TE Vfgh Beschluss 2003/9/22 B1105/03

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Veröffentlicht am 22.09.2003
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Index

10 Verfassungsrecht
10/07 Verfassungsgerichtshof, Verwaltungsgerichtshof

Norm

VfGG §85 Abs2 / Allg

Leitsatz

Keine Folge für einen Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung; keine Kompetenz des VfGH zur Erlassung einer einstweiligen Verfügung, auch nicht auf Grund des Gemeinschaftsrechts

Spruch

Dem Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung wird keine Folge gegeben.

Begründung

Begründung:

1. a) Mit dem vor dem Verfassungsgerichtshof angefochtenen Bescheid des Bundesvergabeamtes (BVA) wurden die Anträge der nunmehr vor dem Verfassungsgerichtshof beschwerdeführenden Gesellschaft zurückgewiesen, die Entscheidungen der Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-AG (ASFINAG), das Angebot der beschwerdeführenden Gesellschaft auszuscheiden und das Vergabeverfahren zu widerrufen, für nichtig zu erklären.

b) In der gegen diesen Bescheid erhobenen, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerde wird auch der Antrag gestellt, eine einstweilige Anordnung folgenden Inhalts zu erlassen:

"Der Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft wird bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes über die gegenständliche Beschwerde untersagt, den Leistungsgegenstand des Vergabeverfahrens 'Austausch von Aluleitschienen, Ausschreibungsblock 2 Rand' (Bekanntmachung im Amtsblatt der EG 2002/S 252-201866) zu vergeben oder eine Zuschlagsentscheidung über die Vergabe des Leistungsgegenstands zu treffen.

In eventu:

Der Autobahnen- und Schnellstraßen-Finanzierungs-Aktiengesellschaft wird bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes über die gegenständliche Beschwerde untersagt, im Vergabeverfahren 'Anbringung von Leitplanken. Bau. Ausschreibungsblock 2 NEU 'Rand'. Demontage bestehender Aluleitschienen, Lieferung von Stahlleitschienen und Fertigbetonleitwänden. CPV: 45233280.' (Bekanntmachung im Amtsblatt der EG 2003/S 139-125903) weiter fortzufahren."

Begründend wird ausgeführt, dass der antragstellenden Gesellschaft durch die Rechtswidrigkeit der Entscheidung des BVA sowie durch die zu erwartende Dauer des Verfahrens über die Beschwerde ein bedeutender Schaden drohe, welcher darin bestehe, dass die ASFINAG trotz des anhängigen Beschwerdeverfahrens den Leistungsgegenstand des Vergabeverfahrens neuerlich zu vergeben versuchen werde (siehe die Bekanntmachung im Supplement zum Amtsblatt der EG 2003/S 139-125903 vom 23. Juli 2003). Die Möglichkeit, im "alten" Vergabeverfahren den Zuschlag zu erhalten, wäre selbst bei Aufhebung des bekämpften Bescheides und bei erfolgreichem Nachprüfungsverfahren vor dem BVA de facto dann nicht mehr vorhanden. Die Rechtsmittelrichtlinie verpflichte indes die Mitgliedsstaaten zur Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz im Nachprüfungsverfahren (Art2 Abs1). Diese Bestimmung über die Notwendigkeit der Ergreifung vorläufiger Maßnahmen im Wege einer einstweiligen Verfügung sei hinreichend genau und unbedingt, sodass es daher Pflicht des Verfassungsgerichtshofes sei, "den Rechtsschutz zu gewährleisten, der sich für den Einzelnen aus der unmittelbaren Wirkung des Gemeinschaftsrechts ergibt". Eine unzulässige Abschwächung der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts würde es bedeuten, wenn der Verfassungsgerichtshof durch "eine Vorschrift des nationalen Rechts daran gehindert werden könnte, einstweilige Anordnungen zu erlassen, um die volle Wirksamkeit der späteren Gerichtsentscheidung über das Bestehen der aus dem Gemeinschaftsrecht hergeleiteten Rechte sicherzustellen".

In der Folge versucht die antragstellende Gesellschaft darzutun, dass ihre Interessen jene der ASFINAG überwiegen und auch die öffentlichen Interessen, insbesondere auf Einhaltung der vergaberechtlichen Vorschriften und Hintanhaltung eines Vertragsverletzungsverfahrens wegen "Schlechtumsetzung der Richtlinie bzw der Verhinderung von effektiven Rechtschutz", für die Erlassung der begehrten Anordnung sprächen.

c) Sowohl das BVA als auch die ASFINAG erstatteten Äußerungen, in denen sie die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes zur Erlassung einer einstweiligen Verfügung im vorliegenden Fall bestritten.

2. Dem Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung ist keine Folge zu geben:

Weder die Bundesverfassung noch eine andere Verfassungsbestimmung, noch auch das VfGG oder die im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof nach §35 VfGG sinngemäß anzuwendenden Bestimmungen der Zivilprozessordnung und des Einführungsgesetzes zur Zivilprozessordnung enthalten eine Regelung, die die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes zur Erlassung einer von der antragstellenden Gesellschaft begehrten einstweiligen Verfügung begründen könnte.

Die antragstellende Gesellschaft meint aber offenbar, dass entweder Art2 Abs1 lita der Rechtsmittelrichtlinie 89/665/EWG (ABl. 1989 L 295, 33) kraft Anwendungsvorrangs oder aber eine richtlinienkonforme Interpretation der oben zitierten nationalen Vorschriften eine Rechtsgrundlage für die Erlassung einer einstweiligen Verfügung durch den Verfassungsgerichtshof im vorliegenden Fall bieten würden.

Damit ist die antragstellende Gesellschaft aber nicht im Recht:

Im vorliegenden - verfassungsgerichtlichen - Verfahren geht es, was die antragstellende Gesellschaft nicht hinreichend bedenkt, nämlich nicht um die (vorläufige) Sicherung eines sich für die antragstellende Gesellschaft aus der unmittelbaren Anwendbarkeit des Gemeinschaftsrechts ergebenden Rechtes (worauf es nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes in der Rechtssache Factortame ankommt), sondern um die Sicherung von verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten und die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der angewendeten generellen Rechtsnormen. Hiefür kann - von hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmefällen abgesehen - aber aus dem Gemeinschaftsrecht keine Befugnis zur Erlassung einstweiliger Verfügungen durch den Verfassungsgerichtshof abgeleitet werden; anderes mag allenfalls für den Verwaltungsgerichtshof gelten [vgl. zB Müller, in: Machacek (Hrsg.), Verfahren vor dem VfGH und vor dem VwGH4, 2000, 201 ff.], der nunmehr - dem BVergG 2002 zufolge - berufen ist, Bescheide des BVA ganz allgemein auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen.

Dem auf die Erlassung einer einstweiligen Anordnung durch den Verfassungsgerichtshof abzielenden Antrag war daher keine Folge zu geben (vgl. VfSlg. 15.788/2000, 15.982/2000).

Dies konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lita VfGG in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

EU-Recht, VfGH / Verfügung einstweilige, Vergabewesen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2003:B1105.2003

Dokumentnummer

JFT_09969078_03B01105_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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