TE Vfgh Erkenntnis 2003/9/23 B791/03

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Veröffentlicht am 23.09.2003
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Index

L8 Boden- und Verkehrsrecht
L8300 Wohnbauförderung

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
ABGB §140
Wr Wohnbauförderungs- und WohnhaussanierungsG 1989 §20 Abs3 litf

Leitsatz

Verletzung im Gleichheitsrecht durch Abweisung eines Antrags auf Weitergewährung einer Wohnbeihilfe wegen zu hohen Einkommens infolge Vollendung des 18. Lebensjahres eines im gemeinsamen Haushalt lebenden Kindes; gleichheitswidrige Auslegung einer Bestimmung des Wiener Wohnbauförderungs- und Wohnhaussanierungsgesetzes über das der Wohnbeihilfenberechnung zu Grunde zu legende Familieneinkommen

Spruch

Die beschwerdeführende Partei ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Das Land Wien ist schuldig, der Beschwerdeführerin zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit € 2142,-- bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Beschwerdeführerin beantragte mit Antrag vom 5.9.2002 die Weitergewährung von Wohnbeihilfe nach dem Wr. Wohnbauförderungs- und Wohnhaussanierungsgesetz (WWFSG), LGBl. Nr. 18/1989. Der Antrag wurde jedoch (auch) letztinstanzlich von der Wr. Landesregierung mit der Begründung abgewiesen, daß ihr Einkommen zu hoch sei: Eines ihrer beiden Kinder habe mittlerweile das 18. Lebensjahr vollendet; daher sei der "gesetzliche Unterhaltsanspruch an den Sohn der Beschwerdeführerin übergegangen". Da die Beschwerdeführerin damit keinen Anspruch (mehr) auf Leistungen des gesetzlichen Unterhaltes durch den Kindesvater habe, verringere sich das Familieneinkommen nicht mehr nach §20 Abs3 litf leg. cit. um die dort vorgesehenen 20%.

2. Die Beschwerdeführerin bringt in ihrer Beschwerde folgendes vor: Sie sei in ihrem Recht auf den gesetzlichen Richter verletzt worden, da über die Gewährung der Wohnbeihilfe ein Tribunal zu entscheiden gehabt hätte. Die belangte Behörde hätte dem Gesetz einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt bzw. sei §20 Abs3 litf WWFSG gleichheitswidrig. Die Wohnbeihilfe sei ihr nur deshalb versagt worden, weil die belangte Behörde davon ausgehe, daß zwei unterhaltsberechtigte Kinder im Haushalt des Ansuchenden wohnen müssten. Die Vorschrift sei so auszulegen, daß es dabei nur auf ein Kind ankommen könne. Allein die Tatsache der Erreichung der Volljährigkeit durch ihren Sohn führe zum Verlust der Beihilfe, obwohl sich an ihrer materiellen Situation nichts geändert habe.

3. Die belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet. Sie bringt vor, daß bei der Auslegung des §20 Abs3 WWFSG der Wortinterpretation der Vorzug zu geben sei; demnach knüpfe die Verminderung des Familieneinkommens im Fall der litf daran an, daß mehr als ein Kind vorhanden sei. Es liege daher keine planwidrige Gesetzeslücke vor.

§20 Abs3 litf WWFSG spreche in seiner Textierung die in der Praxis vertretene Problematik an, daß bereit ein gesetzlicher Unterhaltsanspruch im Unterschied zu einer konkreten (oft nicht erfolgten) Unterhaltszahlung die Rechtsfolge der 20%igen Reduktion auslöse. Dies gehe Hand in Hand mit der Legaldefinition des Einkommens gemäß §2 Z14 WWFSG, wonach unter Einkommen im Sinne des WWFSG das Einkommen gem. §2 Abs2 EStG zu verstehen sei. Durch den dortigen Verweis auf die im Abs3 aufgezählten Einkunftsarten seien auch sonstige Einkünfte im Sinne des §29 EStG (nämlich Bezüge, die an eine gesetzlich unterhaltsberechtigte Person gewährt werden) als Einkommen zu qualifizieren. Bei Vorliegen eines Beschlusses oder Vergleiches sei daher von der Unabänderlichkeit der Unterhaltshöhe, welche einen Exekutionstitel darstelle, auszugehen. Aus der Formulierung ergebe sich die automatische Verknüpfung eines Abminderungsanspruches mit der Dauer der gesetzlichen Vertretung der im gemeinsamen Haushalt lebenden Kinder. Diese ende ab 1.7.2001 mit Vollendung des 18. Lebensjahres. Auch aus einkommensteuerrechtlicher Sicht seien Leistungen des gesetzlichen Unterhaltes für die Dauer der gesetzlichen Vertretung dem Einkommen des alleinerziehenden Elternteiles zuzurechnen. Durch Verweis des §2 Z16 litj WWFSG auf das ABGB ergebe sich der Rückgriff auf die Definition "Kind" in §21 Abs2 ABGB. Die durch die Beendigung der gesetzlichen Vertretung ausgelöste Rechtsfolge könne daher nicht als Ungleichbehandlung aufgrund unsachlicher Unterscheidungskriterien nachvollzogen werden. Der Sohn der Beschwerdeführerin habe das 18. Lebensjahr vollendet; in ihrem Haushalt befinde sich daher nur mehr ein Kind, weshalb die Voraussetzungen des §20 Abs3 litf WWFSG nicht vorlägen.

II. Die hier relevanten Bestimmungen des Wr. Gesetzes über die Förderung des Wohnungsneubaus und der Wohnhaussanierung und die Gewährung von Wohnbeihilfe (Wiener Wohnbauförderungs- und Wohnhaussanierungsgesetz - WWFSG 1989, LGBl. Nr. 18/1989) lauten auszugsweise:

"Begriffsbestimmungen

§2. Im Sinne dieses Gesetzes gelten:

...

14. als Einkommen das Einkommen gemäß §2 Abs2 Einkommensteuergesetz 1988, vermehrt um die bei der Einkommensermittlung abgezogenen Beträge gemäß §§18, 34 Abs1 bis 5 und 8 des Einkommensteuergesetzes 1988, die steuerfreien Einkünfte gemäß §3 Abs1 Z3 litb bis e, 4 lita und e, 5, 8 bis 12 und 22 bis 24 des Einkommensteuergesetzes 1988 sowie die gemäß §29 Z1 2. Satz des Einkommensteuergesetzes 1988 steuerfrei gestellten Bezüge und vermindert um die Einkommensteuer, die Alimentationszahlungen gemäß §29 Z1 2. Satz des Einkommensteuergesetzes 1988, soweit diese nicht bei der Einkommensermittlung gemäß §34 des Einkommensteuergesetzes 1988 in Abzug gebracht wurden, den Bezug der Pflege- oder Blindenzulage (Pflege- oder Blindengeld, Pflege- oder Blindenbeihilfe) und den Zusatzrenten zu einer gesetzlichen Unfallversorgung,

15. als Familieneinkommen die Summe der Einkommen des Förderungswerbers oder Mieters und der mit ihm im gemeinsamen Haushalt lebenden Personen mit Ausnahme von im Haushalt beschäftigten Arbeitnehmern und angestellten Pflegepersonal;

16. ...

Wohnbeihilfe

§20. (1) Wird der Mieter einer Wohnung, deren Errichtung im Sinne des I. Hauptstückes gefördert wurde, durch den Wohnungsaufwand unzumutbar belastet, ist ihm auf Antrag mit Bescheid Wohnbeihilfe zu gewähren, sofern er ausschließlich diese Wohnung zur Befriedigung seines dringenden Wohnbedürfnisses regelmäßig verwendet.

(2) Die Wohnbeihilfe ist in der Höhe zu gewähren, die sich aus dem Unterschied zwischen zumutbarer und der in Abs4 und 5 näher bezeichneten Wohnungsaufwandbelastung je Monat ergibt; bei Wohnungen, deren Nutzfläche die im §17 Abs3 genannten Grenzwerte für die angemessene Wohnnutzfläche übersteigt, ist der Berechnung der Wohnbeihilfe nur jener Teil der Wohnungsaufwandbelastung zugrunde zu legen, der dem Verhältnis der angemessenen zur tatsächlichen Wohnnutzfläche entspricht. Die näheren Bestimmungen über die zumutbare Wohnungsaufwandsbelastung hat die Landesregierung durch Verordnung zu treffen.

(3) Das der Wohnbeihilfenberechnung zu Grunde zu legende Familieneinkommen gemäß §2 Z15 vermindert sich um mindestens 20 vH

a) für Familien, deren sämtliche Mitglieder zum Zeitpunkt des Beginnes des Gewährungszeitraumes der Wohnbeihilfe das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet haben,

b) für Familien mit einem noch nicht schulpflichtigen Kind,

c) für Familien, bei denen ein Familienmitglied eine nachgewiesene Behinderung im Sinne des §35 Abs2 des Einkommensteuergesetzes 1988 von mindestens 45 vH aufweist,

d) für Familien mit mindestens drei Kindern, für die Familienbeihilfe bezogen wird,

e) für Familien mit einem behinderten Kind im Sinne des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 oder

f) für allein erziehende Elternteile, die für im gemeinsamen Haushalt lebende Kinder Anspruch auf Leistungen des gesetzlichen Unterhaltes haben, die nicht wieder verheiratet sind und auch in keiner in wirtschaftlich gleich einer Ehe eingerichteten Haushaltsgemeinschaft leben.

lit. a bis f sind nicht kumulierbar.

..."

III. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10.413/1985, 11.682/1988) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.

Ein willkürliches Verhalten kann der Behörde unter anderem dann vorgeworfen werden, wenn sie den Beschwerdeführer aus unsachlichen Gründen benachteiligt hat oder aber, wenn der angefochtene Bescheid wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (zB VfSlg. 10.337/1985, 11.436/1987).

2. Gem. §20 Abs1 WWFSG ist dem Mieter einer Wohnung, deren Errichtung gefördert wurde, auf Antrag Wohnbeihilfe zu gewähren, wenn er durch den Wohnungsaufwand unzumutbar belastet wäre. Die Wohnbeihilfe ist dabei in der Höhe zu gewähren, die sich aus der Differenz zwischen zumutbarer und der in Abs4 und 5 näher bezeichneter Wohnungsaufwandbelastung je Monat ergibt. Der Wohnbeihilfenberechnung ist das Familieneinkommen zugrunde zu legen; dieses setzt sich gem. §2 Z15 WWFSG aus dem Einkommen iS des §2 Abs2 EStG vermehrt um bestimmte Beträge sowie vermindert um die Einkommensteuer, Alimentationszahlungen und bestimmter anderer Leistungen, zusammen. Dieses Familieneinkommen vermindert sich gem. §20 Abs3 litf WWFSG um mindestens 20 vH

"für allein erziehende Elternteile, die für im gemeinsamen Haushalt lebende Kinder Anspruch auf Leistungen des gesetzlichen Unterhaltes haben, die nicht wieder verheiratet sind und auch in keiner wirtschaftlich gleich einer Ehe eingerichteten Haushaltsgemeinschaft leben".

2.1. Gem. §140 ABGB steht der Unterhaltsanspruch nicht einem Elternteil gegenüber dem anderen, sondern stets dem Kind gegenüber seinen beiden Eltern zu (vgl. die bei Koziol/Welser, Grundriß des bürgerlichen Rechts10, 256, wiedergegebene Judikatur). Will man daher §20 Abs3 litf WWFSG, soweit dieser nach seinem Wortlaut auch so verstanden werden könnte, daß es auf einen Unterhaltsanspruch des allein erziehenden Elternteils "für" das Kind ankäme, nicht unterstellen, inhaltsleer zu sein, weil er von nicht existenten Ansprüchen der Mutter/des Vaters auf den Unterhalt "für" minderjährige Kinder ausgeht, dann muß diese Bestimmung - als textlich völlig missglückt - sinnvoller Weise so ausgelegt werden, daß dieser Begünstigung ein allein erziehender Elternteil dann teilhaftig werden soll, wenn er mit "unterhaltsberechtigten Kindern" im gemeinsamen Haushalt lebt.

2.2. Geht man von dem in III.2.1. dargelegten Verständnis der Norm aus, dann verbietet sich das Auslegungsergebnis der belangten Behörde aus Sachlichkeitserwägungen: Das Gesetz definiert in §2 ("Begriffsbestimmungen") den Begriff des Kindes nicht gesondert, sodaß - gerade auch wegen des Zusammenhanges mit einer bestehenden Unterhaltspflicht - vom allgemeinen Begriffsverständnis, wie es auch §140 ABGB zugrunde liegt, ausgegangen werden muß.

Knüpft das Gesetz eine Sozialleistung an bestimmte Einkommensverhältnisse und soll es nach dem Willen des Gesetzgebers in diesem Zusammenhang darauf ankommen, ob im gemeinsamen Haushalt Kinder leben, die (im gegebenen Zusammenhang: insbesondere auch gegenüber dem allein erziehenden Elternteil) noch unterhaltsberechtigt (also nicht selbsterhaltungsfähig und daher zur Leistung eines Beitrages zu den Wohnungskosten nicht in der Lage) sind, so widerspricht es dem Gleichheitssatz, in einem solchen System zwischen unterhaltsberechtigten Kindern unter und über 18 Jahren zu differenzieren:

Aufgrund der Maßgeblichkeit des Familieneinkommens ist es nämlich unsachlich, den Verlust einer Beihilfe an einen Umstand (Eintritt der Volljährigkeit des Sohnes) zu knüpfen, der an der materiellen Situation der Beschwerdeführerin (worauf in der Beschwerde zu Recht hingewiesen und was von der belangten Behörde auch nicht in Zweifel gezogen wird) nichts geändert hat.

2.3. Die belangte Behörde hat daher §20 Abs3 litf des Wiener Wohnbauförderungs- und Wohnhaussanierungsgesetzes - WWFSG 1989 einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt.

Die Beschwerdeführerin ist somit durch den angefochtenen Bescheid in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

Der Bescheid war daher aufzuheben.

Bei diesem Ergebnis erübrigt sich ein Eingehen auf das weitere Beschwerdevorbringen.

3. In den gem. §88 VfGG zugesprochenen Kosten ist die Eingabengebühr in Höhe von € 180,-- sowie Umsatzsteuer in Höhe von € 327,-- enthalten.

4. Dies konnte gem. §19 Abs4 erster Satz VfGG in nichtöffentlicher Sitzung ohne mündliche Verhandlung entschieden werden.

Schlagworte

Auslegung verfassungskonforme, Kinder, Wohnbauförderung, Zivilrecht, Kindschaftsrecht

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2003:B791.2003

Dokumentnummer

JFT_09969077_03B00791_2_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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