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27 RechtspflegeNorm
EMRK 7. ZP Art4Leitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die befristete Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft nach einer rechtskräftigen strafgerichtlichen Verurteilung wegen versuchten Betruges; kein Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot; keine verfassungswidrige StrafbemessungSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Kosten werden nicht zugesprochen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Salzburger Rechtsanwaltskammer vom 23. April 2002 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, die Disziplinarvergehen der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes sowie der Berufspflichtenverletzung begangen zu haben, weil er durch "Täuschung über Tatsachen unter Benützung falscher Beweismittel den zuständigen Richter des Landesgerichtes Salzburg zur Bewilligung eines Kostenbeitrages zu verleiten versucht habe, wobei der Republik Österreich ein S 25.000,-
nicht übersteigender Schaden entstehen sollte". Dem Beschwerdeführer wurde hiefür die Ausübung der Rechtsanwaltschaft für die Dauer von sechs Monaten untersagt, wobei diese Strafe unter einer Bestimmung einer Probezeit von zwei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Über ihn wurde überdies eine Geldbuße in der Höhe von € 10.000,- verhängt.
Die Entscheidung des Disziplinarrates, der bereits eine rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung des Beschwerdeführers wegen des Vergehens des versuchten Betruges zugrundelag, erging aufgrund folgender (Tatsachen-)Feststellungen:
"a) Unter dem Aktenzeichen AZ 40 Vr 97/99 behing beim Landesgericht Salzburg ein Strafverfahren gegen Siegfried T wegen des Verbrechens der Schändung nach §205 Abs1 StGB. Am 11.10.1999 beschloß der Verhandlungsrichter, dem Beschuldigten einen Verteidiger nach §41 Abs2 StPO beizugeben. Mit Bescheid der Rechtsanwaltskammer für Salzburg vom 14.10.1999 wurde Dr. Michael K, Rechtsanwalt in Zell am See, zum Verteidiger bestellt.
Bei der Hauptverhandlung am 18.11.1999 schritt [der Beschwerdeführer] für seinen Kanzleikollegen Dr. Michael K als Verfahrenshilfeverteidiger ein. Der Beschuldigte nahm an der Verhandlung nicht teil. [Der Beschwerdeführer] gab an, daß er den Beschuldigten zwar angeschrieben habe, eine Verbindung jedoch nicht herstellen konnte. Der Richter vertagte sohin die Hauptverhandlung.
Zur Hauptverhandlung am 9.12.1999 wurde der Beschuldigte Siegfried T von der Gendarmerie vorgeführt. Vor dem Verhandlungssaal des Landesgerichtes Salzburg traf dieser erstmals [den Beschwerdeführer]. Dieser stellte sich dem Beschuldigten als 'sein Strafverteidiger' vor. Der vorführende Gendarmeriebeamte ergänzte, daß [der Beschwerdeführer] der 'Armenanwalt' des Beschuldigten sei. [Der Beschwerdeführer] ließ den 'einfach strukturierten' Beschuldigten ein undatiertes Vollmachtsformular unterschreiben. Der Beschuldigte nahm (irrtümlich) an, daß die Unterschriftsleistung für die weitere Vertretung in einem Rechtsmittelverfahren erforderlich sei. Über allfällige Honoraransprüche des Verteidigers wurde nicht gesprochen.
In der Hauptverhandlung schritt [der Beschwerdeführer] neuerlich als bestellter Verfahrenshelfer nach §41 Abs2 StPO ein.
Unter dem 14.12.1999 beantragte [der Beschwerdeführer] im Vollmachtsnamen des Siegfried T die Gewährung eines Verteidigerkostenbeitrages nach §393a StPO in der Höhe von S 30.000,-- oder (eventualiter) einer nahe diesem Betrag liegenden Summe. Dem Antrag fügte [der Beschwerdeführer] die oben erwähnte Vollmachtsurkunde bei. Als Tag der Bevollmächtigung hatte er zwischenzeitlich den Tag der Hauptverhandlung vom 18.11.1999 eingesetzt. [Der Beschwerdeführer] verzeichnete als Aufwendungen für die Hauptverhandlung vom 8.11. und 9.12.1999 sowie für den Antrag auf Verteidigerkostenbestimmung Kosten in Höhe von insgesamt S 45.025,20.
Mit Beschluß vom 26.1.2000 wies der Erstrichter den Antrag ab.
Gegen diesen Beschluß erhob [der Beschwerdeführer] namens seines 'Mandanten' Beschwerde. Das Oberlandesgericht Linz gab mit Beschluß vom 18.5.2000 dieser Beschwerde nicht Folge.
Gegenüber der Salzburger Rechtsanwaltskammer legte [der Beschwerdeführer] ein Kostenverzeichnis für Verfahrenshilfe in Strafsachen unter Bezugnahme auf die Hauptverhandlung vom 18.11.1999 im Ausmaß von S 15.120,--.
Für seine Tätigkeit als 'Wahlverteidiger' übersandte [der Beschwerdeführer] Siegfried T bislang keine Kostennote; das Verfahren zu AZ 40 Vr 97/99 ist allerdings seit Ende des Jahres 1999 abgeschlossen.
b) Aufgrund dieses Sachverhaltes verurteilte das Landesgericht Salzburg [den Beschwerdeführer] wegen des Vergehens des versuchten schweren Betruges zu einer Geldstrafe. Ein Teil der Geldstrafe wurde unter Bestimmung einer Probezeit bedingt nachgesehen.
Gegen dieses Urteil erhob [der Beschwerdeführer] Berufung. Das Oberlandesgericht Linz gab dieser Berufung mit Urteil vom 8.11.2001 (9 Bs 238/01) insoweit Folge, als es die Qualifikation nach §147 Abs2 StGB fallen ließ, weil ein vom Angeklagten bedingt vorsätzlich in Kauf genommener S 25.000,-- übersteigender Schadensbetrag nicht erweislich sei. Für den verbleibenden Schuldspruch hatte das Berufungsgericht die Strafe neu zu bemessen. Die Zahl der Tagessätze blieb allerdings im Ergebnis unverändert. Den Ausspruch über die bedingte Nachsicht eines Teiles der Strafe übernahm das Berufungsgericht aus dem erstgerichtlichen Urteil.
c) Diese Feststellungen beruhen auf den im Akt liegenden Urkunden (insbesondere dem Urteil des Landesgerichtes Salzburg 36 EVr 1944/00, 36 EHv 39/01 vom 30.5.2001 und dem Urteil des Oberlandesgerichtes Linz, 9 Bs 238/01 vom 8.11.2001)."
Nach Auffassung des Disziplinarrates habe der Beschuldigte seine berufliche Tätigkeit dazu benützt, den Versuch des Betruges zum Nachteil der Republik und zum eigenen Vorteil zu begehen. Aufgrund des Berufungsurteils des Oberlandesgerichtes Linz stehe nunmehr rechtskräftig fest, daß der Beschuldigte das Vergehen des versuchten Betruges begangen habe. Die Bedeutung des Deliktes, das der Beschuldigte zu verantworten habe, erfordere es, dem Beschuldigten vor Augen zu führen, daß seine weitere Zukunft als Rechtsanwalt nur dann gesichert erscheine, wenn dieser in Zukunft Gesetz und Berufspflicht beachten wird. Richtig sei, daß der Beschuldigte bereits durch die Verhängung einer einstweiligen Maßnahme berufliche Nachteile hinnehmen habe müssen. Unter diesen Umständen sei es angemessen, dem Beschuldigten die Rechtsanwaltschaft für die Dauer von 6 Monaten zu untersagen, wobei die Strafe unter Bestimmung einer Probezeit von 2 Jahren bedingt nachgesehen werde. Bei der Bemessung der Geldbuße wurde vom Disziplinarrat nicht nur die Bedeutung des Deliktes berücksichtigt, sondern sei auch auf die Nachteile, die dem Stand zugefügt wurden, Bedacht genommen worden.
2. Der gegen dieses Erkenntnis erhobenen Berufung gab die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: OBDK) mit Erkenntnis vom 17. Februar 2003 keine Folge und bestätigte die Erwägungsgründe des Disziplinarrates, die zur disziplinarrechtlichen Verurteilung des Beschwerdeführers geführt haben.
3. Gegen dieses als Bescheid zu wertende Erkenntnis richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung bestimmter verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte geltend gemacht und die Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird.
4. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragte.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Soweit der Beschwerdeführer Bedenken aus den Gründen des Gleichheitssatzes gegen die Regelung des §19 Abs3 Z1 litd DSt 1990 hegt, wonach bei Rechtsanwälten, im Unterschied zu bestimmten, vom Beschwerdeführer genannten anderen Berufsgruppen, bereits vor der strafgerichtlichen Verurteilung die Möglichkeit besteht, als einstweilige Maßnahme die vorläufige Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft zu verhängen, ist ihm zu entgegnen, daß diese Regelung für den vorliegenden Beschwerdefall nicht präjudiziell ist. Im übrigen hat die Beschwerde gegen die den angefochtenen Bescheid tragenden Rechtsvorschriften keine verfassungsrechtlichen Bedenken vorgebracht. Auch beim Verfassungsgerichtshof sind solche aus der Sicht des Beschwerdefalles nicht entstanden. Der Beschwerdeführer wurde deshalb nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt.
2.1. Der Beschwerdeführer erachtet sich, indem er wegen derselben Handlung zunächst von einem Strafgericht und nachfolgend von der Disziplinarbehörde verurteilt wurde, in dem durch Art4 Abs1 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK garantierten Recht auf das "Verbot der Doppelbestrafung" verletzt.
2.2. Im Erkenntnis VfSlg. 15543/1999 ging der Verfassungsgerichtshof ua. auch auf die Frage ein, ob §95 Abs2 Z1 Ärztegesetz 1984 dem Verbot der Doppelbestrafung entgegensteht. Nach dem Wortlaut des §95 Abs2 Z1 Ärztegesetz 1984 machen sich Ärzte jedenfalls eines Disziplinarvergehens schuldig, wenn sie eine oder mehrere strafbare Handlungen vorsätzlich begangen haben und deswegen von einem in- oder ausländischen Gericht zu einer Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder zu einer Geldstrafe von zumindest 360 Tagsätzen verurteilt worden sind. Der Verfassungsgerichtshof führte dazu aus:
"Es kann dahingestellt bleiben, ob und in welchem Umfang das genannte Verbot auf Disziplinarverfahren überhaupt Anwendung findet (vgl. zu dieser Frage Grabenwarter, Entscheidungsbesprechung zu EGMR vom 23.10.1995, Gradinger gegen Österreich, JBl. 1997, 577 [582]). Es erscheint nämlich als legitimes Interesse der Standesgemeinschaft, sich im Falle schwerwiegender gerichtlicher Verurteilungen, denen - wie im hier vorliegenden Fall - Verhaltensweisen des Betroffenen zugrundeliegen, von denen regelmäßig auch eine Gefährdung des Ansehens des Standes oder der ordnungsgemäßen Erfüllung bestimmter standesspezifischer Berufspflichten ausgeht, sich in Wahrnehmung des sogenannten 'disziplinären Überhanges' disziplinarrechtliche Reaktionen vorzubehalten. Es ist dies nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofes ein eigener, eine gesonderte disziplinäre Bestrafung rechtfertigender Aspekt, weswegen §95 Abs2 Z1 ÄrzteG 1984 auch nicht gegen Art4 des 7. ZP zur EMRK verstößt (vgl. auch den Explanatory Report, Human Rights Law Journal 1985, 82 [86], wo jedenfalls die disziplinarrechtliche Verfolgung eines Beamten neben einer strafrechtlichen Verfolgung ausdrücklich als zulässig bezeichnet wird)."
In den Erkenntnissen VfSlg. 15586/1999, 15847/2000, hielt der Verfassungsgerichtshof fest, es könne nichts anderes auch für das Disziplinarrecht der Rechtsanwälte gelten. Der Verfassungsgerichtshof sieht angesichts des vorliegenden Beschwerdefalles keine Veranlassung, von dieser Rechtsprechung abzugehen. Es kann daher nicht gefunden werden, daß der Beschwerdeführer durch den angefochtenen Bescheid in dem durch Art4 Abs1 des 7. Zusatzprotokolls zur EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt worden ist.
3.1. Weiters rügt der Beschwerdeführer, daß über ihn neben der Geldstrafe zusätzlich noch "ein - wenngleich bedingt ausgesprochenes - sechsmonatiges Berufsverbot verhängt wurde", ohne daß hiebei jene, gegen ihn zuvor verhängte einstweilige Maßnahme, "aufgrund deren er für den Zeitraum von nahezu sechs Monaten (teilweise) seinem Beruf nicht umfassend nachgehen konnte", im Sinne des §19 Abs7 DSt 1990 angemessen berücksichtigt wurde.
3.2. Diesem - schon im Verfahren vor der OBDK geltend gemachten - Vorbringen ist entgegenzuhalten, daß laut Begründung des angefochtenen Bescheides (sowie bereits auch des erstinstanzlichen Bescheides) die zuvor verhängte einstweilige Maßnahme aufgrund des Umstandes, daß das befristete Berufsverbot ohnedies nur mit sechs Monaten bemessen und darüber hinaus unter Setzung einer Probezeit von zwei Jahren bedingt nachgesehen wurde, berücksichtigt wurde. Ob die verhängte einstweilige Maßnahme im Sinne des §19 Abs7 DSt 1990 "angemessen" berücksichtigt wurde, betrifft - im konkreten Fall - lediglich Fragen der richtigen Anwendung des einfachen Gesetzes.
Ob das Gesetz richtig angewendet wurde, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn, wie hier, die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes gemäß Art133 Z4 B-VG nicht zulässig ist (zB VfSlg. 6877/1972, 8309/1978, 8317/1978, 9456/1982, 10565/1985, 11754/1988, 13419/1993).
4. Der Beschwerdeführer ist nicht in den von ihm behaupteten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt worden. Der Beschwerdeführer wurde auch nicht in sonstigen, von ihm nicht behaupteten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt.
Die Beschwerde war daher abzuweisen.
5. Der Ausspruch über die Kosten stützt sich auf §88 VfGG. Kosten an die belangte Behörde als Ersatz des Vorlage- und Schriftsatzaufwands waren nicht zuzusprechen, weil dies im VfGG nicht vorgesehen ist und eine sinngemäße Anwendung des §48 Abs2 VwGG im Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof nicht in Betracht kommt (VfSlg. 10.003/1984).
6. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung entschieden werden.
Schlagworte
Rechtsanwälte, Disziplinarrecht, Strafrecht, Strafbemessung, DoppelbestrafungsverbotEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2003:B688.2003Dokumentnummer
JFT_09969077_03B00688_00