TE Vfgh Erkenntnis 2003/9/22 B617/01

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 22.09.2003
beobachten
merken

Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8200 Bauordnung

Norm

B-VG Art83 Abs2
Wr BauO 1930 §70
Wr BauO 1930 §71
Wr BauO 1930 §71a
Wr BauO 1930 §71b

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Auswechslung des Berufungsgegenstandes infolge Entscheidung (auch) über Anträge auf eine Bewilligung für Bauten langen Bestehens und auf eine Sonderbaubewilligung nach der Wiener Bauordnung

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Die Stadt Wien ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit 2.143,68 € bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer beantragte am 11. März 1999 beim Magistrat der Stadt Wien die Erteilung der Baubewilligung für die Errichtung eines Hauskanales auf dem Grst. Nr. 682, KG Dornbach; der Altbestand (in Form des sich auf dieser Liegenschaft befindlichen Hauses) sei nach §71a der Bauordnung für Wien "gemeldet" worden. Mit einem weiteren Schreiben vom 1. April 1999 beantragte der Beschwerdeführer beim Magistrat der Stadt Wien außerdem die Erteilung der baubehördlichen Bewilligung für die Errichtung eines Kellers in Stahlbetonfertigteilen auf derselben Liegenschaft.

2. Die Baubehörde I. Instanz führte aufgrund der genannten Anträge ein Ermittlungsverfahren durch, im Zuge dessen sie ua. eine mündliche Verhandlung abhielt und eine gutachtliche Stellungnahme eines Amtssachverständigen einholte. Dieser führte zu den Anträgen ua. aus, dass die in Rede stehende Liegenschaft im geltenden Flächenwidmungsplan der Stadt Wien als "Schutzgebiet, Wald- und Wiesengürtel" gewidmet sei; auf einer derartigen Widmung seien nur Bauten kleineren Umfanges, die land- und forstwirtschaftlichen Zwecken dienten, bzw. die für die in freier Natur Erholung suchende Bevölkerung notwendigen Bauten zulässig. Auf dem Grundstück Nr. 682 befinde sich außerdem kein genehmigtes Gebäude (mehr), für welches ein Kanalanschluss erforderlich wäre. Auf der in Rede stehenden Liegenschaft sei vor der Errichtung des Kellerbauwerkes auch keine Hangrutschung gegeben gewesen; für eine allfällige Hangsicherung erscheine eine Stützmauer ausreichend.

3. Mit Schriftsatz vom 15. Juni 2000 gab der Beschwerdeführer eine Stellungnahme zu dem genannten Amtssachverständigengutachten ab und ergänzte seinen Antrag auf Baubewilligung für den (zufolge der Aktenlage zu diesem Zeitpunkt bereits errichteten) Stahlbetonkeller wie folgt:

"1. Der Keller, der gleichzeitig Stützmauercharakter hat, möge als Bau kleineren Umfanges gemäß §§70 und 71 WBO genehmigt werden; in eventu, sollte dies versagt werden,

2. möge ein Feststellungsbescheid gemäß §71a WBO erlassen werden, dass das Bauwerk gemäß §71 WBO als mit rechtskräftigen Bescheid auf Widerruf bewilligt gilt; in eventu, wenn auch dies in der Folge versagt werden sollte,

3. möge eine Sonderbaubewilligung gemäß §71b WBO erteilt werden. [...]"

4. Am 4. August 2000 erließ die Baubehörde I. Instanz zu den Zahlen MA 37/17-Anton-Haidl-Gasse 19/756/99 und MA 37/17-Anton-Haidl-Gasse 19/1009/99 zwei Bescheide mit folgenden Sprüchen:

Zu MA 37/17-Anton-Haidl-Gasse 19/756/99:

"Nach Maßgabe des mit dem amtlichen Sichtvermerk versehenen Planes, der einen wesentlichen Bestandteil dieses Bescheides bildet, wird gemäß §70 und 71 der Bauordnung für Wien (BO) die Bewilligung versagt, auf der im Betreff genannten Liegenschaft die nachstehend beschriebene Bauführung vorzunehmen:

Hauskanalanschluss an den bestehenden Kanal in der Werfelstraße."

Zu MA 37/17-Anton-Haidl-Gasse 19/1009/99:

"Nach Maßgabe des mit dem amtlichen Sichtvermerk versehenen Planes, der einen wesentlichen Bestandteil dieses Bescheides bildet, wird gemäß §70 und 71 der Bauordnung für Wien (BO) die Bewilligung versagt, auf der im Betreff genannten Liegenschaft die nachstehend beschriebene Bauführung vorzunehmen:

Errichtung eines unterirdischen Hauskellers in Stahlbetonfertigteilen im Ausmaß von 11,00 m x 9,95 m mit einer internen Verbindungsstiege, sowie einer bis zu 3 m hohen Geländeabgrabung am Nordrand des Kellergebäudes."

Den Bescheid zu MA 37/17-Anton-Haidl-Gasse 19/756/99 (betreffend den beantragten Hauskanal) begründet die Behörde wie folgt:

"Der dem Bescheid zu Grunde gelegte Sachverhalt ist den eingereichten Plänen und dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens entnommen.

Am 20.11.1998 wurde bei der MA 37/17 ein Ansuchen gemäß §71A für den gesamten Baubestand auf der gegenständlichen Liegenschaft eingebracht. Am 9.12.1998 erfolgt[e] die positive bescheidmäßige Erledigung dieses Bauansuchens. Das gegenständliche Ansuchen wurde am 11.3.1999 bei der MA 37/17 eingebracht. Während Sanierungsarbeiten kam es dazu, dass das gesamte bestehende Sommerhaus zur Gänze abgetragen wurde. Dies wurde nachweislich der Baubehörde erstmalig am 8.3.1999 per Fax in Form einer Anzeige bekannt gegeben. In diesem wurde die erfolgte 'Abtragung der Gartenhütte' ausgeführt. Daraufhin wurde bereits am 15.3.1999 die Fortführung sämtlicher weiterer Bauarbeiten auf dieser Liegenschaft bescheidmäßig eingestellt.

Da daher der Konsens untergegangen war, und kein genehmigtes Sommerhaus mehr existiert, für welches dieser Hauskanalanschluss geeignet wäre, war daher die Bewilligung - auch gemäß §71 BO auf jederzeitigen Widerruf - zu versagen."

Die Begründung des Bescheides zu MA 37/17-Anton-Haidl-Gasse 19/1009/99 (betreffend die Errichtung des Kellers) lautet folgendermaßen:

"Der dem Bescheid zu Grunde gelegte Sachverhalt ist den eingereichten Plänen und dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens entnommen.

Für die gegenständlichen Liegenschaften sieht der derzeit gültige Flächenwidmungs- und Bebauungsplan (Plandokument 6691, genehmigt mit Beschluss des Gemeinderates vom 28.5.1997, Pr. Zl. 99 GPZ /97) die Widmung Grünland - Schutzgebiet - Wald und Wiesengürtel, vor.

Auf Flächen mit dieser Widmung sind gemäß §6 Abs3 und Abs3a folgende Bauführungen zulässig:

Abs3 Der Wald- und Wiesengürtel ist bestimmt für die Erhaltung und Schaffung von Grünflächen zur Wahrung der gesundheitlichen Interessen der Bewohner der Stadt und zu deren Erholung in freier Natur, die land- und forstwirtschaftliche Nutzung solcher Grünflächen ist zulässig. Es dürfen nur Bauten kleineren Umfanges errichtet werden, die land- und forstwirtschaftlichen Zwecken dienen (Bienenhütten, Werkzeughütten u. ä.) ferner die für die in freier Natur Erholung suchende Bevölkerung notwendigen Bauten auf jenen Grundflächen, die für solche Zwecke im Bebauungsplan (§5 Abs4 litn) vorgesehen sind; alle diese Bauten dürfen keine Wohnräume enthalten.

Abs3a Auf Flächen des Wald- und Wiesengürtels, die der landwirtschaftlichen Nutzung vorzubehalten sind, sind landwirtschaftliche Nutzbauten im betriebsbedingt notwendigen Ausmaß zulässig, die keine Wohnräume enthalten.

Am 20.11.1998 wurde bei der MA 37/17 ein Ansuchen gemäß §71A für den gesamten Baubestand auf der gegenständlichen Liegenschaft eingebracht. Am 9.12.1998 erfolgt die positive bescheidmäßige Erledigung dieses Bauansuchens.

Das gegenständliche Ansuchen wurde am 2.4.1999 bei der MA 37/17 eingebracht. Während Sanierungsarbeiten kam es dazu, dass das gesamte bestehende Sommerhaus zur Gänze abgetragen wurde. Dies wurde nachweislich der Baubehörde erstmalig am 8.3.1999 per Fax in Form einer Anzeige bekannt gegeben. In diesem wurde die erfolgte 'Abtragung der Gartenhütte' ausgeführt. Daraufhin wurde bereits am 15.3.1999 die Fortführung sämtlicher weiterer Bauarbeiten auf dieser Liegenschaft bescheidmäßig eingestellt.

Zu diesem Zeitpunkt war das erst später am 2.4.1999 beantragte Bauvorhaben bereits im vollem Umfang (= Volumen) fertiggestellt, jedoch ohne Innenwände und Stiege. Die Ausführung erfolgte in Stahlbetonfertigteilen. Begründet wurde die Notwendigkeit der Genehmigung mit Hangsicherungsmaßnahmen, da es im Zuge der Sanierungsarbeiten (Drainagerohrverlegung etc.) zu einer Hangrutschung im Bereich der Anton-Haidl-Gasse gekommen war. Da es nach h.a. Ansicht durch eine unsachgemäße Durchführung der Sanierungsarbeiten zu dieser Hangrutschung gekommen ist, wurde der gem. §71 a genehmigte Baubestand derart beschädigt, dass er zur Gänze abgetragen wurde, war einen vollständigen Untergang des Konsenses bedeutet. Die in weiterer Folge gewählte Art der Hangsicherung in Form einer 'Schachtel' aus Stahlbetonfertigteilen ist eine von vielen möglichen Formen der Hangsicherung und führt zu einer Notwendigkeit einer baubehördlichen Genehmigung. Diese kann Zufolge der oben angeführten Flächenwidmung nicht erteilt werden, da das Bauvorhaben nicht den Anforderungen des §6 Abs3 bzw. 3a entspricht, und als solches nicht beantragt wurde. Üblicherweise wird wie hier bei Gefahr im Verzug eine wesentliche raschere Durchführung von Hangsicherungsmaßnahmen, durchgeführt, mit welcher aber kein Raumgewinn verbunden ist. Es war daher die Bewilligung zu versagen.

Es musste auch die Bewilligung gemäß §71 BO versagt werden, weil es sich bei diesem Bauvorhaben eindeutig um kein Provisorium handelt, und um ebenso kein Bauvorhaben, das nur vorübergehenden Zwecken dient, und daher nicht dauernd bestehen bleiben können."

5. Der Beschwerdeführer erhob gegen die beiden genannten Bescheide des Magistrates der Stadt Wien, MA 37/17, vom 4. August 2000 Berufung, in der er ua. ausführte, dass über seine mit Schreiben vom 15. Juni 2000 ergänzend vorgebrachten Anträge auf Bewilligung seines Bauvorhabens nach §71a bzw. §71b der Bauordnung für Wien nicht abgesprochen worden sei.

6. Die belangte Behörde erließ daraufhin am 28. Februar 2001 einen Bescheid mit folgendem Spruch:

"Gemäß §66 Abs4 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 (AVG) werden die Berufungen als unbegründet abgewiesen und die angefochtenen Bescheide mit der Maßgabe bestätigt, dass die Versagung jeweils auch nach §71a und §71b BO erfolgt."

Hinsichtlich des Abspruches über die Anträge des Beschwerdeführers nach §71a und §71b der Bauordnung für Wien führt die belangte Behörde aus:

"[...] Nach der diesbezüglich unbestrittenen Aktenlage wurde der gegenständliche Keller Anfang des Jahres 1999 errichtet. Eine Anwendung der Bestimmungen der §§71a und b BO scheidet daher schon auf Grund des Errichtungszeitpunktes aus. Dies gilt im übrigen auch für die projektierte Hauskanalanlage. [...]"

7. Gegen diesen Bescheid der belangten Behörde vom 28. Februar 2001 richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der der Beschwerdeführer die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG) und auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG) sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung rechtswidriger genereller Normen behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides beantragt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die zulässige Beschwerde erwogen:

1. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes insbesondere auch dann verletzt, wenn die Berufungsbehörde in einer Angelegenheit entscheidet, die nicht Gegenstand der Entscheidung der Unterinstanz war (vgl. z.B. VfSlg. 8886/1980, 8176/1977, 7642/1975 mwN).

2. Ein solches Vorgehen ist der belangten Behörde anzulasten. Gegenstand der beiden Entscheidungen des Magistrates der Stadt Wien (MA 37/17) vom 4. August 2000 waren die Anträge des Beschwerdeführers auf Bewilligung der Errichtung eines Hauskanales sowie eines Kellers auf dem Grst. Nr. 682, KG Dornbach, nach den §§70 und 71 der Bauordnung für Wien (Baubewilligung nach §70 leg. cit. bzw. Bewilligung für Bauten vorübergehenden Bestandes nach §71 leg. cit.). Mit den beiden Bescheiden wurde dem Beschwerdeführer die baubehördliche Bewilligung zur Errichtung eines Hauskanalanschlusses mit der Begründung, der Konsens für das an den Kanal anzuschließende Sommerhaus sei untergegangen, und die baubehördliche Bewilligung zur Errichtung eines Hauskellers wegen Widerspruches zum Flächenwidmungsplan (Grünland-Schutzgebiet-Wald- und Wiesengürtel), - gegen den der Verfassungsgerichtshof im Übrigen keine Bedenken hegt - versagt. Ein Abspruch über den Antrag des nunmehrigen Beschwerdeführers auf Bewilligung des - nach der Aktenlage teilweise bereits errichtet gewesenen - Kellers nach §71a (Bewilligung für Bauten langen Bestandes) bzw. nach §71b (Sonderbaubewilligungen) der Bauordnung für Wien ist den oben unter I.4. genannten erstinstanzlichen Bescheiden hingegen nicht zu entnehmen. Dies führt auch der Beschwerdeführer in seiner Berufung zutreffend aus.

Wenngleich die Berufungsbehörde nach §66 Abs4 AVG berechtigt ist, "sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern", wird sie damit nur ermächtigt, eine Sachentscheidung in Fragen zu treffen, die Gegenstand der Entscheidung der Unterinstanz waren, wobei eine Bewilligung gemäß den §§71a und 71b WBO infolge der unterschiedlichen Bewilligungsvoraussetzungen eine "andere Sache" als eine Bewilligung gemäß §70 bzw. §71 WBO darstellt.

Indem die belangte Behörde daher im angefochtenen Berufungsbescheid vom 28. Februar 2001 mit ihrem Abspruch über die Anträge des Beschwerdeführers auf eine Bewilligung für Bauten langen Bestandes gemäß §71a der Bauordnung für Wien bzw. auf eine Sonderbaubewilligung gemäß §71b leg. cit. eine Entscheidung in einer Angelegenheit getroffen hat, die nicht Gegenstand des vorinstanzlichen Bescheides war, hat sie den Beschwerdeführer insofern in seinem Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt (vgl. z.B. VfSlg. 8886/1980, 8176/1977, 7642/1975, 6848/1972).

Der angefochtene Bescheid war daher - wegen Untrennbarkeit seines Spruches zur Gänze - aufzuheben, ohne dass dabei noch auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen war.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von 327 € und eine Eingabegebühr von 181,68 € enthalten.

4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Baurecht, Baubewilligung, Bescheid Trennbarkeit, Verwaltungsverfahren, Berufung, Berufungsgegenstand

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2003:B617.2001

Dokumentnummer

JFT_09969078_01B00617_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten