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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1997 §8;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl sowie die Hofräte Mag. Nedwed, Dr. N. Bachler, MMag. Maislinger und die Hofrätin Mag. Rehak als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des S, vertreten durch Dr. Peter Lewisch, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Parkring 2, gegen den am 26. September 2005 verkündeten und am 4. Oktober 2005 ausgefertigten Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates, Zl. 222.707/20-II/04/05, betreffend §§ 7, 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird insoweit, als damit Spruchpunkt II des erstinstanzlichen Bescheides (Zulässigerklärung der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan) gemäß § 8 Asylgesetz 1997 bestätigt wurde, wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger, reiste am 14. Juni 2000 in das Bundesgebiet ein und beantragte am darauf folgenden Tag Asyl. Zu seinen Fluchtgründen gab er bei der Einvernahme am 10. August 2000 an, einige Jugendliche aus der Nachbarschaft seien von den Taliban zwangsrekrutiert und ihre Leichen seien später nach Hause gebracht worden. Der Beschwerdeführer sei geflohen, weil er Angst gehabt habe, von den Taliban ebenfalls zwangsrekrutiert zu werden. Im März oder April 2000 sei er von den Taliban auf einem Posten auch geschlagen worden.
Bei einer weiteren Einvernahme am 1. Februar 2001 gab der Beschwerdeführer an, sein älterer Bruder sei Mitglied der Partei "Shoraye Nezar" gewesen. Zwischen den Mitgliedern der Gruppierung des Bruders und den Taliban habe es in der Provinz Parvan Kämpfe gegeben, im Zuge derer sein Bruder am 20. Dezember 1999 getötet worden sei. Er habe den "Märtyrertod" erlitten. Der Beschwerdeführer sei "damals" auf der Straße vor seinem Haus zufällig von Taliban aufgehalten und wegen seiner langen Haare beanstandet worden. Man habe seine Tasche durchsucht und eine "Kassette" (gemeint offenbar eine Musikkassette) gefunden. Es sei dem Beschwerdeführer vorgeworfen worden, ein verdorbener Mensch zu sein, weil das Musikhören verboten sei. Der Beschwerdeführer sei daraufhin mitgenommen, einen Tag angehalten, misshandelt und mit einem Gewehrkolben bzw. einer Peitsche geschlagen worden. Mit Hilfe seines Vaters sei der Beschwerdeführer zwar wieder freigelassen worden. Die Taliban hätten dem Vater aber gesagt, sie wüssten, dass der Bruder Mitglied einer feindlichen Gruppierung gewesen sei, und sie hätten gedroht, den Beschwerdeführer wieder "abzuführen", sollten sie ihn noch einmal erwischen. Deshalb sei die Flucht des Beschwerdeführers aus Afghanistan organisiert worden. Es habe auch die "große Gefahr" einer Zwangsrekrutierung bestanden. Bei Rückkehr in die Heimat fürchte der Beschwerdeführer, nicht in Ruhe leben zu können, weil die Taliban ihn - wegen der geschilderten Vorfälle - überall aufgreifen könnten.
Mit Bescheid vom 14. Mai 2001 wies das Bundesasylamt den Asylantrag des Beschwerdeführers gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab (Spruchpunkt I) und erklärte seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 8 AsylG für zulässig (Spruchpunkt II).
Über die dagegen erhobene Berufung verhandelte die belangte Behörde (gemeinsam mit 9 anderen afghanischen Asylwerbern) am 12. Dezember 2003. In dieser Verhandlung wurden u. a. diverse Berichte über die schlechte Wirtschafts- und Sicherheitslage in Afghanistan, darunter auch ein im Auftrag der belangten Behörde erstelltes Gutachten des Sachverständigen Dr. Danesch vom 25. November 2003, zum Akt genommen.
Der Vertreter des Beschwerdeführers brachte in der Verhandlung zunächst vor, der Beschwerdeführer habe "angesichts der Ermordung des älteren Bruders-Mitglied der Partei Shoraye Nezar -, der politischen Gesinnung der Familie gegen die Taliban und nachfolgender Anhaltung und Folter durch diese, sowie um sich der Gefahr einer Zwangsrekrutierung zu entziehen die Flucht aus seinem Herkunftsstaat ergreifen" müssen. Da das Rechtssystem in Afghanistan noch nicht wiederhergestellt sei und eine Polizei, an die man sich um Schutz wenden könnte, noch längst nicht funktionsfähig sei, finde (auch in Kabul) eine "Volksjustiz" statt, in welcher Sippenhaft und Blutrache feste Bestandteile seien. Da der Beschwerdeführer als potentieller Rächer der Ermordung seines älteren Bruders gelten würde, obwohl er eine solche Tat nicht durchzuführen gedenke, könnte man mit dem Fall von "antizipatorischer Blutrache" rechnen. Für den Beschwerdeführer, der als Minderjähriger Afghanistan verlassen habe, und seither keinen Kontakt zur Familie herstellen habe können, bestünden im Heimatland keine Bindungen mehr. Er würde bei einer Rückkehr weder über ein familiäres Netzwerk noch über "Schlüsselqualifikationen" verfügen, die ihm die Erzielung eines Existenzminimums ermöglichten.
Im Folgenden gab der Beschwerdeführer an, sein Heimatland verlassen zu haben, weil er von den Taliban misshandelt worden sei. Auch nach dem Ende des Taliban-Regimes fürchte er, von jenen Personen, die seinerzeit seinen Bruder getötet hätten, ermordet zu werden, dies deshalb, weil diese damit verhindern könnten, dass der Beschwerdeführer sich an ihnen räche. Seit er in Österreich sei, habe er keine Nachricht mehr, dass sich seine Familie weiterhin in Kabul aufhalte.
Das Verfahren des Beschwerdeführers wurde daraufhin zwecks Nachforschungen über den familiären Hintergrund der Familie des Beschwerdeführers in Afghanistan durch den beigezogenen Sachverständigen Dr. Klimburg auf unbestimmte Zeit vertagt.
Am 21. März 2005 fand die fortgesetzte Berufungsverhandlung statt, zu welcher der Beschwerdeführer wegen seines damals unbekannten Aufenthaltes nicht geladen werden konnte. Zu Beginn der Verhandlung wurde deshalb die "vorläufige Einstellung" des Verfahrens gemäß § 30 Abs. 1 AsylG verfügt. Ungeachtet dessen gab der anwesende Sachverständige "mit Blick auf eine allfällige künftige Fortsetzung" des Verfahrens zu Protokoll, er habe die Angaben des Beschwerdeführers "mangels ausreichender Bestimmtheit" nach Rücksprache mit verschiedenen "lokalen Gewährsleuten" im Herkunftsstaat nicht überprüfen können. Zur Befürchtung des Beschwerdeführers, wegen des Todes seines Bruders "vorbeugend" getötet zu werden, meinte der Sachverständige, der Beschwerdeführer habe bislang keine Angaben hinsichtlich der Art des Todes der Bruders gemacht. Sollte der Bruder im militärischen Kampf "den Märtyrertod erlitten" haben, so wäre dieser Umstand nach keiner afghanischen Tradition eine Legitimation für einen Racheakt des Beschwerdeführers, weshalb auch eine vorbeugende Tötung des Beschwerdeführers zur Vermeidung dieses Racheaktes nicht vorstellbar sei. Derartiges sei zwar grundsätzlich möglich, erfordere aber die Überzeugung auf Seiten der "ursprünglichen Täter", dass ihnen tatsächlich ernsthafte Gefahr drohe. Da der Beschwerdeführer bis heute keinerlei Anstalten getroffen habe, seinen Bruder tatsächlich zu rächen, sei der Sachverständige überzeugt, dass die "ursprünglichen Täter" keine Angst vor einem Racheakt des Beschwerdeführers hätten, weshalb auch die Angst des Beschwerdeführers vor diesen Personen keine reale Grundlage habe.
Am 22. April 2005 beantragte der Beschwerdeführer die Fortsetzung des Verfahrens. Am Folgetag erstattete er eine "Berufungsergänzung", in der er zu seinem "persönlichen Gefährdungsprofil aufgrund antizipierender Blutrache" ausführte, sein Bruder sei Kämpfer der "Shura-e-Nazar", des militärischen Flügels der Jamiat-e-Islami, gewesen und im Zuge einer Säuberungsaktion der Taliban ermordet worden. Er gelte daher "als Märtyrer der Mujaheddin". Die Verhaftung des Beschwerdeführers durch die Taliban sei zwar im Zuge einer zufälligen Kontrolle auf der Straße erfolgt, allerdings sei dem Vater des Beschwerdeführers, als er versucht habe, den Beschwerdeführer aus der Haft frei zu bekommen, mitgeteilt worden, dass sehr wohl bekannt sei, wer sein Bruder gewesen sei und für wen er gekämpft habe. Dies sei auch mit ein Grund gewesen, dass der Vater des Beschwerdeführers sich für seine Ausreise ausgesprochen habe. Es sei zwar richtig, dass die Jamiat-e-Islami inzwischen an der Regierung in Afghanistan beteiligt sei, aber auch die Gruppierungen der ehemaligen Taliban verfügten über Einfluss, Macht und Mittel ihre Gegner zu zerstören. Im Falle seiner Rückkehr nach Afghanistan könnte er von den Mördern des Bruders aufgespürt werden; sie könnten annehmen, dass er nur zu dem Zweck zurückgekehrt sei, um Blutrache zu üben. In diesem Fall würden sie ihn töten, um der Rache zu entgehen. Aufgrund seiner langen Abwesenheit und der Tatsache, dass es ihm nicht gelungen sei, mit seiner Familie Kontakt aufzunehmen, sei er in Afghanistan schutzlos der Verfolgung durch die Mörder des Bruders ausgeliefert.
Am 26. September 2005 fand eine weitere Verhandlung vor der belangten Behörde statt, an deren Ende der angefochtene Bescheid verkündet wurde. Der Beschwerdeführer erklärte in der Verhandlung, sich weiterhin gefährdet zu fühlen und verwies auf seine jüngste Stellungnahme (Berufungsergänzung). Dazu führte der Sachverständige Dr. Klimburg aus, er habe sich schon in Abwesenheit des Beschwerdeführers am 21. März 2005 zur behaupteten Gefährdung geäußert. Diese Ausführungen halte er auch im Lichte der Berufungsergänzung und seiner Eindrücke, die er im Zuge seiner jüngsten Reise nach Afghanistan (vornehmlich Kabul, vom 6. September bis 22. September 2005) erhalten habe, aufrecht. Der Beschwerdeführer habe Misshandlungen durch Taliban wegen nichtkonformen Verhaltens geltend gemacht; ferner die Befürchtung einer Zwangsrekrutierung durch die Taliban. Derartige Gefährdungen seien seit dem Fall des Taliban-Regimes auszuschließen. Zur Gefährdung durch Privatpersonen im Zusammenhang mit dem "Märtyrertod" des Bruders habe er (der Sachverständige) bereits am 21. März 2005 festgehalten, dass die Tötung einer Person im Zuge einer militärischen Auseinandersetzung (auch) nach afghanischer Anschauung keine Legitimation für nachfolgende Blutrache von Angehörigen des Getöteten darstelle, womit klarerweise auch die Voraussetzung dafür, im Gegenzug die "Gefahr eines vorbeugenden Racheaktes" anzunehmen, wegfalle. Auch am heutigen Verhandlungstermin (26. September 2005) habe der Beschwerdeführer hinsichtlich der Tötung seines Bruders keine von der am 1. Februar 2001 gegebenen Schilderung abweichende Darstellung gegeben, weshalb der Sachverständige seine erwähnte Beurteilung aufrecht erhalte. Zu ergänzen sei lediglich, dass die Qualifikation des Todes als "Märtyrertod" nach islamischer Anschauung voraussetze, diesen im Kampf gegen Ungläubige erlitten zu haben. Die Taliban seien aber auch in den Augen ihrer Gegner zweifelsfrei Muslime gewesen, weshalb nicht davon die Rede sein könne, im Kampf gegen die Taliban den Märtyrertod zu erleiden.
Im Anschluss an diese auf das Fluchtvorbringen bezogenen Ausführungen schätzte der Sachverständige die "sonstige Gefährdung" des Beschwerdeführers bei Rückkehr nach Afghanistan ein. Die allgemeine Sicherheitslage habe sich in weiten Teilen Afghanistans deutlich gebessert. Das bedeute, dass jedenfalls in Kabul, aber auch zunehmend in anderen Teilen des Landes die Bevölkerung ein weitestgehend normales Leben führen könne. Die wirtschaftliche Situation in Afghanistan sei von extremer Armut geprägt. Gleichwohl sei es nicht sehr wahrscheinlich, dass tatsächlich Personen verhungerten. Die von Österreich gewährte Rückkehrhilfe sei geeignet, etwaige Anfangsschwierigkeiten zu überbrücken. Gerade in Kabul sei die Chance für den Beschwerdeführer derzeit gut, eine Hilfstätigkeit im Bereich der Bauwirtschaft zu bekommen und so zumindest seine Existenz zu sichern.
In seiner Stellungnahme zu diesem Gutachten meinte der Beschwerdeführer, hinter der Tötung seines Bruders habe eine private Auseinandersetzung gestanden. Er habe das bislang nicht angegeben, weil er nicht konkret danach befragt worden sei. Über Vorhalt, dass ihm in früheren Einvernahmen jede Möglichkeit gegeben worden sei, auf einen privaten Kontext hinzuweisen, und über Hinweis, dass die vom Beschwerdeführer vorgenommene Qualifikation des Todes seines Bruders als "Märtyrertod" für das Opfer einer privaten Auseinandersetzung nicht gebräuchlich sei, erwiderte der Beschwerdeführer, die Bezeichnung "Märtyrer" werde umgangssprachlich für jedes junge Todesopfer gebraucht, musste diese Behauptung im Folgenden aber gleich wieder korrigieren. Im Übrigen beharrte er darauf, bei Rückkehr in den Herkunftsstaat aus den angegebenen Gründen Blutrache befürchten zu müssen.
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß den §§ 7, 8 AsylG ab. Der Entscheidung lägen - so die Bescheidbegründung - in sachverhaltsmäßiger Hinsicht zur allgemeinen Situation im Herkunftsstaat die diesbezüglichen Ausführungen des Sachverständigen, zu den konkreten Lebensumständen des Beschwerdeführers dessen Vorbringen in seiner letzten Fassung zugrunde, soweit es mit der Beurteilung des Sachverständigen im Einklang stehe. Hinsichtlich des komplementären Teils folge die belangte Behörde den schlüssigen und nachvollziehbaren Darlegungen des Sachverständigen, denen der Beschwerdeführer nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten sei. Auf dieser Grundlage ergebe sich in rechtlicher Hinsicht, dass der Beschwerdeführer wegen seiner Probleme mit den Taliban (Festnahme wegen zu langer Haare und Musikhörens; Zwangsrekrutierung) angesichts des Falls des Taliban-Regimes keiner Gefährdung mehr unterliege. Zur behaupteten Gefahr, in "antizipierter Blutrache" getötet zu werden, habe der Sachverständige aufgrund der Angaben des Beschwerdeführers, sein Bruder sei in einer militärischen Auseinandersetzung getötet worden, vollkommen überzeugend ausgeführt, dass dieser Todesfall (auch) nach afghanischer Anschauung keine Legitimation für nachfolgende Blutrache von Angehörigen des Getöteten darstelle, womit klarerweise auch die Voraussetzung dafür, im Gegenzug die Gefahr eines "vorbeugenden Racheaktes" anzunehmen, wegfalle. Der Sachverständige habe aber auch noch auf die Ungereimtheiten im Zusammenhang mit der Qualifikation des Todes als "Märtyrertod" hingewiesen. Dieser Umstand, noch mehr aber die nach Vorliegen des Gutachtens erstmals aufgestellte Behauptung, der Tötung des Bruders liege in Wahrheit eine private Auseinandersetzung zugrunde, ließen die belangte Behörde daran zweifeln, ob der Bruder des Beschwerdeführers tatsächlich im Kampf gegen die Taliban gefallen sei. Jedenfalls messe die belangte Behörde der Behauptung, der Tötung des Bruders liege eine private Auseinandersetzung zugrunde, keinerlei Glaubwürdigkeit bei. Deshalb könne auf der Basis des Gutachtens auch keine Gefährdung des Beschwerdeführers im Zusammenhang mit "antizipierter Blutrache" erkannt werden. Da auch sonstige Gefährdungen nicht hervorgekommen seien (und zwar auch nicht im Zusammenhang mit der allgemeinen Sicherheitslage; dies jedenfalls nicht in der engeren Heimat des Beschwerdeführers in Kabul) sei die Berufung vollinhaltlich abzuweisen gewesen.
Dagegen wendet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die Beschwerde rügt zunächst Begründungsmängel des angefochtenen Bescheides. Dieser enthalte keine Sachverhaltsfeststellungen und es halte die Beweiswürdigung einer Schlüssigkeitsprüfung nicht Stand, zumal die belangte Behörde nicht begründet habe, warum sie das Vorbringen des Beschwerdeführers nur in seiner Letztfassung zugrundelege bzw. der Ermordung des Bruders keinen Glauben schenke.
Dazu ist festzuhalten, dass der Verwaltungsgerichtshof bereits wiederholt auf Begründungsdefizite in Bescheiden der belangten Behörde hingewiesen hat, die keine expliziten Sachverhaltsfeststellungen enthielten, sondern sich darauf beschränkten, das Vorbringen des Beschwerdeführers insoweit, als dieses mit den Ausführungen des Sachverständigen in Einklang zu bringen ist, der Entscheidung zugrunde zu legen. Ließ sich bei einer solchen Vorgangsweise nicht eindeutig erkennen, welchen (rechtlich relevanten) Sachverhalt die belangte Behörde als erwiesen angenommen hat, oder aus welchen (beweiswürdigenden) Erwägungen die Behörde im Einzelnen den Darlegungen des Sachverständigen gegenüber einer gegenteiligen Aussage des Asylwerbers den Vorzug gegeben hat, so entzog sich der Bescheid einer nachprüfenden Kontrolle und konnte keinen Bestand haben (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 23. November 2006, Zl. 2005/20/0620, vom 24. August 2007, Zlen. 2006/19/0131, 2006/19/0155 und 2006/19/0156, sowie vom 14. November 2007, Zl. 2005/20/0473).
Im vorliegenden Fall lässt die Bescheidbegründung allerdings gerade noch erkennen, welchen Sachverhalt die belangte Behörde ihrer Entscheidung zugrundelegte und aus welchen Gründen sie eine asylrelevante Gefährdung des Beschwerdeführers in seinem Herkunftsstaat nicht (mehr) für gegeben ansah. Danach müsse der Beschwerdeführer seit dem Fall des Taliban-Regimes nicht mehr fürchten, von der seinerzeitigen Staatsmacht wegen seiner früheren Probleme (Verstoß gegen Vorschriften im Zusammenhang mit seinem Aussehen; Besitz von verbotenen Musikkassetten;
Zwangsrekrutierung) verfolgt zu werden. Hinsichtlich des Todes seines Bruders äußerte die belangte Behörde zwar - aus näher dargestellten Gründen - Zweifel an der Richtigkeit der Aussage des Beschwerdeführers, ging aber erkennbar nicht soweit, die Tötung des Bruders im Zuge von militärischen Auseinandersetzungen mit den Taliban - wie vom Beschwerdeführer zunächst angegeben - als nicht glaubhaft gemacht anzusehen. Nur die Modifikation seiner Aussage (Tötung des Bruders aufgrund einer privaten Auseinandersetzung) in Reaktion auf das Sachverständigengutachten, erschien der belangten Behörde als nicht glaubwürdig. Diese Einschätzung hält - angesichts der Entwicklung des Vorbringens im zeitlichen Verlauf - der auf eine Schlüssigkeitsprüfung beschränkten Kontrolle durch den Verwaltungsgerichtshof Stand. Ausgehend davon vermag der Verwaltungsgerichtshof eine relevante Fehlerhaftigkeit des angefochtenen Bescheides in der Asylfrage nicht zu erkennen, zumal die belangte Behörde - auf der Grundlage des länderkundlichen Sachverständigengutachtens - nachvollziehbar darlegen konnte, dass die Befürchtung des Beschwerdeführers, bei Rückkehr wegen der Tötung seines Bruders in einer militärischen Auseinandersetzung ermordet zu werden, objektiv nicht begründet ist.
Insoweit sich die Beschwerde daher gegen die Abweisung der Berufung gegen Spruchpunkt I des erstinstanzlichen Bescheides gemäß § 7 AsylG richtet, kann sie nicht erfolgreich sein.
In Bezug auf die Ansicht der belangten Behörde, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan könne gemäß § 8 AsylG für zulässig erklärt werden, ist die Begründung des angefochtenen Bescheides hingegen nicht ausreichend. Die belangte Behörde stützte sich dabei auf die Einschätzung des Sachverständigen Dr. Klimburg, die sich - insbesondere zur allgemeinen Sicherheitslage - auf wenige Sätze einer angeblich "deutlichen" Besserung der Situation beschränkten. Auf welche konkreten Ermittlungen der Sachverständige diese positive Lagebeurteilung gründete, lässt sich weder dem Gutachten noch dem angefochtenen Bescheid entnehmen. Zu Recht verweist die Beschwerde darauf, dass der belangten Behörde auch Unterlagen vorlagen (etwa das Gutachten von Dr. Danesch), die die Möglichkeit einer (gefahrlosen) Rückkehr für Asylwerber aufgrund der allgemeinen Lage in Afghanistan wesentlich skeptischer beurteilten. Eine Auseinandersetzung mit diesen Beweismitteln lassen das Gutachten Dris. Klimburg und der angefochtene Bescheid vermissen, weshalb der angefochtene Bescheid keine tragfähige Begründung für die Verneinung von Abschiebeschutz enthält (vgl. die zu ähnlich begründeten und zeitlich gleichgelagerten Bescheiden der belangten Behörde ergangenen hg. Erkenntnisse vom 24. August 2007, Zlen. 2006/19/0143 und 2006/19/0156).
Es war daher der angefochtene Bescheid insoweit, als darin - durch Bestätigung des entsprechenden Teils des erstinstanzlichen Bescheides - die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan für zulässig erklärt wurde, gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben. Im Übrigen war die Beschwerde hingegen gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung. Wien, am 3. September 2008
Schlagworte
Begründungspflicht und Verfahren vor dem VwGH Begründungsmangel als wesentlicher VerfahrensmangelBegründung BegründungsmangelEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2006190026.X00Im RIS seit
14.10.2008Zuletzt aktualisiert am
27.02.2009