TE Vfgh Erkenntnis 2003/9/23 B147/03

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Veröffentlicht am 23.09.2003
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
DSt 1990 §73 Abs2
RAO §9 Abs2
RAO §10 Abs1

Leitsatz

Keine willkürliche Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt wegen Verletzung des Verbots der Doppelvertretung und der Verschwiegenheitspflicht in einem Erbschaftsverfahren; keine verfassungswidrige Bemessung des Strafausmaßes

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit dem als Bescheid zu wertenden Erkenntnis der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (OBDK) vom 30. September 2002 wurde der Berufung des Kammeranwaltes gegen das in erster Instanz den Beschwerdeführer freisprechende Erkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer Wien Folge gegeben, das angefochtene Erkenntnis aufgehoben und in der Sache wie folgt entschieden:

"Dr. Ludwig D, Rechtsanwalt in Wien, ist schuldig, er hat

a) nach dem Tod seines Mandanten, DI J O H, für den er am 2. April 1994 (richtig: 11. März 1994) im Vollmachtsnamen eine Urkunde (Widmungserklärung) zur Einbringung wesentlichen Grundvermögens seines Mandanten in die Gräflich H'sche Familienstiftung in Vaduz errichtet hat, am 3. September 1997 gegen den Willen der Verlassenschaft nach DI J O H, vertreten durch die Alleinerbin J F H, die mit der Einbringung des Vermögens in die Familienstiftung nicht einverstanden war, die rechtsfreundliche Vertretung der Gräflich H'schen Familienstiftung bei der Grundverkehrskommission, Gerichtsbezirk Hartberg zur grundverkehrsbehördlichen Genehmigung dieser Widmungserklärung übernommen, diese dort fortgesetzt vertreten und am 28. Mai 1999 namens der Gräflich H'schen Familienstiftung in dem Verfahren zur grundverkehrsbehördlichen Genehmigung der Widmungserklärung zu der Verwaltungsgerichtshofsbeschwerde der J F H eine Gegenschrift erstattet, sowie

b) seine Verschwiegenheitsverpflichtung dadurch verletzt, daß er am 28. Mai 1999 in der zu a) zitierten Gegenschrift zur Verwaltungsgerichtshofbeschwerde der J F H Urkunden vorgelegt und Erkenntnisse verwertet, die ihm aufgrund seiner Tätigkeit als Rechtsvertreter des verstorbenen DI J O H bekannt waren."

Nach Auffassung der OBDK hat der Beschwerdeführer hiedurch das Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes begangen und wurde hiefür zu einer Geldbuße von € 5000,- und zum Ersatz der Kosten des Verfahrens verurteilt.

Die OBDK legte ihrer Entscheidung folgenden - bereits von Disziplinarrat festgestellten - Sachverhalt zugrunde:

"Der Beschuldigte war Freund und Anwalt des Dipl.Ing. J O H, der am 13. März 1994 verstorben ist. Einige Monate vorher hatte er in dessen Auftrag die Gräflich H'sche Familienstiftung, Vaduz, gegründet, und zwar zunächst mit dem nötigen Mindestkapital.

Am 11. März 1994 (zwei Tage vor dem Tod seines Mandanten) hat er mit einer 'Widmungserklärung' (Notariatsakt) zahlreiche Liegenschaften des Gutes H an die Stiftung übereignet; der Stiftungsrat Dr. S war beim Notariatsakt nicht zugegen. Statt dessen sofortiger Gegenzeichnung kam es erst im Juli 1997 (!) zu einer gesonderten Annahmeerklärung der Stiftung. (Bis dahin kann die - zunächst einseitige - Widmungserklärung - als Anbot der Übereignung verstanden werden).

Die Widmungserklärung hatte der Beschuldigte verfasst und für den Stifter DI H unterschrieben; dies aufgrund einer Vollmacht vom Dezember 1993. Die Vollmacht enthält inhaltlich die Klausel, dass sie über den Tod des Vollmachtsgebers hinaus gilt.

In dem Testament des Erblassers Dipl.Ing. J O H vom 3.3.1988 hatte dieser seine Tochter F (richtig: J F) zur Alleinerbin eingesetzt; die beiden anderen Kinder sollten Pflichtteile zu je ATS 5 Mio bekommen. Die mj. Erbin sollte erst im Alter von 27 Jahren das Erbe allein verwalten können; bis dahin sollte der Beschuldigte - der im Testament auch zum 'Verlassenschaftskurator' 'ernannt' worden war - die Verlassenschaft vertreten und auch nach Einantwortung die Geschäfte führen.

Schon im Verlassenschaftsverfahren traten Differenzen auf; nach der Ehescheidung 1987 hatte der Beschuldigte den geschiedenen Ehemann gegen die geschiedene Ehefrau im Verfahren auf Teilung des ehelichen Vermögens vertreten; letztlich wurde vom Obersten Gerichtshof entschieden, dass die Liegenschaften, die zusammen den land- und forstwirtschaftlichen Betrieb Gut H bildeten, nicht der nachehelichen Aufteilung unterliegen.

Im Verlassenschaftsverfahren nach ihrem Vater schlug sich die Erbin auf die Seite ihrer Mutter; beide sprachen sich mit Erfolg gegen die Bestellung des Beschuldigten zum Verlassenschaftskurator aus, (was dieser beantragt hatte).

Der mj. Tochter wurde die Besorgung und Verwaltung des Nachlasses eingeräumt; der frühere Steuerberater des Erblassers, Dr. W-P, wurde zum besonderen Sachwalter, praktisch also zum Verlassenschaftskurator, bestellt.

Schon am 15.7.1994 widerrief der besondere Sachwalter alle Vollmachten des Beschuldigten; der Beschuldigte hatte nach dem Tod des Erblassers einige Prozesse und andere Rechtssachen namens der Verlassenschaft weitergeführt und dafür später auch eine (teilweise erfolgreiche) Honorarklage gegen die Verlassenschaft eingebracht.

Nach dieser Vollmachtskündigung endete die Tätigkeit des Beschuldigten für die Verlassenschaft.

Am 30.4.1997 widerrief die Tochter und Erbin (mit Gegenzeichnung des Sachwalters Dr. W-P) 'das mit der Widmungserklärung vom 11.3.1994 abgegebene Anbot' auf Einbringung der Liegenschaften in das Vermögen der Stiftung; außerdem bezeichnete sie die Widmungserklärung als nichtig.

Noch während des zweitinstanzlichen Grundverkehrs-Genehmigungsverfahrens gab die Stiftung durch den Stiftungsrat Dr. S zur Widmungserklärung die Annahmeerklärung ab - mit welcher zahlreiche Liegenschaften des Gutes H der Stiftung 'übereignet' werden - und zwar am 15.7.1997 (siehe oben).

Vor der Grundverkehrs-Landeskommission vertrat der Beschuldigte die Gräflich H'sche Familienstiftung mit dem (in 1. Instanz abgewiesenen) Antrag, die Übereignung der Liegenschaften an die Stiftung zu genehmigen; die Erbin (mit Rechtsanwalt Dr. K und Dr. W-P) sprach sich namens der Verlassenschaft dagegen aus. Die Grundverkehrs-Landeskommission genehmigte die Übereignung; die von der Stiftung dagegen erhobene Beschwerde wurde vom Verwaltungsgerichtshof mangels Legitimation der Beschwerdeführerin (Verlassenschaft) zurückgewiesen.

Der Beschuldigte verwertete in einer - für die Stiftung erstatteten - Gegenäußerung zur Verwaltungsgerichtshofsbeschwerde der Verlassenschaft sein Wissen aus der früheren Vertretung des Erblassers gegen die Verlassenschaft bzw. die Erbin und legte auch Urkunden vor, obwohl die diesbezüglichen Offenlegungen im Zusammenhang mit der Grundverkehrsgenehmigung nicht einmal sachdienlich waren, was er in der Disziplinarverhandlung beim Disziplinarrat auch zugab."

2. Gegen diesen Bescheid richtet die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz geltend gemacht, und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides begehrt wird.

3. Die OBDK erstattete eine Gegenschrift, in der sie für die Abweisung der Beschwerde eintrat.

4. Der Beschwerdeführer replizierte.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.1. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10413/1985, 11682/1988) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

Der Beschwerdeführer bringt gegen die Verfassungsmäßigkeit der dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Rechtsvorschriften keine Bedenken vor. Auch beim Verfassungsgerichtshof sind solche aus Anlaß dieses Beschwerdeverfahrens nicht entstanden (vgl. zur Unbedenklichkeit des §9 Abs2 RAO bereits VfSlg. 6694/1972, 13565/1993, 14908/1997; zu §10 Abs1 RAO vgl. VfSlg. 13842/1994, 14411/1996, 15844/2000). Der Beschwerdeführer wurde daher durch den angefochtenen Bescheid nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm verletzt.

1.2. Der Beschwerdeführer wirft der belangten Behörde vor, Willkür geübt zu haben.

Ein willkürliches Verhalten kann der Behörde unter anderem dann vorgeworfen werden, wenn sie den Beschwerdeführer aus unsachlichen Gründen benachteiligt hat oder aber, wenn der angefochtene Bescheid wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (zB VfSlg. 10337/1985, 11436/1987).

Die belangte Behörde hat im Verhalten des Beschwerdeführers insofern einen den Tatbestand der Doppelvertretung (§10 Abs1 RAO) erfüllenden "Frontwechsel" des Beschwerdeführers (vgl. zur Spruchpraxis der Disziplinarbehörden im Bereich der Doppelvertretung, Feil/Wennig, Anwaltsrecht2, [1999], 80 ff.) gesehen, als der Beschwerdeführer zuerst den Erblasser und nach dessen Tod die Verlassenschaft in Prozessen vertreten hat, sodann jedoch auch die Stiftung gegen die Erbin (nach deren Erbserklärung) im Verfahren über die grundverkehrsbehördliche Genehmigung der nach der Widmungserklärung an die Stiftung übertragenen Liegenschaften. Eine Verschwiegenheitsverletzung erblickt sie darin, daß der Beschwerdeführer sein Wissen aus der ursprünglichen Vertretung des Erblassers dazu ausgenützt habe, um - ohne von der Erbin von seiner Verschwiegenheitspflicht (§9 Abs2 RAO) entbunden worden zu sein - in einer namens der Stiftung als mitbeteiligter Partei im Verwaltungsgerichtshofverfahren erstatteten Gegenäußerung Umstände offenzulegen, die nicht sachdienlich gewesen seien.

Der Beschwerdeführer hält dem mit ausführlicher Begründung entgegen, daß ihm kein derartiger Frontwechsel vorgeworfen werden könne, da er in sämtlichen Prozessen nach dem Ableben seines Mandanten DI H einzig und allein die Interessen dieses Mandanten vertreten habe. Da er nie die Fronten gewechselt habe, gehe auch der Vorwurf der Verletzung der Verschwiegenheitsverpflichtung ins Leere.

Bei den durch die Beschwerde aufgeworfenen Fragen geht es ausschließlich um solche, die im Zusammenhang mit der Verwirklichung der in §§9 Abs2 und 10 Abs1 RAO normierten Tatbestände stehen. Die belangte Behörde hat ihre Rechtsposition im angefochtenen Bescheid sehr ausführlich und in nachvollziehbarer Weise begründet (und damit die Rechtsauffassung des Beschwerdeführers abgelehnt), sodaß ihr keineswegs der Vorwurf gemacht werden kann, leichtfertig entschieden zu haben. Der in der Beschwerde getätigte Vorwurf einer gehäuften Verkennung der Rechtslage kann der belangten Behörde, wenn sie den Tatbestand der Doppelvertretung und der Verschwiegenheitspflichtverletzung als gegeben ansieht, jedenfalls nicht gemacht werden. Die Beschwerde wirft hierbei lediglich Fragen der richtigen Anwendung des einfachen Gesetzes auf, die nicht der Beurteilung des Gerichtshofes unterliegen. Ob die Entscheidung in jeder Hinsicht rechtsrichtig ist, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen eine Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. etwa VfSlg. 13419/1993, 14408/1996).

1.3. Der Beschwerdeführer wurde durch die Spruchpunkte a) und b) des angefochtenen Bescheides nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.

2.1. Der Beschwerdeführer behauptet weiters, durch den Strafausspruch im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden zu sein, da entgegen dem klaren Wortlaut der Bestimmung des §73 Abs2 DSt 1990 eine bereits getilgte Verurteilung in die Strafbemessung eingeflossen sei.

2.2. Zu den Erschwerungsgründen bei der Strafbemessung führte die OBDK im angefochtenen Bescheid aus:

"Bei der Strafbemessung wurden als erschwerend die - das Verhalten des Beschuldigten in Sachen H auch in Schriftsätzen oder vor Gericht in fünf Fakten ahndende - Vorstrafe sowie das in Realkonkurrenz durch Deliktshäufung und -wiederholung mehrfach begangene Disziplinarvergehen, die Fortsetzung der Doppelvertretung durch längere Zeit, ferner die doppelte Qualifikation als Verletzung der Berufspflichten und als Beeinträchtigung des Standesansehens gewertet. Als Milderungsgrund kamen die Absicht, den Willen des verstorbenen Klienten auch nach dessen Ableben durchzusetzen und zum Faktum b) auch eine gewisse Provokation in der [Verwaltungsgerichtshof]Beschwerde in Frage."

2.3. Angesichts des Umstandes, daß die Einbeziehung der bereits getilgten Vorstrafe nur einen von mehreren Strafzumessungsgründen bildete, kommt dieser - von der OBDK in der Gegenschrift zugestandenen - Rechtswidrigkeit keine Bedeutung zu, die zur Verfassungswidrigkeit des Ausspruches über das Strafausmaß insgesamt führen könnte.

Auch hinsichtlich der Strafbemessung wurde der Beschwerdeführer nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt.

3. Eine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat sohin nicht stattgefunden. Es ist auch nicht hervorgekommen, daß der Beschwerdeführer wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

4. Dieses Erkenntnis konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne vorangegangene mündliche Verhandlung gefaßt werden.

Schlagworte

Rechtsanwälte, Berufsrecht, Disziplinarrecht, Strafbemessung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2003:B147.2003

Dokumentnummer

JFT_09969077_03B00147_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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