ihm also nicht vorwerfbar ist (vgl. das Erkenntnis vom 15. November 2000, Zl. 2000/03/0264).

Selbst wenn man dem Beschwerdeführer zugesteht, er sei seine Bekannte betreffend von einer schweren unmittelbaren Gefahr ausgegangen, steht im Beschwerdefall nicht fest, der Beschwerdeführer habe annehmen können, dass die Gefahr in zumutbarer Weise nicht in anderer Art als durch die Begehung der objektiv strafbaren Handlung des Beschwerdeführers - der Verweigerung der Atemluftkontrolle - zu beheben gewesen wäre. Die Behauptung in der Beschwerde nämlich, der Beschwerdeführer habe den Eindruck gehabt, der Polizist nehme die Gefährdungssituation nicht ernst, entfernt sich von den Feststellungen und kann daher der rechtlichen Beurteilung nicht zu Grunde gelegt werden. Andere Anhaltspunkte für eine Hilfeleistungsmöglichkeit ausschließlich durch den Beschwerdeführer finden sich nicht. Demnach ist auch nicht vom Vorliegen eines Putativnotstandes auszugehen.

Insgesamt erweist sich die Beschwerde als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 25. Juni 2008

Schlagworte

Sachverhalt Sachverhaltsfeststellung BeweislastAlkotest Verweigerung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2007020251.X00

Im RIS seit

17.07.2008

Zuletzt aktualisiert am

12.05.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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