TE Vwgh Erkenntnis 2008/9/17 2008/22/0380

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Veröffentlicht am 17.09.2008
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG);
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

B-VG Art130 Abs2;
FrG 1997 §10 Abs4;
FrG 1997 §19 Abs2 Z6;
FrG 1997 §33 Abs1;
FrG 1997 §37 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Mag. Heinzl und die Hofräte Dr. Robl und Mag. Eder, die Hofrätin Mag. Merl und den Hofrat Dr. Lukasser als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Plankensteiner, über die Beschwerde der R, vertreten durch Unterweger/Bitsche/Einwallner, Rechtsanwälte und Rechtsanwältin in 1080 Wien, Buchfeldgasse 19a, gegen den Bescheid der Bundesministerin für Inneres vom 13. Oktober 2005, Zl. 314.250/5- III/4/05, betreffend Versagung einer Niederlassungsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 51,50 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Bundesministerin für Inneres (der belangten Behörde) vom 13. Oktober 2005 wurde der Antrag der Beschwerdeführerin, einer serbischen Staatsangehörigen, auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung gemäß § 10 Abs. 4 und § 19 Abs. 2 Z. 6 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin habe am 12. März 2003 durch ihren Ehemann bei der Bundespolizeidirektion Wien einen Antrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung für den Zweck "Familiengemeinschaft" mit ihrem österreichischen Ehemann, den sie am 19. Dezember 2002 in Wien geheiratet habe, gestellt. Die Anregung des "fremdenpolizeilichen Büros" an die Staatsanwaltschaft Wien auf Erhebung einer Nichtigkeitsklage sei von der Staatsanwaltschaft eingestellt worden, da der Ehemann am 20. Oktober 2003 verstorben sei. Da auf Grund des Todes des Ehemannes die Voraussetzungen der Erteilung einer Niederlassungsbewilligung für einen "begünstigten Drittstaatsangehörigen" nicht mehr vorgelegen seien, sei der Antrag zuständigkeitshalber an das Amt der Wiener Landesregierung zur weiteren Prüfung übermittelt worden. Am 28. April 2004 sei ein Zusatzantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung aus humanitären Gründen nach § 19 Abs. 2 Z. 6 FrG gestellt und mitgeteilt worden, dass die Beschwerdeführerin einen Befreiungsschein besitze und erwerbstätig sei.

Der Bundesminister für Inneres habe der Erteilung einer Niederlassungsbewilligung aus humanitären Gründen für "jeglichen Aufenthaltszweck" nicht zugestimmt, daher habe die erstinstanzliche Behörde den diesbezüglichen Antrag mit Bescheid vom 19. Mai 2005 gemäß § 19 Abs. 2 Z. 6 iVm § 90 Abs. 1 FrG abgewiesen. Über den Hauptantrag auf Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung sei noch nicht entschieden worden.

In der Berufung habe die Beschwerdeführerin in erster Linie vorgebracht, dass es sich um keine Scheinehe gehandelt hätte, sie ihren Ehemann durch tragische Umstände frühzeitig verloren hätte, knapp 51 Jahre alt wäre, in Österreich sozial und beruflich bereits stark integriert wäre, einer rechtmäßigen Beschäftigung nachgehen würde, sozialversichert wäre und eine ortsübliche Unterkunft bewohnen würde. Im Falle einer Rückkehr in das Heimatland wäre sie als ältere, alleinstehende Frau völlig unversorgt und auf sich gestellt. Auf Grund der schlechten wirtschaftlichen Lage und auf Grund ihres Alters hätte sie keinerlei Aussichten, Arbeit zu erhalten und so ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Überdies hätte sie einen Rechtsanspruch auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung aus humanitären Gründen.

Die belangte Behörde hat dazu erwogen, dass gemäß § 10 Abs. 4 FrG Fremden trotz Vorliegens eines Versagungsgrundes unter besonders berücksichtigungswürdigen Fällen aus humanitären Gründen von Amts wegen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden könne. Besonders berücksichtigungswürdige Fälle lägen insbesondere vor, wenn der Fremde einer Gefahr gemäß § 57 FrG ausgesetzt sei. Die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gemäß § 19 Abs. 2 Z. 6 FrG unterliege dann keiner Quotenpflicht, wenn die Voraussetzungen des § 10 Abs. 4 FrG erfüllt seien und der Fremde entweder Familienangehöriger (§ 20 Abs. 1) eines rechtmäßig auf Dauer niedergelassenen Fremden sei oder die Voraussetzungen gemäß Abs. 3 erfülle.

Der Antrag vom 28. April 2004 auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung aus humanitären Gründen gemäß § 19 Abs. 2 Z. 6 FrG sei mit den wirtschaftlichen Verhältnisse im ehemaligen Jugoslawien begründet worden. Überdies sei bekannt gegeben worden, dass die Beschwerdeführerin über einen Befreiungsschein mit Gültigkeitsdauer bis 18. November 2004 verfüge und einer Erwerbstätigkeit nachgehe.

Laut Recherchen sei die Beschwerdeführerin seit 27. November 2002 in Österreich aufrecht gemeldet (und zwar bis 29. Oktober 2003 als Hauptwohnsitz an derselben Adresse wie ihr verstorbener Ehemann). Zwischen 26. August 2003 und 29. Oktober 2003 sei die Beschwerdeführerin mit Nebenwohnsitz auch in Wien 20 gemeldet worden, am 29. Oktober 2003 sei dieser Nebenwohnsitz in einen Hauptwohnsitz umgewandelt worden. Laut Mietvertrag sei die Beschwerdeführerin jedoch seit 1. April 2004 Hauptmieterin der genannten Wohnung in Wien 20. In dieser Wohnung sei sie jedoch nicht gemeldet gewesen. Aus dem Reisedokument der Beschwerdeführerin seien lediglich zwei von der österreichischen Botschaft Belgrad ausgestellte Visa, gültig vom 1. Februar 2001 bis 2. März 2001 und vom 25. Mai 2001 bis 24. Juni 2001 ersichtlich, für die Einreise zu ihrer Hochzeit habe kein Visum nachgewiesen werden können. Es sei fast anzunehmen, dass sie sich seither in Österreich aufhalte.

Mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 12. April 2005 sei die Ausweisung aus dem Bundesgebiet veranlasst worden. Am 25. November 2003 sei der Beschwerdeführerin ein Befreiungsschein ausgestellt worden, spätestens zu diesem Zeitpunkt habe sie somit eine Arbeitsaufnahme beabsichtigt und hätte die gesetzlichen Bestimmungen für eine legale Erwerbstätigkeit in Österreich erfüllen müssen, da eine Neuzuwanderung zur Ausübung einer Erwerbstätigkeit grundsätzlich nur für "Schlüsselkräfte" vorgesehen sei. Eine Antragstellung habe vom Ausland aus zu erfolgen. "Besonders berücksichtigungswürdige Fälle" lägen im vorliegenden Fall nicht vor. Daraus folge, dass im Fall der Beschwerdeführerin die Erteilung einer Niederlassungsbewilligung der Quotenpflicht unterliege. Mangels ausreichender humanitärer Aspekte könne eine Inlandsantragstellung gemäß § 14 Abs. 2 letzter Satz FrG von Amts wegen nicht zugelassen werden.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Vorlage der Akten des Verwaltungsverfahrens über die vorliegende Beschwerde erwogen:

§ 19 FrG und die damit im Zusammenhang stehende Bestimmung des § 10 Abs. 4 leg. cit. lauten:

"§ 19. (1) Fremden, die sich auf Dauer niederlassen wollen, kann auf Antrag eine Erstniederlassungsbewilligung erteilt werden, wenn die Voraussetzungen des 2. Abschnittes über die Erteilung von Aufenthaltstiteln bis auf weiteres gesichert scheinen. Sie darf - außer in den Fällen des Abs. 2 - nur im Rahmen der Niederlassungsverordnung erteilt werden (Quotenpflicht).

(2) Keiner Quotenpflicht unterliegt die Erteilung einer Erstniederlassungsbewilligung an Drittstaatsangehörige, die

...

6. die Voraussetzungen des § 10 Abs. 4 erfüllen und entweder Familienangehörige (§ 20 Abs. 1) eines rechtmäßig auf Dauer niedergelassenen Fremden sind oder die Voraussetzungen gemäß Abs. 3 erfüllen.

(3) Beabsichtigt der Fremde in Österreich eine unselbständige Erwerbstätigkeit auszuüben, so darf ihm die Erstniederlassungsbewilligung überdies nur erteilt werden, wenn für ihn eine Sicherungsbescheinigung oder eine Beschäftigungsbewilligung ausgestellt wurde oder wenn er über eine Arbeitserlaubnis oder einen Befreiungsschein verfügt; für Drittstaatsangehörige gemäß Abs. 2 gilt dies nur insoweit, als das Ausländerbeschäftigungsgesetz auf sie anzuwenden ist.

...

§ 10. ...

(4) Die Behörde kann Fremden trotz Vorliegens eines Versagungsgrundes gemäß Abs. 1 Z 2, 3 und 4 sowie gemäß Abs. 2 Z 1, 2 und 5 in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen aus humanitären Gründen von Amts wegen eine Aufenthaltserlaubnis erteilen. Besonders berücksichtigungswürdige Fälle liegen insbesondere vor, wenn die Fremden einer Gefahr gemäß § 57 Abs. 1 oder 2 ausgesetzt sind. Fremden, die ihre Heimat als Opfer eines bewaffneten Konfliktes verlassen haben, darf eine solche Aufenthaltserlaubnis nur für die voraussichtliche Dauer dieses Konfliktes, höchstens für drei Monate erteilt werden. Im Falle strafbarer Handlungen gemäß § 217 StGB darf Zeugen zur Gewährleistung der Strafverfolgung sowie Opfern von Menschenhandel zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche gegen die Täter eine solche Aufenthaltserlaubnis für die erforderliche Dauer erteilt werden."

Die Beschwerde bringt vor, § 10 Abs. 4 FrG enthalte keine abschließende Aufzählung besonders berücksichtigungswürdiger Fälle, sondern stelle auf mit besonderen Gefährdungen bzw. Notlagen verbundene Lebensumstände ab, somit kämen natürlich auch andere Gründe als die von der belangten Behörde genannten in Frage. Der Verwaltungsgerichtshof habe eindeutig klar gestellt, dass nachteilige Lebensumstände im Fall der Rückkehr für das Vorliegen eines humanitären Grundes jedenfalls von Bedeutung sein könnten. Die Beschwerdeführerin habe vorgebracht, dass sie in ihrem Herkunftsstaat nicht nur völlig auf sich gestellt wäre, sie habe weiters auf ihre berufliche und soziale Integration in Österreich, die schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse in ihrem Herkunftsland und die sich daraus ergebende Beeinträchtigung wie massive Armut bis hin zur völligen Gefährdung des Fortkommens - insbesondere für alleinstehende, ältere Frauen wie die Beschwerdeführerin - und somit auf die mit ihrer Rückkehr für sie verbundenen nachteiligen Lebensumstände und damit auf eine besondere Gefährdung bzw. Notlage im Sinne des § 10 Abs. 4 FrG hingewiesen. Die belangte Behörde habe § 10 Abs. 4 FrG jedoch unrichtig angewendet, weil sie rechtsirrig davon ausgegangen sei, dass nur die im bekämpften Bescheid genannten Gründe besonders berücksichtigungswürdig wären. Bei richtiger Rechtsanwendung hätte die belangte Behörde jedoch zu der rechtlichen Beurteilung gelangen müssen, dass sehr wohl ein besonders berücksichtigungswürdiger Grund vorliege, da die Beschwerdeführerin im Falle ihrer Rückkehr massiver Armut bzw. einem weitgehenden Entzug ihrer gesamten bisherigen Lebensgrundlage ausgesetzt wäre, somit also sehr wohl eine besondere Gefährdung bzw. Notlage vorliege. Da die weiteren Voraussetzungen des § 19 Abs. 2 Z. 6 FrG ebenfalls erfüllt seien - die Beschwerdeführerin verfüge über einen Befreiungsschein - hätte die belangte Behörde daher zu der Entscheidung gelangen müssen, dass der Beschwerdeführerin eine humanitäre Niederlassungsbewilligung zu erteilen sei.

Zunächst ist festzuhalten, dass die belangte Behörde unter Hinweis auf die Rechtsprechung - entgegen dem Beschwerdevorbringen - nicht davon ausgegangen ist, § 10 Abs. 4 FrG enthalte eine abschließende Aufzählung besonders berücksichtigungswürdiger Fälle.

Wenn die Beschwerde vorbringt, die schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse in ihrem Herkunftsland würden gerade für alleinstehende, ältere Frauen eine besondere Gefährdung bzw. Notlage darstellen, zeigt sie damit keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner u.a. zu § 8 AsylG ergangenen Judikatur ausgeführt, dass die bloße Behauptung, ein Fremder hätte derzeit im Fall seiner Rückkehr in die Provinz Kosovo "keine Lebensgrundlage", zu allgemein sei, um eine Beurteilung vor dem Hintergrund des § 57 Abs. 1 FrG zu ermöglichen. Einerseits sei eine solche Annahme oder Formulierung an sich unscharf und lasse nicht erkennen, welche Aspekte im Einzelnen damit erfasst werden sollten. Sie wäre nur als conclusio aussagekräftig, die die verschiedenen materiellen Gesichtspunkte menschlicher Existenz (Nahrung, Unterkunft, etc.) zusammenfasse. Andererseits jedoch erfordere die vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) mehrfach betonte Exzeptionalität der Umstände, die vorliegen müssten, um die Außerlandesschaffung eines Fremden im Hinblick auf außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegende Gegebenheiten im Zielstaat in Widerspruch zu Art. 3 EMRK erscheinen zu lassen, eine ganz besonders detaillierte Darstellung der Verhältnisse der betreffenden Person, und zwar sowohl im Zielstaat der Abschiebung als auch in Österreich (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. Juni 2005, 2001/18/0165, mwN).

Das sehr allgemeine Vorbringen der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren entspricht mangels jeglicher Konkretisierung den Anforderungen dieser Judikatur in keiner Weise und ist daher nicht geeignet, eine aktuelle Bedrohungssituation für die Beschwerdeführerin im Sinne des § 10 Abs. 4 FrG darzutun. Daher geht auch die Rüge, die belangte Behörde habe Ermittlungspflichten verletzt, ins Leere.

Aspekte wie die Integration der Beschwerdeführerin in den Arbeitsmarkt oder ein Befreiungsschein bieten (für sich allein) ebenfalls keine Grundlage, einen besonders berücksichtigungswürdigen Fall im Sinn des § 10 Abs. 4 FrG anzunehmen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 15. März 2006, 2006/18/0020, mwN).

Auch der wiederholte Verweis auf das hg. Erkenntnis vom 30. Juni 2005, 2005/18/0125, kann der Beschwerde im gegenständlichen Fall nicht zum Erfolg verhelfen. Tragendes Begründungselement für die Aufhebung des dem zitierten Erkenntnis zu Grunde liegenden Bescheides war, dass nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes ein anhängiges Verfahren zur Erteilung einer humanitären Niederlassungsbewilligung nach § 19 Abs. 2 Z. 6 FrG einer Ausweisung entgegenstehe. Diese Argumentation ist jedoch auf das gegenständliche Verfahren, das nicht eine Ausweisung, sondern die Erteilung einer humanitären Aufenthaltsbewilligung zum Gegenstand hat, nicht übertragbar.

Die Rüge einer angeblichen Verletzung des Parteiengehörs geht ebenfalls ins Leere, da die belangte Behörde - wie aus dem Verwaltungsakt ersichtlich ist - keine ergänzenden Sachverhaltsermittlungen durchgeführt hat.

Die Auffassung der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 10 Abs. 4 FrG nicht verwirklicht ist und die Inlandsantragstellung nicht zugelassen werden konnte, begegnet somit keinem Einwand.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 17. September 2008

Schlagworte

Ermessen besondere Rechtsgebiete

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2008:2008220380.X00

Im RIS seit

20.10.2008

Zuletzt aktualisiert am

27.02.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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