TE Vwgh Erkenntnis 2008/8/28 2008/22/0033

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Veröffentlicht am 28.08.2008
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Index

19/05 Menschenrechte;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1997 §10 Abs4;
MRK Art8;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde der GD in W, vertreten durch Dr. Helmut Adelsberger, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Brucknerstraße 4/8, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 20. April 2005, Zl. 141.182/3- III/4/05, betreffend Versagung einer Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 51,50 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin, einer türkischen Staatsangehörigen, auf Erteilung einer humanitären Erstniederlassungsbewilligung gemäß §§ 19 Abs. 2 Z 6 und 10 Abs. 4 Fremdengesetz 1997 - FrG ab. Begründend wurde ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin im Jänner 2003 mit einem vom 17. Jänner 2003 bis 13. April 2003 gültigen Visum C eingereist und seit 20. Jänner 2003 in 1030 Wien wohnhaft sei. Der Ehegatte und zwei Kinder der Beschwerdeführerin seien in Österreich aufhältig und würden über Niederlassungsbewilligungen verfügen. Im Verwaltungsverfahren sei ein medizinischer Befund eines in Österreich praktizierenden Arztes vorgelegt worden, aus dem hervorgehe, dass die Beschwerdeführerin in der Türkei im Zuge einer Geburt wegen Diabetes Mellitus ("Zuckerkrankheit") behandelt worden sei. Auf Grund einer medizinischen Fehlbehandlung habe sie Netzhautblutungen am linken Auge erlitten. Die Fehlbehandlung liege allerdings bereits etwa 16 bis 19 Jahre zurück. Es könne aber nicht von einer generell schlechten medizinischen Behandlung in der Türkei ausgegangen werden. Auch sei die Ausreise der Beschwerdeführerin erst etwa acht Jahre nach der Fehldiagnose bzw. nach Kenntnis der Erkrankung erfolgt. Trotz der Krankheit der Beschwerdeführerin liege kein besonders berücksichtigungswürdiger Fall im Sinne des § 10 Abs. 4 FrG, der sie zur Inlandsantragstellung berechtigt hätte, vor. Ausreichende besonders berücksichtigungswürdige humanitäre Aspekte würden auch nicht im Aufenthalt ihres Ehemannes und zweier Kinder im Bundesgebiet bestehen, weil sich die Kinder der Beschwerdeführerin bereits seit dem Jahr 2001 in Österreich aufhalten würden. Die Beschwerdeführerin sei hingegen bis zum Jahr 2003 freiwillig in der Türkei verblieben.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde nach Vorlage der Akten durch die belangte Behörde erwogen:

Vorweg ist darauf hinzuweisen, dass der gegenständliche Fall im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nach der Rechtslage des (am 31. Dezember 2005 außer Kraft getretenen) FrG zu beurteilen ist.

Die Beschwerdeführerin bestreitet nicht, mit einem vom 17. Jänner 2003 bis 13. April 2003 gültigen Visum C in das Bundesgebiet eingereist, nach Ablauf dieses Visums ohne Einreise- oder Aufenthaltstitel in Österreich geblieben zu sein und den gegenständlichen Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung vom Inland aus gestellt zu haben. Dieser Antrag könnte fallbezogen gemäß § 14 Abs. 2 letzter Satz FrG nur bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 10 Abs. 4 FrG für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen im Inland gestellt werden. § 10 Abs. 4 FrG stellt auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände eines Fremden ab, die dazu Anlass geben, diesem aus humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis zukommen zu lassen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. März 2006, Zl. 2006/18/0020). Weiters liegt ein besonders berücksichtigungswürdiger Fall im Sinn des § 10 Abs. 4 FrG auch dann vor, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK abzuleitender Anspruch auf Familiennachzug besteht (vgl. dazu ausführlich das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 2004, Zl. 2004/21/0195, mwH, sowie das hg. Erkenntnis vom 31. März 2008, Zl. 2005/18/0496).

Die Beschwerdeführerin meint, dass die von ihr - bereits im Zuge der Antragstellung - vorgebrachten Umstände, nämlich ihre fehlerhafte medizinische Behandlung in der Türkei und die daraus resultierende Krankheit sowie der Aufenthalt von Familienangehörigen in Österreich ausreichend wären, von einem besonders berücksichtigungswürdigen Fall auszugehen.

Dem vermag sich der Verwaltungsgerichtshof nicht anzuschließen.

Die Beschwerdeführerin brachte vor, seit 1996 an Diabetes Mellitus II ("Zuckerkrankheit") zu leiden. Diese Krankheit habe aus einer fehlerhaften medizinischen Behandlung in der Türkei resultiert, wobei ein bleibender Schaden am linken Auge entstanden und Brennen und Stechen in den Beinen hervorgerufen worden sei, welche lebenslang anhalten würden. Sie befinde sich in Österreich "seit Februar 2003 in einer fortlaufenden und engmaschigen ärztlichen Behandlung".

Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits ausgesprochen, dass ein beeinträchtigter Gesundheitszustand für sich genommen noch keinen besonders berücksichtigungswürdigen humanitären Grund im Sinne des § 10 Abs. 4 FrG darstellt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. März 2006, Zl. 2006/18/0011). Anhaltspunkte dafür, dass die medizinische Behandlung der Beschwerdeführerin ausschließlich in Österreich erfolgen könnte, liegen nicht vor. Insbesondere war Derartiges auch dem von der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren vorgelegten ärztlichen Attest vom 17. März 2003 nicht zu entnehmen. Ein konkretes und substantiiertes Vorbringen, weshalb die Beschwerdeführerin in der Türkei auch weiterhin einer fehlerhaften Behandlung unterliegen würde, oder dass die medizinische Versorgung von Diabetes Mellitus II in der Türkei generell fehlerhaft oder überhaupt nicht durchgeführt werden würde, wurde nicht erstattet. Der Verwaltungsgerichtshof vermag dafür auch keine Hinweise zu erkennen.

Was die in Österreich lebenden Familienangehörigen der Beschwerdeführerin betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass Art. 8 EMRK grundsätzlich kein Recht von Ausländern auf Entfaltung des Familienlebens in einem bestimmten Staat gewährt (vgl. das hg. Erkenntnis vom 31. März 2008, Zl. 2005/18/0496, mit Hinweis auf Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes). Unter besonderen Umständen kann sich jedoch aus Art. 8 EMRK eine Verpflichtung des Staates ergeben, die Einreise und die Niederlassung von Familienangehörigen zu ermöglichen; dies mit der Folge, dass die Verweigerung der Einreise oder Niederlassung einen Eingriff in das Grundrecht bildet. In letzterem Fall ist § 10 Abs. 4 FrG dahingehend auszulegen, dass ein besonders berücksichtigungswürdiger Fall auch dann vorliegt, wenn - ausnahmsweise - ein aus Art. 8 EMRK abzuleitender Anspruch auf Familiennachzug besteht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. Dezember 2004, Zl. 2004/21/0195).

Unter diesem Gesichtspunkt macht die Beschwerdeführerin geltend, dass sowohl ihr Ehegatte als auch ihre beiden Kinder (von denen eines noch minderjährig sei) in Österreich niedergelassen wären. Die belangte Behörde verweist allerdings im angefochtenen Bescheid zu Recht darauf, dass sich der Ehegatte der Beschwerdeführerin bereits seit 1999 und ihre Kinder seit dem Jahr 2001 im Bundesgebiet aufhalten, während die Beschwerdeführerin erst 2003 in das Bundesgebiet einreiste. Dass und durch welche konkreten Umstände dennoch ein iSd Art. 8 EMRK derart ausgeprägt schützenswertes Familienleben, das dazu führen würde, ihr einen (nur ausnahmsweise zustehenden) Anspruch auf Familiennachzug ohne Bedachtnahme auf Quotenpflicht und Auslandsantragstellung zu eröffnen, vorgelegen wäre, wurde von der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren nicht dargelegt. Die Anwesenheit von Familienangehörigen in Österreich stellt für sich genommen keinen solchen Umstand dar.

Das Vorbringen in der Beschwerde, die späte Einreise im Jahr 2003 habe "nicht auf einer willentlichen Entscheidung" der Beschwerdeführerin beruht, sondern sei "vielmehr durch eine ganze Reihe widriger äußerer Umstände erzwungen worden", stellt zum einen eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unbeachtliche Neuerung dar, zum anderen wird in der Beschwerde nicht einmal ansatzweise ausgeführt, um welche "widrigen äußeren Umstände" es sich dabei gehandelt haben soll. Dementsprechend liegt auch der von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Verfahrensmangel, den sie im Unterbleiben ihrer Vernehmung zu diesem Thema sieht, nicht vor. In der Beschwerde wird darüber hinaus auch nicht dargetan, was die Beschwerdeführerin hätte aussagen können und weshalb ihre Angaben geeignet gewesen wären, eine andere Entscheidung herbeizuführen.

Der belangten Behörde kann somit nicht erfolgreich entgegengetreten werden, wenn sie fallbezogen einen aus Art. 8 EMRK ableitbaren Anspruch auf Familiennachzug verneint hat. Im gegenständlichen Fall liegt keine mit den Sachverhalten, wie sie den Urteilen des EGMR vom 21. Dezember 2001, Sen gg. die Niederlande (NL 2002, S. 11), oder vom 1. Dezember 2005, Tuquabo-Tekle u.a. gg. die Niederlande (NL 2005, S. 296), zu Grunde lagen, vergleichbare besondere Konstellation vor, zumal dem von der Beschwerdeführerin gestellten Antrag auch zu entnehmen ist, dass die Eheschließung mit dem seit 1999 in Österreich aufhältigen Ehemann erst am 15. August 2002, also kurz vor der Einreise der Beschwerdeführerin, stattfand, eines der Kinder der Beschwerdeführerin im Entscheidungszeitpunkt bereits volljährig war und das andere schon im 17. Lebensjahr stand.

Da sich die Beschwerde nach dem Vorgesagten als unbegründet erweist, war sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 28. August 2008

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2008220033.X00

Im RIS seit

02.10.2008

Zuletzt aktualisiert am

01.06.2010
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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