TE Vfgh Erkenntnis 2003/9/23 B105/03, V11/03

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Veröffentlicht am 23.09.2003
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Index

27 Rechtspflege
27/01 Rechtsanwälte

Norm

B-VG Art7 Abs1 / Verwaltungsakt
EMRK Art6 Abs1 / Verfahrensgarantien
EMRK Art10 Abs2
DSt 1990 §1
RAO §9 Abs1
RL-BA 1977 §2

Leitsatz

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt wegen Androhung inadäquater Maßnahmen zur Durchsetzung der Ansprüche eines Klienten; keine Verletzung der Meinungsäußerungsfreiheit; keine Verletzung im Recht auf ein faires Verfahren

Spruch

I. Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

II. Der Antrag auf Verordnungsprüfung wird zurückgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Rechtsanwaltskammer für Kärnten vom 3. Dezember 2001, wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe in seinem an H C gerichteten Schreiben vom 8. Mai 2001 betreffend "Bauvorhaben J N" folgende - nach Auffassung des Disziplinarrates - inadäquate Maßnahmen zur Durchsetzung der Ansprüche seines Klienten J N angedroht:

"a) eine Beschwerde wegen möglichen Amtsmissbrauches beim Landesschulrat für Kärnten (wegen Durchführung von privaten Angelegenheiten in der Arbeitszeit und Nutzung von technischen Einrichtungen des Arbeitsgebers)

b) die Einbringung einer Sachverhaltsdarstellung bei der Staatsanwaltschaft Klagenfurt (wegen versuchter Täuschung bzw Betruges) und

c) die Einbringung einer Anzeige bei der Baupolizei (wegen der Durchführung baubewilligungspflichtiger Errichtung von Fenstern an der Südseite des Hauses)."

Nach Auffassung des Disziplinarrates habe er dadurch gegen die Verpflichtung des §9 Abs1 RAO iVm. §2 der Richtlinien für die Ausübung des Rechtsanwaltsberufes, für die Überwachung der Pflichten des Rechtsanwaltes und für die Ausbildung der Rechtsanwaltsanwärter (RL-BA 1977) verstoßen und sich dadurch einer Berufspflichtenverletzung und eines die Ehre und das Ansehen des Standes beeinträchtigenden Verhaltens schuldig gemacht.

Er wurde hiefür gemäß §16 Abs1 Z2 DSt 1990 zur Disziplinarstrafe der Geldbuße im Betrag von S 20.000,- (€ 1.453,46) und zum Ersatz der Kosten des Disziplinarverfahrens verurteilt.

2.1. Mit Erkenntnis vom 4. November 2002 gab die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (OBDK) der Berufung gegen das Straferkenntnis des Disziplinarrates insofern Folge, als die Geldbuße auf € 1.200,-

herabgesetzt wurde. Im übrigen wurde den Berufungen des Kammeranwaltes und des Beschwerdeführers keine Folge gegeben.

2.2. Die OBDK nahm folgenden, vom Disziplinarrat festgestellten Sachverhalt als erwiesen an:

"Mit Schreiben vom 24. Mai 2001, eingelangt beim Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer für Kärnten am 25. Mai 2001, erstattete H C ... Disziplinaranzeige gegen Rechtsanwalt [es folgt der Name des Beschwerdeführers]. In der Anzeige wird dargelegt, Rechtsanwalt [der Beschwerdeführer] habe in seinem an H C gerichteten Schreiben vom 8. Mai 2001 betreffend 'Bauvorhaben J N' unbegründete Maßnahmen zur Durchsetzung der Ansprüche seines Klienten J N angedroht.

J N hat beim Magistrat der Landeshauptstadt Klagenfurt ein Änderungsansuchen betreffend Widmungsänderung seiner Liegenschaft Klagenfurt ..., eingebracht. Gegen dieses Ansuchen hat die Anrainerin [H C] mit Schreiben vom 9. März 2001 und 31. März 2001 Einwendungen erhoben ... .

Anlässlich einer öffentlichen Bauverhandlung am 8. Mai 2001, in dem der Bauwerber J N vom Disziplinarbeschuldigten rechtsfreundlich vertreten wurde, habe der Disziplinarbeschuldigte H C das Schreiben vom 8. Mai 2001 überreicht.

In diesem Schreiben habe der Disziplinarbeschuldigte H C mitgeteilt:

'Für den Fall, dass Sie bei der heutigen Bauverhandlung am 8.5.2001 neuerlich Einwendungen gegen die beantragte Umwidmung eines Seminarraumes in einen Arbeitsraum für die Jausenvorbereitung ebenso sind, wie Sie als nicht betroffene Anrainerin gegen die Errichtung eines Garagentraktes zwischen Neu- und Altbau aussprechen und dagegen Einwendungen erheben, hat mich mein Mandant beauftragt:

1.) eine Beschwerde wegen möglichen Amtsmissbrauches beim Landesschulrat für Kärnten gegen Sie wegen Durchführung von privaten Angelegenheiten in Ihrer Arbeitszeit und Nutzung von technischen Einrichtungen Ihres Arbeitsgebers zu erheben;

2.) eine Sachverhaltsdarstellung wegen versuchter Täuschung bzw. Betruges gegen Sie bei der Staatsanwaltschaft Klagenfurt einzubringen, da unter Vorspielung falscher Tatsachen von meinem Mandanten am 13. April 2000 anlässlich einer Bauverhandlung abgenötigte Verpflichtungserklärung wegen Täuschung zu widerrufen;

3.) wird mein Mandant Anzeige bei der Baupolizei wegen der Durchführung baubewilligungspflichtiger Errichtung von Fenster an der Südseite Ihres Hauses einbringen und sich in einem gegen die geplante Bauführung wegen zu erwartenden negativen Emissionswirkung als Anrainer aussprechen;

4.) die Verpflichtungserklärung vom 13.4.2000 wegen arglistiger Täuschung widerrufen.

Ich ersuche Sie daher im eigenen Interesse Ihren Rechtsstandpunkt zu überdenken und halte fest, dass sich mein Mandant wegen der ihm nunmehr auf Grund einer Kommission meinerseits am 7.5.2001 am heutigen Tage bekannt gewordenen Tatsachen sich weitere rechtliche Schritte für den Fall einer nicht konsensualen Einigung zwischen Ihnen und ihm ausdrücklich vorbehält.' (Wörtliche Wiedergabe des teilweise sprachlich nicht richtigen Briefinhaltes).

Nachdem H C das Schreiben gelesen hatte, versuchte sie dem Disziplinarbeschuldigten über die in diesem Schreiben gegen sie erhobenen Anschuldigungen zu reden; der Disziplinarbeschuldigte antwortete auf diese Versuche mit dem Hinweis, dass er der Rechtsvertreter des Bauwerbers sei und in dieser Eigenschaft keineswegs verpflichtet sei, ihr umfangreiche Sinnerklärungen einzelner Wörter bzw. den Aussageinhalt seiner Sätze erklären müsse.

Bei [H] C sei der Eindruck entstanden, dass sie mit diesen Anschuldigungen unter Druck gesetzt werden sollte, um auf ihr Recht im Bauverfahren zu verzichten und ihre Einwendungen zurückzunehmen. [H] C habe ihre Einwendungen jedoch aufrecht erhalten.

...

Mit Schreiben vom 8. Mai 2001 habe der Disziplinarbeschuldigte dem Landesschulrat des Landes Kärnten mitgeteilt, dass H C an der Volksschule F zum wiederholten Male Einrichtungen ihres früheren Arbeitgebers dazu missbraucht habe, um als Privatperson Arbeiten zu erledigen; er ersuche daher, das Verhalten von H C auf das Vorliegen eines Disziplinarvergehens zu überprüfen. Eine Kopie dieses Briefes habe er zur 'gefälligen Kenntnisnahme' an den Landeshauptmann für Kärnten geschickt. Auf Grund dieses Schreibens teilte das Amt der Kärntner Landesregierung [H] C mit Schreiben vom 13. Juli 2001 mit, dass 'die ehemalige Dienstbehörde feststelle, dass schulische Einrichtungen des Schulerhalters (Magistrat der Landeshauptstadt Klagenfurt) grundsätzlich nicht für den Privatgebrauch in Anspruch genommen werden dürfen' (ON 8).

Ebenso habe der Disziplinarbeschuldigte bei der Baupolizei Klagenfurt eine Anzeige gegen H C wegen konsenswidriger Errichtung von Fenstern in deren Wohnhaus erstattet. Die Behörde hat dazu informell Stellung bezogen; ein Bescheid ist noch nicht erlassen worden."

3. Gegen das als Bescheid zu wertende Erkenntnis der OBDK richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz, auf Freiheit der Meinungsäußerung und auf ein faires Verfahren geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des bekämpften Bescheides begehrt wird. Gleichzeitig stellt der Beschwerdeführer den Antrag "gemäß Art139 B-VG, die gesetzwidrigen Standesrichtlinien RL-BA 1977" aufzuheben.

4. Die OBDK legte die Verwaltungsakten vor, erstattete jedoch keine Gegenschrift.

5. Der im Verordnungsprüfungsverfahren zur Stellungnahme eingeladene Österreichische Rechtsanwaltskammertag hat eine Äußerung erstattet.

6. Der Beschwerdeführer replizierte.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1.1. Die hier maßgeblichen Rechtsvorschriften lauten in der jeweils hier maßgeblichen Fassung wie folgt:

§2 RL-BA 1977:

"Der Rechtsanwalt darf keinen Auftrag annehmen, dessen Ausführung Ehre und Ansehen des Standes beeinträchtigt. Er darf nur solche Mittel anwenden, die mit Gesetz, Anstand und Sitte vereinbar sind. Er darf weder Ansprüche mit unangemessener Härte verfolgen noch sachlich nicht gerechtfertigte Druckmittel ankündigen oder anwenden."

§9 Abs1 RAO:

"Der Rechtsanwalt ist verpflichtet, die übernommenen Vertretungen dem Gesetz gemäß zu führen und die Rechte seiner Partei gegen jedermann mit Eifer, Treue und Gewissenhaftigkeit zu vertreten. Er ist befugt, alles, was er nach dem Gesetz zur Vertretung seiner Partei für dienlich erachtet, unumwunden vorzubringen, ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel in jeder Weise zu gebrauchen, welche seinem Auftrag, seinem Gewissen und den Gesetzen nicht widerstreiten."

§37 Z1 und 2 RAO:

"Der Österreichische Rechtsanwaltskammertag kann Richtlinien erlassen

1.

zur Ausübung des Rechtsanwaltsberufs;

2.

zur Überwachung der Pflichten des Rechtsanwalts;

..."

§1 Abs1 DSt 1990:

"Ein Rechtsanwalt, der schuldhaft die Pflichten seines Berufes verletzt oder inner- oder außerhalb seines Berufes durch sein Verhalten die Ehre oder das Ansehen des Standes beeinträchtigt, begeht ein Disziplinarvergehen."

1.2. Der Verfassungsgerichtshof hegt gegen §2 RL-BA 1977 aus Anlaß des vorliegenden Falles keine Bedenken. Die Bestimmung des §2 RL-BA 1977 hat in den Bestimmungen des §37 Z1 und 2 RAO und §1 DSt 1990 ihre gesetzliche Grundlage (vgl. bereits VfSlg. 16265/2001). Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers steht §2 RL-BA 1977 auch nicht im Widerspruch zu §9 Abs1 zweiter Satz RAO, weil ein Rechtsanwalt nach dieser Bestimmung nur insoweit befugt ist, alles, was seinem Mandanten dienlich ist, vorzubringen, als es den Gesetzen - also auch der Regelung des §1 DSt 1990, in dessen Ausführung die Bestimmungen der RL-BA 1977 erlassen wurden - nicht widerstreitet. (Zur Unbedenklichkeit des §1 DSt 1990 vgl. VfSlg. 12915/1991, 13260/1992, 13526/1993, 13762/1994, 14237/1995, 14905/1997, 15585/1999, 15847/2000; sowie zu §2 DSt 1872 - der Vorgängerbestimmung des §1 DSt 1990: grundlegend VfSlg. 11776/1988, ebenso VfSlg. 3290/1957, 5643/1967, 5967/1969, 7494/1975, 7905/1976, 9160/1981, 11007/1986, 11350/1987, 11840/1988 und 12032/1989.)

1.3. Der Beschwerdeführer ist somit nicht wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

2. Zu den behaupteten Vollzugsfehlern:

2.1. Der Beschwerdeführer wirft der Behörde Willkür vor, weil er - trotz des für ihn eindeutigen Wortlautes des §9 Abs1 RAO, wonach ein Rechtsanwalt befugt sei, alles, was er nach dem Gesetz zur Vertretung seiner Partei für dienlich erachte, unumwunden vorzubringen - wegen eines Schreibens, das im Auftrag bzw. im Interesse seines Mandanten verfaßt wurde, disziplinarrechtlich verurteilt worden sei. Jeder andere Staatsbürger könne ein solches Verhalten setzen, ohne mit Sanktionen bedroht zu werden.

Ein willkürliches Verhalten kann der Behörde unter anderem dann vorgeworfen werden, wenn sie den Beschwerdeführer aus unsachlichen Gründen benachteiligt hat oder aber, wenn der angefochtene Bescheid wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (zB VfSlg. 10337/1985, 11436/1987).

Ein solcher Fehler liegt nicht vor. Der Beschwerdeführer verkennt in diesem Zusammenhang, daß er als Rechtsanwalt neben spezifischen Berufspflichten auch besonderen, die Ehre und das Ansehen des Standes betreffende Verhaltenspflichten unterliegt, die - wie bereits unter Punkt 1 dargelegt - Schranke für die in §9 Abs1 zweiter Satz RAO näher geregelten Befugnisse eines Rechtsanwaltes bilden (zur verfassungsrechtlichen Unbedenklichkeit der Normierung besonderer Standespflichten vgl. etwa VfSlg. 13525/1993 oder 14905/1997). Die rechtliche Würdigung des angefochtenen Bescheides steht daher weder im Widerspruch zu §9 Abs1 RAO noch zu anderen die Rechtsanwälte betreffenden Standesvorschriften.

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz verletzt worden.

2.2. Der Beschwerdeführer erachtet sich überdies in seinem Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung verletzt.

Nach Art10 EMRK schließt dieses Recht die Freiheit der Meinung und die Freiheit zum Empfang und zur Mitteilung von Nachrichten oder Ideen ein, sieht aber im Hinblick darauf, daß die Ausübung dieser Freiheit Pflichten und Verantwortung mit sich bringe, die Möglichkeit von Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen oder Strafdrohungen vor, "wie sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und der Moral, des Schutzes des guten Rufes oder der Rechte anderer unentbehrlich sind, um die Verbreitung von vertraulichen Nachrichten zu verhindern oder das Ansehen und die Unparteilichkeit der Rechtsprechung zu gewährleisten".

Ein Verwaltungsakt, der sich gegen die Meinungsäußerungsfreiheit richtet, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ua. dann verfassungswidrig, wenn ein verfassungsmäßiges Gesetz denkunmöglich angewendet wurde (VfSlg. 3762/1960, 6166/1970 und 6465/1971). Eine denkunmögliche Gesetzesanwendung liegt auch vor, wenn die Behörde dem Gesetz fälschlich einen verfassungswidrigen - also auch die besonderen Schranken des Art10 EMRK mißachtenden - Inhalt unterstellt (VfSlg. 10386/1985, 10700/1985, 12086/1989, 13122/1992).

Derartiges kann der belangten Behörde, die den Inhalt des an H C gerichteten Schreibens vom 8. Mai 2001 als Androhung inadäquater Maßnahmen zur Durchsetzung der Ansprüche seines Klienten J N gewertet hat und damit in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise den Tatbestand eines Disziplinarvergehens als verwirklicht angenommen hat, jedenfalls nicht vorgeworfen werden. Die Sanktionierung derartiger Drohungen im Wege des Disziplinarrechts für Rechtsanwälte verstößt nicht gegen das Grundrecht auf freie Meinungsäußerung (ebensowenig wie unsachliche und erkennbar beleidigende Äußerungen dagegen verstoßen vgl. etwa VfSlg. 12796/1991, 14233/1995, 15586/1999), da, wie aus Art10 Abs2 EMRK hervorgeht, in einer demokratischen Gesellschaft ein dringendes soziales Bedürfnis besteht, das Ansehen der Rechtsprechung zu wahren. Die belangte Behörde hat dem Gesetz somit keinen verfassungswidrigen Inhalt unterstellt.

Der Beschwerdeführer ist sohin nicht im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung verletzt worden.

2.3. Nach Auffassung des Beschwerdeführers liegt auch eine Verletzung des durch Art6 EMRK garantierten Rechts auf ein faires Verfahren vor, weil den subjektiven Zeugenaussagen der im Disziplinarverfahren auch als Anzeigerin auftretenden H C im Rahmen der Beweiswürdigung vor den Disziplinarbehörden ein zu großes Gewicht beigemessen wurde.

Der Verfassungsgerichtshof vermag demgegenüber nicht zu erkennen, daß das Verfahren zu Lasten des Beschwerdeführers nicht fair abgelaufen wäre. Dem Beschwerdeführer wurde im Disziplinarverfahren ausreichend Gelegenheit geboten, seinen Standpunkt darzulegen und die Zeugenaussage der Anzeigerin H C zu entkräften. Aufgrund des im Disziplinarverfahren erhobenen Vorwurfes der unzulässigen Druckausübung liegt es nicht fern, daß der Inhalt des Briefes vom 8. Mai 2001 sowie die Einvernahme jener Person, auf welche mit diesem Schreiben Druck ausgeübt werden sollte, eine zentrale Rolle im Beweisverfahren einnahmen. Im übrigen gründete die OBDK ihre Beweiswürdigung nicht auf subjektive Empfindungen dieser Zeugin, sondern bewertete den Inhalt dieses Briefes dergestalt, daß er aus objektiver Sicht gesehen eine "ernstliche Einschüchterung" darstelle, "deren Wirkung der Beschwerdeführer bei pflichtgemäßer Aufmerksamkeit voraussehen hätte können".

Der Beschwerdeführer wurde nicht in dem durch Art6 EMRK garantierten Recht auf ein faires Verfahren verletzt.

2.4. Ob der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen eine Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richtet, die beim Verwaltungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann.

3. Die behauptete Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten liegt nicht vor. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, daß der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten sonstigen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde.

Die Beschwerde war daher abzuweisen.

III. Des Weiteren wird in der vorliegenden, als "Beschwerde gemäß Art139 B-VG und Art144 B-VG" bezeichneten Eingabe der Antrag gestellt, die "gesetzwidrigen Standesrichtlinien RL-BA 1977 ... gemäß Art139 B-VG aufzuheben".

Wertet man diesen Antrag als Individualantrag, ist er bereits aus folgenden Erwägungen nicht in Behandlung zu ziehen:

Gemäß Art139 Abs1 letzter Satz B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verordnung in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet. Gemäß §57 Abs1 erster Satz VfGG muß ein Antrag, eine Verordnung als gesetzwidrig aufzuheben, begehren, daß entweder die Verordnung ihrem ganzen Inhalte nach oder daß bestimmte Stellen der Verordnung als gesetzwidrig aufgehoben werden.

Das ist hier nicht der Fall. Es bleibt, ob der gewählten Formulierung, die - ohne konkret zu werden - von einer Mehrzahl von anzufechtenden Bestimmungen spricht, offen, welche Bestimmungen der RL-BA 1977 vom Antrag umfaßt sind. (Sollte der Beschwerdeführer - entgegen dem Wortlaut im Antrag - nur die hier präjudizielle Bestimmung des §2 RL-BA 1977 gemeint haben, wäre der Antrag schon deswegen zurückzuweisen, weil die Verordnungsbestimmung nicht ohne Erlassung eines Bescheides für ihn wirksam geworden ist.)

Die Eingabe ist, soweit sie trotz ihrer Unklarheit als Individualantrag gewertet wird, mangels Legitimation des Einschreiters als unzulässig zurückzuweisen.

IV. Dies konnte gemäß §19 Abs4 bzw. Abs2 Z3 lite VfGG ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.

Schlagworte

Meinungsäußerungsfreiheit, Rechtsanwälte, Disziplinarrecht, fair trial, VfGH / Individualantrag, Auslegung eines Antrages, VfGH / Formerfordernisse

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2003:B105.2003

Dokumentnummer

JFT_09969077_03B00105_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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