TE Vwgh Erkenntnis 2008/6/26 2006/06/0009

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Veröffentlicht am 26.06.2008
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
16/02 Rundfunk;
27/01 Rechtsanwälte;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §56;
AVG §58;
B-VG Art130 Abs1 lita;
ORF-G 2001 §19;
ORF-G 2001 §28 Abs1;
ORF-G 2001 §30;
RAO 1868 §10 Abs1;
RAO 1868 §23 Abs2 idF 2003/I/093;
RAO 1868 §26 Abs5;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten, Dr. Rosenmayr und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Crnja, über die Beschwerde der Dr. MW in W, vertreten durch Dr. Harald Schmidt, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Mariahilfer Straße 1d, gegen den Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer W (Plenum) vom 16. November 2004, Zl. 06/03 2004/3522, betreffend Weisung gemäß § 23 RAO, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Die Rechtsanwaltskammer W hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer W, Abteilung IVb, stellte mit Schreiben an die Beschwerdeführerin vom 5. Oktober 2004 unter Hinweis auf eine Beschwerde des ORF vom 3. Mai 2004 fest, dass die Beschwerdeführerin neben ihrer Funktion als Rechtsanwältin auch Mitglied des Publikumsrates des ORF sei. In ihrer Funktion als Rechtsanwältin vertrete die Beschwerdeführerin auch einige Personen in diversen Gerichtsverfahren gegen den ORF. Der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer W sei auf Grund des ihm vorliegenden Sachverhaltes zu dem Entschluss gekommen, dass eine Vertretung gegen den ORF durch die Beschwerdeführerin als Mitglied eines Organes der "Stiftung Österreichischer Rundfunk" unzulässig sei. Gemäß § 19 des ORF-Gesetzes (ORF-G) sei der Publikumsrat ein Organ der "Stiftung Österreichischer Rundfunk". Die Mitglieder seien zur Verschwiegenheit über alle im Rahmen ihrer Tätigkeit bekannt werdenden Umstände der Stiftung und der mit ihr verbundenen Unternehmen verpflichtet. Diese Geheimhaltungsverpflichtung bestehe auch nach ihrem Ausscheiden als Mitglied eines Stiftungsorganes (§ 19 Abs. 4 leg. cit). Gemäß § 30 Abs. 2 ORF-G sei der Publikumsrat zur Erfüllung seiner Aufgaben befugt, den Generaldirektor, die Direktoren und die Landesdirektoren über alle von ihnen zu besorgenden Aufgaben des Österreichischen Rundfunks zu befragen und alle einschlägigen Auskünfte zu verlangen. Durch die Vertretung Dritter - wenn auch Publikum der "Stiftung Österreichischer Rundfunk", für das der Publikumsrat eingesetzt sei - erwecke der Rechtsanwalt, der gleichzeitig Mitglied des Publikumsrates sei, den Anschein, dass er nicht unabhängig sei, sondern das Interesse beider Parteien vertreten könne. Er unterliege sowohl in seiner Funktion als vertretender Anwalt der Verschwiegenheitspflicht als auch in seiner Funktion als Mitglied des Publikumsrates, bei welchem er die Möglichkeit habe, Informationen zu erlangen, die ein Dritter, der nicht Mitglied des Publikumsrates sei, nicht erlangen könne.

Wenn die Beschwerdeführerin darauf hingewiesen habe, dass ein Rechtsanwalt als Mitglied der Vorgängerorganisation des Publikumsrates, der Hörer- und Sehervertretung, einen früheren Generalintendanten des ORF rechtsfreundlich in einem Prozess gegen den ORF vertreten habe, so sei darauf hinzuweisen, dass sich zwischenzeitlich die Gesetzeslage geändert habe. In der bis zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung des ORF-G sei keine Verschwiegenheitsverpflichtung der Organe der Hörer- und Sehervertretung vorgesehen gewesen. Eine solche sei jedoch nunmehr in § 19 Abs. 4 leg. cit. stipuliert. Diese Geheimhaltungsverpflichtung bestehe auch nach dem Ausscheiden als Mitglied eines Stiftungsorganes fort. Zusammenfassend sei festzuhalten, das eine Vertretung Dritter gegen den ORF durch ein Mitglied eines Organes dieser Stiftung, welches Rechtsanwalt sei, mit den Standesregeln unvereinbar und unzulässig sei.

Der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer W, Abteilung IVb, formulierte wie folgt:

"Aus diesem Grund erteilt Ihnen der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer W die WEISUNG

keine Vertretungen gegen den ORF mehr zu übernehmen und die derzeit bestehenden Vollmachtsverhältnisse unverzüglich aufzulösen.

Ausdrücklich wird darauf hingewiesen, dass ein Ausscheiden aus dem Publikumsrat nicht ausreichen würde, da § 19 Abs. 4 ORF-Gesetz in der derzeitigen Fassung normiert, dass die Geheimhaltungspflicht auch nach dem Ausscheiden als Mitglied eines Stiftungsorganes fortbesteht".

Gegen diese Weisung erhob die Beschwerdeführerin das Rechtsmittel der Vorstellung, in der sie im Wesentlichen ausführte, dass der Publikumsrat gemäß § 28 Abs. 1 ORF-G "zur Wahrung der Interessen der Hörer und Seher" eingerichtet sei und ihm nicht die Wahrnehmung von "Interessen der juristischen Person" obliege. Ein Anschein, dass die Beschwerdeführerin von den Interessen der juristischen Person nicht unabhängig sei, sondern auch deren Interessen vertrete, könne daher vernünftigerweise gar nicht entstehen. Die Verschwiegenheitsverpflichtung der Mitglieder des Publikumsrates betreffe auch gemäß § 19 Abs. 4 ORF-G nur die Umstände der Stiftung und gehe damit über die Verschwiegenheitspflicht jedes Rechtsanwalts gegenüber seinem Mandanten gemäß § 9 Abs. 2 RAO nicht hinaus. Wäre die Auffassung des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer W richtig, so dürfte kein Rechtsanwalt mehr als einen Mandanten derselben Branche zugleich vertreten, weil durch jedes solches Mandat ihm nämlich zwangsläufig Tatsachen bekannt würden, deren Geheimhaltung vor Mitbewerbern im Interesse der jeweiligen Partei gelegen sei. Die Fähigkeit jedes Rechtsanwaltes zu einer solchen Geheimhaltung setze § 9 Abs. 2 RAO aber voraus. Die rundfunkrechtliche Vereinbarkeit der Tätigkeit der Beschwerdeführerin als Rechtsanwältin mit ihrer Mitgliedschaft im Publikumsrat habe allein der Bundeskommunikationssenat gemäß § 35 ORF-G zu beurteilen. Die Beschwerdeführerin beantragte die Aufhebung der ihr erteilten Weisung.

Mit dem angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 16. November 2004 wurde die Vorstellung der Beschwerdeführerin gemäß § 23 und § 26 Abs. 5 RAO abgewiesen. Begründet wurde dies damit, dass die Beschwerdeführerin seit 1998 Mitglied des Publikumsrates des ORF sei, mehrere Mandanten in Gerichtsverfahren gegen den ORF wegen behaupteter Rechtsverletzungen in Programmen des ORF vertrete und diverse Ansprüche (u.a. Unterlassung, Widerruf, Urteilsveröffentlichung, Schadenersatz) geltend mache. Auf Grund einer Anfrage des ORF vom 3. Mai 2004 sei die Beschwerdeführerin zur Stellungnahme aufgefordert worden, in welcher sie den Sachverhalt im Wesentlichen bestätigt habe, aber die Rechtsansicht geäußert habe, zur Übernahme der Vertretungen berechtigt zu sein. Die Vorstellung der Beschwerdeführerin gegen die ihr erteilte Weisung vom 5. Oktober 2004 sei zulässig, aber unbegründet. Die vom Ausschuss einer Rechtsanwaltskammer gemäß § 23 RAO erteilten Aufträge seien als Bescheide anzusehen (Hinweis auf die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 1314/1930, 2150/1951, 13.812/1994 und Stolzlechner, AnwBl 1999, 532 ff), gegen sie sei das Rechtsmittel der Vorstellung nach § 26 Abs. 5 RAO zulässig.

Der Publikumsrat sei gemäß § 19 Abs. 1 Z. 3 ORF-G ein Organ des Österreichischen Rundfunks und gemäß § 28 Abs. 1 ORF-G zur Wahrung der Interessen der Hörer und Seher am Sitz des ORF einzurichten. Die Aufgaben des Publikumsrats seien in § 30 ORF-G geregelt. Gemäß § 30 Abs. 2 ORF-G könne der Publikumsrat die Erteilung aller einschlägigen Auskünfte durch den Generaldirektor, die Direktoren und die Landesdirektoren verlangen. Gemäß § 40 Abs. 5 zweiter Satz ORF-G sei der Prüfungsbericht des Organs Prüfungskommission (§ 19 Abs. 1 Z. 4 ORF-Gesetz) auch dem Publikumsrat vorzulegen. Gemäß § 1 RL-BA erfolge jedwede berufsmäßige Besorgung fremder Angelegenheiten durch den Rechtsanwalt in Ausübung seines Berufes. Er habe daher auch als Mitglied von Organen privater oder öffentlich-rechtlicher Rechtsträger jedenfalls auch die standesrechtlichen Vorschriften der RAO sowie der RL-BA zu beachten. Gemäß § 10 RAO sei einem Rechtsanwalt jegliche Art der Doppelvertretung untersagt, wobei unter "vertreten" im Sinne des § 10 Abs. 1 RAO jede anwaltliche Tätigkeit zunächst für und dann gegen den Klienten zu verstehen sei, unabhängig davon, ob das Einschreiten auf Grund einer Vollmacht geschehe. Dabei sei auch die unechte (formelle) Doppelvertretung, unabhängig von einer konkreten Gefahr einer Interessenkollision oder eines unmittelbaren oder mittelbaren Sachzusammenhanges zwischen den betreffenden Rechtssachen zu verstehen (hier zitiert die belangte Behörde Feil/Wennig, Anwaltsrecht, § 10, RdZ 8 m.w.N.). Eine Kollision mit § 10 RAO werde insbesondere auch in jenem Fall angenommen, in welchem ein Rechtsanwalt die Funktion als Aufsichtsratsmitglied einer Gesellschaft bekleide und gleichzeitig einen Dritten in Rechtsstreitigkeiten mit der Gesellschaft berate und vertrete (Zitat Krejci, Der Rechtsanwalt im Aufsichtsrat, RdW 1993, 98). Die Rechtsansicht der Beschwerdeführerin, die Verschwiegenheitspflicht der Mitglieder des Publikumsrates beträfe "nur die Umstände der Stiftung" und gehe über die Verschwiegenheitspflicht des Rechtsanwaltes nicht hinaus, finde keine Grundlage im Gesetz und habe im Übrigen mit der Frage der Interessenkollision nichts zu tun. Es könne daher auch dahinstehen, ob der Publikumsrat nur zur Wahrung der Interessen der Hörer und Seher eingerichtet sei oder ob er dabei jedenfalls auch die Interessen der juristischen Person selbst wahrzunehmen habe. Da es sohin auf Grund der gesetzlichen Befugnisse des Publikumsrates möglich sei, dass der Beschwerdeführerin Tatsachen offenbar würden, die auch gegen den ORF angestrengte Rechtsstreitigkeiten betreffen könnten, liege der Fall einer unechten formellen Doppelvertretung vor. Die Weisung sei daher "in vollem Umfang aufrecht zu erhalten und die unberechtigte Vorstellung abzuweisen".

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, zunächst beim Verfassungsgerichtshof eingebrachte und von diesem mit Erkenntnis vom 2. November 2005, B 1619/04, abgewiesene und dem Verwaltungsgerichtshof abgetretene Beschwerde.

Im angeführten Erkenntnis erachtet der Verfassungsgerichtshof das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht der Beschwerdeführerin auf Freiheit der Erwerbsausübung nicht als verletzt, weil selbst dann, wenn der ORF von der Beschwerdeführerin nicht "als Mandant" vertreten werde, doch zu beachten sei, dass gemäß den einschlägigen Bestimmungen der RAO (insbesondere des § 10) und § 1 RL-BA jedwede berufsmäßige Besorgung fremder Angelegenheiten durch einen Rechtsanwalt in Ausübung seines Berufes erfolge. Der Publikumsrat des ORF sei gemäß § 30 Abs. 2 ORF-G zur Erfüllung der in Abs. 1 leg. cit. genannten Aufgaben befugt, den Generaldirektor, die Direktoren und die Landesdirektoren über alle von ihnen zu besorgenden Aufgaben des ORF zu befragen und alle einschlägigen Auskünfte zu verlangen. Es sei daher vor dem Hintergrund dieser Rechtslage möglich, dass der Beschwerdeführerin Tatsachen offenbar würden, die auch die gegen den ORF angestrengten Rechtsstreitigkeiten betreffen könnten. Die Verschwiegenheitspflicht der Mitglieder des Publikumsrates spreche nicht gegen die Annahme des Vorliegens einer unechten Doppelvertretung. Die von der belangten Behörde vorgenommene Subsumtion des der Beschwerdeführerin vorgeworfenen Verhaltens unter § 10 RAO sei "somit nicht denkunmöglich erfolgt", weshalb keine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Freiheit der Erwerbsausübung vorliege.

Der Verfassungsgerichtshof vertrat die Auffassung, dass der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer in Ausübung seines Überwachungs- und Aufsichtsrechtes allgemeine oder besondere Anordnungen an die Mitglieder erlassen könne (§§ 23, 28 RAO). Ob eine individuell erteilte Anordnung gesetzmäßig sei, das heiße, ob der Adressat seine Pflichten als Anwalt verletzt habe, habe nur der Disziplinarrat in einem Disziplinarverfahren festzustellen. In diesem Verfahren sei auch zu prüfen, ob der angefochtene Bescheid des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer in den Grenzen des Gesetzes, insbesondere der RAO, gefasst worden sei (Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 1314/1930 und Feil/Wennig, Anwaltsrecht, 2004, § 23, Rz. 1, und Stolzlechner,

Zur Erteilung standesrechtlicher Aufträge sowie zur Erlassung von Feststellungsbescheiden durch den Ausschuss einer Rechtsanwaltskammer gemäß § 23 RAO, AnwBl. 1999, 537).

In der - entsprechend ergänzten - Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof macht die Beschwerdeführerin inhaltliche Rechtswidrigkeit sowie in eventu Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend und beantragt die Aufhebung des angefochtenen Bescheides.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der Verwaltungsakten sowie nach Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:

Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen der Rechtsanwaltsordnung, RGBl. Nr. 96/1868, zuletzt geändert durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 93/2003, lauten:

"§ 9. (1) ...

(2) Der Rechtsanwalt ist zur Verschwiegenheit über die ihm anvertrauten Angelegenheiten und die ihm sonst in seiner beruflichen Eigenschaft bekannt gewordenen Tatsachen, deren Geheimhaltung im Interesse seiner Partei gelegen ist, verpflichtet. Er hat in gerichtlichen und sonstigen behördlichen Verfahren nach Maßgabe der verfahrensrechtlichen Vorschriften das Recht auf diese Verschwiegenheit.

...

§ 10. (1) Der Rechtsanwalt ist nicht verpflichtet, die Vertretung einer Partei zu übernehmen, und kann dieselbe ohne Angabe der Gründe ablehnen; allein er ist verpflichtet, die Vertretung oder auch nur die Ertheilung eines Rathes abzulehnen, wenn er die Gegenpartei in derselben oder in einer damit zusammenhängenden Sache vertreten hat oder in solchen Angelegenheiten früher als Richter oder als Staatsanwalt thätig war. Ebenso darf er nicht beiden Theilen in dem nämlichen Rechtsstreite dienen oder Rath ertheilen.

(2) Der Rechtsanwalt ist überhaupt verpflichtet, durch Redlichkeit und Ehrenhaftigkeit in seinem Benehmen die Ehre und Würde des Standes zu wahren.

...

§ 23. (1) Der Wirkungsbereich der Rechtsanwaltskammer erstreckt sich auf das Bundesland, für das sie errichtet wurde, sowie auf alle Rechtsanwälte, die in die Liste dieser Rechtsanwaltkammer eingetragen sind. Die Rechtsanwaltskammer besorgt ihre Geschäfte teils unmittelbar in Plenarversammlungen teils mittelbar durch ihren Ausschuss.

(2) Die Rechtsanwaltskammer hat innerhalb ihres Wirkungsbereiches die beruflichen, sozialen und wirtschaftlichen Interessen der der Rechtsanwaltskammer angehörenden Rechtsanwälte wahrzunehmen, zu fördern und zu vertreten. Dabei obliegt der Rechtsanwaltskammer insbesondere auch die Wahrung der Ehre, des Ansehens, der Rechte und der Unabhängigkeit sowie die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltsstandes.

...

§ 26. (1) Der Ausschuss besteht in Rechtsanwaltskammern, in deren Liste am 31. Dezember des der Wahl des Ausschusses vorangegangenen Kalenderjahrs nicht mehr als 50 Rechtsanwälte eingetragen sind, aus 5 Mitgliedern, mit 51 bis 100 Rechtsanwälten aus 8 Mitgliedern, mit 101 bis 250 Rechtsanwälten aus 10 Mitgliedern, mit 201 bis 1 000 Rechtsanwälten aus 15 Mitgliedern und mit mehr als 1 000 Rechtsanwälten aus 30 Mitgliedern. Der Präsident und die Präsidenten-Stellvertreter sind Mitglieder des Ausschusses.

(2) Besteht der Ausschuss aus mindestens 10 Mitgliedern, so sind die im § 28 Abs. 1 lit. b, d, f, g, h und i aufgezählten Aufgaben, ferner die Aufsicht über Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter, die Bestellung von Rechtsanwälten nach den §§ 45 oder 45a und die Beschlussfassung nach § 16 Abs. 5 sowie die Zuerkennung von Leistungen aus der Versorgungseinrichtung in Abteilungen zu erledigen. Die Abteilungen bestehen aus 5 Ausschussmitgliedern. Der Ausschuss hat die Abteilungen zusammenzusetzen und die Geschäfte unter die Abteilungen zu verteilen.

...

(5) Gegen den Beschluss einer Abteilung kann binnen 14 Tagen nach Zustellung des Beschlusses Vorstellung erhoben werden; über diese entscheidet der Ausschuss."

Gemäß § 1 der Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes und für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und für die Ausbildung der Rechtsanwaltswärter, Satzung des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages vom 8. Oktober 1977 (RL-BA 1977), kundgemacht im Amtsblatt zur Wiener Zeitung am 14. Dezember 1977, u.a. (vgl. auch die Homepage des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages http://www.rechtsanwaelte.at), erfolgt "(j)edwede berufsmäßige Besorgung fremder Angelegenheiten durch den Rechtsanwalt ... in Ausübung seines Berufes."

Die im Beschwerdefall maßgeblichen Bestimmungen des Bundesgesetzes über den Österreichischen Rundfunk (ORF-Gesetz, ORF-G), BGBl. Nr. 379/1984 i.d.F. BGBl. I Nr. 83/2001, lauten:

"Organe des Österreichischen Rundfunks

§ 19. (1) Die Organe des Österreichischen Rundfunks sind:

     1.        der Stiftungsrat,

     2.        der Generaldirektor,

     3.        der Publikumsrat,

     4.        die Prüfungskommission.

(2) Die Mitglieder der Kollegialorgane gemäß Abs. 1 sind bei der Ausübung ihrer Funktion im Österreichischen Rundfunk an keine Weisungen und Aufträge gebunden; sie haben ausschließlich die sich aus den Gesetzen und der Geschäftsordnung ergebenden Pflichten zu erfüllen.

(3) Die Funktion als Mitglied des Stiftungsrates und des Publikumsrates ist ein Ehrenamt. Die Mitglieder haben Anspruch auf angemessenen Ersatz der angefallenen Kosten.

(4) Sämtliche Mitglieder der Stiftungsorgane sind, soweit gesetzlich nicht anderes bestimmt ist, zur Verschwiegenheit über alle ihnen im Rahmen ihrer Tätigkeit bekannt werdenden Umstände der Stiftung und der mit ihr verbundenen Unternehmen verpflichtet. Diese Geheimhaltungsverpflichtung besteht auch nach ihrem Ausscheiden als Mitglied eines Stiftungsorgans fort. Bei Ausscheiden sind alle schriftlichen Unterlagen, welche Angelegenheiten der Stiftung und der mit ihr verbundenen Unternehmen betreffen, an die Stiftung zurückzustellen.

...

Publikumsrat

§ 28. (1) Zur Wahrung der Interessen der Hörer und Seher ist am Sitz des Österreichischen Rundfunks ein Publikumsrat einzurichten, der aus 35 Mitgliedern besteht.

...

Aufgaben des Publikumsrats

     § 30. (1) Dem Publikumsrat obliegt

     1.        die Erstattung von Empfehlungen hinsichtlich der

Programmgestaltung und von Vorschlägen für den technischen Ausbau;

     2.        die Bestellung von sechs Mitgliedern des

Stiftungsrates, wobei drei Mitglieder aus den auf Grund der

Ergebnisse der Direktwahl bestellten sechs Mitgliedern des

Publikumsrates stammen müssen und jedenfalls je ein Mitglied aus

den Bereichen der gesetzlich anerkannten Kirchen und

Religionsgesellschaften, der Hochschulen und der Kunst zu

bestellen ist;

     3.        die Anrufung des Bundeskommunikationssenates;

     4.        die Genehmigung von Beschlüssen des Stiftungsrates,

mit denen die Höhe des Programmentgelts (Radioentgelt,

Fernsehentgelt) festgelegt wird;

     5.        die Erstattung von Vorschlägen zur Erfüllung des

gesetzlichen Auftrages in den in diesem Gesetz vorgesehenen

Fällen, und Stellungnahme zur Anrechnung von Programmanteilen für

Volksgruppen. Dazu können vom Publikumsrat Vertreter der

Volksgruppenbeiräte angehört werden;

     6.        die Erstattung von Empfehlungen an den Stiftungsrat

hinsichtlich der Jahressendeschemen;

     7.        die Erstattung von Empfehlungen zu

Qualitätssicherungssystemen;

     8.        die Erstattung von Empfehlungen zum Angebot von

Sendungen für gehörlose und gehörbehinderte Menschen (§ 5 Abs. 3).

(2) Der Publikumsrat ist zur Erfüllung der im Abs. 1 genannten Aufgaben befugt, den Generaldirektor, die Direktoren und die Landesdirektoren über alle von ihnen zu besorgenden Aufgaben des Österreichischen Rundfunks zu befragen und alle einschlägigen Auskünfte zu verlangen. Die Befragten haben die an sie gerichteten Anfragen längstens innerhalb von zwei Monaten schriftlich oder auf Verlangen auch mündlich zu beantworten. Eine Antwort darf nur so weit verweigert werden, als überwiegende Interessen des Österreichischen Rundfunks oder das öffentliche Interesse es erfordern.

(3) Hat der Publikumsrat Empfehlungen hinsichtlich der Programmgestaltung erstattet, so hat der Generaldirektor innerhalb einer angemessenen, drei Monate nicht überschreitenden Frist dem Publikumsrat zu berichten, ob und in welcher Form der Empfehlung entsprochen worden ist oder aus welchen Gründen der Empfehlung nicht gefolgt wird.

(4) An den Sitzungen des Publikumsrates hat der Generaldirektor oder ein von ihm bestellter Vertreter mit beratender Stimme teilzunehmen. Der Publikumsrat ist befugt, auf Grund eines an den Generaldirektor gerichteten Ersuchens die Anwesenheit eines Direktors oder eines Landesdirektors zu verlangen. Die Mitglieder des Stiftungsrates sind berechtigt, an den Sitzungen des Publikumsrates mit beratender Stimme teilzunehmen.

(5) Der Publikumsrat kann - zusätzlich zu der vom Österreichischen Rundfunk selbst durchgeführten Meinungsbefragung -

verlangen, dass der Österreichische Rundfunk einmal im Jahr eine repräsentative Teilnehmerbefragung zu vom Publikumsrat festzulegenden Themenbereichen durchführen lässt. Die Ergebnisse aller Meinungsbefragungen des Österreichischen Rundfunks sind dem Publikumsrat zur Kenntnis zu bringen.

...

Rechtsaufsicht

§ 35. (1) Die Aufsicht des Bundes über den Österreichischen Rundfunk beschränkt sich auf eine Aufsicht nach Maßgabe dieses Bundesgesetzes, unbeschadet der Prüfung durch den Rechnungshof. Die Rechtsaufsicht obliegt dem Bundeskommunikationssenat, der über behauptete Verletzungen von Bestimmungen dieses Bundesgesetzes zu entscheiden hat. Ferner entscheidet der Bundeskommunikationssenat über Einsprüche gemäß § 33 Abs. 6.

(2) Dem Bundeskommunikationssenat obliegt auch die Rechtsaufsicht über die Tätigkeit der Tochtergesellschaften des Österreichischen Rundfunks im Hinblick auf die Einhaltung der Bestimmungen dieses Bundesgesetzes."

Die Beschwerdeführerin meint zunächst, die in der bisherigen Rechtsprechung zu § 23 RAO in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 93/2003 vertretene Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes, dass es sich bei Beschlüssen des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer nach dieser Gesetzesstelle um keine Bescheide handle, könne nicht weiter aufrecht erhalten werden. Die Auffassung, dem betroffenen Rechtsanwalt sei es unbenommen, die Rechtsgültigkeit einer ihm nach dieser Gesetzesstelle erteilten Weisung auf eigene Gefahr in Frage zu stellen und durch Nichtbefolgung im Wege eines Disziplinarverfahrens feststellen zu lassen, stehe nicht nur im Widerspruch zur "Zumutbarkeit" nach Art. 139 B-VG, sondern sei "blanker Hohn". Der individuellen Anordnung des angefochtenen Bescheides komme nämlich durchaus jenes Ausmaß an Unabänderlichkeit und Unwiederholbarkeit zu, welches sie als Bescheid qualifizieren lasse.

§ 10 RAO verpflichte die Beschwerdeführerin zur Ablehnung einer Vertretung nur dann, wenn sie die Gegenpartei in derselben oder in einer damit zusammenhängenden Sache beraten und vertreten habe, dies gelte sohin nur in jener oder einer damit zusammenhängenden Sache, in welcher sie bereits für die Gegenpartei beratend oder vertretend tätig geworden sei (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 27. März 2000, Zl. 2000/10/0037). Dass dies auch nur in einer der dem angefochtenen Bescheid zu Grunde gelegten Mediensache tatsächlich der Fall gewesen wäre, sei im angefochtenen Bescheid nicht festgestellt. Ein bloßes Naheverhältnis, wie es durch die Berufung in den Publikumsrat des ORF begründet werde, genüge ebenso wenig (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 27. März 2000, Zl. 2000/10/0037) wie etwa eine Treuhandschaft gegenüber einer Bank (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 29. Jänner 2001, Zl. 98/10/0302).

Die belangte Behörde habe auch nicht festgestellt, dass die Beschwerdeführerin gleichzeitig mit einem dem angefochtenen Bescheid zu Grunde liegenden Mandat den ORF in derselben oder einer zusammenhängenden Sache beraten oder vertreten hätte. Eine Interessenkollision im Sinne des § 10 RAO könne jedoch nur eine solche Tätigkeit begründen, welche sich auf dieselbe oder eine damit zusammenhängende Sache beziehe, in welcher der Rechtsanwalt bereits anderweitig tätig geworden sei (Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 17. Februar 2004, Zl. 2003/06/0003).

Zwar habe der Publikumsrat des ORF die Befugnis, die Direktoren des ORF über alle von ihnen zu besorgenden Aufgaben zu befragen und alle einschlägigen Auskünfte von ihnen zu verlangen, jedoch sei diese Befugnis darauf eingeschränkt, dass dies der Erfüllung der Aufgaben des Publikumsrates dienen müsse (§ 30 Abs. 1 ORF-G). Auch stehe die Befugnis, Auskünfte zu verlangen, nur dem Publikumsrat und nicht einem seiner 35 Mitglieder zu.

Die Beschwerdeführerin meint weiters, dass dem angefochtenen Bescheid dahin nicht zu folgen sei, dass sie ihr Mandat im Publikumsrat "in Ausübung ihres Berufes" im Sinne des § 1 RL-BA ausgeübt hätte, bei der Tätigkeit als Mitglied des Publikumsrates handle es sich nicht um eine berufsmäßige Besorgung fremder Angelegenheiten im Sinne dieser Vorschrift. Die Beschwerdeführerin sei als Mitglied des Publikumsrates auch nicht von den Kammern der freien Berufe gemäß § 28 Abs. 3 Z. 2 ORF-G bestellt worden. Im Publikumsrat übe sie ihren Beruf als Rechtsanwältin ebenso wenig aus wie etwa ein Arzt die Heilkunde.

Die belangte Behörde habe außer Acht gelassen, dass die Sitzungen des Publikumsrates nach § 6 Abs. 5 seiner Geschäftsordnung öffentlich seien, sofern der Publikumsrat nicht die Vertraulichkeit des Verhandlungsgegenstandes beschließe. Im Regelfall bestehe daher gar keine Verschwiegenheitspflicht. Die mit dem angefochtenen Bescheid erteilte Weisung, jetzt und auf immer keine Mandate gegen den ORF zu übernehmen, könnte sich daher lediglich auf solche Rechtssachen beziehen, welche mit vertraulichen Verhandlungsgegenständen des Publikumsrates und ebensolchen Befragungen der Direktoren des ORF bzw. ebensolchen Auskünften derselben an den Publikumsrat zusammenhängen, beziehen. Solche Zusammenhänge habe die belangte Behörde aber nicht festgestellt.

Vollends rechtswidrig sei der angefochtene Bescheid aber auch im Hinblick darauf, dass damit eine unbefristete Weisung der belangten Behörde an die Beschwerdeführerin ergangen sei, auch nach ihrem Ausscheiden aus dem Publikumsrat, welches durch Zurücklegung ihres Mandates am 25. Jänner 2005, spätestens aber mit dessen Rekonstituierung nach dessen Neuwahl am 3. Februar 2006 erfolgt sei, weiterhin auf Dauer keine Vertretungen gegen den ORF mehr zu übernehmen. Ein Zusammenhang ihres längst beendeten Mandats mit allen künftig von ihr gegen den ORF zu vertretenden Rechtssachen sei schon begrifflich von vornherein denkunmöglich; selbst die allfällige Kollision eines Aufsichtsrates sei auf die Dauer seines Mandates beschränkt (Hinweis auf Krejci, RdW 1993, 98).

Zum Beschwerdevorbringen ist auszuführen:

Es ist der gleichermaßen vom Verfassungsgerichtshof, von der belangten Behörde wie auch von der Beschwerdeführerin vertretenen Auffassung beizupflichten, dass es sich bei der mit der vorliegenden Beschwerde angefochtenen Erledigung um einen Bescheid handelt, und es besteht im vorliegenden Fall kein Zweifel daran, dass dieser auch vor dem Verwaltungsgerichtshof mit Beschwerde bekämpft werden kann. Die angefochtene Erledigung des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer W (Plenum) ist nämlich als Bescheid bezeichnet, sie enthält eine klare Anführung jener Behörde, die sie erlassen hat, sie trägt ein Datum und weist eine Unterschrift auf. Die angefochtene Erledigung enthält weiters das Merkmal eines Spruches, mit welchem die "Vorstellung vom 21.10.2004 gegen die Weisung der Abteilung IVb des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer W vom 5.10.2004 ... gemäß §§ 23, 26 Abs. 5 RAO abgewiesen" wird, es wird zusammenfassend ausgeführt: "Die Weisung war daher in vollem Umfang aufrecht zu erhalten und die unberechtigte Vorstellung abzuweisen." Die angefochtene Erledigung trägt daher die formellen Merkmale eines Bescheides im Sinne des Art. 130 Abs. 1 lit. a B-VG.

Auch in inhaltlicher Hinsicht geht aus der angefochtenen Erledigung mit Deutlichkeit hervor, dass damit ein für die Rechtssphäre der Beschwerdeführerin relevanter Ausspruch erfolgen sollte: Die belangte Behörde hat damit über ein Rechtsmittel der Beschwerdeführerin gegen eine Weisung der Abteilung IVb des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer W auf rechtsverbindliche Weise und abschlägig abgesprochen und sich deren Inhalt in Form der ausdrücklichen Aufrechterhaltung der angefochtenen Weisung des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer W zu Eigen gemacht.

Der Beurteilung, dass es sich bei der angefochtenen Erledigung um einen Bescheid handelt, steht auch schon deswegen die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 23 RAO i.d.F. vor der Novelle BGBl. I Nr. 93/2003 (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 16. September 1992, Zl. 92/01/0467, m.w.N.) nicht entgegen, weil sich seit dieser Rechtsprechung die angewendete Rechtsvorschrift geändert hat (vgl. im Übrigen den Beschluss eines verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 15. Dezember 1977, Z 934 und 1223/73, = VwSlg. 9458/A, und die hg. Beschlüsse vom 10. Oktober 1993, Zl. 93/17/0281, und vom 24. März 2004, Zl. 2003/09/0153, m.w.N.).

Auch im Fall der ihm im Grunde des § 23 Abs. 2 RAO eingeräumten Befugnis der "Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltsstandes" hat es der Ausschuss der Rechtsanwaltskammer daher in der Hand, seine Erledigungen mit Rechtswirkungen für den Adressaten auszustatten oder sie bloß als unverbindliche Empfehlungen, Ratschläge oder Gutachten zu gestalten.

Der Verwaltungsgerichtshof vermag die Auffassung der belangten Behörde nicht als rechtswidrig zu erkennen, dass es sich bei der der Beschwerdeführerin mit Schreiben des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer W, Abteilung IVb, vom 5. Oktober 2004 erteilten "WEISUNG keine Vertretungen gegen den ORF mehr zu übernehmen und die derzeit bestehenden Vollmachtsverhältnisse unverzüglich aufzulösen", wobei ausdrücklich darauf hingewiesen werde, "dass ein Ausscheiden aus dem Publikumsrat nicht ausreichen würde", um eine individuell konkret gegenüber der Beschwerdeführerin getroffene Anordnung handelte, aus deren Wortlaut unzweifelhaft ein unmittelbarer Befolgungsanspruch hervorging. Der Verwaltungsgerichtshof teilt daher die Auffassung der belangten Behörde wie auch des Verfassungsgerichtshofes, dass es sich dabei um eine auf § 23 Abs. 2 zweiter Satz RAO gegründete Maßnahme der "Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltsstandes" in Form eines Beschlusses einer Abteilung im Sinne des § 26 Abs. 5 RAO gehandelt hat, gegen den eine Vorstellung im Sinne dieser Gesetzesstelle erhoben werden konnte, weil mit der Weisung vom 5. Oktober 2004 die Rechtssphäre der Beschwerdeführerin nachteilig berührt worden ist. Daher hat auch das Plenum des Ausschusses der Rechtsanwaltskammer W seine Zuständigkeit zur Entscheidung über die dagegen erhobene Vorstellung der Beschwerdeführerin zu Recht bejaht.

In der Sache selbst ist vom Wortlaut des § 10 Abs. 1 RAO auszugehen, wonach der Rechtsanwalt "verpflichtet (ist), die Vertretung oder auch nur die Erteilung eines Rates abzulehnen, wenn er die Gegenpartei in derselben oder in einer damit zusammenhängenden Sache vertreten hat oder in solchen Angelegenheiten früher als Richter oder als Staatsanwalt tätig war. Ebenso darf er nicht beiden Teilen in dem nämlichen Rechtsstreite dienen oder Rat erteilen."

Die Rechtsprechung im Standesrecht der Rechtsanwälte unterscheidet zwischen der echten Doppelvertretung nach § 10 RAO, worunter einerseits die eigentliche Doppelvertretung fällt, bei welcher der Anwalt beide Teile im nämlichen Rechtsstreit vertritt oder ihnen auch nur einen Rat erteilt (§ 10 Abs. 1 zweiter Satz RAO), sowie die uneigentliche Doppelvertretung, bei der ein Anwalt (u.a.) eine Partei vertritt oder berät, nachdem er die Gegenpartei in derselben oder einer damit zusammenhängenden Sache vertreten (oder beraten) hatte (§ 10 Abs. 1 erster Satz RAO). Neben diesen Fällen der echten oder materiellen Doppelvertretung wegen offensichtlicher Interessenkollision erblickt die Oberste Berufungskommission und Disziplinarkommission den Tatbestand der formellen Doppelvertretung darin, dass derselbe Anwalt in zwei gleichzeitig anhängigen Rechtssachen einmal als Vertreter der einen Partei, das andere Mal als Vertreter ihres Prozessgegners, insbesondere vor dem selben Gericht, auftritt, weil durch dieses gleichzeitige Aufscheinen in der Öffentlichkeit das eine Mal für und das andere Mal gegen ein und dieselbe Person das Vertrauen der rechtssuchenden Bevölkerung erschüttert wird, es überdies zu einer Interessenkollision kommen kann und ein solches Verhalten daher geeignet ist, die Ehre und das Ansehen des Standes zu beeinträchtigen (vgl. die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 8. Mai 1995, 10 Bkd1/95, und das hg. Erkenntnis vom 27. März 2000, Zl. 2000/10/0019, m.w.N.).

Aus der Praxis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (OBDK) geht hervor, dass zur Erfüllung des Tatbestandes des § 10 Abs. 1 RAO die Vertretung oder die Erteilung eines Rates der bzw. an die Gegenpartei zumindest in einer zusammenhängenden Sache gegeben sein oder dazu ein zeitlicher Zusammenhang bestehen muss. Es wird für maßgeblich erachtet, ob zumindest eine zusammenhängende Sache vorliegt (vgl. etwa die in AnwBl. 1993, 100; 1998, 511 und 697; 2001, 214; 2007, 369, und 2008, 31, dargestellte Rechtsprechung der OBDK).

Auch wenn man im vorliegenden Fall davon ausgeht, dass durch die Mitgliedschaft der Beschwerdeführerin im Publikumsrat des ORF eine Unvereinbarkeit im Sinne des § 10 Abs. 1 RAO hinsichtlich Vertretungen gegen den ORF gegeben war, ist nicht zu ersehen, weshalb die mit dem angefochtenen Bescheid ausgesprochene Untersagung der Übernahme von Vertretungen gegen den ORF für die Zukunft und auf zeitlich unbeschränkte Weise gerechtfertigt wäre. Insoferne hat die belangte Behörde jedenfalls keinen ausreichenden sachlichen oder zeitlichen Zusammenhang mit der Tätigkeit der Beschwerdeführerin im Publikumsrat des ORF hergestellt oder dargelegt, weshalb auch unbegrenzt über die Zeit ihrer Mitgliedschaft im Publikumsrat hinaus jede Vertretung in einer Rechtssache gegen den ORF mit der im Jahr 2005 beendeten Mitgliedschaft standeswidrig sein soll. Der belangten Behörde kann jedenfalls darin nicht gefolgt werden, dass die Beschwerdeführerin im Hinblick auf ihre abstrakte Geheimhaltungspflicht als Mitglied des Publikumsrates nicht nur für die Zeit dieser Mitgliedschaft, sondern auch für alle Zukunft ohne zeitlichen oder sachlichen Zusammenhang zu ihrer Mitgliedschaft im Publikumsrat angesichts des § 10 Abs. 1 RAO disqualifiziert wäre, in Rechtsstreitigkeiten als Vertreterin einer Partei gegen die Stiftung des öffentlichen Rechts Österreichischer Rundfunk zu agieren.

Der angefochtene Bescheid war daher aus diesem Grunde gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.

Die Durchführung der von der Beschwerdeführerin begehrten öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte im Grunde des § 39 Abs. 1 Z 3 und 6 VwGG unterbleiben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG i.V.m. der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 26. Juni 2008

Schlagworte

Bescheidcharakter Bescheidbegriff Formelle Erfordernisse Bescheidcharakter Bescheidbegriff Bejahung des Bescheidcharakters Bescheidcharakter Bescheidbegriff Inhaltliche Erfordernisse

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2006060009.X00

Im RIS seit

27.08.2008

Zuletzt aktualisiert am

22.10.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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