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40 VerwaltungsverfahrenNorm
EMRK österr Vorbehalt zu Art5Leitsatz
Verletzung im Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor einem Tribunal durch Bescheiderlassung seitens des Unabhängigen Verwaltungssenates betreffend Inbetriebnahme eines Kraftfahrzeugs in alkoholisiertem Zustand wegen Unterlassung der Durchführung einer Berufungsverhandlung; keine Bedenken gegen die dem UVS einen Ermessensspielraum einräumende verwaltungsstrafrechtliche Bestimmung über das Absehen von einer BerufungsverhandlungSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor einem Tribunal verletzt worden.
Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.
Der Bund (Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit € 2.142,-- bestimmten Verfahrenskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.1. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck wurde über den Beschwerdeführer eine Geldstrafe iHv € 218,02 (Ersatzarrest 3 Tage) verhängt, weil er als Lenker eines Sattelkraftfahrzeuges von Italien kommend eine ökopunktepflichtige Transitfahrt durch Österreich nach Deutschland durchgeführt und dabei weder ein ordnungsgemäß ausgefülltes Einheitsformular noch eine österreichische Bestätigung der Entrichtung von Ökopunkten für die betreffende Fahrt mitgeführt habe; durch das elektronische Abbuchungsgerät Ecotag sei keine Abbuchung von Ökopunkten erfolgt, weil der im Lkw angebrachte Umweltdatenträger für die Durchreise durch Österreich unberechtigterweise auf ökopunktebefreite Fahrt gestellt gewesen sei.
Gegen diese Entscheidung erhob der Beschwerdeführer Berufung, in der er die Anberaumung einer mündlichen Berufungsverhandlung beantragte.
1.2. Der Unabhängige Verwaltungssenat in Tirol (im folgenden: UVS) wies diese Berufung mit Erkenntnis vom 9. August 2002 als unbegründet ab, ohne eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt zu haben.
2. Dagegen richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der unter anderem die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein faires Verfahren (Art6 EMRK) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides beantragt wird.
3. Der UVS legte innerhalb der ihm gestellten Frist die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der er die Abweisung der Beschwerde beantragt. Hinsichtlich des Vorwurfes, trotz entsprechenden Antrages von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen zu haben, führt der UVS aus, daß dann, wenn der UVS keine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt habe, der Bescheid zur Einsichtnahme öffentlich aufgelegt werden müsse, wodurch die in Art6 EMRK gewährleisteten Rechte gewahrt würden. Der UVS weist ferner darauf hin, daß auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht unter allen Umständen für erforderlich halte, insbesondere dann nicht, wenn sich die Durchführung einer mündlichen Verhandlung als reiner Formalakt darstelle und eine Verhandlung zur Wahrheitsfindung nichts beitragen könne.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Mit Erkenntnis vom 25. September 2002, B1737/01, hat der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen, daß im Verwaltungsstrafverfahren eine Verletzung der durch Art6 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Verfahrensgarantie stattfindet, wenn der UVS - als das zur Entscheidung über die strafrechtliche Anklage zuständige Tribunal - einen Schuldspruch fällt, ohne zuvor die erforderliche mündliche Verhandlung durchgeführt zu haben, obwohl keine Gründe für ein Absehen von der mündlichen Verhandlung vorliegen.
2. Der Beschwerdeführer hat in seiner Berufung die Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung beantragt. Damit kommt aber die Anwendung des §51e Abs3 VStG, der den UVS allenfalls ermächtigt hätte, von einer mündlichen Verhandlung abzusehen, schon von seinen Voraussetzungen her nicht mehr in Betracht. Daraus folgt aber auch, daß der UVS verpflichtet gewesen wäre, eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Diese Unterlassung führt nicht nur zur Gesetzwidrigkeit des Bescheides, sondern hat auch die Verletzung des Art6 Abs1 EMRK zur Folge (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. Februar 2003, B1421/02).
3. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid sohin in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor einem Tribunal (Art6 Abs1 EMRK) verletzt worden.
Der angefochtene Bescheid war schon aus diesem Grund aufzuheben.
4. Der Kostenzuspruch beruht auf §88 VfGG. Im zugesprochenen Betrag ist eine Eingabegebühr iHv € 180,-- und Umsatzsteuer iHv € 327,-- enthalten.
5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Ermessen, Straßenpolizei, Alkoholisierung, Unabhängiger Verwaltungssenat, Verwaltungsstrafrecht, Berufung, Verhandlung mündliche, Öffentlichkeitsprinzip, VfGH / KostenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2003:B1482.2002Dokumentnummer
JFT_09969078_02B01482_2_00