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67 Versorgungsrecht;Norm
HVG §21 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Vizepräsident Dr. Thienel und die Hofräte Dr. Händschke, Dr. Rosenmayr, Dr. Bachler und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Kühnberg, über die Beschwerde des JS jun., vertreten durch Hofbauer, Hofbauer & Wagner, Rechtsanwälte Partnerschaft in 3100 St. Pölten, Riemerplatz 1, gegen den Bescheid der Bundesberufungskommission für Sozialentschädigungs- und Behindertenangelegenheiten beim Bundesministerium für soziale Sicherheit, Generationen und Konsumentenschutz vom 26. Mai 2004, Zl. 41.550/36-9/02/HVG, betreffend Beschädigtenrente nach dem Heeresversorgungsgesetz, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird in seinem Ausspruch, dass die ab 1. Dezember 1999 festgestellten Gesundheitsschädigungen ab 1. Dezember 1999 mangels Zusammenwirkens mit 20 v.H. gerechtfertigt sind, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Begründung
Zur Vorgeschichte des gegenständlichen Beschwerdefalles wird auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 18. April 2002, Zl. 2000/09/0162, verwiesen. Daraus geht hervor, dass der Beschwerdeführer am 4. März 1999 während der Ableistung seines Präsenzdienstes bei einer nächtlichen Alarmübung beim Hinablaufen auf einer Stiege mit dem rechten Arm an einem Stiegengeländer hängen geblieben und sich die Schulter verrenkt hatte. Der Beschwerdeführer war an seiner rechten Schulter operiert worden und hatte in der Folge einen Antrag auf Zuerkennung einer Beschädigtenrente nach § 21 des Heeresversorgungsgesetzes (HVG) gestellt. Diesem war keine Folge gegeben und das Leiden des Beschwerdeführers nach der Richtsatzposition I/c/28 der Verordnung BGBl. Nr. 151/1965 und anderen Richtsatzpositionen dieser Verordnung mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von nicht mehr als 20 v.H. festgestellt worden. Die Aufhebung des im Instanzenzug ergangenen Bescheides der belangten Behörde vom 25. Juli 2000 hat der Verwaltungsgerichtshof im Wesentlichen damit begründet, dass die Luxation des Schultergelenks des Beschwerdeführers nach Abschnitt I lit. c Z. 31 der angeführten Verordnung einzustufen gewesen wäre, jedenfalls unabhängig davon, ob noch Beschwerden oder eine Bewegungsbehinderung gegeben ist, und zwar nach dem Wortlaut der Verordnung mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (M.d.E.) von 20 v.H. Die belangte Behörde habe sich auch in Verkennung der Rechtslage nicht mit der Frage befasst, ob ausgehend von der Einstufung des Leidens des Beschwerdeführers in mehrere Richtsatzpositionen im Grunde des § 3 erster und zweiter Satz der angeführten Verordnung eine Einschätzung der gesamten Minderung der Erwerbsfähigkeit mit 25 v.H. oder darüber gerechtfertigt gewesen wäre (im Übrigen wird gemäß § 43 Abs. 2 VwGG auf das angeführte Erkenntnis verwiesen).
Im fortgesetzten Verfahren wurden von der belangten Behörde ärztliche Sachverständigenbeweise durch die Fachärztin für Orthopädie Dr. K., die Fachärztin für Nervenkrankheiten Dr. F., den Facharzt für Orthopädie Dr. W., den Arzt für Allgemeinmedizin Dr. L. und die medizinische Sachverständige Dr. N. eingeholt. Auf deren Grundlage ergab sich für die belangte Behörde die Beurteilung, dass initial neben der orthopädischen Symptomatik ein klinisch erhobener neurologischer Ausfall im sensiblen Gebiet des Nervus radialis rechts bestanden habe. Elektrophysiologische pathologische Befunde seien nicht vorgefunden worden. Es sei anzunehmen, dass sich die sensiblen Ausfälle wieder zurückgebildet hätten. Am 17. Dezember 2002 sei eine Messung des Nervus radialis rechts erfolgt, welche unauffällige Messwerte ergeben habe. Da diese Messmethode Sensibilitätsstörungen des Nervus radialis sehr sensibel nachweisen könne, sei eine anhaltende Schädigung dieses Nerven auszuschließen. Es lägen keine Zeichen für eine Sensibilitätsstörung oder für eine Muskelschwäche an beiden Händen vor. Auch im elektrophysiologischen Befund seien keine Hinweise auf eine klinische Veränderung der Hände im Sinne einer Nervendruckschädigung der Medianus-Nerven vorgefunden worden. Entsprechende typische Beschwerden würden vom Beschwerdeführer nicht geschildert, daher handle es sich um ein "subklinisches" Carpaltunnelsyndrom (Nervendruckschädigung der Medianus-Nerven). Subklinisch bedeute dies, dass zwar die Messwerte schon pathologisch seien, der Betroffene jedoch noch keine typischen Symptome verspüre. Die pathologischen Messwerte des Medianus-Nerven lägen auf beiden Seiten vor. Dass auch die linke Hand pathologische Messwerte zeige, spreche gegen einen kausalen Zusammenhang des Carpaltunnelsyndroms mit der Schulterverletzung, zumal auch anamnestisch und klinisch kein kausaler Zusammenhang festgestellt werden könne.
Das "Einschlafen der Finger" sei ebenso wie die Gefühlsstörungen der Fingerkuppen 1 bis 3 der rechten Hand, das Brennen in der Nackengegend und die derzeitige Sensibilitätsstörung im Bereich des Nervus radialis bei der Beurteilung bzw. Einstufung nach den Richtsätzen berücksichtigt.
Orthopädischerseits habe zum Untersuchungszeitpunkt klinisch lediglich eine endlagige Funktionseinschränkung der rechten Schulter, vor allem der Außenrotation, festgestellt werden können, sodass aus orthopädischer Sicht eine Erhöhung der Gesamt-M.d.E. durch diese Funktionseinschränkung nicht gerechtfertigt erscheine.
Diese Beurteilung gründe sich auf einer Messung der Beweglichkeit des rechten Schultergelenkes nach der Neutral-Null-Methode und werde in Winkelgraden angegeben. Der angeführte Hill Sachs-Defekt und der Abriss der Limbuskante seien Folge der Luxation und gehörten demzufolge pathogenetisch zu dieser Erkrankung, stellten also kein eigenständiges Krankheitsbild dar.
Eine Belastungsprobe sei bei der ärztlichen Einschätzung von funktionellen Defiziten, Krankheiten und Behinderungen nicht vorgesehen. Es werde abhängig vom Ausmaß des Defizites eine entsprechende Richtsatzposition zur Einschätzung herangezogen. Festzustellen sei weiter, dass bei einer Bewegungseinschränkung im Schultergelenk nach Luxation und Operation die Beschwerden typischerweise nach oder während der Belastung, Bewegung mit oder ohne Gewicht (Heben, Tragen) verstärkt aufträten. In der richtsatzmäßigen Einschätzung seien diese typischen Sekundärfolgen inkludiert.
Neben den bestehenden Dienstbeschädigungsleiden seien noch weitere Gesundheitsschädigungen erfasst (Passagere Paraparese nach Zeckenbiss, erlitten 1991, Wirbelkörpereinbruch im Lendenbereich, erlitten 1993, Teilamputation des rechten Daumens mit Verlust des Endgliedes und kleinem Nagelverlust, erlitten 2000, folgenlos abgeheilte Lungenentzündung, 18. bis 26. Mai 1999). Diese Leiden seien jedoch nicht Gegenstand des anhängigen Berufungsverfahrens, weil diesbezüglich zuerst eine erstinstanzliche Entscheidung zu ergehen habe.
Für den Zeitraum vom 1. April 1999 bis 30. November 1999 erkannte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer eine Beschädigtenrente zu.
Für den hier maßgeblichen Zeitraum ab 1. Dezember 1999 stellte die belangte Behörde Dienstbeschädigungen des Beschwerdeführers wie folgt fest:
1) Operierte Schulterluxation rechts (Gebrauchsarm),
Position 31 nach der Richtsatzverordnung, 20 v.H. M.d.E.
2) Endlagige Bewegungseinschränkung rechte Schulter
(Gebrauchsarm), Position 28 nach der Richtsatzverordnung, 10 v.H.
M.d.E.
3) Sensibles Defizit des Nervus radialis rechts
(Gebrauchsarm), Position 467 der angeführten Verordnung, 0 v.H.
M.d.E.
4) Operationsnarbe rechte Schulter, Position 702, Tab. 1.Z.li. der angeführten Verordnung, 0 v.H. M.d.E.
Die führende Minderung der Erwerbsfähigkeit nach 1) erfahre bei Überlagerung durch 2) durch die unter 3) und 4) angeführten Leiden keine Erhöhung.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, die nach ihrem Gesamtzusammenhang nur gegen die Einstufung der Dienstbeschädigungen des Beschwerdeführers und daraus abgeleitet der Versagung einer Beschädigtenrente - für den Zeitraum ab 1. Dezember 1999 - gerichtet ist.
Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Gemäß § 21 Abs. 1 Heeresversorgungsgesetz, BGBl. Nr. 27/1964 in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 687/1991 - HVG, hat der Beschädigte Anspruch auf Beschädigtenrente, wenn seine Erwerbsfähigkeit infolge der Dienstbeschädigung über drei Monate nach dem Eintritt der Gesundheitsschädigung (§ 2) hinaus um mindestens 25 v.H. vermindert ist; die Beschädigtenrente gebührt für die Dauer der Minderung der Erwerbsfähigkeit um mindestens 25 v.H. Unter Minderung der Erwerbsfähigkeit im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die durch Dienstbeschädigung bewirkte körperliche Beeinträchtigung im Hinblick auf das allgemeine Erwerbsleben zu verstehen.
Die Minderung der Erwerbsfähigkeit im Sinne des Abs. 1 ist nach Abs. 2 dieser Gesetzesstelle nach Richtsätzen einzuschätzen, die den wissenschaftlichen Erfahrungen entsprechen, die durch Verordnung des zuständigen Bundesministers im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Landesverteidigung nach Anhörung des Bundesbehindertenbeirates durch Verordnung aufzustellen sind.
Gemäß § 1 Abs. 1 der Verordnung des Bundesministeriums für Soziale Verwaltung vom 9. Juni 1965 über die Richtsätze für die Einschätzung der M.d.E. nach den Vorschriften des Heeresversorgungsgesetzes, BGBl. Nr. 151, sind bei der Einschätzung gemäß § 21 Abs. 1 HVG die Richtsätze der Anlage zur Verordnung des Bundesministeriums für Soziale Verwaltung vom 9. Juni 1965, BGBl. Nr. 150, anzuwenden.
§ 2 der genannten Verordnung lautet:
"§ 2. (1) Bei der Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit dürfen weder die festen Sätze noch die Rahmensätze unterschritten oder überschritten werden. Soweit in der Anlage nicht anderes bestimmt ist, hat sich die Festsetzung des Grades der Minderung der Erwerbsfähigkeit innerhalb eines Rahmensatzes nach der Schwere des Leidenszustandes zu richten, für den der Rahmensatz aufgestellt ist. Das Ergebnis einer Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist im Bescheid über den Anspruch auf Beschädigtenrente jedenfalls auch in medizinischer Hinsicht zu begründen.
(2) Sofern für ein Leiden mehrere nach dessen Schwere abgestufte Richtsätze festgesetzt sind, kann die Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit auch in einem Hundertsatze festgestellt werden, der zwischen diesen Stufen liegt. Diesfalls ist das Ergebnis der Einschätzung im Bescheid über den Anspruch auf Beschädigtenrente jedenfalls auch in medizinischer Hinsicht zu begründen."
In Abschnitt I lit. c der angeführten Anlage ist u.a. Folgendes vorgesehen:
"MdE. in
Hundertsätzen
Gebrauchsarm
Gegenarm
c)
Schultergürtel und obere Extremitäten:
Schultergelenk:
26.
Völlig versteift in günstiger
Stellung ..................................................
40
30
27.
Völlig versteift in ungünstiger
Stellung ..................................................
50-60
40- 50
28.
Geringgradige Bewegungsbehinderung
0-20
0- 10
29.
Höhergradige Bewegungsbehinderung
30-50
20- 40
30.
Luxation nicht eingerenkt ......................
50
40
31.
Luxation operiert bei
funktionstüchtigem Arm ........................
20
20
32.
Luxation habituell bei
objektivierbaren Veränderungen
infolge häufiger Luxationen ...................
40
30
33.
Schlottergelenk ......................................
50
40"
Treffen mehrere Leiden zusammen, dann ist gemäß § 3 der Verordnung BGBl. Nr. 151/1965 bei der Einschätzung der M.d.E. zunächst von der Gesundheitsschädigung auszugehen, die die höchste M.d.E. verursacht. Sodann ist zu prüfen, ob und inwieweit der durch die Gesamteinschätzung zu erfassende Gesamtleidenszustand infolge des Zusammenwirkens aller gemäß § 2 HVG zu berücksichtigenden Gesundheitsschädigungen eine höhere Einschätzung der M.d.E. rechtfertigt.
Die belangte Behörde hat nunmehr im angefochtenen Bescheid die infolge einer in Ausübung des Präsenzdienstes erlittene Luxation des Schultergelenks des Beschwerdeführers zutreffend in die Richtsatzposition des Abschnitts I lit. c Z. 31 der angeführten Richtsatzverordnung "Luxation operiert bei funktionstüchtigem Arm" subsumiert und dafür eine M.d.E. von 20 v.H. angenommen. Zur Frage, ob die zusätzlich dazu für den für die Beschwerde maßgeblichen Zeitraum ab dem 1. Jänner 1999 angenommene Feststellung einer nach Abschnitt I lit. c Z. 28 der angeführten Verordnung angenommenen, und mit 10 v.H. veranschlagten "geringgradigen Bewegungsbehinderung" des Schultergelenks im Grunde des § 3 der angeführten Verordnung eine Gesamteinschätzung vorzunehmen wäre, die zu einer Erhöhung der M.d.E. von mehr als 20 v.H. führte, legte die belangte Behörde die auf der Basis der Beurteilung der Sachverständigen Dr. W. und Dr. M. basierende Einschätzung zu Grunde, dass die beim Beschwerdeführer gegebene endlagige Funktionseinschränkung der rechten Schulter, vor allem der Außenrotation aus orthopädischer Sicht keine Erhöhung der Gesamt-M.d.E. als gerechtfertigt erscheinen lasse, weil in der richtsatzmäßigen Einschätzung einer "Luxation operiert bei funktionstüchtigem Arm" nach Abschnitt I lit. c Z. 31 der angeführten Verordnung eine solche Bewegungseinschränkung im Schultergelenk ebenso wie das "Einschlafen der Finger", die Gefühlsstörungen der Fingerkuppen 1 bis 3 der rechten Hand, das Brennen in der Nackengegend und die Sensibilitätsstörung im Bereich des Nervus radialis bereits als typische Sekundärfolge inkludiert sei. Diese Beurteilung kann angesichts des Wortlautes der Richtsatzposition des Abschnittes I lit. c Z. 31 der Richtsatzverordnung "Luxation operiert bei funktionstüchtigem Arm" allerdings nicht ohne Weiteres nachvollzogen werden. Die belangte Behörde hat kein ergänzendes Gutachten dahingehend eingeholt und darauf basierend keine Feststellungen zur Frage getroffen, ob jede operierte Schulterluxation typischerweise und regelmäßig mit derartigen Leiden und insbesondere auch mit der im Beschwerdefall von ihr festgestellten, beim Beschwerdeführer bestehenden Bewegungseinschränkung verbunden ist, weshalb eine Erhöhung der Einstufung gemäß § 3 der angeführten Verordnung nicht ausgeschlossen werden kann. Dies wäre bei der Argumentation der belangten Behörde aber Voraussetzung für die von ihr angestellte Verneinung einer Erhöhung der Einstufung des Leidens des Beschwerdeführers gewesen. Im fortgesetzten Verfahren wird die belangte Behörde daher auf Grund des ihr mit dem hg. Erkenntnis vom 18. April 2002, Zl. 2000/09/0162, erteilten Auftrages im Sinne der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu prüfen haben, ob ein Zusammenwirken der verschiedenen Leidensmomente des Beschwerdeführers in Bezug auf seine Erwerbsfähigkeit eine höhere Einstufung rechtfertigt und dabei wird sie die etwa im hg. Erkenntnis vom 19. November 1997, Zl. 95/09/0232, dargelegten Beurteilungsmaßstäbe zu Grunde zu legen haben. Denn mehrere Dienstbeschädigungen und Leidensmomente können, auch wenn sie sich nicht gegenseitig beeinflussen, in ihrer Gesamtheit auf die Erwerbsfähigkeit nachteiliger einwirken als eine Dienstbeschädigung, im vorliegenden Fall eine operierte Schulterluxation "bei funktionstüchtigem Arm" für sich allein. Gegenstand der Gesamteinschätzung ist daher die durch das Zusammenwirken mehrerer Leiden bzw. Leidensmomente bewirkte Beeinträchtigung der gesamten körperlichen und seelischen Beschaffenheit des Geschädigten in Hinsicht auf das allgemeine Erwerbsleben.
Nach dem Gesagten war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Wien, am 8. August 2008
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2004090124.X00Im RIS seit
24.09.2008Zuletzt aktualisiert am
13.04.2012