TE Vfgh Erkenntnis 2003/9/22 G258/02 ua

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Veröffentlicht am 22.09.2003
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Index

L7 Wirtschaftsrecht
L7200 Beschaffung, Vergabe

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Gesetz
Krnt AuftragsvergabeG 1997 §1 Abs5, §4, §5, §80. X. Abschnitt

Leitsatz

Feststellung der Verfassungswidrigkeit von Schwellenwertregelungen im Krnt AuftragsvergabeG 1997 unter Hinweis auf die Vorjudikatur

Spruch

§1 Abs5, die Wortfolgen "iSd. §1 Abs5" in §80 Abs1 und "oberhalb der Schwellenwerte und im Sektorenbereich" bei der Überschrift zu Beginn des X. Abschnittes des Kärntner Auftragsvergabegesetzes, LGBl. für Kärnten Nr. 65/1997, sowie die Wortfolgen "und X" in §4 Abs1 und §5 Abs1 des Kärntner Auftragsvergabegesetzes, LGBl. für Kärnten Nr. 65/1997, idF LGBl. Nr. 23/2000 waren verfassungswidrig.

Der Landeshauptmann von Kärnten ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruchs im Landesgesetzblatt für Kärnten verpflichtet.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Unabhängige Verwaltungssenat für Kärnten (UVS) bringt vor, dass bei ihm drei Nachprüfungsverfahren nach dem Kärntner Auftragsvergabegesetz (K-VergG) anhängig seien. Diesen Verfahren lägen ein Vergabeverfahren der Stadt Klagenfurt zur Beschaffung eines Baggerladers (G258/02), ein Verfahren des Landes Kärnten zur Vergabe des "Baulos[es] Rutschung Stoffanelgraben, B 111 Gailtal Straße" (G266/02) sowie ein Verfahren der Marktgemeinde Maria Saal zur Vergabe des Bauvorhabens "Abwasserbeseitigungsanlage Maria Saal, Bauabschnitt 10, Fertigteile, Pumpstation und nicht förderfähige Baumaßnahmen" (G286/02) zugrunde. Die geschätzten Auftragswerte würden die jeweils einschlägigen Schwellenwerte des K-VergG, LGBl. 65/1997, idF LGBl. 23/2000 (§4 Abs1 K-VergG bzw. §5 Abs1 K-VergG) unterschreiten, weshalb es dem UVS verwehrt sei, ein Nachprüfungsverfahren nach den Bestimmungen des X. Abschnittes dieses Gesetzes durchzuführen.

Dies habe den UVS veranlasst, gemäß Art140 Abs1 B-VG die Anträge zu stellen, der Verfassungsgerichtshof möge die im Spruch genannten Bestimmungen bzw. Wortfolgen des K-VergG als verfassungswidrig aufheben.

2. In der Darlegung seiner Bedenken bezieht sich der UVS auf das hg. Erkenntnis VfSlg. 16.027/2000, in dem der Verfassungsgerichtshof festgestellt hat, dass es sachlich nicht zu rechtfertigen ist, im Unterschwellenwertbereich Bewerbern und Bietern nicht einmal ein Minimum an Verfahrensgarantien einzuräumen und auf jede außenwirksame Regelung des Vergabeverfahrens, die im Oberschwellenbereich als erforderlich und notwendig angesehen werde, zu verzichten. Der Verfassungsgerichtshof habe in dieser Entscheidung ausgeführt, dass eine sachliche Rechtfertigung für den Ausschluss eines vergabespezifischen Rechtsschutzes für bestimmte Vergaben nicht erkennbar sei: Vergabespezifische Rechtsschutzinstrumentarien nur für Vergaben oberhalb bestimmter Schwellenwerte zur Verfügung zu stellen und bei Vergaben von Aufträgen geringeren Wertes auf einen solchen zu verzichten bzw. sich mit einem weniger effektiven Rechtsschutz zu begnügen, sei sachlich nicht zu rechtfertigen.

3. Die Kärntner Landesregierung hat in allen drei Verfahren auf Grund ihrer Beschlüsse vom 24. September 2002 bzw. 5. November 2002 von der Erstattung von Äußerungen abgesehen.

II. Die maßgebliche Rechtslage des K-VergG, LGBl. 65/1997 idF 23/2000, stellt sich wie folgt dar:

Das K-VergG enthielt in der hier maßgeblichen Fassung gesetzliche Regelungen über das Vergabeverfahren und die Vergabekontrolle für die Vergabe von Liefer-, Dienstleistungs-, Bau- und Baukonzessionsaufträgen durch öffentliche Auftraggeber des Landes Kärnten. Das Gesetz gliederte sich in zwölf Abschnitte, wobei in Abschnitt I. allgemeine Bestimmungen und in den Abschnitten II. und III. Grundsätze des Vergabeverfahrens sowie Bestimmungen zu Ausschreibung, Angebot und zum Zuschlagsverfahren enthalten waren. Der IV. Abschnitt enthielt besondere Bestimmungen über die Vergabe von Liefer-, Bau- und Dienstleistungsaufträgen unterhalb bestimmter Schwellenwerte.

Hinsichtlich des sachlichen Geltungsbereiches des Gesetzes bestimmte §1 K-VergG idF LGBl. 23/2000 Folgendes (die angefochtene Bestimmung in Abs5 ist hervorgehoben):

"(1) Dieses Gesetz regelt die Vergabe von Lieferaufträgen, Bauaufträgen, Baukonzessionsaufträgen und Dienstleistungsaufträgen durch öffentliche Auftraggeber.

(1a) Dieses Gesetz gilt nicht für die Vergabe von Dienstleistungskonzessionsaufträgen.

(2) Der IV. Abschnitt dieses Gesetzes gilt - unbeschadet des zweiten Satzes - nur für Vergaben von öffentlichen Auftraggebern iSd.

§9 Abs1 lita bis c, wenn der geschätzte Auftragswert ohne Umsatzsteuer

a) bei der Vergabe von Liefer- und Dienstleistungsaufträgen weniger als 200.000 Euro und

b) bei der Vergabe von Bau- und Baukonzessionsaufträgen weniger als fünf Millionen Euro beträgt.

Der IV. Abschnitt dieses Gesetzes gilt nicht für

a) die Beauftragung mit künstlerischen Leistungen,

b) Wettbewerbe, die zur Vergabe eines Auftrages iSd. Abs1 führen sollen,

c) Dienstleistungsaufträge iSd. Anlage 3 und der Kategorie Nr 6 der Anlage 2,

d) Aufträge, die ein Auftraggeber iSd. §9 Abs1 zum Zweck der Durchführung einer in §58 Abs2 beschriebenen Tätigkeit im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationsbereich vergibt.

(3) Der I., II., III. und XI. Abschnitt dieses Gesetzes gelten für

a) Vergaben von öffentlichen Auftraggebern iSd. §9 Abs1 lita bis c, wenn der geschätzte Auftragswert ohne Umsatzsteuer die in Abs2 genannten Schwellenwerte nicht erreicht, ausgenommen Vergaben und Wettbewerbe iSd. Abs2 zweiter Satz, und

b) Vergaben von öffentlichen Auftraggebern iSd. §9 Abs1, wenn der geschätzte Auftragswert ohne Umsatzsteuer die in Abs2 und §7 genannten Schwellenwerte erreicht oder übersteigt.

(4) Der V., VII., VIII. und IX. Abschnitt dieses Gesetzes gilt nur für Aufträge, deren geschätzter Auftragswert ohne Umsatzsteuer die in Abs2 und in §7 genannten Schwellenwerte erreicht oder übersteigt, wobei der VII. Abschnitt nur für Lieferaufträge, der VIII. Abschnitt nur für Bauaufträge und Baukonzessionsaufträge und der IX. Abschnitt nur für Dienstleistungsaufträge und Wettbewerbe gilt.

(5) Der X. Abschnitt gilt nur für Aufträge, deren geschätzter Auftragswert ohne Umsatzsteuer die in Abs2 und §7 genannten Schwellenwerte erreicht oder übersteigt, sowie für Aufträge, die den Bestimmungen des VI. Abschnittes unterliegen.

(6) Der VI. Abschnitt gilt nur für Vergaben im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationsbereich. Für Vergaben in diesen Bereichen gilt dieses Gesetz nur, soweit sich dies aus dem VI. und X. Abschnitt ergibt."

Die unter den Rubriken "Schwellenwerte bei Lieferaufträgen" bzw. "Schwellenwerte bei Bauaufträgen und Baukonzessionsaufträgen" stehenden §4 Abs1 bzw. §5 Abs1 K-VergG normierten (in der hier maßgeblichen Fassung LGBl. 23/2000) wie folgt (die angefochtenen Wortfolgen sind hervorgehoben):

§4 "(1) Die Abschnitte V, VII und X gelten für die Vergabe von Lieferaufträgen dann, wenn der geschätzte Auftragswert ohne Umsatzsteuer mindestens 200.000 Euro beträgt."

§5 "(1) Die Abschnitte V, VIII und X gelten für die Vergabe von Bauaufträgen und Baukonzessionsaufträgen dann, wenn der geschätzte Auftragswert ohne Umsatzsteuer mindestens fünf Millionen Euro beträgt."

Die Abschnitte V. bis VIII. enthielten jeweils besondere Bestimmungen über die Vergabe bestimmter Arten von Aufträgen oberhalb der in den §§4 bis 7 festgelegten Schwellenwerte.

Im X. Abschnitt enthielt das K-VergG Bestimmungen über den vergabespezifischen Rechtsschutz sowie schadenersatzrechtliche Normen für die Vergabe von Aufträgen oberhalb der zitierten Schwellenwerte und im Sektorenbereich.

Der XI. Abschnitt enthielt Schluss- und Übergangsbestimmungen.

Schließlich ist noch auf den unter der Rubrik "Rechtsschutz für die Vergabe von Aufträgen oberhalb der Schwellenwerte und im Sektorenbereich" stehenden §80 Abs1 K-VergG in der hier maßgeblichen (Stamm-)Fassung zu verweisen, der wie folgt lautete (die zusätzlich zur hervorgehobenen Wortfolge in der Rubrik angefochtene Wortfolge ist nachfolgend unterstrichen):

"Ein Unternehmer, der ein Interesse am Abschluß eines Vertrages iSd. §1 Abs5 mit einem Auftraggeber behauptet, kann die Nachprüfung einer Entscheidung des Auftraggebers im Vergabeverfahren wegen Rechtswidrigkeit beantragen, wenn ihm durch die behauptete Rechtswidrigkeit ein Schaden entstanden ist oder zu entstehen droht. Über einen solchen Antrag entscheidet der unabhängige Verwaltungssenat für Kärnten."

[Mit LGBl. 48/2002 wurde §1 Abs5 aufgehoben und §80 Abs1 geändert; die Änderungen traten gem. ArtII Abs2 dieses Gesetzes am 1. September 2002 in Kraft. Gemäß Abs3 leg.cit. sollen die novellierten Bestimmungen aber nur auf Sachverhalte Anwendung finden, die sich nach In-Kraft-Treten der Novelle LGBl. 48/2002 ereignen.]

III. Der Verfassungsgerichtshof hat die Anträge gemäß den §§187 und 404 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbunden und über sie erwogen:

1. Es ist nichts hervorgekommen, was daran zweifeln ließe, dass der UVS bei Erledigung der bei ihm anhängigen Nachprüfungsanträge, die Anlass zur Stellung der vorliegenden Anträge boten, im Zuge der Beurteilung seiner Zuständigkeit die jeweils in diesen Anträgen angefochtenen Bestimmungen bzw. Wortfolgen des K-VergG (teilweise idF LGBl. 23/2000) anzuwenden hätte (vgl. dazu VfGH 26.6.2002, G20/01; vgl. auch ArtII des Gesetzes LGBl. 48/2002).

Da auch die übrigen Prozessvoraussetzungen vorliegen, erweisen sich die Anträge als zulässig.

2. Die Anträge des UVS sind auch begründet:

a) Wie der UVS zu Recht dartut, hat der Verfassungsgerichtshof schon mehrfach die Auffassung vertreten, dass es dem Gleichheitssatz widerspricht, bei der Vergabe von Aufträgen durch öffentliche Auftraggeber im Unterschwellenwertbereich auf eine aussenwirksame Regelung, die den Bewerbern und Bietern wenigstens ein Minimum an Verfahrensgarantien zur Verfügung stellt, gänzlich zu verzichten und die Bewerber und Bieter damit vom vergabespezifischen Rechtsschutz auszuschließen (zB VfSlg. 16.027/2000; VfGH 26.2.2001, G43/00; 9.10.2001, G10/01, sowie jeweils 26.2.2002, G349/01; G350/01; G351-355/01; G363/01). Daher stehen auch die vom UVS angefochtenen Bestimmungen bzw. Wortfolgen des K-VergG, die einen solchen vergabespezifischen Rechtsschutz bei Liefer- bzw. Bauaufträgen unterhalb bestimmter Schwellenwerte ausschließen, mit dem auch den Gesetzgeber bindenden Gleichheitssatz in Widerspruch.

Um Wiederholungen zu vermeiden, wird im Übrigen auf die erwähnten Erkenntnisse verwiesen.

b) Zu beachten war, dass die zur Aufhebung beantragten Bestimmungen bzw. Wortfolgen des K-VergG durch das Gesetz vom 23. Mai 2002, LGBl. 48/2002, teilweise aufgehoben, teilweise - ihren Sinn und die gesamte Gesetzessystematik (insb. auch betreffend die angefochtenen Wortfolgen "und X" in §4 Abs1 und §5 Abs1) verändernd - neu gefasst wurden. Da die Änderungen am 1. September 2002 in Kraft traten, war auszusprechen, dass die angefochtenen Bestimmungen bzw. Wortfolgen des K-VergG verfassungswidrig waren.

Die Verpflichtung des Landeshauptmannes zur Kundmachung dieses Ausspruches gründet sich auf Art140 Abs5 zweiter Satz B-VG iVm §64 Abs2 VfGG.

IV. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z2 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Vergabewesen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2003:G258.2002

Dokumentnummer

JFT_09969078_02G00258_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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