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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
BAO §20;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hargassner und die Hofräte Dr. Fuchs, Dr. Pelant, Dr. Mairinger und Mag. Novak als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Unger, über die Beschwerde der B in W, vertreten durch Dr. Stefan Gulner, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Lugeck 7, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom 21. August 2006, GZ. RV/1422-W/05, betreffend Haftung gemäß § 9 iVm § 80 BAO, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von 1.171,20 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Haftungsbescheid vom 22. September 2004 wurde die Beschwerdeführerin als Haftungspflichtige gemäß § 9 iVm § 80 BAO für aushaftende Abgabenschuldigkeiten der B. GmbH u.a. für die Jahre 1998 und 1999 im Ausmaß von insgesamt 1,427.023,31 EUR in Anspruch genommen.
In der Berufung vom 15. Oktober 2004 gegen den Haftungsbescheid brachte die Beschwerdeführerin im Wesentlichen vor, wie aus dem Firmenbuchauszug ersichtlich sei, sei sie als Geschäftsführerin spätestens am 30. Oktober 1998, dem Tag des Einlangens des Gesuchs auf Löschung der Beschwerdeführerin als Geschäftsführerin beim Firmenbuchgericht, ausgeschieden. Somit könne sie für Abgaben, die nach Oktober 1998 fällig seien, nicht zur Haftung herangezogen werden. Weiters sei der Konkurs über das Vermögen der B. GmbH am 21. Juli 1998 aufgehoben worden, sodass bis zu diesem Zeitpunkt der Masseverwalter für die Entrichtung der Abgabenschulden hafte. Als Haftungszeitraum verblieben somit die Monate August und September 1998. Zum Verschulden der Beschwerdeführerin als Geschäftsführerin werde allerdings geltend gemacht, dass sie nur auf Ersuchen ihres Ehemannes die Geschäftsführung der auf seinen Namen lautenden GmbH übernommen habe. Der Grund sei darin gelegen gewesen, dass ihr mittlerweile verstorbener Ehemann Herzprobleme gehabt und sie ersucht habe, dass sie Geschäftsführerin werde, damit sie für den Fall seiner Berufsunfähigkeit die B. GmbH vertreten könne. Die Beschwerdeführerin habe seit 1967 bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Berufsleben als Bürokraft bei einem karitativen Verein gearbeitet und dort auch über 30 Jahre ihr Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit bezogen. Für sämtliche finanziellen und somit auch abgabenrechtlichen Angelegenheiten der B. GmbH sei ihr Ehemann zuständig gewesen. Es gebe auch kein Schriftstück, das die Beschwerdeführerin als Vertreterin der B. GmbH unterfertigt habe. Nachdem sie erfahren habe, dass "die Gesellschaft nach Aufhebung des Konkurses fortgeführt wird, wurde sofort mit dem Beschluss der Fortsetzung der Gesellschaft und der Löschung der Anmerkung im Firmenbuch, wonach die Gesellschaft in Folge der Eröffnung des Konkurses aufgelöst ist, die Abbestellung von (Beschwerdeführerin) durchgeführt". Da die Beschwerdeführerin jedenfalls 1999 nicht mehr Geschäftsführerin der B. GmbH gewesen sei, sei nur eine Haftung für Abgabenschulden "bis längstens 31.12.1998 gegeben". Da die Abgabenschulden für das Jahr 1998 innerhalb von fünf Jahren, also bis 31. Dezember 2003 verjährt seien, werde ausdrücklich Verjährung eingewandt.
Mit Berufungsvorentscheidung vom 20. Juli 2005 gab das Finanzamt der Berufung teilweise Folge. Der Haftungsbetrag wurde auf insgesamt 15.152,65 EUR eingeschränkt, weil die Beschwerdeführerin "von 21.07.1998 bis zu Ihrem Ausscheiden am 30.10.1998 als Geschäftsführerin im Firmenbuch" eingetragen gewesen sei. Wer ungeachtet dessen, dass er wisse, dazu nicht in der Lage zu sein, die Funktion eines Geschäftsführers übernehme, handle schon deshalb schuldhaft, weil ihm bewusst sein müsse, dass er der gesetzlichen Sorgfaltspflicht nicht entsprechen könne. Die Einhebungsverjährung betrage fünf Jahre und beginne mit Ablauf des Kalenderjahres, in welchem die Abgabe fällig geworden sei. Die Verjährung werde durch jede zur Durchsetzung des Abgabenanspruches unternommene, nach außen erkennbare Amtshandlung unterbrochen, "wie z.B. diverse Amtshilfeersuchen".
Die Beschwerdeführerin stellte einen Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung teilweise Folge, wobei sie den Haftungsbetrag entsprechend der Berufungsvorentscheidung auf folgende Abgabenschuldigkeiten einschränkte:
"Lohnsteuer 7/98 EUR 2.563,53, Lohnsteuer 9/98 EUR 6.020,29, K 7-9/98 EUR 454,21, DB 7/98 EUR 2.933,58, DB 9/98 EUR 2.536,79, DZ 7/98 EUR 345,49, DZ 9/98 EUR 298,76."
Zur Begründung wird im angefochtenen Bescheid ausgeführt, die B. GmbH sei am 26. März 2004 amtswegig im Firmenbuch gelöscht worden. Eine Einbringlichmachung der auf dem Abgabenkonto derzeit aushaftenden Abgaben und Nebengebühren aus den Jahren 1998 bis 2002 im Gesamtbetrag von 1,426.750 EUR könne daher bei der Primärschuldnerin ausgeschlossen werden. Nach dem Firmenbuchauszug sei die Beschwerdeführerin im Zeitraum 21. Juli 1998 bis 24. März 1999 im Firmenbuch eingetragene handelsrechtliche Geschäftsführerin gewesen. Unter Anmerkung 4 des Firmenbuchauszuges sei der in der Berufung angeführte Antrag auf Änderung vom 30. Oktober 1998 (Löschung der Beschwerdeführerin als Geschäftsführerin) angegeben. Im Zeitraum 21. Juli 1998 bis 30. Oktober 1998 seien die Lohnabgaben für "7/98" und "9/98" sowie die Körperschaftsteuervorauszahlung "7-9/98" fällig geworden. Nach den im Einbringungsakt der B. GmbH einliegenden Unterlagen seien in Bezug auf die Einhebung im Jahr 1999 Unterbrechungshandlungen im Sinne des § 238 Abs. 2 BAO gesetzt worden, sodass die fünfjährige Verjährungsfrist nach § 238 Abs. 1 BAO Ende 1999 neu zu laufen begonnen habe. Der Haftungsbescheid vom 22. September 2004 sei somit innerhalb der Verjährungsfrist ergangen.
Der Verwaltungsgerichtshof habe bereits wiederholt ausgeführt, dass ein Geschäftsführer, der sich durch Gesellschafter oder dritte Personen behindert fühle, entweder sofort im Rechtsweg die Möglichkeit der ungehinderten Ausübung seiner Funktion zu erzwingen oder seine Funktion niederzulegen und als Geschäftsführer auszuscheiden habe ("VwGH 13.08.2003, 2000/08/0032, 2.7.2002, 96/14/0076, 23.1.1997, 95/15/0163"). Ein für die Haftung relevantes Verschulden liege auch dann vor, wenn sich der Geschäftsführer schon bei der Übernahme seiner Funktion mit einer Beschränkung seiner Befugnisse einverstanden erkläre bzw. eine solche Beschränkung in Kauf nehme, welche die zukünftige Erfüllung seiner gesetzlichen Verpflichtung unmöglich mache. Der bestellte Vertreter einer juristischen Person, der die diese betreffenden Abgaben nicht entrichte, hafte, wenn die Abgaben bei der juristischen Person nicht eingebracht werden könnten und er nicht beweisen könne, dass die Abgaben ohne sein Verschulden nicht entrichtet worden seien. Bei schuldhafter Pflichtverletzung spreche die Vermutung für die Verursachung der Uneinbringlichkeit der Abgaben. Dem Argument der Beschwerdeführerin, sie sei lediglich formell als Geschäftsführerin bestellt worden, habe diese Tätigkeit aber nicht ausgeübt, könne daher im Sinne der angeführten Judikatur kein Erfolg zukommen.
Die Heranziehung zur Haftung sei in das Ermessen der Abgabenbehörde gestellt, wobei die Ermessensentscheidung im Sinne des § 20 BAO innerhalb der vom Gesetz gezogenen Grenzen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen sei. Im Beschwerdefall sei die Einbringlichkeit bei der Primärschuldnerin unzweifelhaft nicht gegeben, sodass in Umsetzung des öffentlichen Anliegens auf Sicherung des Steueraufkommens nur auf die Beschwerdeführerin zurückgegriffen werden könne. Die Frage der Einbringlichkeit der Haftungsschuld beim Haftenden könne nach der Judikatur bei den von der Abgabenbehörde zu beachtenden Zweckmäßigkeitsüberlegungen vernachlässigt werden.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde, in welcher der Bescheid "seinem gesamten Inhalt nach, mit Ausnahme der Verjährung, angefochten" wird.
Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
In der Beschwerde wird u.a. vorgebracht, die Beschwerdeführerin habe in der Berufung ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sie ausschließlich auf Ersuchen ihres Ehemannes die Geschäftsführung "neben demselben" übernommen habe (selbständig vertretender Geschäftsführer sei seit "21.08.1987" ihr Ehemann gewesen, sie habe sich nur "zusätzlich als Geschäftsführerin eintragen" lassen). Der Ehemann habe befürchtet, dass er infolge eines Herzleidens teilweise oder zur Gänze temporär unfähig werden könnte, seine Funktion auzuüben, "und wollte lediglich vorsorgen, dass er für diesen Fall im Wege seiner Ehegattin Geschäftsführungsaufgaben erledigen könnte". Diese Situation sei aber tatsächlich niemals eingetreten, sodass die Beschwerdeführerin in Wirklichkeit "niemals überhaupt irgend welche Geschäftsführungsaufgaben, auch nicht auf Anweisung oder in Stellvertretung ihres Ehegatten durchgeführt" habe. Sie wäre insbesondere auch für finanzielle und steuerliche Angelegenheiten nicht kompetent genug gewesen, hier Geschäftsführungsaufgaben zu erfüllen. Für diese wie auch für alle anderen Aufgaben sei ganz allein ihr Ehemann zuständig gewesen. Berücksichtige man die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für den Fall einer Aufteilung der Agenden zwischen mehreren Geschäftsführern einer GmbH sei die Agendenverteilung "eben derart gestaltet" gewesen, dass der Ehemann stets für alle Agenden der Geschäftsführung zuständig gewesen sei und seine Ehefrau und Beschwerdeführerin "für gar keine".
Schon mit diesem Vorbringen, dem etwa bzgl. der Ausführungen, wonach der Ehemann der Beschwerdeführerin ebenfalls im Firmenbuch eingetragener Geschäftsführer der B. GmbH gewesen sei, in der Gegenschrift nicht entgegengetreten wird, wird eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides aufgezeigt.
Die belangte Behörde geht in der Begründung des angefochtenen Bescheides offensichtlich davon aus, dass die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Fälligkeit der aushaftenden Abgabenschulden alleinige Geschäftsführerin der B. GmbH und somit der einzig in Betracht kommende Haftungspflichtige im Sinne des § 9 Abs. 1 iVm §§ 80 ff BAO gewesen ist (vgl. dazu das auch von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid zitierte hg. Erkenntnis vom 2. Juli 2002, 96/14/0076, in dem u.a. festgehalten wird, dass der Beschwerdeführer im Zeitpunkt der Fälligkeit der aushaftenden Abgabenschulden alleiniger Geschäftsführer und somit der einzig in Betracht kommende Haftungspflichtige gewesen sei). Konkrete Feststellungen darüber, dass im haftungsrelevanten Zeitraum nicht auch der Ehemann der Beschwerdeführerin im Firmenbuch eingetragener Geschäftsführer der B. GmbH gewesen wäre, wurden allerdings im angefochtenen Bescheid nicht getroffen. Dieser Feststellungsmangel ist auch wesentlich, weil bei einer Mehrheit von zur Geschäftsführung berufenen Vertretern die haftungsrechtliche Verantwortung primär denjenigen Geschäftsführer trifft, der mit der Besorgung der Abgabenangelegenheiten betraut ist, während die mit Abgabenangelegenheiten nicht befassten Vertreter im Regelfall zur Haftung nur dann herangezogen werden dürfen, wenn ein Anlass vorliegt, an der Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung der für die Abgabenentrichtung zuständigen Geschäftsführer zu zweifeln (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 18. Oktober 1995, 91/13/0037, 0038, Slg. Nr. 7038/F, die hg. Erkenntnisse vom 25. November 2002, 99/14/0121, und vom 13. April 2005, 2005/13/0001, sowie Ritz, BAO3, § 9 Tz 23).
Erweist sich damit der angefochtene Bescheid schon deshalb mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften belastet, war auf das weitere Beschwerdevorbringen nicht mehr näher einzugehen. Darauf, dass die Heranziehung eines Haftungspflichtigen angesichts lange verstrichener Zeit (die Beschwerdeführerin verweist dazu darauf , dass der Haftungsbescheid "gerade noch innerhalb der Verjährungsfrist erlassen" worden sei) zur Hintanhaltung von Unbilligkeiten bei der Ermessensübung nicht ohne weiteres außer Betracht gelassen werden darf, weist die Beschwerdeführerin allerdings nicht zu Unrecht hin (vgl. nochmals das hg. Erkenntnis Slg. Nr. 7038/F).
Der angefochtene Bescheid war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003, Wien, am 3. September 2008
Schlagworte
Ermessen VwRallg8European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2006130159.X00Im RIS seit
08.10.2008Zuletzt aktualisiert am
23.12.2014