TE Vwgh Erkenntnis 2008/9/9 2008/06/0056

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Veröffentlicht am 09.09.2008
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Index

L82000 Bauordnung;
L82007 Bauordnung Tirol;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §42;
AVG §8;
BauO Tir 2001 §25 Abs3 litc;
BauRallg;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Bernegger und Dr. Waldstätten als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Crnja, über die Beschwerde 1. des R E und 2. der E E, beide in S, beide vertreten durch Dr. Herbert Schöpf, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Maria-Theresien-Straße 34, gegen den Bescheid der Tiroler Landesregierung vom 18. Februar 2008, Zl. Ve1-8-1/454-1, betreffend Einwendungen gegen eine Baubewilligung (mitbeteiligte Parteien: 1. R S und 2. E T, beide in K, beide vertreten durch Dr. Erwin Markl, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/1, 3. Gemeinde S, vertreten durch den Bürgermeister), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Tirol hat den Beschwerdeführern zusammen Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem am 14. Juni 2007 eingebrachten Baugesuch (vom 13. Juni 2007) kamen die erst- und die zweitmitbeteiligte Partei (kurz: Bauwerber) um die Erteilung der baubehördlichen Bewilligung für die Errichtung eines Einfamilienhauses und einer Holzlege auf einem Grundstück im Gebiet der mitbeteiligten Gemeinde ein. Die Beschwerdeführer sind Eigentümer eines unmittelbar angrenzenden Grundstückes; sie wurden zur Bauverhandlung am 11. September 2007 persönlich geladen, die Kundmachung/Ladung enthält unter anderem den Hinweis, dass jene Personen, die nicht spätestens am Tag vor Beginn der Verhandlung bei der Behörde oder während der Verhandlung Einwendungen erheben, ihre Stellung als Partei des Verfahrens verlören. In der von den Beschwerdeführern eigenhändig unterfertigten Niederschrift über die Bauverhandlung heißt es, dass unter anderem die Beschwerdeführer bei plan- und bescheidgemäßer Ausführung des Vorhabens keinen Einwand erheben (die Niederschrift enthält keinen Hinweis, dass die Beschwerdeführer die Richtigkeit der Niederschrift bestritten oder diese nur mit Vorbehalt unterfertigt hätten oder dergleichen). Mit e-mail vom 19. September 2007 an das Gemeindeamt führte ein Architekt (namens der Beschwerdeführer) aus, er habe für den Erstbeschwerdeführer die Einreichunterlagen eingesehen. Dabei erscheine ihm die relevante Gebäudehöhe an der Nordostecke des Gebäudes zu hoch, weil damit der geplante Abstand zur Grenze geringer sei als der sich auf Grund der Höhe ergebende gesetzliche Minestabstand.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 12. Oktober 2007 erteilte der Bürgermeister die angestrebte Baubewilligung mit einer Reihe von Vorschreibungen.

Die Beschwerdeführer erhoben Berufung gegen den Bescheid, in welcher sie (soweit für das Beschwerdeverfahren noch erheblich) vorbrachten, die Niederschrift sei inhaltlich unrichtig. Sie hätten nämlich in der Bauverhandlung Einwendungen betreffend die Bauhöhe und Bauweise erhoben. Sinngemäß hätten sie eingewendet, dass das projektierte Gebäude im Verhältnis zu den umliegenden Einfamilienhäusern zu groß dimensioniert sei. Damit hätten sie aber rechtzeitig zulässige Einwendungen im Sinne des § 25 TBO erhoben. Der Bürgermeister habe ihnen aber erklärt, "dass alles in Ordnung sei". Daraufhin habe der Bürgermeister protokollieren lassen, dass (unter anderem) die Beschwerdeführer bei plan- und bescheidmäßiger Ausführung des Bauvorhabens keinen Einwand erheben. Die Beschwerdeführer hätten zwar die Niederschrift über die Bauverhandlung unterfertigt, jedoch im Glauben, dass ihre Einwendungen protokolliert worden seien, was jedoch tatsächlich nicht der Fall gewesen sei. Die Niederschrift gebe daher nicht den tatsächlichen Verhandlungsverlauf wieder.

Als Beweis für ihr Vorbringen beantragten sie ihre Einvernahme und machten weiters vier Personen namhaft (inhaltlich gemeint: die als Zeugen ihr Vorbringen bestätigen könnten).

Der Gemeindevorstand wies mit Berufungsbescheid vom 12. Dezember 2007 die Berufung als unbegründet ab: die Beschwerdeführer hätten gemäß der Niederschrift keine Einwendungen erhoben, die Protokollrüge könne "ebenfalls nicht nachvollzogen werden, da alle Bestimmungen des AVG (vgl. § 14 und §§ 40 ff.) berücksichtigt" worden seien. Weitere Einwendungen (Anmerkung: als das protokollierte Vorbringen des Erstbeschwerdeführers, im Rahmen der Bauausführung sei Rücksicht auf die bestehende Korbsteinmauer zu nehmen) hätten sie nicht vorgebracht, weshalb sie ihre Stellung als Partei verloren hätten und präkludiert seien (Anmerkung:

festzuhalten ist, dass die in der Berufung angebotenen Beweise für die Unrichtigkeit der Niederschrift nicht aufgenommen wurden).

Dagegen erhoben die Beschwerdeführer Vorstellung, die mit dem angefochtenen Bescheid als unzulässig zurückgewiesen wurde. Soweit für das Beschwerdeverfahren erheblich, heißt es zur Begründung, die Niederschrift vom 11. September 2007 entspreche den Voraussetzungen des § 14 AVG. Sie liefere somit vollen Beweis über den Verlauf und den Gegenstand der Verhandlung, wobei der Gegenbeweis der Unrichtigkeit zulässig bleibe. Das Vorbringen der Beschwerdeführer, die Niederschrift gebe den Verhandlungsverlauf nicht richtig wieder und sie hätten bereits in der mündlichen Verhandlung entsprechende Einwendungen im Hinblick auf die Bauhöhe und die Bauweise erhoben, sei nicht geeignet, die Beweiskraft der Niederschrift zu entkräften und sei als bloße Schutzbehauptung zu qualifizieren. So seien die Einwendungen im Hinblick auf die Bauhöhe und Bauweise erstmals im e-mail vom 19. September 2007 erhoben (das ist jenes des Architekten) worden. Darin führe der Architekt aus, dass er "gestern", also am 18. September 2007, die Einreichunterlagen durchgesehen habe und dabei eine zu hohe Gebäudehöhe festgestellt habe. Dies lege den Schluss nahe, dass die Beschwerdeführer erst nach Einsichtnahme des Architekten in die Einreichunterlagen von einer zu hohen Bauweise ausgegangen seien. Dies werde auch durch die Verhandlungsschrift bestätigt, in welcher sich diesbezüglich keinerlei Einwendungen fänden. Die unrichtige Protokollierung werde zudem erstmals in der Berufung geltend gemacht.

Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften (dem Sinn des Vorbringens nach auch wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit).

Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und, ebenso wie die mitbeteiligten Bauwerber, in einer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist das Mitspracherecht des Nachbarn im Baubewilligungsverfahren in zweifacher Weise beschränkt: Es besteht einerseits nur insoweit, als dem Nachbarn nach den in Betracht kommenden baurechtlichen Vorschriften subjektiv-öffentliche Rechte zukommen und andererseits nur in jenem Umfang, in dem der Nachbar solche Rechte im Verfahren durch die rechtzeitige Erhebung entsprechender Einwendungen wirksam geltend gemacht hat (vgl. das Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Dezember 1980, Slg. Nr. 10.317/A, uva.). Das gilt weiterhin auch für den Nachbarn, der i.S. des § 42 AVG idF seit der Novelle BGBl. I Nr. 158/1998 die Parteistellung behalten hat.

Im Beschwerdefall ist die Tiroler Bauordnung 2001 (TBO 2001), LGBl. Nr. 94 (Wiederverlautbarung), in der Fassung LGBl. Nr. 60/2005 anzuwenden.

§ 25 Abs. 3 TBO 2001 lautet:

"(3) Nachbarn, deren Grundstücke unmittelbar an den Bauplatz angrenzen oder deren Grenzen zumindest in einem Punkt innerhalb eines Abstandes von 5 m zu einem Punkt der Bauplatzgrenze liegen, sind berechtigt, die Nichteinhaltung folgender bau- und raumordnungsrechtlicher Vorschriften geltend zu machen, soweit diese auch ihrem Schutz dienen:

a) der Festlegungen des Flächenwidmungsplanes, soweit damit ein Immissionsschutz verbunden ist;

b)

der Bestimmungen über den Brandschutz;

c)

der Festlegungen des Bebauungsplanes hinsichtlich der Baufluchtlinien, der Baugrenzlinien, der Bauweise und der Bauhöhe;

d)

der Abstandsbestimmungen des § 6;

e)

im Fall, dass ein allgemeiner Bebauungsplan und ein ergänzender Bebauungsplan oder ein Bebauungsplan mit den Festlegungen des allgemeinen und des ergänzenden Bebauungsplanes nicht bestehen, das Fehlen der Voraussetzungen nach § 55 Abs. 1 oder § 113 Abs. 1 des Tiroler Raumordnungsgesetzes 2001."

Nach § 15 AVG liefert eine gemäß § 14 AVG aufgenommene Niederschrift (soweit nicht Einwendungen erhoben wurden - solche Einwendungen im Sinne des § 14 Abs. 4 AVG gab es hier nicht) über den Verlauf und den Gegenstand der betreffenden Amtshandlung vollen Beweis. Der Gegenbeweis der Unrichtigkeit des bezeugten Vorganges bleibt zulässig.

Die Beschwerdeführer haben die Unrichtigkeit (Unvollständigkeit) der Niederschrift behauptet und es unternommen, den Gegenbeweis anzutreten; hiezu haben sie zur Richtigkeit ihres Vorbringens (die Niederschrift sei unvollständig) ihre Einvernahme beantragt sowie auch weitere vier Personen als Zeugen namhaft gemacht. Diese Beweise wurden nicht aufgenommen. Dies zu Unrecht: Den Überlegungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid ist entgegenzuhalten, dass aus dem späteren Einschreiten des Architekten die Unrichtigkeit der Behauptung der Beschwerdeführer, sie hätten in der Bauverhandlung nicht protokollierte Einwendungen erhoben, nicht zwingend abzuleiten ist; der Umstand, dass dieser Architekt über Ersuchen des Erstbeschwerdeführers nach der Bauverhandlung Einsicht in die Einreichunterlagen genommen hat, hindert nicht ein entsprechendes Vorbringen in der Bauverhandlung. Auch der Umstand, dass die Unrichtigkeit der Protokollierung (erst) in der Berufung geltend gemacht wurde (das war, nachdem den Beschwerdeführern über ihr Ersuchen die Niederschrift übermittelt worden war) bedeutet ebenfalls nicht, dass die behaupteten Einwendungen nicht schon in der Bauverhandlung erhoben worden sein konnten. Die Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zur Prüfung der Richtigkeit des Vorbringens der Beschwerdeführer war somit nicht entbehrlich, die Überlegungen der belangten Behörde (ein solches sei vorweg nicht erforderlich) stellen sich vielmehr als rechtswidrige vorgreifende Beweiswürdigung dar.

Die Annahme der Berufungsbehörde wie auch der belangten Behörde, die Beschwerdeführer hätten keine Einwendungen erhoben und hätten damit ihre Parteistellung verloren, könnte allerdings dann im Ergebnis richtig sein, wenn die Beschwerdeführer zwar die behaupteten Einwände in der Bauverhandlung erhoben hätten, diese aber nicht als Einwendungen im Rechtssinn qualifiziert werden könnten:

Die Beschwerdeführer haben im Verwaltungsverfahren vorgebracht, sie hätten Einwendungen betreffend die Bauhöhe und Bauweise erhoben, und sinngemäß vorgebracht, dass das projektierte Gebäude im Verhältnis zu den umliegenden Einfamilienhäusern zu groß dimensioniert sei. Vor dem Hintergrund des Kataloges des § 25 Abs. 3 TBO 2001 stellt der Einwand, das Haus sei im Verhältnis zu umliegenden Häusern zu groß dimensioniert, keine taugliche Einwendung im Rechtssinn dar. Bezüglich der Bauweise und Bauhöhe kann vielmehr nur geltend gemacht werden, dass das Vorhaben zu den entsprechenden verordneten Festlegungen im Sinne des § 25 Abs. 3 lit. c TBO 2001 im Widerspruch steht. Ob es in diesem Sinne verordnete Festlegungen bezüglich der Bauweise und Bauhöhe gibt, ist aber den Verwaltungsakten nicht zu entnehmen, diese Frage wurde vielmehr im gesamten Verfahren inhaltlich nicht thematisiert (von der Berufungsbehörde und der belangten Behörde möglicherweise vor dem Hintergrund ihrer unrichtigen rechtlichen Auffassung, das Vorbringen der Beschwerdeführer betreffend die behauptete Unvollständigkeit der Niederschrift sei jedenfalls verfehlt).

Da die belangte Behörde die aufgezeigten Umstände verkannte, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Wien, am 9. September 2008

Schlagworte

Nachbarrecht Nachbar Anrainer Grundnachbar subjektiv-öffentliche Rechte, Gebäudehöhe BauRallg5/1/5Nachbarrecht Nachbar Anrainer Grundnachbar subjektiv-öffentliche Rechte, Vorschriften, die keine subjektiv-öffentliche Rechte begründen BauRallg5/1/9Baurecht Nachbar

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2008060056.X00

Im RIS seit

09.10.2008

Zuletzt aktualisiert am

11.06.2015
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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