TE Vwgh Erkenntnis 2008/8/28 2008/22/0523

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Veröffentlicht am 28.08.2008
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
24/01 Strafgesetzbuch;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

FrG 1997 §36 Abs1;
FrG 1997 §36 Abs2 Z1;
FrG 1997 §37;
StGB §127;
StGB §129 Z1;
StGB §83 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl sowie die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Perauer, über die Beschwerde des AU in P, vertreten durch Dr. Elmar Kresbach, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schottengasse 4/4/29, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 19. Jänner 2005, Zl. Fr 1920/04, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbotes, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid erließ die belangte Behörde gegen den Beschwerdeführer, einen serbischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 und Abs. 2 Z 1 des (bis 31. Dezember 2005 in Geltung gestandenen) Fremdengesetzes 1997 - FrG ein auf fünf Jahre befristetes Aufenthaltsverbot.

Zur Begründung dieser Maßnahme verwies sie auf die rechtskräftige Verurteilung des Beschwerdeführers mittels Strafverfügung vom 16. August 1999 nach § 83 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe in der Höhe von S 4.800,--. Er habe am 8. Juni 1999 in A im Zuge einer tätlichen Auseinandersetzung mit seiner damaligen Lebensgefährtin diese gewürgt, an den Haaren gerissen, mit der flachen Hand ins Gesicht und deren Kopf auf den Boden geschlagen.

Mit Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt vom 19. August 2003 sei er nach den §§ 127, 129 Z 1 StGB (Einbruchsdiebstahl) zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten verurteilt worden. Er habe am 8. Mai 2003 mit einem Mittäter mit Hilfe von Einbruchswerkzeugen ein Fenster zu einem Caritaslager aufgezwängt, um sich dort eventuell befindliches Bargeld und sonstige Wertgegenstände anzueignen. Er habe aber lediglich ein Handy erbeutet. Nach einem Fluchtversuch habe er erst mit Hilfe eines Polizeihundes gestellt werden können.

Durch diese Verurteilungen erachtete die belangte Behörde den Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z 1 FrG als verwirklicht und sie erstellte für das zukünftige Verhalten des Beschwerdeführers eine negative Prognose derart, dass durch seinen weiteren Aufenthalt in Österreich die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdet wäre. In den näheren Umständen der Ausführung des Einbruchsdiebstahls habe sich nämlich eine beachtliche kriminelle Energie gezeigt. Die erkennende Behörde sei an eine gerichtlich ausgesprochene bedingte Strafnachsicht nicht gebunden. Auch das Körperverletzungsdelikt könne keinesfalls als Bagatelldelikt gewertet werden. Diese Straftat sei daher durchaus noch geeignet, eine relevante Vergrößerung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefährdung der maßgeblichen öffentlichen Interessen herbeizuführen. Der vier Jahre später begangene Einbruchsdiebstahl zeige, dass er auch nicht bereit sei, das Vermögen anderer Personen zu respektieren. Es sei daher mit dem Institut des Aufenthaltsverbotes vorzugehen, um die im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele zu erreichen. Das Gesamtverhalten des Beschwerdeführers lasse für die Behörde den Schluss auf eine besonders sozialschädliche Neigung zur Missachtung österreichischer Rechtsvorschriften zu. Weiters verfüge er über kein Einkommen aus einem legalen Arbeitsverhältnis.

Da der Beschwerdeführer erst im Jahr 1991 im Alter von mehr als zwölf Jahren erstmalig in Österreich eingereist sei, stehe der Verfestigungstatbestand des § 38 Abs. 1 Z 3 FrG dem Aufenthaltsverbot nicht entgegen. Er sei nämlich zum Zeitpunkt der Begehung des erstmaligen Delikts im Juni 1999 noch nicht seit mindestens zehn Jahren ununterbrochen mit Hauptwohnsitz in Österreich gewesen. Weiters sei er nicht im Sinn des § 38 Abs. 1 Z 4 FrG "von klein auf" im Inland aufgewachsen. Die Anwendbarkeit des § 35 Abs. 2 und 3 FrG scheitere schon an der Nichterfüllung der geforderten acht- bzw. zehnjährigen Dauer einer rechtmäßigen Niederlassung im Bundesgebiet bis zur ersten strafbaren Handlung. Er habe seit 3. September 1993 Aufenthaltsberechtigungen erhalten.

Bei der Beurteilung nach § 37 FrG sei - so die belangte Behörde weiter - zu berücksichtigen, dass mit dem Aufenthaltsverbot ein Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers verbunden sei. Dieser halte sich seit 1991 ununterbrochen im Bundesgebiet auf. Seine Eltern seien bereits verstorben und zu den in Österreich lebenden Geschwistern habe er keinen Kontakt. Er lebe aber mit seiner Lebensgefährtin, der gemeinsamen (am 16. April 2003 geborenen) Tochter und den Eltern der Lebensgefährtin im Haushalt. Er habe einen Befreiungsschein mit Gültigkeit bis zum 2. Dezember 2006 und bis einschließlich Oktober 2001 eine legale Beschäftigung ausgeübt. Danach habe er Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe bezogen; sein letztes reguläres Arbeitsverhältnis vom 10. Juni bis zum 16. Juli 2003 sei durch den Konkurs des Arbeitgebers beendet worden. Laut seinen Angaben hätte er den Lebensunterhalt u.a. durch Schwarzarbeit bestritten.

Der Beschwerdeführer könne seinen Pflichten gegenüber seiner Tochter auch vom Ausland aus nachkommen und es sei sein Bruder im Kosovo aufhältig. Nach den gesamten Umständen könnten die Auswirkungen der Erlassung des Aufenthaltsverbotes auf seine Lebenssituation und die seiner Familie nicht schwerer gewichtet werden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von dieser Maßnahme. § 37 FrG könne daher auch bei einer großzügigen Auslegung nicht zu seinen Gunsten angewendet werden. Ohne Verwirklichung des Körperverletzungsdeliktes wäre die Behörde wahrscheinlich zu einem anderen Ergebnis gelangt. Weiters könne sie über die Beurteilung nach § 37 FrG hinaus keine weiteren für den Beschwerdeführer günstigen Parameter erblicken, wonach die Ermessensbestimmung des § 36 Abs. 1 FrG zu seinen Gunsten anzuwenden wäre. Dagegen spreche das bereits zweimalige strafrechtliche Fehlverhalten, wobei er auch die Körperverletzung nicht mehr als Jugendlicher begangen habe. Sein Persönlichkeitsbild und die offenkundig sozialschädliche Neigung zur Negierung österreichischer Rechtsvorschriften lasse das Aufenthaltsverbot zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten erscheinen. Wegen des bereits über 13-jährigen Aufenthaltes in Österreich und der doch nicht unwesentlichen familiären Anknüpfungspunkte sei ein fünfjähriges Aufenthaltsverbot ausreichend.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten seitens der belangten Behörde erwogen:

Gemäß § 36 Abs. 1 FrG kann gegen einen Fremden ein Aufenthaltsverbot erlassen werden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass sein Aufenthalt die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit gefährdet (Z 1) oder anderen in Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten öffentlichen Interessen (diese Konventionsbestimmung nennt die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung, die Verhinderung von strafbaren Handlungen, den Schutz der Gesundheit und der Moral und den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) zuwiderläuft (Z 2).

In § 36 Abs. 2 FrG sind demonstrativ Sachverhalte angeführt, die als bestimmte Tatsachen im Sinn des § 36 Abs. 1 leg. cit. gelten, bei deren Verwirklichung die dort genannte Annahme gerechtfertigt sein kann. Bei der Erstellung der für jedes Aufenthaltsverbot zu treffenden Gefährlichkeitsprognose ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt ist. Bei der Entscheidung, ein Aufenthaltsverbot zu erlassen, ist Ermessen zu üben, wobei die Behörde vor dem Hintergrund der gesamten Rechtsordnung auf alle für und gegen das Aufenthaltsverbot sprechenden Umstände Bedacht zu nehmen hat (vgl. für viele etwa das hg. Erkenntnis vom 26. April 2005, Zl. 2005/21/0044).

Der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass auf Grund der Verurteilung zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z 1 (dritter Fall) FrG erfüllt sei. Der Gerichtshof hegt auch keine Bedenken gegen die weitere behördliche Ansicht, dass im Blick auf das bisherige Fehlverhalten des Beschwerdeführers eine Gefährlichkeitsprognose im Sinn des § 36 Abs. 1 FrG gerechtfertigt sei.

Der Verwaltungsgerichtshof vermag sich jedoch der behördlichen Beurteilung nach § 37 FrG nicht anzuschließen.

Gemäß § 37 Abs. 1 FrG ist, würde u.a. durch ein Aufenthaltsverbot in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, diese Maßnahme nur zulässig, wenn sie zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Nach § 37 Abs. 2 ist das Aufenthaltsverbot unzulässig, wenn dessen Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von dessen Erlassung.

Der Beschwerdeführer wurde wegen Körperverletzung im Jahr 1999 zu einer Geldstrafe und wegen Einbruchsdiebstahls im Jahr 2003 zu einer zur Gänze bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt. Dem steht gegenüber, dass er sich seit 1991 im Bundesgebiet aufhält, seit September 1993 Aufenthaltsberechtigungen erhalten hat und nun mit seiner Lebensgefährtin und der gemeinsamen Tochter im Haushalt lebt. Zum Zeitpunkt der Begehung des Einbruchsdiebstahls wäre dem Beschwerdeführer bereits der Aufenthaltsverfestigungstatbestand des § 38 Abs. 1 Z 3 FrG zu Gute gekommen, hätte er nicht das - nur mit Geldstrafe geahndete - Delikt der Körperverletzung aus dem Jahr 1999 zu verantworten. Weiters wären - unter der Annahme eines zehnjährigen rechtmäßigen Aufenthaltes bis zur Deliktsverwirklichung - die ausgesprochenen Strafen zu gering, um der Aufenthaltsverfestigung nach § 35 Abs. 3 FrG entgegenzustehen.

Der Gerichtshof sprach bereits aus (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. Dezember 2004, Zl. 2004/18/0210), dass ein über zehnjähriger (rechtmäßiger) inländischer Aufenthalt iVm einem Zusammenleben mit Eltern und Geschwistern den persönlichen Interessen des Fremden am Verbleib im Bundesgebiet ein sehr großes Gewicht verleihen; die nachteiligen Folgen des Aufenthaltsverbotes wögen schwerer als die Abstandnahme von dieser Maßnahme, der eine bedingt nachgesehene Freiheitsstrafe von 14 Monaten (wegen Geldfälschung) zu Grunde lag. Dem gegenüber sind im vorliegenden Fall die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers noch stärker, weil er mit einer Lebensgefährtin und einem gemeinsamen Kleinkind im Bundesgebiet lebt. Insofern unterscheidet sich der Sachverhalt von dem dem hg. Erkenntnis vom 17. Februar 2006, Zl. 2003/18/0140, zu Grunde liegenden, in dem dem Fremden wiederholte Eigentumskriminalität und eine Nötigung zur Last gelegt wurden und dieser neben einem dreizehneinhalbjährigen Aufenthalt in Österreich (nur) Bindungen zu einem Bruder und dessen Familie aufweisen konnte.

Hat sich - wie vorliegend - ein Fremder (im maßgeblichen Zeitpunkt der Bescheiderlassung) bereits über zehn Jahre rechtmäßig in Österreich aufgehalten und vermag er auf maßgebliche persönliche Bindungen zu im Bundesgebiet - rechtmäßig (Gegenteiliges wurde von der belangten Behörde nicht festgestellt) - aufhältigen Personen zu verweisen, so reicht das festgestellte Fehlverhalten, das zu einer Geldstrafe und einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe geführt hat, ohne Hinzukommen weiterer Umstände nicht aus, um die öffentlichen Interessen an der Erlassung des Aufenthaltsverbotes gleich schwer gewichten zu können wie die persönlichen Interessen des Fremden am Verbleib im Bundesgebiet.

Aus diesen Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Von der Durchführung der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003. Das Mehrbegehren war abzuweisen, weil die Kosten für die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht zugesprochen werden können und weiters die Umsatzsteuer im Pauschalbetrag bereits enthalten ist.

Wien, am 28. August 2008

Schlagworte

Besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2008220523.X00

Im RIS seit

25.09.2008

Zuletzt aktualisiert am

26.01.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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